Dienstag, 2. August 2011

Bedingungsloses Grundeinkommen: Arbeiter wollen arbeiten

Der neue Programmentwurf der LINKEN bezieht im Streit um ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) bewusst keine Position, sondern fordert die Partei zu weiterer Diskussion darüber auf. Tatsächlich „tobt“ dieser Streit auch innerhalb der LINKEN zwischen extremen Positionen, die mitunter emotionsgeladen aufeinander losgehen. Dieser Beitrag soll die Diskussion versachlichen, soweit möglich.

Hängen Leistung und Lebensqualität zusammen?
Angeblich leben wir in einer Leistungsgesellschaft. Aber die persönliche Leistung ihrer Mitglieder misst sie nicht am Nutzen der Arbeitsprodukte, sondern in Geld, am individuellen Beitrag zum „Bruttoinlandsprodukt“, einer statistischen Wertsumme. Mit diesem Kniff wird der Irrtum zur Gewohnheit, dass Bankchef Ackermann, indem er die Arbeitsergebnisse von Millionen Menschen verwertet, angeblich millionenfach mehr leistet als jeder Arbeiter. Während umgekehrt z.B. das Verfassen dieses Textes nur dann als Leistung gelten würde, wenn er mir Geld einbrächte, ebenso gilt der große Sektor der Hausarbeit dieser Gesellschaft nicht als Leistung. Der gesunde Menschenverstand findet das absurd. Doch diese alltägliche Verballhornung des Leistungsprinzips darf uns nicht darüber täuschen, dass jede Gesellschaft ihre Lebensqualität vor allem er-arbeiten muss. So war es immer seit es Menschen gibt, und so bleibt es bis an die Schwelle zum Schlaraffenland.

Gilt das auch für das Existenzminimum?

Wenn also alles, was wir „uns leisten können“, Ergebnis geleisteter oder noch zu leistender Arbeit ist, wenn also unser gesamtes Wohlstandsniveau direkt mit der gesellschaftlichen Produktion wächst, so hat heute die gesellschaftliche Arbeit eine so hohe Produktivität erreicht, dass auf der ganzen Erde kein Mensch mehr hungern müsste. Mehr noch, unsere Gesellschaft produziert laufend so großen Reichtum, dass daraus locker jeder Einzelne seine Arbeitsfähigkeit erwerben und erhalten könnte. So wäre heute das zeitgemäße Existenzminimum zu definieren. Es deckt sich im Kapitalismus mit dem Durchschnittslohn (plus „Lohnnebenkosten“) für einfache, unqualifizierte Arbeit. Dies Existenzminimum jedem als Grundeinkommen zu garantieren, ist heute nur noch eine Frage des politischen Willens zu entsprechender Verteilung der Arbeitsergebnisse.

Grundeinkommen und Gerechtigkeit
Dass unser Lebensstandard vor allem auf Arbeit beruht, weiß niemand besser als alle, die von ihrer eigenen Arbeit leben (-dürfen, muss man heute wieder hinzufügen). In ihren Augen, aus Jahrtausende alter Erfahrung gilt ein leistungsloses Einkommen als ungerecht, unmoralisch, jedenfalls suspekt.
Im Kapitalismus gibt es aber zwei verschiedene Arten leistungsloser Einkommen: Die eine beruht auf dem kapitalistischen Eigentum, das aus der Aneignung unbezahlter „Mehrarbeit“ von Lohnabhängigen entsteht – die andere betrifft Menschen, die aus verschiedenen Gründen nicht arbeiten können. Es liegt auf der Hand, dass diese zwei Arten leistungsloser Einkommen ganz verschieden behandelt werden müssen. Somit ergeben sich folgende Kriterien für einen Anspruch auf ein staatlich zu zahlendes Grundeinkommen:
1. Leuten, die fremde Lohnarbeit ausbeuten, obendrein noch ein staatliches Grundeinkommen nachzuwerfen, wäre wohl der Gipfel der Ungerechtigkeit.
2. Allen, die das Existenzminimum (siehe oben) mit eigener Arbeit bestreiten, stattdessen ein staatliches Grundeinkommen auszureichen, wäre unsinnig. Sind sie es doch selbst, die mit ihrer Arbeit die Staatseinnahmen erwirtschaften, aus denen die Grundeinkommen bezahlt werden; was die Arbeitenden als Grundeinkommen erhielten, müssten sie über ihre Steuern selbst finanzieren. – Absurd wäre das auch nach der marxistischen Arbeitswerttheorie, in der ja die durchschnittliche Lohnhöhe sich auf den Betrag einpendelt, den die Reproduktion (Wiederherstellung) der Arbeitskraft gesellschaftlich kostet: Wenn diese Reproduktionskosten statt ganz als Arbeitslohn vom Arbeitgeber zum Teil vom Staat als Grundeinkommen gezahlt werden, müssen die Löhne durchschnittlich genau um diesen Betrag sinken – ein gigantisches Lohnsenkungsprogramm zum Wohle der Unternehmer!
3. Sinnvoll und gerecht ist ein staatliches Grundeinkommen allein für Menschen, die entweder gar nicht arbeiten können/dürfen, oder deren Arbeitseinkommen aus individuellen Gründen unterhalb des oben definierten Existenzminimums bleibt. Unabdingbare Voraussetzung hierfür wären allerdings flächendeckende gesetzliche Mindestlöhne zur Bekämpfung des Lohndumpings!

Grundeinkommen unter einer einzigen Bedingung
Menschen, die nicht arbeiten können/dürfen, auch noch mit Repressalien und Sanktionen zu bestrafen, sollte sich in einer humanen Gesellschaftsordnung eigentlich von selbst verbieten. Umgekehrt disqualifiziert das Hartz-IV-Regime unsere gegenwärtige Gesellschaft als inhuman. Um über diese eklatante Inhumanität hinweg zu täuschen, diffamieren unsere Meinungsmacher diese Menschen wider besseres Wissen als arbeitsscheu. Für diese Menschen darf das Existenzminimum als individueller Rechtsanspruch an keinerlei Bedingung geknüpft sein.
Allerdings nur für solche Menschen. Daher ist die einzige Bedingung, die man im Namen der Mehrheit stellen muss, die das Grundeinkommen mit ihrer Arbeit finanziert: Der Staat hat alles mögliche zu tun, um Menschen in Arbeit zu bringen, mit der sie ihr Existenzminimum selbst aufbringen können. 
Dazu gehört unbedingt die Ausweitung der öffentlichen Dienstleistungen auf sämtliche Bereiche der Daseinsvorsorge. Und dazu gehört, neben dem kapitalistischen Arbeitsmarkt, ein breiter öffentlich geförderter Beschäftigungssektor. Und dazu gehört ein repressionsfreies Fördern der Arbeitsfähigkeit, ohne "Fordern" und Zwangsarbeit. Denn wie selbst die Arbeitslosenverwaltung mehrfach bestätigte, ist die Zahl ihrer „faulen Kunden“ viel zu gering, um ein Sanktionsregime zu rechtfertigen.
Ohne diese Bedingung, die sich an den Staat und nicht an die Betroffenen richtet, wäre jedes BGE kaum besser als der jetzige Zustand.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen