Sonntag, 25. Dezember 2011

Unser Weihnachtspräsident: Käuflich? Nein. Er gehört doch sowieso „allen“.

Das war schon eine Glanznummer an Coolness. In allen Medien wird seit Wochen rauf und runter spekuliert, wielange Merkel ihn noch im Amt halten kann – und dann diese Weihnachtsansprache. Ihr Unterton: „Ich habe wichtigeres zu tun als über Kredite und Urlaubsreisen zu stolpern.“ Großes Schauspiel das. Eiskalt der Mann. Zugabe!

Wieso auch sollte dieser Bundespräsident zurücktreten? Er ist doch ein würdiges Staatsoberhaupt in einem Land, in dessen Parlamenten nur eine einzige Partei sich weigert, Spenden von Konzernen und Banken anzunehmen. (So beschlossen im neuen Programm der LINKEN.) Für wen sollte Wulff also das Schloß Bellevue räumen? Für DIE LINKE? Das geht doch gar nicht. Das wäre dann kein Staat der Konzerne und Banken mehr.

Dieser Präsident passt auch deswegen so gut, weil er ahnungslos genug ist, um angesichts der fast 150 Todesopfer von neofaschistischen Anschlägen in der Bundesrepublik an Weihnachten behaupten zu können: Die Taten der Zwickauer Mörder „haben wir nicht für möglich gehalten.“ Das nimmt man ihm ab, denn so wie „wir“ schon als Ministerpräsident von Niedersachsen kein besonderes Interesse an der Aufdeckung der Nazinetzwerke bis nach Hannover hatten, so verharmlosen „wir“ selbst in dieser Weihnachtsansprache noch mit dem treuherzigsten Augenaufschlag die faschistischen Umtriebe durch deren Gleichsetzung mit jeder Art „Extremismus“.

Ganz große Klasse. Weihnachten wie es sein soll: Ein Märchen vom Märchenprinz.

Donnerstag, 22. Dezember 2011

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Was uns arm macht

Doch, es ist wahr, wir leben über unsere Verhältnisse: Wir leisten uns eine Klasse, die uns arm macht.

Wieder einmal haben wir es schwarz auf weiß. Wer sich nicht blind und taub stellt, bekommt sein Erfahrungswissen bestätigt, vom Paritätischen Wohlfahrtsverband frisch herausgefiltert aus der amtlichen Einkommensstatistik: Die stärkste Wirtschaftsmacht Europas leistet es sich, daß von ihren Bürger-innen fast jede-r sechste mit weniger als 826 € über den Monat kommen muß (Singlehaushalte; Paare mit zwei Kindern: 1735 €). Dies ist die amtliche Armutsgrenze (nach EU-Kriterien).

Seit 2005 SPD und Grüne die Hartzgesetze ausheckten, denen die ganze herrschende Klasse bis heute Beifall klatscht – nur die PDS stimmte dagegen – schnellte die Armut in Deutschland sprunghaft nach oben. Zwar würde die Sozialdemokratie inzwischen gern vergessen machen, daß sie vor allem mit Hartz IV die Schleusen öffnete für den Hungerlohnsektor, die Hauptursache der Verarmung. Aber verantwortlich dafür waren beileibe nicht nur ihr „Genosse der Bosse“ Schröder, sein treuer Knecht Münte und die „Immer-noch-Möchtegern-Kanzlerkandidaten“ Steinbrück und -meier. Sondern die Mentalität der Dumpingkonkurrenz hat sich tief durch die ganze Partei gefressen. Bis hinunter zu sozialdemokratischen Stadträten, die „Strukturwandel“ sagen, wenn sie genau die Branchen mit den niedrigsten Löhnen fördern. Und die keine Skrupel mehr haben, in städtisch beherrschten Betrieben die Tarife auszuhebeln.

Dortmund ist dafür ein krasses und daher besonders lehrreiches Beispiel. Zwölf Jahre lang konzentriert sich nun die Dortmunder Wirtschaftsförderung mit Zig-Millionen-€-Aufwand auf das Ansiedeln von Logistik, Callcenters, Softwareentwicklern, Gastronomie und Hotels. Mit dem Ergebnis, daß Dortmund in dieser Zeit zur „heimlichen Hauptstadt der prekären Beschäftigung“ wurde (Guntram Schneider, ehemaliger DGB-Vorsitzender NRW). Und – darauf kommt es hier an – alles Branchen mit bekannt niedrigen Lohnniveaus und vielen Aufstockern. So daß Dortmund in den sechs Jahren seit Einführung von Hartz IV bis 2010 zur „zweitärmsten Großstadt der Republik“ nach Leipzig herunter kam (RuhrNachrichten). Die amtliche Armutsquote explodierte hier geradezu von 18,6 % auf 23 %, weit schlimmer als in anderen Städten vergleichbarer Größe.

Ein Schelm, wer dies mit der betont neoliberalen Dortmunder Wirtschaftsförderung, dem Ausstieg aus der öffentlichen Beschäftigungsförderung und dem andauernden Personalabbau bei der Stadt in Zusammenhang bringt. Alles dies die ganzen Jahre von Sozialdemokraten verantwortet.

Dienstag, 20. Dezember 2011

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Das Dortmunder „U“ wird mit Geld beheizt

Die Linken im Dortmunder Stadtrat vertreten seit 2003, dass der Umbau eines maroden Hochkellers einer Großbrauerei zum Museum und gar zum „Kreativzentrum“ keine sinnvolle öffentliche Aufgabe ist. Schon damals drängte sich uns der Verdacht auf, dass hier der Eigennutz eines Großkonzerns sich mit dem politischen Größenwahn einer bestimmten Art Wirtschaftsförderung paarte:

Die Brauerei wollte die denkmalgeschützte Ruine nicht sanieren müssen, sondern billig los werden. Nachdem ihr ein Investor für die Sanierung abgesprungen war, weil ihm das wirtschaftliche Risiko unkalkulierbar erschien, verschenkte sie den Klotz für 1 € an die Stadt.

Dass die Stadtspitze an Größenwahn litt, wird auch an den anderen Großprojekten der zehn Langemeyer-Jahre deutlich. Man leistete sich ein Konzerthaus, das wir mit jährlich an die 5 Mio € subventionieren. Auf dem Hauptbahnhof sollte ein monströses „UFO“ landen, an dem haben sich dann zwei der größten Immobilienentwickler Europas verhoben. Dann mußte Dortmunds Verkehrslandeplatz in die Weltliga des Massenflugtourismus aufsteigen, das Ergebnis ist ein Faß ohne Boden, in dem mögliche städtische Einnahmen um die 20 Mio € jährlich verbrannt werden. Zeitgleich gönnte man sich noch einen See, von dem es stolz heißt, er sei größer als die Hamburger Binnenalster. Geschätzte Folgekosten jährlich 5 Mio €. Und nun dies mit über 80 Mio € vergoldete Mahnmal des Größenwahns. Es wird den Stadthaushalt jährlich mehr als 10 Mio € kosten.

Tatsächlich wurde das „Dortmunder U“ zum Wahrzeichen – im genauen Wortsinn: Es bezeichnet die Wahrheit. Eine Wahrheit, die der international hoch geachtete, kürzlich verstorbene Soziologe Hartmut Häußermann die „Festivalisierung“ der Stadt nannte. Damit meinte er eine Stadtpolitik, die von einem Groß-Event zum nächsten hechelt, weil sie nur noch auf den „Standortwettbewerb“ setzt, das heißt auf Konkurrenz der Städte um Investoren, auf das gegenseitige Überbieten mit „Alleinstellungsmerkmalen“. Aber die Wohnsiedlungen liefert diese Politik an globale Finanzhaie aus.

Vergleicht man die explodierenden Folgekosten des U-Turms mit dem Jahresbudget des „Aktionsplans Soziale Stadt“, so erkennt man, dass das U für eine elitäre Politik steht. Elitär in dreifacher Hinsicht. Einmal im Verhältnis zur sozialen Verantwortung in den benachteiligten Stadträumen. Dann bedient diese „Leuchtturm“politik einseitig das Bildungsbürgertum und die „Besserverdienenden“. Drittens ist es eine elitäre Frechheit, „Kreativität“ nur solchen Berufsgruppen und Einrichtungen zuzuschreiben, die mit Hochkultur, Film und neuen Medien umgehen. Und selbst von denen kam nur eine Handvoll mit den besten Beziehungen in den Kulturpalast, während den übrigen kulturellen Aktivitäten der Stadt, dem Breitensport usw. die Mittel gekürzt werden, um den U-Turm finanzieren zu können.

Wir sind also keine Kulturbanausen, wenn wir den Größenwahn einer Möchtegern-„Metropole“ bekämpfen, sondern wir setzen dagegen die Förderung der Breitenkultur.

Donnerstag, 15. Dezember 2011

Notizen aus der Provinzhauptstadt: In Dortmund muß die Ratswahl wiederholt werden

Das Oberverwaltungsgericht Münster bestätigte heute den Beschluß der Ratsmehrheit, den die LINKE-Fraktion initiiert hatte: Die Ratswahl von 2009 muß wegen rechtswidriger Falschinformation der Wähler durch den damaligen Oberbürgermeister Langemeyer (SPD) über das 150-Millionen-Loch im Haushalt  wiederholt werden.

Nicht nur die FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) und ihr Oberguru Frank Schirrmacher entdecken, daß die Linken gar nicht so verkehrt liegen mit ihrer Kritik an der herrschenden Misere. Neuerdings greift die Ketzerei auf die Provinz über. Das Gerichtsurteil ist nur das jüngste Beispiel, aber nicht das einzige:

- Die Dortmunder Stadtwerke, Mehrheitseigner des Dortmunder Flughafens, sehen keinen Ausweg mehr aus der „existenzbedrohenden“ Schieflage ihres notorischen Verlustbringers (20 Millionen € Miese Jahr für Jahr), als ihn „gesund zu schrumpfen.“ Das hatte die Dortmunder LINKS-Fraktion schon vor drei Jahren gefordert und mit einem Gutachten eines international renommierten Flughafenplaners untermauert: den Ausstieg aus der ruinösen  Billigfliegerei und Rückbau auf seine eigentliche, sinnvolle Funktion für den Geschäftsverkehr der regionalen Wirtschaft.
- Der Dortmunder Stadtkämmerer bestätigt, was attac schon lange verbreitet und die LINKE-Ratsfraktion an Dortmunder Beispielen nachweist: „PPP“ (Öffentlich-Private Partnerschaft für Bau, Finanzierung und zum Teil auch Betrieb öffentlicher Einrichtungen) ist erheblich teurer, als wenn die Stadt in Eigenregie baut und betreibt. Was der Kämmerer so nicht bestätigen mochte: PPP ist also die pure Abzocke öffentlicher Gelder durch private Investoren und Banken.
- Vier Jahre, nachdem die Linken im Stadtrat es vorgeschlagen hatten, kam auch die Stadtspitze auf den Einfall, den Umbau eines denkmalgeschützten Brauereihochkellers zum Kulturzentrum („Dortmunder U“) über eine Stiftung zu finanzieren. Doch da war es zu spät, für den maroden Kasten fanden sich keine privaten Geldgeber. Jetzt muß die Stadt jährlich 10 Millionen € Folgekosten für den elitären Größenwahn ihrer Oberen opfern. Dafür kürzt die große Koalition das Budget für Kultur, Sport und Freizeit.

