Dienstag, 13. September 2011

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Die Stadt und die deutsche Krise

Nein, keine griechisch-spanisch-italienisch-chilenisch-israelisch-englischen Verhältnisse in Deutschland. Vor einigen Monaten, im März protestierten einmal in NRW fünftausend gegen das Unrecht, für eine Krise bluten zu sollen, die sie am allerwenigsten verschuldet haben. Nur fünftausend, von mindestens 15 Millionen Krisenopfern allein in NRW, keine brennenden Autos, die Mövenpick-Community konnte gefahrlos ihr Mövenpick erreichen.

Was die deutschen Leitmedien anmaßend die „griechische Krankheit“ nennen, erscheint anderen in Europa als „deutsche Krankheit“. Über die ursächlichen Zusammenhänge zwischen beiden ist in der EU ein handfester Krach ausgebrochen, in dem die deutschen Herrschaften ziemlich isoliert als brutale Ausbeuter dastehen. Und bei genauerem Hinsehen zeigen sich alarmierende Parallelen im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu den südlichen und westlichen Nachbarländern einerseits – und zu den eigenen deutschen Kommunen andererseits.

Krisenopfer werden schuldig gesprochen

Eine kurze Zeit lang kennzeichneten auch bürgerliche Kommentare die Krise als spekulationsgetriebene Finanzmarktkrise. Zwar reduzierte sich die Kritik schnell auf moralische Entrüstung über die Profitgier einiger böser Banker und Hedgefondszocker. Da interessierte es die Ökonomenzunft nicht die Bohne – von ein paar linken Querköpfen abgesehen – dass es die asymmetrische Einkommensverteilung und Vermögenskonzentration bei den oberen Zehntausend ist, die die Spekulationsblasen füllt. Es interessierte auch kaum, wie die Niedriglohnpolitik bis hinunter in die Kommunen die Anhäufung der Spekulationsmasse befördert. Niemand – außer uns linken Querköpfen wie gesagt – untersuchte, wie auch die kommunale Haushaltspolitik die Krisenursachen verstärkt.

Erst vor ein paar Wochen entdeckte das Handelsblatt, was wir Dortmunder Linken schon vor mehr als einem Jahr in einer Broschüre schrieben: Viele städtische Kämmerer sind selbst zu Zockern geworden. Der ehemalige Dortmunder Kämmerer Pehlke, der bei uns mit den Zinswetten und dem Cross-Border-Leasing anfing, zockt inzwischen als Stadtwerke-Chef mit RWE-Aktien auf Pump. Genau solche Praktiken haben vor drei Jahren die Spekulationsblasen zum Platzen gebracht, und wie wir sehen, denken die Herrschaften gar nicht ans Aufhören. Den Finanzagenten geht es schon wieder blendend, und zwar vor allem dank der staatlichen Rettungsschirme, für die jetzt die kleinen Leute zur Kasse gebeten werden.

Anstelle der Verantwortlichen wirft man nun den Opfern der Umverteilungs- und Niedriglohnpolitik vor, sie hätten jahrzehntelang über ihre Verhältnisse gelebt, das griechische Volk ebenso wie die deutschen Kommunen, und das müssten sie jetzt wieder gut machen mit rabiaten Kürzungs- und Privatisierungsprogrammen. Das ist nicht nur ungerecht und zynisch, sondern obendrein ruinös.

Die sogenannte Schuldenkrise

Die Behauptung vom „über die Verhältnisse leben“ beweist die mainstream-Ökonomie gern, lang und breit mit der Verschuldung, sowohl des griechischen Staates als auch der deutschen Kommunen. In beiden Fällen steht die Wahrheit auf dem Kopf. Im griechischen Fall wuchs die Staatsschuld mit dem Außenhandelsdefizit, und dies folgt direkt – zwar nicht ausschließlich, aber vor allem – aus dem aggressiven deutschen Exportdruck, und der steht und fällt mit der deutschen Niedriglohnpolitik.

