Samstag, 30. Juli 2011

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Heuschrecken in Dortmund

Wie Private mit “PPP”(1) die Stadtkasse plündern
(1) Als Public Private Partnership (PPP), auch Öffentlich-Private Partnerschaft (ÖPP), wird die Mobilisierung privaten Kapitals und Fachwissens zur Erfüllung staatlicher Aufgaben bezeichnet. PPP geht in vielen Fällen mit einer teilweisen Privatisierung von öffentlichen Aufgaben einher. (Wikipedia)

Wie die Heuschrecken in Dortmund landeten

Im März 2001 fand in Weimar das erste Symposion der PPP-Lobbyisten statt. Doch schon ein halbes Jahr vorher lag der Dortmunder Stadtverwaltung ein konkretes PPP-Angebot für Schulbauten vor.
Im Mai 2001 gründete sich eine bundesweite SPD-Arbeitsgruppe „ÖPP“. Vermutlich gehörte auch der damalige Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Kommunalpolitiker, Dr. Gerhard Langemeyer dazu. Jedenfalls schon bald darauf, im Dezember 2001 beschloss der Dortmunder Stadtrat, an fünf Schulbaumaßnahmen PPP-Modelle zu erproben. Darunter zwei komplette Neubauten und drei ganzheitliche Sanierungen.

Zehn Monate später, im September 2002 bekam der Rat die Ausschreibungsergebnisse. Das günstigste Angebot lag für den Neubau der Hansa-Grundschule um –27 % und für die Hangeney-Grundschule um –31 % unter der Kostenschätzung der Stadtverwaltung. Die Gründe für diese enorme Unterschreitung erfuhr der Rat jedoch nicht, und leider waren die Linken damals noch zu schwach, um dem nachzugehen.
Für die drei Sanierungsprojekte (Bert-Brecht-Gymnasium, Droste-Hülshoff-Realschule und Gymnasium An der Schweizer Allee) lagen alle Angebote um 40 bis 60 % über der städtischen Kalkulation, so daß diese Projekte gestoppt und neu ausgeschrieben wurden.

Im Mai 2004 kamen die neuen Ausschreibungsergebnisse in den Rat. Zusammen mit zwei weiteren Schulsanierungen (Hauptschule Kirchlinde und Westricher Hauptschule) bildeten sie ein Investitionspaket von 23,43 Mio €. Jetzt lag das günstigste Angebot zwar unter diesem städtischen Referenzpreis, aber der sogen. „Effizienzvorteil“ von PPP machte nur noch      -1,4 % aus (330.000 €). Als bekannt wurde, daß dies günstigste Angebot auch noch von demselben Konsortium kam, das vorher schon die beiden Neubauprojekte an Land gezogen hatte, munkelte man bei der Stadt, da sei mit Insiderinformationen getrickst worden, aber zu beweisen war das nicht.

Im März 2006 beschloss der Rat, auch die Feuerwache 4 in Hörde über PPP neu zu bauen. Vorab ließ man einen Wirtschaftlichkeitsvergleich von einer privaten Beraterfirma anfertigen. Und diese unterstellte einfach mal von vorn herein einen “Effizienzvorteil“ bei PPP von –10 % gegenüber städtischer Eigenleistung. Diesmal erstreckte sich der Kostenvergleich nicht nur auf Planung, Bau und Finanzierung, sondern auch auf Unterhaltung und Betrieb der Feuerwache über 20 Jahre („Lebenszyklus“-Ansatz).

Im Jahr 2009 wollte die Verwaltung eine Dreifach-Sporthalle am Phoenix-Gymnasium in Hörde über PPP errichten und betreiben lassen. Diesmal war es der Rat, der auf einem Wirtschaftlichkeitsvergleich bestand. Und siehe da, es zeigte sich, daß PPP teurer würde als die städtische Regie. Daraufhin stoppte der Rat die Verwaltungsvorlage und entschied sich für Eigenbau und –betrieb durch die Stadt.

Was PPP-Heuschrecken so gefräßig macht

Ich fasse zusammen, daß alle durchgeführten PPP-Projekte im Investitionsvolumen mehr oder weniger erheblich von den städtischen Kostenschätzungen nach unten abwichen. Wie gesagt wissen wir nicht, worauf diese Kürzungen beruhen. Wenn wir nicht unterstellen wollen – wie die neoliberalen Gegner des Sozialstaats –, daß städtische Bedienstete von Haus aus fauler sind, ineffizienter arbeiten und mehr Geld verschwenden als privat Beschäftigte, dann sehe ich drei mögliche Gründe:

1. Abstriche am Raumprogramm,
2. Niedrigere Qualitätsstandards an der Untergrenze der Mindestanforderungen (zu Lasten der Benutzer),
3. Systematisches Unterbieten der Einkommen und Arbeitsbedingungen des Öffentlichen Dienstes durch Dumpingwettbewerb der Privatunternehmen (zu Lasten der Beschäftigten, und zwar aller Beschäftigten).