Der sofort in der heutigen Ratssitzung aufgeflammte Wahlkampf zur Wiederholungswahl wird also für die LINKE spannend. Ihr Wahlerfolg hängt davon ab, ob sie ihre tatsächlichen Erfolge „rüberbringen“ kann.

Montag, 12. Dezember 2011

Notizen aus der Provinzhauptstadt: „Spende Ullrich Sierau“


Bestechungsverdacht gegen Dortmunder OB

"Die Staatsanwaltschaft ermittelt nicht, also müssen wir nichts erklären.“ So einfach wie ihre ungenannte Sprecherin es hoffte, wird die Dortmunder SPD sich nicht aus dem Anfangsverdacht eines Ermittlungsrichters davonstehlen können, OB Sierau sei von den Immobilienentwicklern Kölbl und Kruse (Essen) mit knapp 10.000 € bestochen worden. Als kleines Dankeschön, dass die Spender direkt neben dem „Dortmunder U“, an einer der prominentesten Ecken der Stadt einen brutalen Bürokomplex hinklotzen durften und im weiten Umkreis des U-Turms auch sonst noch ins Geschäft kommen mögen. Dumm gelaufen, dass bei den Ermittlungen gegen den Duisburger OB Sauerland (Loveparade) der Ermittlungsrichter Schunzik zufällig über den Namen Sierau und eine Kontonummer der Dortmunder SPD stolperte…

Das passt wie die Faust aufs Auge zum „Dortmunder U“. Zeitgleich zum Deal mit Kölbl-Kruse entwickelte sich ein paar Meter weiter die Größenwahn-Idee des damaligen OB Langemeyer und seines Planungsdezernenten Sierau, ein stillgelegtes Kellereihochhaus einer Großbrauerei erst zum Museum, dann gar zum „Kreativzentrum“ aufzumotzen, in ein Fass ohne Boden.

Ein verdächtiges G’schmäckle hatte es schon, als die Brauerei, nachdem ein Investor für den morschen Bau abgesprungen war, die denkmalgeschützte Ruine für 1 € an die Stadt verschenkte. Die Umbaukosten zum Museum schätzten Wirtschaftsprüfer 2005 auf 34,5 Mio €. Dann kam eins zum andern. 2008 waren es schon 45,8 Mio. Bis heute wurden daraus 84 Mio. Mit allerlei Schattenspielen umging man die Fördergrenzen der EU. Und immer noch müssen Schäden an der maroden Bausubstanz nachgebessert werden. Ende offen.

Noch dramatischer explodierten die laufenden Betriebskostenzuschüsse aus dem Stadthaushalt für das U. Ging die Schätzung 2008 von 3,8 Mio € aus, waren es 2010 schon 4,9 Mio – 2011: 6,1 Mio – 2012: 9,6 Mio – 2013: 10,2 Mio €, auch hier kein Ende absehbar. Dafür werden die Betriebskostenzuschüsse für die anderen städtischen Kulturbetriebe um 2,3 Mio € gekürzt (26,5 Stellen gestrichen) – für das Theater um 1,3 Mio – Sport- und Freizeitbetriebe um 1,8 Mio und und und.

An diesem „Leuchtturm der Westfalenmetropole“ haben sich Dutzende Unternehmer goldene Klobrillen verdient. Damit kommen wir zurück auf die Dortmunder SPD und ihren neuen OB Sierau, die das alles zu verantworten haben: Ob auch Sierau’s Klobrille…? Aber nein, er hat bestimmt wieder nichts gewußt – sowenig wie vom 150-Millionen-Haushaltsloch seines damaligen Chefs Langemeyer. Wenn nicht wieder „Kommissar Zufall“ ermittelt, von der Dortmunder SPD werden wir es nicht erfahren. Und von der Dortmunder Staatsanwaltschaft wohl auch nicht. Warum die dem Bestechungsverdacht gegen Sierau nicht nachgeht, kann Ermittlungsrichter Schunzik „nicht nachvollziehen,“ schreibt er. – Können Sie’s?

Mittwoch, 7. Dezember 2011

Empörung und Bewußtsein


und die Anti-Parteien-Partei

Die Wellen der Empörung über die herrschenden Zustände haben viele Hoffnungen geweckt. Wenngleich diese Wellen in Deutschland gerade erst die Oberfläche kräuseln, werfen sie Fragen auch an die Linke hier auf.

Es ist eine Binsenweisheit, dass Empörung allein so schnell wieder abflaut wie sie aufwallt, wenn sie sich nicht mit Bewußtsein auflädt. Hier setzt die Verantwortlichkeit der Linken (im Plural) ein. Sie müßten die Empörten anregen, den Faden wieder aufzunehmen, den sie selbst, die Linken, 1989/90 fallen ließen: die Kritik der bürgerlichen Herrschaft, mit der sich alle Gegenentwürfe zu den herrschenden Zuständen auseinandersetzen müssen. Dabei geht es heute vor allem um die Kritik der modernen Demokratie als einer Form der Klassenherrschaft.

Wie jede Formation vor ihr verwirklicht sich die demokratische Herrschaft der bürgerlichen Klasse im wesentlichen über fünf „Apparate“:
- das Wirtschafts- und Finanzsystem (Ernährung, Versorgung),
- Polizei und Militär (Staatsgewalt),
- Rechtswesen (gesellschaftliches Reglement),
- Repräsentanz und soziale Teilhabe (Massenorganisation),
- Medien (Ideologie).

Auf allen Gebieten zeigt der Kapitalismus die Tendenz zur Hierarchisierung, zur Vermachtung der ganzen Gesellschaft von oben nach unten: von den die gesamte Volkswirtschaft und den Staat beherrschenden Finanz- und Industriekonzernen bis hinunter zu den abhängigen Zulieferern, Dienstleistern und Stadtkämmerern; vom Innenminister bis hinunter zu den Spitzeln in demokratischen Organisationen; von der Hartz-IV-Bundesagentur bis hinunter in die 1-€-Jobs und Ehrenämter der örtlichen Wohlfahrtsverbände usw. Dem entspricht auf der anderen Seite die Entmachtung (und Selbstentmachtung) der Gewerkschaften.

Die Tendenz zur Hierarchisierung der Macht widerlegt auch nicht, sondern bestätigt noch der eine große Fortschritt der modernen, nach-faschistischen Demokratie – wenngleich sein Wert eher propagandistisch als real ist: die Proklamation der Menschenrechte, einschließlich der Meinungsfreiheit. Die bürgerliche Macht über das Denken, Fühlen und Meinen der Menschen braucht kein Propagandaministerium und keine Pressezensur mehr, sie funktioniert durch die Zentralisation der Medien, d.h. deren freiwillige Selbstgleichschaltung auf die Ideen der Herrschenden.

Aber hier, auf dem Gebiet der Propaganda, hat man auch den Typus der „modernen“ Partei als medialer Bühne zur Massenbeeinflussung von den Nazis übernommen, nur zivilisiert und pluralistisch erweitert. Dass die Menschen intuitiv durchschauen, wie sie von den Parteien bloß zum Systemerhalt mißbraucht und von der parlamentarischen Dramaturgie hinters Licht geführt werden, ist die Ursache der massenhaften Politikverdrossenheit, die das Gemeinwesen zersetzt: Der Mensch wird dahin gedrängt, sein Wesen als „zoon politicon“ zu verleugnen.

Der erste Schritt der Bewegung der Empörten zu einem gesellschaftlichen Gegenentwurf ist, dass sie sich selbst als basisdemokratisches Gegenkonzept zur Medien- und Parteiendemokratie begreift. Darin besteht ihre erste politische Handlung und Wirkung, und schon diese stellt das ganze Herrschaftssystem in Frage.

Das Kunststück der LINKEN (Partei) besteht darin, einerseits diesen Bewußtseinsprozess tatkräftig zu unterstützen, ohne ihn vereinnahmen oder instrumentalisieren zu wollen – denn das wäre dem Selbstbewußtsein entgegengesetzt – andererseits ihre eigenen Wirkungsmöglichkeiten als Partei innerhalb des bürgerlichen Parteiensystems zu nutzen. Ob ihr dieser Spagat gelingt, steht und fällt damit, wie sie sich von den bürgerlichen Parteien zu unterscheiden lernt. Nur als „Anti-Parteien-Partei“ kann sie die Empörten erreichen. Bei aller Skepsis, versuchen wir’s. Der ist schon tot, der nicht aus seinen Fehlern lernt.

Montag, 5. Dezember 2011

Sparpolitik löst Rezession aus

Jetzt sprechen es auch Mainstream-Ökonomen aus. Handelsblatt-online schreibt am 05.12.2011:

Schuldenstaaten rutschen immer tiefer in den Krisenstrudel
Sparpolitik löst Rezession aus
Die Entwicklung in den südeuropäischen Krisenländern bestätigt historische Erfahrungen. Die Sparpolitik löst eine Rezession aus, und die Investoren ziehen sich zurück. Das wiederum verschärft die Sparanforderungen. (...)
"Es kommt darauf an, dass die Öffentlichkeit die Notwendigkeit der Anpassungen versteht und den Schuldenabbau sowie die dafür nötigen Maßnahmen unterstützt", so die Forscher. Genau das trauen die CEP-Autoren der griechischen Regierung nicht zu. Drastische Lohnsenkungen, mit denen die Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden könnte, zeichneten sich nicht ab - "und dürften angesichts des vorhandenen Widerstands in der Bevölkerung gegen die bislang eingeleiteten Reformen auch nicht durchsetzbar sein".

---Doch genau diese Therapie will Merkel mit Sarkozy an der Leine jetzt ganz Europa verordnen. Die Hinterabsicht wird immer klarer: Das deutsche Kapital will um sich herum eine Brache ruinierter Halbkolonien schaffen, die es nach Belieben nutzen kann. Das hat man in der DDR und Osteuropa schon geübt.---

Sonntag, 4. Dezember 2011

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Schilda in der Schuldenfalle

Als der Dortmunder Stadtrat vor kurzem debattierte, zwei Stadtbezirke einzusparen, leiteten die Vertreter der betroffenen Bürger ihren Protest so ein: „Wir alle sind uns einig, daß die Stadt sparen muß.“

Nein, nicht alle sind sich da einig. Man sollte wenigstens nochmal drüber nachdenken: Warum soll die Stadt sparen müssen?
- Weil sie Schulden hat.
Warum hat sie Schulden?
- Weil sie mehr ausgibt als sie einnimmt. Die berühmte „schwäbische Hausfrau“ dürfte sich das nicht leisten.
Eine Stadt aber funktioniert anders: Mit den Mehrausgaben vergibt die Stadt Aufträge, bezahlt Beschäftigte, schafft Kaufkraft, bringt die Wirtschaft in Schwung. So dass sie mehr Steuern einnehmen kann, mit denen sie auch mehr soziale Aufgaben erfüllen könnte. Was ist daran verkehrt?
- Das geht nicht. Die Wirtschaft lässt sich ihre Gewinne nicht einfach wegsteuern. Sie klagt, die Steuern seien ohnehin zu hoch.
Wozu braucht die Wirtschaft ihre Gewinne dann?
- Sie schafft Arbeitsplätze...
Nein, vor allem zerlegt sie Arbeitsplätze zu Hungerjobs. Dortmund gilt als „heimliche Hauptstadt der prekären Beschäftigung“. Wozu noch?
- Sie wächst, schluckt Konkurrenten, investiert in Märkte, wo die Gewinne höher, die Steuern niedriger sind, spekuliert an Börsen, Finanzmärkten, mit Rohstoffen, Grundnahrungsmitteln usw.
Und deswegen muß die Stadt ihre sozialen Leistungen kaputt sparen? Steht da die Welt nicht auf dem Kopf? Kann das gut gehen?
- Tja, dazu gibt es leider keine Alternative.
Oh doch!
- Hä???

Und hier finge das Nachdenken erst richtig an. Aber die Ratsmehrheit fragte nicht nach Alternativen zum Kaputtsparen, sie beschloss gegen alle Proteste, die beiden Stadtbezirke aufzulösen.
Mich erinnerte das wieder an die Geschichte, wie die Bürger von Schilda ihre Stadt zerstörten: Weil sie eine schwarze Katze vertreiben wollten – die bringt bekanntlich Unglück – und die Katze auf ein Dach flüchtete, zündeten sie das Haus an, und weil die Katze aufs nächste Dach flüchtete, auch dies Haus... bis die ganze Stadt in Schutt und Asche lag. Nicht klüger ist eine Stadt, die sich wegen ihrer Schulden kaputt spart.

Samstag, 3. Dezember 2011

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Kaffeesatz gegen Krise

Auf den ersten Blick scheint Dortmunds Haushalt für 2012 bessere Zeiten zu versprechen. Sein Volumen soll nach dem Loch von 2011 wieder um 80 Millionen € zulegen (ordentliche Aufwendungen), die Erträge sogar um knapp 110 Mio auf 1,8 Milliarden €. Unter dem Strich soll so das Defizit um 40 Mio gegenüber dem Plan 2011 schrumpfen auf „nur noch“ 72 Millionen Miese. Die Verschuldung wächst dennoch immer weiter auf den neuen Rekord von 2,2  Milliarden €.

Verursacht wird die Ausweitung des Etats vor allem durch enorm anwachsende soziale Transferleistungen für Langzeiterwerbslose, Kinder- und Jugendhilfe, die Betreuung Behinderter durch den Landschaftsverband sowie mehr Personal. Um das Personalbudget ist ein Krach der CDU und FDP/BL mit der Personalverwaltung entbrannt. Ebenso um die schleppende Umsetzung der Privatisierungsbeschlüsse und Vermögensverkäufe. Der Hintergrund des Streits ist, dass die Kürzungspläne des Rates vom Vorjahr die Verwaltung teilweise lahmlegen würden. Das behauptet nun nicht mehr nur DIE LINKE, sondern der OB selbst und der städtische Personalrat bestätigten es öffentlich.

Die Ertragssteigerungen begründet der Kämmerer mit dem Konjunkturaufschwung, der sich, so hofft er, in 2012 fortsetzen solle. Sein Optimismus passt aber weder zum Herbstgutachten der Wirtschaftsweisen noch zu den bereits absehbaren Belastungen aus der Finanzkrise. Immerhin räumte er ein, der Haushaltsplan sei „hoch spekulativ“, da niemand wisse, wie es an den Finanzmärkten weitergeht. Da hat er seinen Haushalt wohl im Kaffeesatz gelesen. Soviel ist sicher: Sollten die Einnahmen infolge der Krise auch nur um 10 Millionen hinter Stüdemanns Optimismus zurückbleiben, gerät die Stadt unter die Fuchtel der Kommunalaufsicht – oder es drohen weitere substanzielle Einschnitte.

Von der Kaffeesatzleserei abgesehen setzt dieser Haushaltsplan 2012 die neoliberale Umverteilung der Langemeyer-Jahre fort:

- Infolge höherer Kassenkredite, mit denen Langemeyer angefangen hat, wächst die Verschuldung auf nunmehr über 2,2 Milliarden €. Einschließlich neuer "kreditähnlicher“ Verpflichtungen aus „PPP“-Geschäften.
- Infolge dessen steigt die jährliche Zinslast 2012 um 10,2 Mio auf 72,7 Mio €. Von 2010 bis 2015 soll sie von 55 auf 99 Mio € explodieren.
- Damit einher geht die weitere Vernichtung städtischen Anlagevermögens. Von 2006 (Start des „Neuen Kommunalen Finanzmanagements“) bis Ende 2012 wird mehr als ein Viertel des städtischen Eigenkapitals den Banken verpfändet sein.
- Ohnehin laufen noch die vor einem Jahr beschlossenen Privatisierungen von Sport- und Freizeiteinrichtungen, Jugendfreizeitstätten usw.
- Einnahmen wie Ausgaben bleiben stark konjunkturabhängig. Das heißt, sie verschärfen die Krise, statt sie zu dämpfen.
- Die Bauinvestitionen schrumpfen weiter (-4,4 Mio €), der Produktbereich Bauen und Wohnen wird vom Wachstum abgekoppelt und drastisch zusammengestrichen (-26,7 %).
- Die Wirtschaftsförderung bleibt Sklavin der Wettbewerbsideologie. Sie bevorzugt exportlastige Unternehmen und Niedriglohnbranchen und vernachlässigt den regionalen Binnenmarkt.
- Um die Haushaltssicherung zu vermeiden, sollen nicht etwa die Unternehmen und die Reichen mehr Steuern zahlen, sondern die Grundsteuer B, die vor allem Mieter und kleine Wohneigentümer, also die kleinen Leute belastet, wird um 20 Mio € erhöht.
- Kommunale Beschäftigungspolitik, die die Binnenkaufkraft stärken könnte – also keine 1-€-Jobs, Billigjobs und Bürgerarbeit ! –  bleibt unterentwickelt.
- Die Folgekosten von Langemeyer’s und Sierau’s „Leuchttürmen“ nähern sich inzwischen 50 Mio € jährlich. Der U-Turm verschlingt im nächsten Jahr 9,5 Millionen, ab 2013 über 10 Mio € jährlich, ein Ende ist noch nicht abzusehen. Das Fußballmuseum steht noch gar nicht, aber es produziert schon „Verlustausgleiche“, fast eine halbe Million jährlich. Ab 2013 kommt noch der Phönixsee hinzu.

Noch hält die Verwaltung sich mit neuen Leistungskürzungen zurück. Doch schon im vergangenen Jahr schwangen die Ratsfraktionen von CDU, SPD und FDP/BL den Rotstift noch rabiater als der Kämmerer – ein Spiel mit verteilten Rollen – und auch jetzt überbieten sie sich wieder gegenseitig mit Sparanträgen, die der Rat zwei Wochen vor Weihnachten den Bürgern auf den Gabentisch knallen soll.

Gerade vor der sich verschärfenden Finanz- und Wirtschaftskrise kann DIE LINKE diesem Haushaltsplan nicht zustimmen. Stattdessen stellen wir eine Reihe von Einzelanträgen, die den Haushalt nicht ausweiten, sondern durch Umschichtungen die genannten Fehlentwicklungen korrigieren sollen.

Mittwoch, 30. November 2011

Von S 21 nach D 21

Eine volkswirtschaftlich, ökologisch und sozial unverantwortliche Spekulation wird nicht vernünftig, wenn 59 Prozent der Bürger die Versprechungen der Spekulanten für bare Münze nehmen.
Umgekehrt: Wenn schon im braven, 58 Jahre lang CDU-treuen Schwabenländle 41 Prozent den Wirtschaftslobbyisten den Gehorsam verweigern – wenn zeitgleich Tausende im Wendland den Atomkonzernen Schienen und Straßen versperren – wenn in Dresden und Dortmund Zigtausende sich von brutaler Polizeigewalt und Justiz nicht mehr einschüchtern lassen, gegen staatlich geschützte und gesponserte Nazibanden vorzugehen – dann wird ein Zittern im Fundament dieser Bimbesrepublik spürbar, das größere tektonische Verwerfungen anzeigt und den Zustand des ganzen Baus in Frage stellt: Wie stabil ist die Macht des Geldes noch?

Montag, 28. November 2011

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Untote und andere Schmarotzer

Diese Geschichte klingt, als ob es doch diese Untoten gäbe, die hübsche Mädchen in den Hals beißen, um ihr Blut zu trinken. Dabei geht es nicht einmal um gewöhnliche Blutegel, die sich im Schuldensumpf an unserer Stadt festgebissen haben. Aber um eklige Schmarotzer, die unsere Stadt aussaugen, geht es schon. Und um den Schuldensumpf auch.

Um ahnungslosen Stadtbeamten und Räten weiszumachen, die beste Medizin für eine kranke Stadt sei ein Aderlaß, erzählen Banken, Baukonzerne, Heerscharen von Beratern und Anwälten ihnen natürlich nichts von blutsaugenden Untoten, aber haarsträubende Lügengeschichten erzählen sie schon. Die Titel hören sich harmlos an: „PPP“ – oder zu deutsch noch freundlicher: „Öffentlich-Private Partnerschaft“. Und da die PPP-Verträge immer geheim sind und nicht einmal Ratsmitglieder sie zu sehen bekommen, glauben diese gern, was so schön klingt.

An einem typischen Beispiel ist es der Linksfraktion im Dortmunder Stadtrat jetzt gelungen, so einer Lügengeschichte mal auf den Grund zu gehen. Dabei stießen wir auf unglaubliche Rechentricks zu Lasten der Stadt.

2005 beschloß der Dortmunder Rat, eine neue Feuerwache in Dortmund-Hörde müsse her. Die Städtische Immobilienwirtschaft schätzte die Investition auf 11,3 Mio €. Nach einem „Wirtschaftlichkeitsvergleich“, erstellt von einer bundesweit bekannten Beraterfirma, sollte PPP um 7,5 % günstiger sein als ein städtischer Eigenbau. Uns wunderte damals schon, wieso in der Vergleichsrechnung von vorn herein unterstellt wurde, dass private Bauträger pauschal um 10 % billiger bauen als die Kommune. Das sei ein allgemeiner „Erfahrungswert“, erklärte man uns. Also entschied sich der Rat für die PPP-Lösung.

Das Ausschreibungs- und Vergabeverfahren dauerte bis Mitte 2008. Den Zuschlag erhielt einer der größten Dortmunder Baukonzerne mit dahinter stehender Bank. Deren Angebot für Bau, Finanzierung, Unterhalt und Betrieb über 30 Jahre lag angeblich um 13 % unter der städtischen Eigenleistung. Uns interessierte, wie kamen diese 13 % zustande?

Zunächst fanden wir bestätigt, dass PPP-Investoren üblicherweise erst ab 15 Mio € Investitionsvolumen anbeißen. Also erhielt eine stadtbekannte Dortmunder Beraterfirma den Auftrag, das Projekt auf über 15 Mio „aufzublasen“. Zu diesem Zweck veranschlagte sie, neben einer Ausweitung des Raumprogramms, für die drei Jahre 2005 bis 2008 eine Inflationsrate von unverschämten 12,5 %, das macht ein Plus von 1,7 Mio €. (Im Vertrag wurden dann für die folgenden 30 Jahre jeweils nur 1,9 % vereinbart.) Allein mit diesem fiktiven Preisaufschlag gewann der PPP-Investor schon den Spielraum, um die Baukostenschätzung der Stadt um 10 % unterbieten zu können.

Gegenrechnen mußte man allerdings, dass private Bauträger nicht so günstig an Kredite kommen wie Kommunen. Die höheren Finanzierungskosten gehen natürlich ins Angebot des Investors ein, das hieß in diesem Fall, die Stadt Dortmund zahlt 0,8 % mehr an die Bank, als wenn sie den Bau selbst über Kommunalkredit finanziert hätte. Mehrkosten für die Stadt durch die PPP-Finanzierung: 2,7 Mio €.