Im Fall der deutschen Kommunen schwoll die Schuldenlawine besonders ab dem Jahr 2000 mit Beginn der Währungsunion dadurch an, dass Bund und Länder den Kommunen immer mehr Pflichtaufgaben aufdrückten, aber die Mittel dafür nicht mitlieferten, sondern noch kürzten.

Dabei wird gern so getan, als seien Schulden an sich schon ein Verbrechen. Das ist nichts als demagogische Stimmungsmache. Sowohl bei Wirtschaftsunternehmen als auch bei Staaten und Kommunen kann externe Kapitalverstärkung durchaus positive Effekte haben. Dabei kommt es einzig und allein auf das Verhältnis der Fremdfinanzierung zur eigenen Leistungsprognose an, und dies Verhältnis wird vor allem strategisch-politisch bestimmt.

So macht es im Fall der Kommunen Sinn, die Verschuldung an die Investitionstätigkeit zu binden. Ich habe allerdings nie verstanden, wie Kommunalpolitiker es verantworten können – auch in Dortmund – binnen weniger Jahre die Kreditaufnahme auf das zwanzigfache der Investitionen explodieren zu lassen, um Löcher der laufenden Verwaltungsarbeit zu stopfen. Das ist doch geradezu eine Einladung an die Obrigkeit, den Strick noch enger zu ziehen, mit dem sie die kommunale Selbstverwaltung stranguliert. Sehen das unsere Stadtspitzen nicht, oder ist ihnen das Grundgesetz schon so egal? Es wird nur jeden Tag klarer, dass sie aus der Schuldenfalle nicht mehr aus eigener Kraft heraus kommen, ebenso wenig wie Griechenalnd – es sei denn sie verweigern ab sofort radikal ihre Mitwirkung in diesem schmutzigen Spiel.

 Wettbewerb im Kaputtsparen

Die meisten Menschen ahnen, dass diese Krise sich von allen vorangegangenen seit 1945 unterscheidet. Da kommt ja einiges zusammen: der globale Kollaps der Finanzmärkte, in der Folge Rekorddefizite sämtlicher öffentlicher Haushalte, und das alles vor dem Hintergrund knapper und teurer werdender Rohstoffe und explodierender Umweltreparaturkosten und und und.

Seit 80 Jahren hat es das nicht mehr gegeben: eine Krise, in der entwickelte Länder eins nach dem anderen zahlungsunfähig zu werden drohen. In der Bundesrepublik stehen Gebietskörperschaften, die von Rechts wegen gar nicht pleite gehen können, zu Hunderten vor der Verpfändung ihres gesamten Anlagevermögens. Zum erstenmal seit 1945 schrumpften im reichen Deutschland 2009 sogar die Bruttolöhne.

Diese Krise stellt uns vor eine grundlegend neue Aufgabe: Nicht nur die Griechen, sondern auch wir und sämtliche alten Industrieländer stehen vor dem Abschied vom gewohnten Wachstumsmodell. Auch unsere Politiker ahnen das, aber sie dürfen es ums Verrecken nicht zugeben. Daher verhalten sie sich jetzt wie das Orchester auf der Titanic: Bloß nicht aufhören, weiter zu spielen! Wachstum Wachstum über alles, über alles in der Welt.

Zur Katastrophe führt das aber, sobald sie versuchen, Wachstumseinbußen durch verschärften Wettbewerb auszugleichen. Das kann nur im kollektiven Ruin enden, zuerst bei den ärmeren Nachbarn, dann bei uns selbst. Das erleben wir gerade an der Art, wie Deutschland seinen Nachbarn Griechenland in Grund und Boden konkurriert. Und wir erleben es in den deutschen Kommunen, wie die sich gegenseitig kaputt konkurrieren.

Unsere Stadtspitzen scheinen der Parole zu folgen: „Augen zu und durch, irgendwann geht auch die schlimmste Krise zu Ende.“ Sie setzen weiter auf Stellenabbau in der Stadtverwaltung, Einkommenssenkungen, Privatisierungen und Leistungskürzungen, d.h. sie produzieren weitere Kaufkraftverluste. In der vagen Hoffnung, dass in ein paar Jahren die Wirtschaft wieder wächst. Wenn sie sich da mal nicht täuschen. Weil sie selbst aus dem Crash eine Depression gemacht haben. Dass ein prozyklischer Schrumpfkurs die Krise vertieft und verlängert, an diese Binsenweisheit erinnern sich offenbar nur noch linke Ökonomen.

Donnerstag, 8. September 2011

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Baron Münchhausen auf dem Arbeitsmarkt

Wenn die siebtgrößte Stadt der Bundesrepublik mit ca. 45.000 amtlich registrierten Arbeitslosen eine „Kommunale Arbeitsmarktstrategie“ entwirft, horcht man auf. Schafft es Dortmund, sich mitten in der Krise an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen? Oder wird das nur eine neue Münchhausenerei, wie vorher die gescheiterte Bahnhofsüberbauung, der skandalträchtige U-Turm-Ausbau, das klammheimlich vergrabene „Dortmund-Project“?

Das Ziel ist ehrgeizig: Die Arbeitslosenquote von 12,9 % (Mai 2011) bis 2015 unter 10 % zu senken bedeutet, binnen drei Jahren 9.000 zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Damit nimmt die Stadt den Mund fast wieder so voll wie beim Dortmund-Project, das 70.000 Arbeitsplätze in 10 Jahren versprach (von denen am Ende noch 50.000 fehlen und der Rest überwiegend das Heer der Aufstocker verstärkte).

Die Bandbreite der im ersten Anlauf konzipierten Teilprojekte ist beachtlich und macht Sinn: Sie reicht von der Schulbildung, kostenloser Nachhilfe für Kinder aus sozial benachteiligten Familien über Qualifizierung und Personalentwicklung in bestehenden Betrieben, über das schon vorhandene Gründerinnenzentrum bis zur Umwandlung von Mini- und Midijobs in sozialversicherte Vollzeitarbeit. Von den zehn zunächst gelisteten Projekten laufen allerdings fünf schon seit geraumer Zeit, mit mäßigen Erfolgen. Von den darüber hinaus angedachten fünf neuen Projekten ist noch kein einziges finanziell abgesichert, ihre Realisierung steht also in den Sternen und wird absehbar der Krise zum Opfer fallen.

Darunter finden sich auch einige bekannte Mogelpackungen, die sich schon als Flops erwiesen haben. So die Bestandssicherung der über 2.000 1-€-Jobs und die Bürgerarbeit, die 400 JobPerspektive-Plätze verdrängen soll. Dass diese Hartz-IV-Bausteine hier wieder auftauchen, ist bezeichnend für die Denke dieser Kommunalpolitik.

Addieren wir die in den Projektbeschreibungen versprochenen Arbeitsplätze, kommen wir zusammen auf höchstens 1.400 neue Stellen, davon 1.000 „über einen längeren Zeitraum“ (als 2015). Und auch nur 100 Stellen im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor (ÖBS). Das gleicht gerade mal den in den letzten fünf Jahren vollzogenen und noch geplanten Personalabbau in der Stadtverwaltung aus!

Also nix ist mit der Senkung der Arbeitslosenquote. Baron Münchhausen lässt grüßen. Wenn das alles ist, was einer Großstadt gegen die verfestigte Massenarbeitslosigkeit einfällt, ist das die amtliche Bankrotterklärung vor den „Marktkräften“. Dabei konnte wer Augen im Kopf hat schon beim Projektstart die Feuerschrift an der Wand sehen, dass die Krise weitergeht und sich noch verschärft.

Mittwoch, 7. September 2011

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Bauchlandung unterm Stammtisch

Im März 2011 lachte das ganze Land über den Schildbürgerstreich, als der Dortmunder Stadtrat auf Betreiben der Nordstadt-SPD den Dortmunder Straßenstrich in Luft auflöste. Wer noch alle Tassen im Schrank hat, konnte nur den Kopf schütteln über soviel populistische Blindheit. Doch alles was rechts ist in Dortmund, war sich einig. Das Problem, das uns die EU mit den Armutsflüchtlingen aus Südosteuropa aufgehalst hat, sei mit den Methoden des preußischen Schutzmanns zu lösen: Verbieten, verjagen, bestrafen. Für den preußischen Charakter ist die Welt in Ordnung, wenn die Unzucht sich nicht offen auf der Straße zeigt. Schon immer galt der preußischen Moral das Unanständige als Nährboden aller Verbrechen.

In Dortmund triumphiert der preußische Schutzmann sogar leibhaftig - in Gestalt eines Polizeipräsidenten, der bundesweit berüchtigt ist für die Verwechslung von Tätern und Opfern. Man sollte mal untersuchen, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen seiner Eignung und der Tatsache, dass Dortmund eine der höchsten Kriminalitätsraten in deutschen Großstädten aufweist. Und dieser Hobby-Sheriff erzählte uns, die Straßenprostitution sei der Nährboden für Kriminalität, deshalb sei der Straßenstrich zu verbieten, zack zack, verschwindet auch die Kriminalität – nämlich von der Straße in die verschwiegenen Etablissements. Da lachten die Hühner, aber die Stammtische klatschten Beifall, und mit ihnen die Ratsmehrheit.

- Übrigens erinnerte mich die Schließung des Dortmunder Straßenstrichs tatsächlich an die Geschichte, wie die Schildbürger ihre Stadt zerstörten: Um eine schwarze Katze zu vertreiben, die bekanntlich Unglück bringt, legten sie Feuer an jedes Haus, auf dessen Dach sich die Katze flüchtete, bis schließlich die ganze Stadt in Schutt und Asche lag.-

Aber in Luft ließ sich der Strich nicht auflösen. Wer noch alle Tassen im Schrank hat, wußte, dass weder die Armutsprostitution noch die damit verbundene Drogensucht noch die Zuwanderung aus den Armenhäusern Europas mit Verboten zu stoppen sind. Jetzt, ein Vierteljahr nach der Schließung des Straßenstrichs, zog die Prostituierten-Beratungsstelle „Kober“ eine erste Bilanz. Es kam wie es kommen mußte. Die Prostitution hat sich vom ehemaligen Straßenstrich (Ravensberger Straße) in die Wohngegend südlich des Nordmarkts verlagert, mehr oder weniger getarnt von Kneipenhinterzimmern und Teestuben aus, die Dunkelziffern sind sehr hoch, denn was früher offen sichtbar war, entzieht sich jetzt der Kontrolle. Der Freiersuchverkehr in den Wohnstraßen hat eher noch zugenommen. Der Zuzug aus Osteuropa hält an.

Denn Armut und Drogensucht lassen sich nun mal nicht verbieten, sondern nur mit wirtschaftlichen und sozialpolitischen Strategien bekämpfen. Ob sich das auch noch bis Schilda herumspricht?

Dienstag, 6. September 2011

Der 3. September hat Mut gemacht, nicht nur in Dortmund...

Auf meine „Aufforderung zum Ungehorsam“ kurz vor den Anti-Nazi-Blockaden in Dortmund am 3. September entgegnete ein Leser, ich sei naiv, noch an die Demokratie zu glauben. Der Vorwurf, scheint mir, ist von Resignation gezeichnet. Ich lese ihn so wie: „Du Naivling glaubst noch an das Gute im Menschen.“ – Ja, an was denn sonst, wofür lohnt es sich denn sonst zu leben?
Wenngleich es gegen die Brutalität der Polizei nicht gelungen ist, den Naziaufmarsch zu blockieren – dass es sich lohnt und gar nicht so aussichtslos ist, die Demokratie von „unten“ zu verteidigen, und sei es auch gegen eine Obrigkeit, die sie mit Polizeistiefeln tritt, zeigt beispielhaft der folgende Auszug aus dem Bericht von Uli Sander, Landessprecher der VVN-BdA, vom 3.9. in Dortmund:

„Starker erfolgreicher Protest gegen Nazis in Dortmund
Weit über 15.000 Menschen haben am 3. September in Dortmund rund 700 Nazis bei ihrem „Nazionalen Antikriegstag“ erheblich gestört. Tausende Blockierer stellten sich ihnen in den Weg. 4000 Polizisten sollten den Nazis zu ihrem Versammlungsrecht verhelfen, wobei die Grundrechte der Dortmunder Bevölkerung beträchtlich eingeschränkt wurden. Für viele Medien gab’s fast nur Randale, doch es ging um politische antifaschistische Kultur, und die wurde gewahrt.
Die Polizei hatte zwar parkende Autos von der Nazistrecke weggeräumt, aber Sperrmüll als Wurfgeschosse stehengelassen - genutzt von wem auch immer. Tränengas, Wasserwerfer, Bergepanzer der Polizei im Einsatz, so etwas gab es lange nicht. Es schien, als sollten die massive Beeinträchtigung der Rechte der Demokraten und die massive Unterstützungsaktion für die Faschisten irgendwie gerechtfertigt werden. Die Medien der WAZ-Gruppe, im Begriff von Konservativen übernommen zu werden, schwenkten dann auch um: Herbeigekarrte Krawalltouristen verletzten verantwortungsbewusste Polizisten.
Die Aktion der VVN-BdA zum Schutz der Gedenkstätte Steinwache war ein voller Erfolg. Die Mahnwache wurde Dank der Gedenkstättenleitung möglich. Sie sicherte vielen den Zugang vom und zum Hauptbahnhof. Man diskutierte, rezitierte, musizierte, gab Kaffee aus der Gedenkstätte heraus aus und hatte Infos bereit und auch Stühle für müde Kämpfer. Mittags gelangte die Mahnwache zwischen die Fronten; neben der Steinwache die Unseren, hundert Meter entfernt an der Arge und der Hauptpost die Nazis. Die Polizei stand dazwischen mit allem Gerät, das sie hatte. Der Abgang der Nazis wurde sehr verzögert. Danach wurde die Strecke der Nazis oft unterbrochen, sie mussten Umwege gehen. Mehrere Blockaden standen, andere wurden brutal aufgelöst.
So kam die Polizei zu ihrer Kriegsberichterstattung. Einmal stand der Polizeipräsident Hans Schulze (SPD) in der Polizeikette, vor sich die Demonstranten. Unter ihnen der Oberbürgermeister Ullrich Sierau (auch SPD), Auge in Auge mit dem PP Schulze: „Dass wir uns so wiedersehen,“ sagte Sierau.  
Dass sich Bundes- und Landespolitiker am Blockieren beteiligten, gehört zum Erfolg des Tages. Was die VVN-BdA immer wieder gefordert hatte, dass die Politik bei Versagen der Polizei und Justiz die Sache des Schutzes der Bürger vor den braunen Horden selbst in die Hände nehmen soll, beginnt zu funktionieren. DGB und Kirchen waren ganz stark präsent. Verdi hatte eine Woche lang bis zum 3. 9. auf dem Platz, den die Nazis beanspruchten, ein Friedensfest gestaltet. Bei der Steinwachen-Mahnwache waren zeitweilig Gesine  Lötzsch, andere linke MdBs und Nina Hager von der DKP anwesend.
Zum Schluss noch etwas sehr bezeichnendes: Der Innenminister hatte gesagt, die Polizei schütze das Versammlungsrecht und nicht die Nazipropaganda. Das bewahrheitete sich nicht. Das Versammlungsrecht der Demokraten abends bei einer Abschlussfeier im hoch nazifrequentierten Stadtteil Dorstfeld konnte von 50 Nazis massiv gestört werden. Niemand von den Nazis wurde in dieser Situation eingekesselt, einer nur festgenommen.
...
Ulrich Sander“

Montag, 5. September 2011

Die gehässigste und verlogenste Hetze gegen die Anti-Nazi-Blockaden in Dortmund

...fand ich heute in den RuhrNachrichten. Unter der Überschrift „Das politische Mandat missbraucht“ hetzt RN-Redakteur Peter Bandermann:
„Angeleitet von Parlamentariern und Funktionären der Partei Die Linke haben sie (Gewalttäter, die nicht gegen die Nazis, sondern gegen die Polizei auf die Straße gegangen sind) sich zu Blockaden hinreißen und dann im Kampf gegen die Polizei auf der Straße verheizen lassen. Während selbst ernannte ‚Parlamentarische Beobachter‘ in gelben Leuchtwesten der Linken bei den Krawallmachern immer nur nah dran am Geschehen waren – aber nie mittendrin. Wurde es eng, zogen sie einen Parlamentsausweis hervor – und konnten sich so hinter die sicheren Polizeisperren retten... Die Linke hat Jugendliche im Kampf gegen den Staat auf die Straße geschickt und dort als Kanonenfutter verheizt, um aus der anschließenden Kritik an der Polizei politisches Kapital schlagen zu können...“
Soweit der Medienprofi Bandermann. Wetten, dass zumindest von diesen Jugendlichen nach diesem Kommentar niemand mehr die RuhrNachrichten liest?

Donnerstag, 1. September 2011

Keinen Fußbreit dem Fremdenhass

Solange es Städte gibt, gibt es Wanderungsbewegungen in die Städte, und so lange gehört es zum Selbstverständnis der Städter, Zuwanderer aufzunehmen und in ihr Leben zu integrieren. Das war jahrtausendelang so wesentlich und selbstverständlich für die Stadt, dass der Soziologe Hartmut Häußermann die Stadt schlechthin als „Integrationsmaschine“ bezeichnete.

Allerdings, weil größere Zuwanderungswellen in die Städte meist ökonomisch oder machtpolitisch, wenn nicht gar kriegerisch verursacht sind und die Zuwanderer zumal im Kapitalismus auf die Konkurrenz der Städter um knappe Ressourcen treffen, verläuft die Integration der Fremden selten konfliktfrei. So wie das Aufblühen der Städte – nicht zuletzt mithilfe der wirtschaftlichen Zugewinne durch Einwanderer! – die Polarisierung zwischen Metropolen und Peripherie verstärkte, so bildete sich innerhalb der Stadtgesellschaft eine mehr oder weniger scharfe Klassenteilung nach Berufen und sozialer Stellung, Einkommen, Wohnverhältnissen und kulturellen Lebensstilen heraus. Sie fand ihren Niederschlag in der räumlichen „Segregation“ der Bewohnerschaft in verschiedene Stadtviertel nach eben diesen Merkmalen. Die Wohlhabenden, Alteingesessenen eignen sich die angenehmeren Wohngegenden an und schließen sich dort exclusiv mit ihresgleichen vom Rest ab; die Armen müssen sich in schlechten Wohnverhältnissen zusammendrängen. Und solange Geld die Welt regiert, kommt es quasi naturwüchsig zu vielfältiger Vernachlässigung der ohnehin benachteiligten Quartiere – bis hin zu Slums- und Ghettobildung.

So lag und liegt es im Interesse der Wohlhabenden, Alteigesessenen, der Oberschicht, die Zuwanderer auszugrenzen, herabzusetzen, als Menschen minderer Herkunft oder gar als Untermenschen abzuqualifizieren. Auch wenn Fremdenhass von bürgerlichen Ideologen gern als typische Einstellung der Unterschicht dargestellt wird, ist er seinem Wesen nach immer konstituierender Bestandteil jeder Herrenmenschenideologie, sei sie sozial, national oder rassisch konstruiert. Fremdenfeindlichkeit widerspricht dem Gemeinwesen Stadt. Und jede Stadt, die attraktiv und lebenswert erscheinen will, muss aktiv an ihrem Ruf als weltoffen, fremdenfreundlich, bunt und egalitär arbeiten. Es bedarf immer einer bewusst integrativen Stadtpolitik, um der Segregation der Stadträume und deren ideologischer Entsprechung, der Fremdenfeindlichkeit entgegen zu wirken.

Aktive Integrationspolitik nötig – aber wie?