Wenn ein Unternehmen anbietet, eine neue Schule um fast ein Drittel billiger zu bauen als der kommunale Bauträger, dann muß es wohl alle diese Schrauben anziehen, bis es quietscht. Ob die Betroffenen das wollen (Schüler, Eltern, Lehrer, die städtischen Bediensteten und die Arbeitnehmer der Privatfirmen), das interessierte den Stadtrat in keinem einzigen Fall. Den angeblichen „Effizienzvorteil“ von PPP-Investitionen gegenüber öffentlicher Eigenleistung halte ich zumindesten für zweifelhaft und jedenfalls für sozial schädlich.

Soviel zu den Investitionen. Nun zur Wirtschaftlichkeit der Finanzierung. Hier basiert der angebliche Barwertvorteil von PPP ganz eindeutig auf einer politischen Begünstigung der privaten Investoren zu Lasten der öffentlichen Hand.

Auch die Stadt muß heutzutage größere Investitionen über Kredite finanzieren. Für 50 % ihres Eigenanteils bekommt sie besonders zinsgünstige Darlehen von der staatlichen KfW-Bank (Kreditanstalt für Wiederaufbau), die restlichen 50 % muß sie am Kapitalmarkt aufnehmen, bekommt aber auch dort als besonders sicherer Schuldner günstigere Zinssätze als Privatunternehmen. Damit wäre die rein kommunale Finanzierung klar im Vorteil gegenüber der privaten, und PPP wäre in Deutschland niemals zur Heuschrecken-plage geworden. – Wenn, ja wenn es die Schröder-SPD nicht gegeben hätte mit einem weiteren Hofknicks vor den Finanzherrschern der Republik. Die Schröder-Fischer-Regierung veranlasste die Staatsbank KfW, an private Objektgesellschaften für PPP nicht nur wie an Kommunen 50 %, sondern 75 % der Investitionssumme auszuleihen, zu fast demselben ermäßigten Zins wie den Kommunen – unter einer Bedingung, und diese Bedingung zeigt besonders krass, für wen in dieser Republik Politik gemacht wird: Den ermäßigten Zins bekommen PPP-Objektgesellschaften nur, wenn sie ihre Forderungen aus dem PPP-Vertrag vorweg an eine Bank verkaufen (im Fachjargon „Forfaitieren“ genannt), und wenn die Kommune gegenüber der Bank vorweg auf ihr Einrederecht verzichtet. Die ersten PPP-Schulbauten in Dortmund wurden zu diesen Konditionen finanziert und waren auch deswegen günstiger, als die Stadt selbst sie finanzieren konnte.
Später reichten den Banken auch die 75 % KfW-Kredite nicht, und die große Koalition in Berlin stockte sie sogar auf die vollen 100 % des Investitionsvolumens auf, während die Kommunen weiterhin nur 50 % von der KfW erhalten. Das ist also eine eklatante politische Besserstellung von Privatkapital gegenüber der öffentliche Hand. – Übrigens saß in dieser Regierung ein Sozialdemokrat, der sonntags gern Heuschrecken-Gefahren an die Wand malte: Franz Müntefering.
Die Feuerwache Hörde wurde in Dortmund mit dieser neuen 100%-Vergünstigung finanziert. Trotzdem ergab der Wirtschaftlichkeitsvergleich nur einen Barwertvorteil der PPP von 7,5 % - und das wohlgemerkt bei von vorn herein pauschal um –10 % abgesenkten Baukosten. D.h. bei gleichen Baukosten war die PPP-Finanzierung trotz ihrer politischen Begünstigung noch um 2,5 % teurer, als die rein kommunale Lösung es geworden wäre.

Ganze Heuschreckenschwärme im Anflug

Auf Details der Dortmunder PPP-Projekte einzugehen, würde hier den Rahmen sprengen. Auch so beweisen sie alle: PPP ist keinesfalls von Haus aus günstiger für die Kommune als die städtische Eigenleistung; die angeblichen Effizienz- und Barwertvorteile von PPP gehen eindeutig und gewollt zu Lasten der öffentlichen Hand.

Im Jahr 2011 soll es dennoch unter dem neuen Oberbürgermeister und dem neuen Stadtkämmerer (beide SPD) in noch größerem Stil so weiter gehen. Mit dem Haushaltsplan für 2011 beschloss die Ratsmehrheit aus SPD und CDU:

 vier weitere Schulen in ein Sondervermögen zu übertragen, aus dem heraus sie mit privaten Investoren saniert werden sollen,
 bis Mitte des Jahres soll die Verwaltung prüfen, welche Jugendfreizeitstätten an private Träger abgegeben werden können,
 sämtliche 140 neuen Kita-Gruppen, die nach dem Gesetz für U-3-Jährige nötig werden, sollen in PPP erstellt und von freien Trägern auf Rechnung der Stadt gemietet werden (vorbehaltlich noch nicht feststehender Landesförderung),
 Zudem beschloss der Rat, sämtliche städtischen Sportanlagen an die halb private „Sportwelt GmbH“ zu übertragen, die sie nach und nach an Sportvereine weiterreichen soll.
 Sogar das Dortmunder Rathaus wurde bereits ins Sondervermögen verschoben. Dies ist zwar noch kein aktueller PPP-Fall, aber mit dem Rathaus als Einlage sollen andere halb private Aktivitäten des Sondervermögens kapitalmäßig abgesichert werden. (Allerdings erhob hiergegen die Bezirksregierung rechtliche Bedenken und prüft noch...)

Eine neue Dimension öffentlicher Verschuldung

Mein Fazit aus den Dortmunder Erfahrungen: PPP konnte sich nur durchsetzen als Bestandteil einer politischen Gesamtstrategie, die lautet: „Privat vor Staat!“ Die Dortmunder SPD hat sich zeitgleich mit der Bundes-SPD aktiv dieser Strategie angedient und damit öffentliche Aufgaben und Infrastrukturen privatisiert.

Insgesamt hatte die Stadt Ende 2010 rund 56 Mio € kreditähnliche Zahlungsverpflichtun-gen allein aus den PPP-Projekten aufgehäuft. Mit den neuen Ratsbeschlüssen für 2011 kann diese Summe auf das vier- bis sechsfache steigen. Allein diese PPP-Schulden, dann etwa ein Fünftel aller Investitionskredite der Stadt, belasten jeden Dortmunder Bürger heute schon mit 100 € pro Kopf (vom Baby bis zum Greis) auf 20 bis 30 Jahre hinaus. Mit den jüngsten Ratsbeschlüssen könnten daraus bis zu 600 € neue Schulden pro Kopf werden.
Schulden, für die wir nichts bekommen, was die Stadt uns nicht besser und sozial verträglicher bieten könnte. Schulden, die nur deshalb immer weiter wuchern, weil Regierungen, Stadtspitzen und Ratsmehrheiten nach der Pfeife der „Finanzmärkte“ tanzen.

Freitag, 29. Juli 2011

Notizen aus der Provinzhauptstadt - Flughäfen: OVG stoppt wertloses Ausbau-Gutachten

Zur „Richterschelte für Gutachter zum Flughafen“ (RN vom 28.07.2011):

Nach genau derselben Methode, die das Oberverwaltungsgericht Münster jetzt für den Flughafen Münster-Osnabrück als untauglich verwarf, haben dieselben Gutachter 2005 auch den Ausbau des Dortmunder Flughafens empfohlen. Da kann Flughafensprecher Marc Schulte sich nicht mit „anderer Datengrundlage“ herausreden und nicht mit dem anderen „Geschäftsfeld“ für Münster-Osnabrück: Mit denselben spekulativen Annahmen über regionalwirtschaftliche Effekte des Flugverkehrs und angeblich zu erwartende Arbeitsplätze wie im Fall Münster-Osnabrück operierten die „Experten“ der Uni Münster auch für den Dortmunder Flughafen.
Genau diese wissenschaftlich unseriöse Methode hatten die Linken im Dortmunder Rat bereits 2005 als „Gefälligkeitsgutachten“ angeprangert. Das OVG-Urteil hat uns darin jetzt voll und ganz bestätigt. Damit verliert auch die Ausweitung der Betriebszeit am Flughafen Dortmund ihre letzte Begründung.

Mittwoch, 27. Juli 2011

Die Finanzkrise als Sicherheitsproblem...

... hat das „Brandenburgische Institut für Gesellschaft und Sicherheit“ erkannt: Sollten die Völker weiter gegen die Sparprogramme ihrer Regierungen rebellieren, könne das nicht nur einzelne Staaten destabilisieren, sondern auch zu Kriegen führen. 
Das Institut ist eine 2009 gegründete Denkfabrik der Brandenburgischen Landesregierung, der Universität Potsdam und der deutschen Rüstungsindustrie.

Abgesänge auf den Euro

Nach dem Griechenland-Sondergipfel der EU mehren sich unter den Ökonomen die skeptischen Stimmen. Unter der Überschrift "Euro - der letzte Akt beginnt" schrieb Heiner Flassbeck, UNCTAD-Chefvolkswirt, am 16.07.2011 im ND, um die Europäische Währungsunion zu retten müßte Deutschland "Defizite im Außenhandel machen und Marktanteile abgeben." Und weiter: Wer diese Konsequenz nicht sehen will (...) gefährdet auch unmittelbar die Demokratie."
So ist es: Die Demokratie ist bekanntlich nicht die einzige Herrschaftsform des Reichtums und nicht in jeder Lage die profitabelste. Allerdings: Auf gar keinen Fall kann Kapital einmal eroberte Marktanteile freiwillig abgeben, denn dies - die Eroberung von Märkten - ist ja seine Existenzbedingung. Eher wechselt es die Herrschaftsform.
Und auch die Europäische Währungsunion war dem deutschen Kapital kein Selbstzweck, sondern nur eine strategische Option zu seinem Vordringen auf dem Weltmarkt. Diese Strategie mußte und sollte ja zur deutschen Marktführerschaft, somit zur ungleichmäßigen Entwicklung innerhalb der Eurozone führen. Folglich ist, soweit es nach dem deutschen Interesse geht, ihr Ende bereits in ihrem Gründungszweck angelegt.
Die spannende Frage ist - wieder mal: Lässt Europa sich vom deutschen Eroberungsdrang kaputt machen?