Bei den Betriebskosten geht man ebenfalls pauschal davon aus, dass ein privates Gebäudemanagement um 10 % billiger wirtschaftet als eine Kommune. Warum, und ob das zwangsläufig auch für die Hörder Feuerwehr gelten muß, blieb unbeantwortet.

Für die Instandhaltung des Gebäudes müßte die Stadt, nach den von uns bei der Städtischen Immobilienwirtschaft erfragten Richtwerten, pro Jahr 1,55 % der Baukosten aufwenden, das wären über die 30 Jahre Laufzeit insgesamt 6,8 Mio €. Der PPP-Investor stellt ihr aber mehr als 9 Mio € in Rechnung. Damit diese Mehrkosten nicht auffallen, behaupten die PPP-Propagandisten regelmäßig, die Kommunen würden die nötige Instandhaltung ohnehin verschlampen, und daraus entstehe dann ein enorm hohes Bauschadensrisiko. Im konkreten Fall wäre dies angebliche Risiko beim städtischen Eigenbetrieb noch um 3 Mio € teurer als das PPP-Modell.

Außer diesem „Risiko unterlassener Bauunterhaltung“ belasten sie in der Vergleichsrechnung die städtische Seite noch mit einem guten Dutzend „sonstiger Risiken“, vom Risiko steigender Baustoffpreise über das Risiko, dass Auftragnehmer pleite gehen können, bis zum Risiko, dass Normen und gesetzliche Anforderungen sich ändern usw. Alles in allem horrende 4 Mio € „Risikokosten“. Auf der Seite des Privatinvestors schlägt merkwürdigerweise kein einziges dieser Risiken zu Buche. Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen. Entweder diese angeblichen Risiken sind rein fiktive Rechengrößen, damit PPP wirtschaftlicher aussieht als der städtische Betrieb – oder der private Bieter trägt sie genauso und hat sie in seinem Angebot auch eingepreist, aber nicht ausdrücklich in seiner Rechnung ausgewiesen. So oder so ist es eine grob irreführende Verfälschung des Wirtschaftlichkeitsvergleichs zugunsten von PPP, wenn man derlei „Risiken“ einseitig beim städtischen Eigenbau aufschlägt und beim PPP-Modell unterschlägt.

Strich drunter. Rechnen wir alle angeblichen, aber zu Unrecht behaupteten Vorteile von PPP zusammen und auf die Vertragslaufzeit von 30 Jahren hoch, dann wird PPP nicht um 13 % günstiger, sondern um fast ein Viertel (23,5 %) teurer, als wenn die Stadt die Hörder Feuerwache selbst gebaut, finanziert und bewirtschaftet hätte. So schmeißt die Stadt dem Baukonzern und der Bank hinter ihm ca. 8 Mio € zuviel in den Rachen. In jedem einzelnen Haushaltsjahr belastet das die – ohnehin bis zum Zerreißen angespannten – Finanzen der Stadt mit 263.000 € zusätzlich, allein für dies eine Projekt.

Womit das Beispiel beweist: PPP ist die reine Abzocke öffentlicher Haushalte zur Bereicherung privater Banken, Baukonzerne, Berater und Anwaltskanzleien. Da fragt man sich natürlich, warum biedere Stadtväter (und –mütter) sich auf derartige Durchstechereien zum Nachteil ihrer Stadt einlassen. Gehören sie selbst zu Draculas Gefolgschaft? Nun, jedenfalls sind sie bereitwillig den Regierungen in Düsseldorf (Rüttgers/Laumann), Berlin (Schröder/Steinbrück, Merkel) und Brüssel in die Strategie „Privat vor Staat“ gefolgt. Steuergeschenke an die Reichen haben die Kommunalfinanzen ebenso ruiniert wie immer neue Gesetzesänderungen zu Lasten der Kommunen. So dass diese sich bis über die Ohren verschulden müssen, um ihre Pflichtaufgaben noch erfüllen zu können. Dagegen rebellieren? – Nein, das gehört sich nicht in Deutschland! Lieber greifen sie nach jedem Strohhalm, den die Banken ihnen hinhalten. Eben auch zu PPP.

Abgezockt wird damit jede-r von uns. Wobei jedem und jeder von uns klar sein sollte, dass diese öffentlich-private Abzocke zu der Umverteilung gehört, die den Finanzkonzernen den Rohstoff liefert für die gegenwärtige Spekulationskrise. Folglich gehört zur Krisenbekämpfung auch das Verbot der PPP-Abzocke. Damit brauchen wir mal nicht auf die „große Politik“ zu warten, da sind wir schon bei unserer Stadtspitze an der richtigen Adresse.

Mittwoch, 23. November 2011

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Kommunalaufsicht? Nicht unter Krähen...

Der Kuhhandel ist aktenkundig, von der Stadtratsmehrheit abgenickt: Ende 2010 verkaufte die Stadt Dortmund über ihre Stadtwerke Grundstücke an die Flughafen Dortmund GmbH, zusammen ca. 236.000 qm. Die Flächen nutzte der Flughafen schon seit etlichen Jahren, ohne einen Cent Pacht dafür zu zahlen, jetzt erhielt er sie für weniger als die Hälfte des Bodenrichtwerts übereignet, also halb geschenkt. Verlust für die klamme Stadtkasse: 7,3 Millionen €.

Die LINKE Ratsfraktion brachte den Skandal vor die Kommunalaufsicht, um prüfen zu lassen, ob dieser Schacher mit dem Gemeindehaushaltsrecht vereinbar ist.

Der zuständige Regierungspräsident Bollermann (SPD wie der Dortmunder OB, der Stadtkämmerer und der Stadtwerke-Chef) entzog sich seiner Aufsichtspflicht mit dem Vorschlag, „zunächst den Ausgang des Beschwerdeverfahrens (bei der EU-Kommission wegen unerlaubter Subventionen an den Flughafen - W.S.) abzuwarten.“

Wie sagt doch der Volksmund: Ein Genosse hackt dem anderen kein Auge aus oder so ähnlich.

Donnerstag, 17. November 2011

V-Leute der NPD im Innenministerium !

„Da ist dir wohl deine Phantasie durchgegangen,“ bekam ich auf meine Glosse „V-Männer“ in diesem Blog zu hören. – Aber mitnichten, sag’ ich: Wenn Verfassungsschutzleiter sich weigerten, ihre Agenten in den Führungen der Neonazibanden „abzuschalten“, und somit das Verbot der NPD verhinderten, so geschehen 2002 und jetzt wieder, da muss man sich doch fragen, wer hier wen schützt. Die funktionieren, zumindest objektiv, als V-Leute der NPD im Verfassungsschutz. – Und wenn der Herr Innenminister selbst sich weigert? Dito.

In diesem Zusammenhang noch einmal zum Scheinargument, eine legale Nazipartei sei besser zu überwachen als illegale Strukturen. Offenbar hat die NPD die ganze Zeit ihre Legalität genutzt, in aller Ruhe mit dicken Staatsgeldern antidemokratische Netzwerke und Mörderbanden zu organisieren. Der Verfassungsschutz hat das in aller Ruhe „beobachtet“, mit Millionen-Euro-Agentenhonoraren gesponsert, kann oder will aber nichts gegen die Naziverbrechen tun. Den Nutzen aus dieser Taktik ziehen also ganz einseitig die Nazis. Wer das nicht sehen will, macht uns was vor und kann nicht anders bezeichnet werden als: V-Mann der Nazis im Staatsapparat.

(Phantasie hilft manchmal auch, Hintergründe und Zusammenhänge zu entdecken, wo die Fakten verheimlicht werden.)

Dienstag, 15. November 2011

V-Männer

Die Nazitruppe „Thüringer Heimatschutz“, aus der die Zwickauer Mörderbande und deren Komplizen hervorgingen, wurde von einem V-Mann des Verfassungsschutzes geleitet. Das Verbotsverfahren gegen die NPD ist geplatzt, weil es in der NPD von Verfassungsschützern in leitenden Positionen nur so wimmelt. Daraus ergeben sich weitreichende Fragen:
Wen oder was schützt eigentlich der Verfassungsschutz – die Verfassung vor Nazis oder Naziverbrecher vor Ermittlungen? Und wenn am Ende die ganze NPD eine Erfindung des Verfassungsschutzes ist? Dann wäre sie sozusagen ein Verfassungsorgan und dürfte gar nicht verboten werden. Außerdem müßte der Verfassungsschutz dann sofort eine neue NPD erfinden, schon für seine rechtsradikalen V-Leute.
Wäre der Verfassungsschutz vielleicht ganz in Ordnung, wenn er nur nicht so viele rechtsextreme Agenten hätte? Die sind ja zugleich V-Leute der NPD im Verfassungsschutz. Und wenn am Ende der ganze Verfassungsschutz eine Erfindung der Nazis - - - sozusagen ein legaler Arm der NPD - - - wer hatte den doch gleich aufgebaut nach dem Krieg? Das war doch Hitlers Geheimdienstgeneral Gehlen, ach so.
Wie man’s auch dreht: Der Verfassungsschutz ist mindestens so verfassungswidrig wie seine Schützlinge. Damit stoßen wir auf den einzigen Ausweg, wie ein Verbotsverfahren gegen die NPD doch noch möglich würde: Den Verfassungsschutz gleich mit verbieten!
 
Dann bleibt allerdings noch die Frage: Sollten die V-Leute der NPD etwa auch im Innenministerium - - - Nein, an sowas darf man als guter Demokrat einfach nicht denken!

Freitag, 11. November 2011

US-Ökonom James Galbraith zur Europäischen Krise

Am Donnerstag und Freitag letzter Woche fand in Austin, Texas der Kongress „The Crisis in the Eurozone“ statt, an dem auch gute Bekannte und Freunde der NachDenkSeiten, wie beispielsweise die Ökonomen Heiner Flassbeck, Norman Birnbaum und James Galbraith teilnahmen. Roger Strassburg hatte die Gelegenheit, im Anschluss an die Konferenz den Mitveranstalter James Galbraith für die NachDenkSeiten zu interviewen. Hier:

Mittwoch, 9. November 2011

Experten des Elends

Da die Politik in Europa den Karren wieder mal in den Graben gefahren hat und nicht mehr herausfindet, möchte sie die Regierungsverantwortung gern an „unpolitische Fachleute“ abgeben. In Griechenland wird gerade ein Brandstifter als Feuerwehr bestellt, wenn dort die herrschende Klasse, ohne das Volk zu fragen, ausgerechnet einen Banker zum Chef der Übergangsregierung ernennt, der als „Architekt des griechischen Eurobeitritts“ gilt. In Italien wird es nach Berlusconis Rücktritt wohl ähnlich laufen.

Mag schon sein, dass die Verursacher der Finanzkrise von ihr mehr verstehen als eine gelernte Physikerin namens Merkel. Wenn’s brennt, kennt der europäische Geldadel wie schon Kaiser Wilhelm II. „keine Parteien mehr,“ sondern setzt lieber auf Brandexperten aus den eigenen Reihen.

„Postdemokratische Zustände in Europa“, so kennzeichnete der Politologe René Lenz in Anlehnung an Colin Crouch die Entwicklung (Neues Deutschland 5./6.11.11). Seine realistische Zustandsbeschreibung lässt nicht erkennen, ob er je etwas von Lenins Analysen des Staatswesens und des Imperialismus gehört oder gelesen hat. Dann wüßte er, dass die von ihm so genannte „Nouvelle Noblesse“, der „neue Geldadel“ so neu nicht ist. Und dass die demokratische Herrschaftsform dieses Geldadels, der Parlamentarismus den von ihm auch so genannten „Souverän, das Volk“ immer nur in dem Maß beteiligte, wie eine starke Arbeiterbewegung sich selbst dazu ermächtigte. Deren ruinierte, ausgehöhlte, neoliberal verformte Reste müssen auch heute erst niedergeknüppelt werden, um das Geschäft der Verelendung Europas an die „Expertokratie“ zu übertragen. Siehe Griechenland.

Dienstag, 8. November 2011

CDU zum Mindestlohn bekehrt

Die CDU will, sofern sie nach 2013 an der Regierung bleibt, vielleicht auch mal irgendwann ein Mindestlohngesetz zulassen. Ein Prosit auf die neue Arbeiterpartei ! Getrieben von der Sorge über die drohende Pandemie der Altersarmut, wird sie darin den Tarifpartnern knallhart empfehlen, sich auf Lohnuntergrenzen in der Nähe der ab 2012 geltenden Leiharbeitstarife zu einigen: 7,89 € für die Arbeitsstunde im Westen und 7,01 € im Osten – brutto wohlgemerkt.

Falls ein „christlicher Arbeitnehmer“ oder sonst ein Laumann nachgerechnet hat, was der CDU-Parteitag demnächst beschließen soll, kann ihm nicht entgangen sein, dass mit solchen Niedriglöhnen keine Altersrente oberhalb der gesetzlichen Grundsicherung herauskommt (für Alleinstehende ab Januar 2012 im Schnitt ca. 675 €). Ja, hochgerechnet auf die heutige Durchschnittsarbeitszeit, blieben sogar die entsprechenden Monatslöhne unter der amtlichen Armutsgrenze von 940 € netto für Alleinstehende.

Also weder Altersarmut noch Armutslöhne will die CDU verhindern. Sondern es geht ihr im Kern nur darum, den Bundeshaushalt zu entlasten. Der muss nämlich für die massenhafte Aufstockung der Hungerlöhne auf das Hartz-IV- und der künftigen Hungerrenten auf das Grundsicherungsniveau aufkommen. Dass sie sich damit auch schon für den Wahlkampf 2013 herausputzt, ist ein billiger Showeffekt.

– Aber ein Gutes hat der Sinneswandel der CDU für uns dennoch: Das Gutachten, mit dem sie ihre Mittelstandslobby beruhigen will, widerlegt ein- für allemal die Zwecklüge, Mindestlöhne würden Arbeitsplätze gefährden. Das kann nun niemand mehr behaupten, ohne sich restlos unglaubwürdig zu machen.

Freitag, 4. November 2011

Finanzdemokratur

Das wäre beinahe ins Auge gegangen. Kam doch dieser Restsozi, der griechische, in seiner Verzweiflung auf die drollige Idee, das Volk selbst solle über sein Schicksal entscheiden und nicht mehr die Spekulanten. Bloß weil er Schluckbeschwerden bekam bei der Aussicht, das nächste Spardiktat mit Waffengewalt auf den Straßen durchzupeitschen. Unsere Angela und ihr neuer Schatten haben ihm ganz schön die paar Resthaare föhnen müssen, damit er nicht vergißt, wer in Europa das Sagen hat. Nein, zum „Durchregieren“ (Merkel) sind diese Sozis immer noch zu unzuverlässig. Deshalb muß er jetzt abdanken, freiwillig natürlich, wie vor ihm der Spanier Zapatero. Wenn’s eng wird, braucht man halt Mumm und keine demokratischen Skrupel. Auch das Aufsichtspersonal der „Troika“ als Überregierung war wie man sah nicht imstande, nationale Alleingänge im Keim zu ersticken. Zur Absicherung des deutschen Kapitalexports bräuchte man, neben der geplanten „Treuhand“ zur Veruntreuung des griechischen Volksvermögens, einen deutschen Politikerexport. Damit kennen wir uns aus, was unseren östlichen Nachbarn 1990 zu blühenden Landschaften verhalf, wäre auch für die südlichen Nachbarn das beste. Wie wär’s mit Philipp Rösler? (Es wäre übrigens nicht der erste deutsche Herrscher über Hellas: der erste König von Griechenland kam aus dem Haus Wittelsbach!)

Allerdings ist das griechische Volk, wie man jeden Tag sehen und lesen kann, mit den deutschen Untertanen nicht zu vergleichen. Um seinen Widerstand zu brechen, brauchen die Herrschaften in Europa jetzt eine Regierung der harten Hand, die sie sich notfalls auch blutig macht.

Freitag, 28. Oktober 2011

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Die Stadtfinanzen auf dem Zockertisch

Dass viele Stadtkämmerer inzwischen munter mitzocken an den Finanzmärkten und dadurch von Getriebenen selbst zu Treibern der Finanzkrise wurden, habe ich in diesem Blog schon mehrmals aufgespießt (Näheres dazu in der Broschüre von 2008 der Dortmunder Linksfraktion: „Zocker im Rathaus“). Dabei profitierten sie seit 2008 vom sensationell niedrigen Krisenniveau der Kapitalmarktzinsen. Das verführte Stadträte dazu, Haushaltslöcher mit immer noch mehr kurzfristigen Krediten zu stopfen. So wächst der Schuldenberg der Stadt Dortmund in nur fünf Jahren (Ende 2007 bis Ende 2012) von 1,5 Milliarden € auf über 2,2 Mrd - dennoch konnten die jährlichen Zinszahlungen in der Krise zunächst von 80 auf 55 Mio € gedrückt werden.
Doch nun schlägt die Bankenkrise voll auf die Kommunalhaushalte zurück:

EZB schürt Inflation

„Um die Märkte zu beruhigen,“ kauft die Europäische Zentralbank (EZB) seit Mitte 2010 in großem Umfang Staatsanleihen überschuldeter Länder auf und hat dafür schon 200 Mrd € zusätzlich in den Markt gepumpt. Diese Geldschwemme heizt aber nicht nur die Spekulation weiter an, sondern treibt auch die Inflationsrate schon jetzt spürbar hoch. Die Folgen für die Stadtkasse: Noch schneller laufen die Ausgaben den Einnahmen davon. Die derzeitige Teuerung von 2,4 % verursacht bei der Stadt Dortmund 40 Millionen mehr an Aufwendungen, ohne dafür einen Gegenwert zu erhalten.

Zweite Bankenrettung

Wenn jetzt zur Abfederung von Staatspleiten die Banken ihr Eigenkapital aufstocken sollen, wie beim jüngsten EU-Gipfel beschlossen, werden auch die Kommunen das mit höheren Zinsen bezahlen. Einige Banken gehen schon dazu über, Kommunen nach deren Haushaltsrisiken zu bewerten und entsprechende Risikoaufschläge zu verlangen. Läuft die Aufstockung gar über Staatsbeteiligungen, werden Bund und Länder den Spardruck auf das schwächste Glied der Staatsfinanzen, die Kommunen weiter verschärfen.

Wenn die Euro-Bürgschaften fällig werden

Sollten nach Griechenland und Portugal weitere Staaten unter den Euro-Rettungsschirm kriechen – Italien steht kurz davor – dürfte Deutschlands Bürgschaft über Hunderte Milliarden fällig werden. Dann dürfte auch das deutsche AAA-Rating fallen – die Folge: steigende Zinsen, auch für die deutschen Städte. Dasselbe gilt erst recht, falls die Euroländer doch noch Eurobonds einführen. Deren Rating liegt dann weit unter AAA. Die Refinanzierung der Kommunen würde sich dadurch schlagartig um mehrere Prozentpunkte verteuern.

Auf dem Weg zum Dauertropf

Vor dem jüngsten Krisengipfel kam heraus, dass Griechenland mindestens noch zehn Jahre lang am Tropf hängen wird. Von anderen Pleitekandidaten ganz abgesehen. Das läuft ab 2013 auf den Umbau der EU in eine „Transferunion“ hinaus – oder weniger chauvinistisch ausgedrückt: auf einen Finanzausgleich zwischen starken und schwachen Volkswirtschaften. Das wäre zwar gerecht, aber mit dem billigen Geld in Deutschland ist dann Schluß.

Leistungsbilanzen ausgleichen

Auf schwarze Zahlen kommen die schwächeren Euroländer erst wieder, wenn Deutschland bereit ist, seine riesigen Leistungsbilanzüberschüsse in Europa abzubauen (750 Mrd €). Das heißt, bei uns muss die gesamte Wirtschaftspolitik bis hinunter zur kommunalen Wirtschaftsförderung radikal umdenken: von der Exportlastigkeit weg zur Stärkung der Binnenkaufkraft, zur Umverteilung von den Reichen auf die breite Masse, von der Konkurrenz zum sozialen Ausgleich, von der Unternehmerförderung weg zur öffentlichen Beschäftigungsförderung, mit Mindestlöhnen und Arbeitszeitverkürzung.

Solange die Politik hierzulande diese Zusammenhänge ausblendet, zocken auch unsere Stadtspitzen sich selbst immer tiefer in die Finanzkrise. So steigt Dortmunds jährliche Zinslast von Ende 2010 bis 2015 um 44 Mio €, von 55 auf 99 Mio. Diese Zinsen landen überwiegend bei privaten Banken, die sie – verzocken. Wer das nicht will: Occupy your community!

Donnerstag, 20. Oktober 2011

Reset oder Neustart ?

Täglich mehren sich die Stimmen, die einen „Neustart“ für unumgänglich halten. Nur –  Neustart von was ? Die einen raten zum Neustart des Euro, auf Grundlage einer gleichgeschalteten Wirtschaftspolitik, natürlich nach den Interessen der stärksten Wirtschaftsmacht, also der deutschen. Manche wollen gleich „Europa“ neu erfinden, mit einer gemeinsamen Verfassung, Zentralregierung gar, mit „Durchgriffsrechten“ in die Nationalstaaten. Ganz radikale Querdenker erkennen Fehler im „System“ und sehen folglich einen Neustart des Kapitalismus voraus, mit Annullierung von Staatsschulden, Zwang zu ausgeglichenen öffentlichen Haushalten, strenger Regulierung der Spekulation (ohne die Kapitalismus leider nicht zu haben ist), noch engerer Verschmelzung des Staates mit Banken und Versicherungen.
Auch wenn es im Moment nicht danach aussieht, als könnten die herrschenden Klassen Europas sich auf irgendeinen Ausweg aus der Krise verständigen – die Krise selbst wird ihnen eine der oben skizzierten Lösungen aufzwingen. Keine wird uns mehr Demokratie, mehr Wohlstand für die Masse bescheren. Aber jede kann nur den Boden bereiten für den nächsten Durchlauf, bis zur nächsten, jeweils tieferen Systemkrise.
Also Finger weg vom "Reset"-Knopf, kein "Zurück auf Anfang" des immer wieder abstürzenden Ausbeutungssystems. Ein wirklicher Neu-Start sieht anders aus. Macht die Augen auf und seht euch um, wo Neues startet.

Donnerstag, 13. Oktober 2011

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Unsozialticket

Zwei Jahre lang, von 2008 bis 2010, war Dortmund Vorbild im ganzen Land mit einem Sozialticket auf Busse und Bahnen für 15 € im Monat. Das entsprach etwa dem Hartz-IV-Regelsatz für „fremde Verkehrsleistungen“. Politisch durchgekämpft in vier Jahren von einem breiten Bündnis um das Dortmunder Sozialforum, im Stadtrat von Linkspartei und Grünen, beschlossen mit den Stimmen der zähneknirschenden SPD, war dies Pilotprojekt von Anfang an ein Dorn im Auge des Stadtwerke-Vorstandes. Der es mit allen Mitteln sabotierte. Mit falschen Rechnungen an die Stadtkasse den Vorwand lieferte, dass SPD, CDU und FDP 2010 den Preis auf knapp 32 € anhoben. Was zwei Drittel der Abonnenten unbezahlbar fanden.
Jetzt, nach dem Regierungswechsel in Düsseldorf hätte die Chance bestanden, im Rahmen des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR) den Ticketpreis unter 30 € und sogar mit Hilfe des zugesagten Landeszuschusses wieder in die Nähe des – inzwischen erhöhten – Hartz-IV-Regelsatzes zu senken (ca. 23 €).
Das lehnte eine große Koalition im Rat ab. Ebenso wie den Antrag der LINKEN auf Wiederherstellung des 15-€-Tickets verweigerte sie sogar, die der Stadt zustehenden Landesmittel zu beantragen.
Das beweist: Den Platzhirschen geht es nicht mal mehr nur darum, ihre Stadtkasse zu schonen. Auch der SPD ist das arme Drittel der Einwohnerschaft inzwischen schlichtweg wurscht.
Das ist nur konsequent. Denn nach sieben Jahren Schröder-Agenda (Niedriglohnsektor, Prekarisierung, Drangsalierung der Abgehängten) kann die SPD bei den unteren Schichten ohnehin keinen Blumentopf mehr gewinnen – also sucht sie ihr Heil nur noch im Wettstreit mit der CDU um die Bessergestellten. Die brauchen kein Sozialticket.

Dienstag, 11. Oktober 2011

Immer mehr Leute ahnen...

...die auch ihr persönliches Leben verstörenden Katastrophen könnten irgendwie im Kapitalismus begründet sein. Dann wird es Zeit, bei Marx nachzulesen, wie das kommt und geht. Und von dort aus...

Dienstag, 13. September 2011

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Die Stadt und die deutsche Krise

Nein, keine griechisch-spanisch-italienisch-chilenisch-israelisch-englischen Verhältnisse in Deutschland. Vor einigen Monaten, im März protestierten einmal in NRW fünftausend gegen das Unrecht, für eine Krise bluten zu sollen, die sie am allerwenigsten verschuldet haben. Nur fünftausend, von mindestens 15 Millionen Krisenopfern allein in NRW, keine brennenden Autos, die Mövenpick-Community konnte gefahrlos ihr Mövenpick erreichen.

Was die deutschen Leitmedien anmaßend die „griechische Krankheit“ nennen, erscheint anderen in Europa als „deutsche Krankheit“. Über die ursächlichen Zusammenhänge zwischen beiden ist in der EU ein handfester Krach ausgebrochen, in dem die deutschen Herrschaften ziemlich isoliert als brutale Ausbeuter dastehen. Und bei genauerem Hinsehen zeigen sich alarmierende Parallelen im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu den südlichen und westlichen Nachbarländern einerseits – und zu den eigenen deutschen Kommunen andererseits.

Krisenopfer werden schuldig gesprochen

Eine kurze Zeit lang kennzeichneten auch bürgerliche Kommentare die Krise als spekulationsgetriebene Finanzmarktkrise. Zwar reduzierte sich die Kritik schnell auf moralische Entrüstung über die Profitgier einiger böser Banker und Hedgefondszocker. Da interessierte es die Ökonomenzunft nicht die Bohne – von ein paar linken Querköpfen abgesehen – dass es die asymmetrische Einkommensverteilung und Vermögenskonzentration bei den oberen Zehntausend ist, die die Spekulationsblasen füllt. Es interessierte auch kaum, wie die Niedriglohnpolitik bis hinunter in die Kommunen die Anhäufung der Spekulationsmasse befördert. Niemand – außer uns linken Querköpfen wie gesagt – untersuchte, wie auch die kommunale Haushaltspolitik die Krisenursachen verstärkt.

Erst vor ein paar Wochen entdeckte das Handelsblatt, was wir Dortmunder Linken schon vor mehr als einem Jahr in einer Broschüre schrieben: Viele städtische Kämmerer sind selbst zu Zockern geworden. Der ehemalige Dortmunder Kämmerer Pehlke, der bei uns mit den Zinswetten und dem Cross-Border-Leasing anfing, zockt inzwischen als Stadtwerke-Chef mit RWE-Aktien auf Pump. Genau solche Praktiken haben vor drei Jahren die Spekulationsblasen zum Platzen gebracht, und wie wir sehen, denken die Herrschaften gar nicht ans Aufhören. Den Finanzagenten geht es schon wieder blendend, und zwar vor allem dank der staatlichen Rettungsschirme, für die jetzt die kleinen Leute zur Kasse gebeten werden.

Anstelle der Verantwortlichen wirft man nun den Opfern der Umverteilungs- und Niedriglohnpolitik vor, sie hätten jahrzehntelang über ihre Verhältnisse gelebt, das griechische Volk ebenso wie die deutschen Kommunen, und das müssten sie jetzt wieder gut machen mit rabiaten Kürzungs- und Privatisierungsprogrammen. Das ist nicht nur ungerecht und zynisch, sondern obendrein ruinös.

Die sogenannte Schuldenkrise

Die Behauptung vom „über die Verhältnisse leben“ beweist die mainstream-Ökonomie gern, lang und breit mit der Verschuldung, sowohl des griechischen Staates als auch der deutschen Kommunen. In beiden Fällen steht die Wahrheit auf dem Kopf. Im griechischen Fall wuchs die Staatsschuld mit dem Außenhandelsdefizit, und dies folgt direkt – zwar nicht ausschließlich, aber vor allem – aus dem aggressiven deutschen Exportdruck, und der steht und fällt mit der deutschen Niedriglohnpolitik.

Im Fall der deutschen Kommunen schwoll die Schuldenlawine besonders ab dem Jahr 2000 mit Beginn der Währungsunion dadurch an, dass Bund und Länder den Kommunen immer mehr Pflichtaufgaben aufdrückten, aber die Mittel dafür nicht mitlieferten, sondern noch kürzten.

Dabei wird gern so getan, als seien Schulden an sich schon ein Verbrechen. Das ist nichts als demagogische Stimmungsmache. Sowohl bei Wirtschaftsunternehmen als auch bei Staaten und Kommunen kann externe Kapitalverstärkung durchaus positive Effekte haben. Dabei kommt es einzig und allein auf das Verhältnis der Fremdfinanzierung zur eigenen Leistungsprognose an, und dies Verhältnis wird vor allem strategisch-politisch bestimmt.

So macht es im Fall der Kommunen Sinn, die Verschuldung an die Investitionstätigkeit zu binden. Ich habe allerdings nie verstanden, wie Kommunalpolitiker es verantworten können – auch in Dortmund – binnen weniger Jahre die Kreditaufnahme auf das zwanzigfache der Investitionen explodieren zu lassen, um Löcher der laufenden Verwaltungsarbeit zu stopfen. Das ist doch geradezu eine Einladung an die Obrigkeit, den Strick noch enger zu ziehen, mit dem sie die kommunale Selbstverwaltung stranguliert. Sehen das unsere Stadtspitzen nicht, oder ist ihnen das Grundgesetz schon so egal? Es wird nur jeden Tag klarer, dass sie aus der Schuldenfalle nicht mehr aus eigener Kraft heraus kommen, ebenso wenig wie Griechenalnd – es sei denn sie verweigern ab sofort radikal ihre Mitwirkung in diesem schmutzigen Spiel.

 Wettbewerb im Kaputtsparen

Die meisten Menschen ahnen, dass diese Krise sich von allen vorangegangenen seit 1945 unterscheidet. Da kommt ja einiges zusammen: der globale Kollaps der Finanzmärkte, in der Folge Rekorddefizite sämtlicher öffentlicher Haushalte, und das alles vor dem Hintergrund knapper und teurer werdender Rohstoffe und explodierender Umweltreparaturkosten und und und.

Seit 80 Jahren hat es das nicht mehr gegeben: eine Krise, in der entwickelte Länder eins nach dem anderen zahlungsunfähig zu werden drohen. In der Bundesrepublik stehen Gebietskörperschaften, die von Rechts wegen gar nicht pleite gehen können, zu Hunderten vor der Verpfändung ihres gesamten Anlagevermögens. Zum erstenmal seit 1945 schrumpften im reichen Deutschland 2009 sogar die Bruttolöhne.

Diese Krise stellt uns vor eine grundlegend neue Aufgabe: Nicht nur die Griechen, sondern auch wir und sämtliche alten Industrieländer stehen vor dem Abschied vom gewohnten Wachstumsmodell. Auch unsere Politiker ahnen das, aber sie dürfen es ums Verrecken nicht zugeben. Daher verhalten sie sich jetzt wie das Orchester auf der Titanic: Bloß nicht aufhören, weiter zu spielen! Wachstum Wachstum über alles, über alles in der Welt.

Zur Katastrophe führt das aber, sobald sie versuchen, Wachstumseinbußen durch verschärften Wettbewerb auszugleichen. Das kann nur im kollektiven Ruin enden, zuerst bei den ärmeren Nachbarn, dann bei uns selbst. Das erleben wir gerade an der Art, wie Deutschland seinen Nachbarn Griechenland in Grund und Boden konkurriert. Und wir erleben es in den deutschen Kommunen, wie die sich gegenseitig kaputt konkurrieren.

Unsere Stadtspitzen scheinen der Parole zu folgen: „Augen zu und durch, irgendwann geht auch die schlimmste Krise zu Ende.“ Sie setzen weiter auf Stellenabbau in der Stadtverwaltung, Einkommenssenkungen, Privatisierungen und Leistungskürzungen, d.h. sie produzieren weitere Kaufkraftverluste. In der vagen Hoffnung, dass in ein paar Jahren die Wirtschaft wieder wächst. Wenn sie sich da mal nicht täuschen. Weil sie selbst aus dem Crash eine Depression gemacht haben. Dass ein prozyklischer Schrumpfkurs die Krise vertieft und verlängert, an diese Binsenweisheit erinnern sich offenbar nur noch linke Ökonomen.

Donnerstag, 8. September 2011

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Baron Münchhausen auf dem Arbeitsmarkt

Wenn die siebtgrößte Stadt der Bundesrepublik mit ca. 45.000 amtlich registrierten Arbeitslosen eine „Kommunale Arbeitsmarktstrategie“ entwirft, horcht man auf. Schafft es Dortmund, sich mitten in der Krise an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen? Oder wird das nur eine neue Münchhausenerei, wie vorher die gescheiterte Bahnhofsüberbauung, der skandalträchtige U-Turm-Ausbau, das klammheimlich vergrabene „Dortmund-Project“?

Das Ziel ist ehrgeizig: Die Arbeitslosenquote von 12,9 % (Mai 2011) bis 2015 unter 10 % zu senken bedeutet, binnen drei Jahren 9.000 zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Damit nimmt die Stadt den Mund fast wieder so voll wie beim Dortmund-Project, das 70.000 Arbeitsplätze in 10 Jahren versprach (von denen am Ende noch 50.000 fehlen und der Rest überwiegend das Heer der Aufstocker verstärkte).

Die Bandbreite der im ersten Anlauf konzipierten Teilprojekte ist beachtlich und macht Sinn: Sie reicht von der Schulbildung, kostenloser Nachhilfe für Kinder aus sozial benachteiligten Familien über Qualifizierung und Personalentwicklung in bestehenden Betrieben, über das schon vorhandene Gründerinnenzentrum bis zur Umwandlung von Mini- und Midijobs in sozialversicherte Vollzeitarbeit. Von den zehn zunächst gelisteten Projekten laufen allerdings fünf schon seit geraumer Zeit, mit mäßigen Erfolgen. Von den darüber hinaus angedachten fünf neuen Projekten ist noch kein einziges finanziell abgesichert, ihre Realisierung steht also in den Sternen und wird absehbar der Krise zum Opfer fallen.

Darunter finden sich auch einige bekannte Mogelpackungen, die sich schon als Flops erwiesen haben. So die Bestandssicherung der über 2.000 1-€-Jobs und die Bürgerarbeit, die 400 JobPerspektive-Plätze verdrängen soll. Dass diese Hartz-IV-Bausteine hier wieder auftauchen, ist bezeichnend für die Denke dieser Kommunalpolitik.

Addieren wir die in den Projektbeschreibungen versprochenen Arbeitsplätze, kommen wir zusammen auf höchstens 1.400 neue Stellen, davon 1.000 „über einen längeren Zeitraum“ (als 2015). Und auch nur 100 Stellen im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor (ÖBS). Das gleicht gerade mal den in den letzten fünf Jahren vollzogenen und noch geplanten Personalabbau in der Stadtverwaltung aus!

Also nix ist mit der Senkung der Arbeitslosenquote. Baron Münchhausen lässt grüßen. Wenn das alles ist, was einer Großstadt gegen die verfestigte Massenarbeitslosigkeit einfällt, ist das die amtliche Bankrotterklärung vor den „Marktkräften“. Dabei konnte wer Augen im Kopf hat schon beim Projektstart die Feuerschrift an der Wand sehen, dass die Krise weitergeht und sich noch verschärft.

Mittwoch, 7. September 2011

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Bauchlandung unterm Stammtisch

Im März 2011 lachte das ganze Land über den Schildbürgerstreich, als der Dortmunder Stadtrat auf Betreiben der Nordstadt-SPD den Dortmunder Straßenstrich in Luft auflöste. Wer noch alle Tassen im Schrank hat, konnte nur den Kopf schütteln über soviel populistische Blindheit. Doch alles was rechts ist in Dortmund, war sich einig. Das Problem, das uns die EU mit den Armutsflüchtlingen aus Südosteuropa aufgehalst hat, sei mit den Methoden des preußischen Schutzmanns zu lösen: Verbieten, verjagen, bestrafen. Für den preußischen Charakter ist die Welt in Ordnung, wenn die Unzucht sich nicht offen auf der Straße zeigt. Schon immer galt der preußischen Moral das Unanständige als Nährboden aller Verbrechen.

In Dortmund triumphiert der preußische Schutzmann sogar leibhaftig - in Gestalt eines Polizeipräsidenten, der bundesweit berüchtigt ist für die Verwechslung von Tätern und Opfern. Man sollte mal untersuchen, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen seiner Eignung und der Tatsache, dass Dortmund eine der höchsten Kriminalitätsraten in deutschen Großstädten aufweist. Und dieser Hobby-Sheriff erzählte uns, die Straßenprostitution sei der Nährboden für Kriminalität, deshalb sei der Straßenstrich zu verbieten, zack zack, verschwindet auch die Kriminalität – nämlich von der Straße in die verschwiegenen Etablissements. Da lachten die Hühner, aber die Stammtische klatschten Beifall, und mit ihnen die Ratsmehrheit.

- Übrigens erinnerte mich die Schließung des Dortmunder Straßenstrichs tatsächlich an die Geschichte, wie die Schildbürger ihre Stadt zerstörten: Um eine schwarze Katze zu vertreiben, die bekanntlich Unglück bringt, legten sie Feuer an jedes Haus, auf dessen Dach sich die Katze flüchtete, bis schließlich die ganze Stadt in Schutt und Asche lag.-

Aber in Luft ließ sich der Strich nicht auflösen. Wer noch alle Tassen im Schrank hat, wußte, dass weder die Armutsprostitution noch die damit verbundene Drogensucht noch die Zuwanderung aus den Armenhäusern Europas mit Verboten zu stoppen sind. Jetzt, ein Vierteljahr nach der Schließung des Straßenstrichs, zog die Prostituierten-Beratungsstelle „Kober“ eine erste Bilanz. Es kam wie es kommen mußte. Die Prostitution hat sich vom ehemaligen Straßenstrich (Ravensberger Straße) in die Wohngegend südlich des Nordmarkts verlagert, mehr oder weniger getarnt von Kneipenhinterzimmern und Teestuben aus, die Dunkelziffern sind sehr hoch, denn was früher offen sichtbar war, entzieht sich jetzt der Kontrolle. Der Freiersuchverkehr in den Wohnstraßen hat eher noch zugenommen. Der Zuzug aus Osteuropa hält an.

Denn Armut und Drogensucht lassen sich nun mal nicht verbieten, sondern nur mit wirtschaftlichen und sozialpolitischen Strategien bekämpfen. Ob sich das auch noch bis Schilda herumspricht?

Dienstag, 6. September 2011

Der 3. September hat Mut gemacht, nicht nur in Dortmund...

Auf meine „Aufforderung zum Ungehorsam“ kurz vor den Anti-Nazi-Blockaden in Dortmund am 3. September entgegnete ein Leser, ich sei naiv, noch an die Demokratie zu glauben. Der Vorwurf, scheint mir, ist von Resignation gezeichnet. Ich lese ihn so wie: „Du Naivling glaubst noch an das Gute im Menschen.“ – Ja, an was denn sonst, wofür lohnt es sich denn sonst zu leben?
Wenngleich es gegen die Brutalität der Polizei nicht gelungen ist, den Naziaufmarsch zu blockieren – dass es sich lohnt und gar nicht so aussichtslos ist, die Demokratie von „unten“ zu verteidigen, und sei es auch gegen eine Obrigkeit, die sie mit Polizeistiefeln tritt, zeigt beispielhaft der folgende Auszug aus dem Bericht von Uli Sander, Landessprecher der VVN-BdA, vom 3.9. in Dortmund:

„Starker erfolgreicher Protest gegen Nazis in Dortmund
Weit über 15.000 Menschen haben am 3. September in Dortmund rund 700 Nazis bei ihrem „Nazionalen Antikriegstag“ erheblich gestört. Tausende Blockierer stellten sich ihnen in den Weg. 4000 Polizisten sollten den Nazis zu ihrem Versammlungsrecht verhelfen, wobei die Grundrechte der Dortmunder Bevölkerung beträchtlich eingeschränkt wurden. Für viele Medien gab’s fast nur Randale, doch es ging um politische antifaschistische Kultur, und die wurde gewahrt.
Die Polizei hatte zwar parkende Autos von der Nazistrecke weggeräumt, aber Sperrmüll als Wurfgeschosse stehengelassen - genutzt von wem auch immer. Tränengas, Wasserwerfer, Bergepanzer der Polizei im Einsatz, so etwas gab es lange nicht. Es schien, als sollten die massive Beeinträchtigung der Rechte der Demokraten und die massive Unterstützungsaktion für die Faschisten irgendwie gerechtfertigt werden. Die Medien der WAZ-Gruppe, im Begriff von Konservativen übernommen zu werden, schwenkten dann auch um: Herbeigekarrte Krawalltouristen verletzten verantwortungsbewusste Polizisten.
Die Aktion der VVN-BdA zum Schutz der Gedenkstätte Steinwache war ein voller Erfolg. Die Mahnwache wurde Dank der Gedenkstättenleitung möglich. Sie sicherte vielen den Zugang vom und zum Hauptbahnhof. Man diskutierte, rezitierte, musizierte, gab Kaffee aus der Gedenkstätte heraus aus und hatte Infos bereit und auch Stühle für müde Kämpfer. Mittags gelangte die Mahnwache zwischen die Fronten; neben der Steinwache die Unseren, hundert Meter entfernt an der Arge und der Hauptpost die Nazis. Die Polizei stand dazwischen mit allem Gerät, das sie hatte. Der Abgang der Nazis wurde sehr verzögert. Danach wurde die Strecke der Nazis oft unterbrochen, sie mussten Umwege gehen. Mehrere Blockaden standen, andere wurden brutal aufgelöst.
So kam die Polizei zu ihrer Kriegsberichterstattung. Einmal stand der Polizeipräsident Hans Schulze (SPD) in der Polizeikette, vor sich die Demonstranten. Unter ihnen der Oberbürgermeister Ullrich Sierau (auch SPD), Auge in Auge mit dem PP Schulze: „Dass wir uns so wiedersehen,“ sagte Sierau.  
Dass sich Bundes- und Landespolitiker am Blockieren beteiligten, gehört zum Erfolg des Tages. Was die VVN-BdA immer wieder gefordert hatte, dass die Politik bei Versagen der Polizei und Justiz die Sache des Schutzes der Bürger vor den braunen Horden selbst in die Hände nehmen soll, beginnt zu funktionieren. DGB und Kirchen waren ganz stark präsent. Verdi hatte eine Woche lang bis zum 3. 9. auf dem Platz, den die Nazis beanspruchten, ein Friedensfest gestaltet. Bei der Steinwachen-Mahnwache waren zeitweilig Gesine  Lötzsch, andere linke MdBs und Nina Hager von der DKP anwesend.
Zum Schluss noch etwas sehr bezeichnendes: Der Innenminister hatte gesagt, die Polizei schütze das Versammlungsrecht und nicht die Nazipropaganda. Das bewahrheitete sich nicht. Das Versammlungsrecht der Demokraten abends bei einer Abschlussfeier im hoch nazifrequentierten Stadtteil Dorstfeld konnte von 50 Nazis massiv gestört werden. Niemand von den Nazis wurde in dieser Situation eingekesselt, einer nur festgenommen.
...
Ulrich Sander“

Montag, 5. September 2011

Die gehässigste und verlogenste Hetze gegen die Anti-Nazi-Blockaden in Dortmund

...fand ich heute in den RuhrNachrichten. Unter der Überschrift „Das politische Mandat missbraucht“ hetzt RN-Redakteur Peter Bandermann:
„Angeleitet von Parlamentariern und Funktionären der Partei Die Linke haben sie (Gewalttäter, die nicht gegen die Nazis, sondern gegen die Polizei auf die Straße gegangen sind) sich zu Blockaden hinreißen und dann im Kampf gegen die Polizei auf der Straße verheizen lassen. Während selbst ernannte ‚Parlamentarische Beobachter‘ in gelben Leuchtwesten der Linken bei den Krawallmachern immer nur nah dran am Geschehen waren – aber nie mittendrin. Wurde es eng, zogen sie einen Parlamentsausweis hervor – und konnten sich so hinter die sicheren Polizeisperren retten... Die Linke hat Jugendliche im Kampf gegen den Staat auf die Straße geschickt und dort als Kanonenfutter verheizt, um aus der anschließenden Kritik an der Polizei politisches Kapital schlagen zu können...“
Soweit der Medienprofi Bandermann. Wetten, dass zumindest von diesen Jugendlichen nach diesem Kommentar niemand mehr die RuhrNachrichten liest?

Donnerstag, 1. September 2011

Keinen Fußbreit dem Fremdenhass

Solange es Städte gibt, gibt es Wanderungsbewegungen in die Städte, und so lange gehört es zum Selbstverständnis der Städter, Zuwanderer aufzunehmen und in ihr Leben zu integrieren. Das war jahrtausendelang so wesentlich und selbstverständlich für die Stadt, dass der Soziologe Hartmut Häußermann die Stadt schlechthin als „Integrationsmaschine“ bezeichnete.

Allerdings, weil größere Zuwanderungswellen in die Städte meist ökonomisch oder machtpolitisch, wenn nicht gar kriegerisch verursacht sind und die Zuwanderer zumal im Kapitalismus auf die Konkurrenz der Städter um knappe Ressourcen treffen, verläuft die Integration der Fremden selten konfliktfrei. So wie das Aufblühen der Städte – nicht zuletzt mithilfe der wirtschaftlichen Zugewinne durch Einwanderer! – die Polarisierung zwischen Metropolen und Peripherie verstärkte, so bildete sich innerhalb der Stadtgesellschaft eine mehr oder weniger scharfe Klassenteilung nach Berufen und sozialer Stellung, Einkommen, Wohnverhältnissen und kulturellen Lebensstilen heraus. Sie fand ihren Niederschlag in der räumlichen „Segregation“ der Bewohnerschaft in verschiedene Stadtviertel nach eben diesen Merkmalen. Die Wohlhabenden, Alteingesessenen eignen sich die angenehmeren Wohngegenden an und schließen sich dort exclusiv mit ihresgleichen vom Rest ab; die Armen müssen sich in schlechten Wohnverhältnissen zusammendrängen. Und solange Geld die Welt regiert, kommt es quasi naturwüchsig zu vielfältiger Vernachlässigung der ohnehin benachteiligten Quartiere – bis hin zu Slums- und Ghettobildung.

So lag und liegt es im Interesse der Wohlhabenden, Alteigesessenen, der Oberschicht, die Zuwanderer auszugrenzen, herabzusetzen, als Menschen minderer Herkunft oder gar als Untermenschen abzuqualifizieren. Auch wenn Fremdenhass von bürgerlichen Ideologen gern als typische Einstellung der Unterschicht dargestellt wird, ist er seinem Wesen nach immer konstituierender Bestandteil jeder Herrenmenschenideologie, sei sie sozial, national oder rassisch konstruiert. Fremdenfeindlichkeit widerspricht dem Gemeinwesen Stadt. Und jede Stadt, die attraktiv und lebenswert erscheinen will, muss aktiv an ihrem Ruf als weltoffen, fremdenfreundlich, bunt und egalitär arbeiten. Es bedarf immer einer bewusst integrativen Stadtpolitik, um der Segregation der Stadträume und deren ideologischer Entsprechung, der Fremdenfeindlichkeit entgegen zu wirken.

Aktive Integrationspolitik nötig – aber wie?

Die neu Zugewanderten zählen in aller Regel erst einmal zu den ärmeren Schichten. Etwa ab dem Jahr 1900 trat zur ökonomischen Segregation die ethnische und kulturelle, vielfach dann auch religiöse Segregation hinzu. Auch in deutschen Großstädten haben sich inzwischen bestimmte ethnische Gruppen in bestimmten Stadtteilen konzentriert, und diese Stadtteile werden zu Anlaufadressen für weitere Einwanderer.

In den USA stellten diese Entwicklungen, die aufs engste mit der Entwicklung des Kapitalismus verbunden sind, schon in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts die großen Städte vor existenzbedrohliche Probleme, bis hin zu gewaltsamen Rassenkonflikten. Daher entstand auch die Integrationsforschung als eigenes Gebiet der Stadtsoziologie in den USA, dort allerdings überwiegend mit dem ideologischen Motiv, Einwanderer zu „assimilieren“, d.h. mit dem „american way of life“ zu verschmelzen. (Das gängige Schlagwort dafür war fast ein Jahrhundert lang der „melting pot“ – Schmelztiegel Amerika.)

Diese Ideologie wurde nach dem zweiten Weltkrieg auch in die bundesdeutsche Zuwanderungspolitik übernommen und treibt hier bis heute noch ihr Unwesen. Als offizielles Ziel der Integration wurde und wird von Konservativen noch immer die Anpassung der Fremden an die deutsche „Leitkultur“ ausgerufen, also Assimilation – bei gleichzeitiger staatlicher Diskriminierung.

Doch etwa ab 1985 zeigte sich, dass vor allem wegen der anhaltenden und tendenziell steigenden Arbeitslosigkeit die westdeutschen Städte als „Integrationsmaschine“ zunehmend überfordert sind. Ab da wandte sich auch die deutsche Sozialwissenschaft der Integrationsproblematik zu, und zwar in durchaus kritischer Haltung gegenüber dem politischen mainstream. Dabei spielten Dortmunder Forschungseinrichtungen eine zentrale Rolle (IRPUD, ILS, sfs, KOWA). Zwischen 1994 und 2010 fanden hier mehrere wegweisende wissenschaftliche Tagungen statt, die sich unter anderem auch mit den Dortmunder Verhältnissen befassten, vor allem mit den Erfahrungen in der Nordstadt. – In der Dortmunder Politik sind die Ergebnisse dieser Fachdiskussion allerdings bis heute nicht oder kaum angekommen.

Hier einige wesentliche Aussagen aus der stadtsoziologischen Literatur, über die heute weitgehend Konsens in der Fachwelt besteht:

1. Die entscheidende Ursache der Migration in die Städte liegt in der Armut infolge des Arbeitsmangels und des Raubkapitalismus in der Heimat der Migranten. Deren Integration steht und fällt infolgedessen mit der Armutsbekämpfung durch aktive kommunale Beschäftigungspolitik. In dem Maß wie den Kommunen die Mittel zur Beschäftigungsförderung entzogen werden und die Politik sich daraus zurückzieht, versagt die „Integrationsmaschine Stadt“.

2. Integration ist dann gelungen, wenn die Zuwanderer sich „zu Hause fühlen“. Neben der wirtschaftlichen Existenzgrundlage durch sinnstiftende Arbeit bilden die zweitwichtigste Dimension für den Integrationserfolg die Wohnung und das Wohnumfeld.

3. Zur kulturellen Integration gehören vor allem alltagstaugliche Bildungs- und Ausbildungswege.

4. Zur Identifikation der Zuwanderer mit ihrer neuen Heimat gehört ferner eine wirksame Entscheidungsmacht über ihre eigenen Angelegenheiten.

5. Gescheitert ist das Leitbild der Assimilation an eine vorgebliche deutsche „Leitkultur“, denn die Migranten können sich nur „zu Hause fühlen“, wo sie ein Stück kultureller Heimat mitbringen und darin leben dürfen.

6. Gescheitert ist aber auch die von Stadtplanern und Kommunalpolitikern jahrzehntelang angestrebte „gesunde soziale Mischung“ in jedem Stadtteil, denn sie ist unter kapitalistischen Marktverhältnissen (Freizügigkeit, Bodenwertgefälle usw.) nicht zu verwirklichen.

7. Mit Skepsis bis Ablehnung begegnet die Fachwelt heute auch der grünen Multikulti-Romantik, weil diese dem Bedürfnis der Migranten nach ihrer jeweils eigenen kulturellen Identität widerspricht.

8. Umstritten ist in der Wissenschaft aber das Verhältnis von Integration und räumlicher Segregation. Während die einen die Konzentration ethnischer Gruppen in bestimmten Stadtteilen für ein Integrationshindernis halten, sehen andere sogar eine Bedingung des zur Integration notwendigen Heimatgefühls darin, dass die Migranten in enger Nachbarschaft mit ihren Landleuten wohnen können.

9. Jedenfalls stehen die neoliberalen Wettbewerbsstrategien der Städte, nur ihre Stärken zu stärken, jeglicher Integrationspolitik diametral entgegen.

Kommunen, die eine derartige Integrationspolitik aktiv betreiben und damit ein Klima der Zusammengehörigkeit des Gemeinwesens schaffen, leisten ihren besten Beitrag gegen rassistische und neofaschistische Ideologien und rechtspopulistische Bewegungen.

Freitag, 26. August 2011

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Ungehorsam ist Pflicht

Es gehört zu den unleugbaren Lehren unserer Geschichte, dass die bürgerliche Demokratie selbst den Aufmarsch des Faschismus begünstigt, wenn Justiz und Polizeigewalt die Nazigegner am Widerstand hindern, kriminalisieren und schuldig sprechen. Als Konsequenz dieser Erfahrung wurde ins Grundgesetz der Bundesrepublik der Artikel 20, Abs.4 aufgenommen. Er lautet:
„Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“

Doch wieder erleben wir seit vielen Jahren, dass Richter nazistische Hetze ausdrücklich unter den Schutz der Staatsgewalt stellen. Meinungs- und Versammlungsfreiheit für Neonazis - ich kann mir nicht vorstellen, dass die Hüter der demokratischen Rechtsordnung so dumm sind, die Nazis von heute nicht als Erben des Nazireichs zu erkennen. Wenn also Dummheit ausscheidet, sieht der gesunde Menschenverstand nur vier mögliche Erklärungen für die Haltung dieser Richter:

- entweder den idealistischen Irrglauben, Demokratie und Humanität könnten sich allein im gewaltfreien Meinungsstreit gegen ihre gewalttätig organisierten Feinde durchsetzen;

- oder Mangel an Mut, das bewußt unscharf gehaltene politische Strafrecht so scharf gegen rechts anzuwenden, wie die Lehren aus Weimar und Nazireich es gebieten;

- ideologische Nähe zu rechtsradikalen Meinungen;

- oder die Richter benutzen die Stiefelnazis als nützliche Idioten, um aktive Demokraten als ebenso extremistisch und „gewaltbereit“ wie die Nazis zu denunzieren, im Vertrauen darauf, dass die Polizei beide zuverlässig in Schach halten kann.

Alle vier Möglichkeiten stehen im Widerspruch zu den Erfordernissen der Demokratie. Rechtsextreme Meinungen lassen sich tatsächlich nicht verbieten – aber deren organisierte Verbreitung sehr wohl. Dazu sind Gerichte offenkundig nicht bereit. So gehören denn organisierte Nazibanden zu unserer Gesellschaft, weil und solange wir uns solche Richter leisten wollen. Ihnen zu gehorchen, ist nicht „erste Bürgerpflicht“, sondern tödlich – schon heute wieder! Da bleibt tatsächlich nur das Recht auf Widerstand.

Von einem (sozial-) demokratischen Polizeipräsidenten wäre zu verlangen, dass er die Verfassung kennt, auf die er seinen Amtseid geschworen hat. Und wenn er schon nicht selbst aus seinem Kadavergehorsam herausfindet, sollte er wenigstens die Bürger auf ihr verfassungsgemäßes Recht zum Widerstand hinweisen und die demokratische Pflicht, es zu nutzen. Von einer demokratischen Presse wäre dasselbe zu verlangen.

In Dortmund ist das offenbar zuviel verlangt. Da droht der oberste Knüppelschwinger schon mal vorbeugend, Blockade sei ein "Straftatbestand". Dass jüngere Gerichtsurteile zu anderen Ergebnissen kamen, ignoriert er. Denn sie passen nicht in die Pro-Nazi-Taktik, mit der die Polizei Dortmund erst zu einem festen Nazi-Stützpunkt gemacht hat. 

Da kann ich nur raten: Nicht einschüchtern lassen! Selbst aktiv werden. Der Widerstand richtet sich auch gegen eine auf dem rechten Auge blinde Staatsmacht. 

Siehe auch:
http://www.dielinke-nrw.de/start/aktuelles/detailansicht_der_news/zurueck/aktuelles/artikel/was-die-dresdener-koennen-koennen-die-dortmunder-auch/