Die neu Zugewanderten zählen in aller Regel erst einmal zu den ärmeren Schichten. Etwa ab dem Jahr 1900 trat zur ökonomischen Segregation die ethnische und kulturelle, vielfach dann auch religiöse Segregation hinzu. Auch in deutschen Großstädten haben sich inzwischen bestimmte ethnische Gruppen in bestimmten Stadtteilen konzentriert, und diese Stadtteile werden zu Anlaufadressen für weitere Einwanderer.

In den USA stellten diese Entwicklungen, die aufs engste mit der Entwicklung des Kapitalismus verbunden sind, schon in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts die großen Städte vor existenzbedrohliche Probleme, bis hin zu gewaltsamen Rassenkonflikten. Daher entstand auch die Integrationsforschung als eigenes Gebiet der Stadtsoziologie in den USA, dort allerdings überwiegend mit dem ideologischen Motiv, Einwanderer zu „assimilieren“, d.h. mit dem „american way of life“ zu verschmelzen. (Das gängige Schlagwort dafür war fast ein Jahrhundert lang der „melting pot“ – Schmelztiegel Amerika.)

Diese Ideologie wurde nach dem zweiten Weltkrieg auch in die bundesdeutsche Zuwanderungspolitik übernommen und treibt hier bis heute noch ihr Unwesen. Als offizielles Ziel der Integration wurde und wird von Konservativen noch immer die Anpassung der Fremden an die deutsche „Leitkultur“ ausgerufen, also Assimilation – bei gleichzeitiger staatlicher Diskriminierung.

Doch etwa ab 1985 zeigte sich, dass vor allem wegen der anhaltenden und tendenziell steigenden Arbeitslosigkeit die westdeutschen Städte als „Integrationsmaschine“ zunehmend überfordert sind. Ab da wandte sich auch die deutsche Sozialwissenschaft der Integrationsproblematik zu, und zwar in durchaus kritischer Haltung gegenüber dem politischen mainstream. Dabei spielten Dortmunder Forschungseinrichtungen eine zentrale Rolle (IRPUD, ILS, sfs, KOWA). Zwischen 1994 und 2010 fanden hier mehrere wegweisende wissenschaftliche Tagungen statt, die sich unter anderem auch mit den Dortmunder Verhältnissen befassten, vor allem mit den Erfahrungen in der Nordstadt. – In der Dortmunder Politik sind die Ergebnisse dieser Fachdiskussion allerdings bis heute nicht oder kaum angekommen.

Hier einige wesentliche Aussagen aus der stadtsoziologischen Literatur, über die heute weitgehend Konsens in der Fachwelt besteht:

1. Die entscheidende Ursache der Migration in die Städte liegt in der Armut infolge des Arbeitsmangels und des Raubkapitalismus in der Heimat der Migranten. Deren Integration steht und fällt infolgedessen mit der Armutsbekämpfung durch aktive kommunale Beschäftigungspolitik. In dem Maß wie den Kommunen die Mittel zur Beschäftigungsförderung entzogen werden und die Politik sich daraus zurückzieht, versagt die „Integrationsmaschine Stadt“.

2. Integration ist dann gelungen, wenn die Zuwanderer sich „zu Hause fühlen“. Neben der wirtschaftlichen Existenzgrundlage durch sinnstiftende Arbeit bilden die zweitwichtigste Dimension für den Integrationserfolg die Wohnung und das Wohnumfeld.

3. Zur kulturellen Integration gehören vor allem alltagstaugliche Bildungs- und Ausbildungswege.

4. Zur Identifikation der Zuwanderer mit ihrer neuen Heimat gehört ferner eine wirksame Entscheidungsmacht über ihre eigenen Angelegenheiten.

5. Gescheitert ist das Leitbild der Assimilation an eine vorgebliche deutsche „Leitkultur“, denn die Migranten können sich nur „zu Hause fühlen“, wo sie ein Stück kultureller Heimat mitbringen und darin leben dürfen.

6. Gescheitert ist aber auch die von Stadtplanern und Kommunalpolitikern jahrzehntelang angestrebte „gesunde soziale Mischung“ in jedem Stadtteil, denn sie ist unter kapitalistischen Marktverhältnissen (Freizügigkeit, Bodenwertgefälle usw.) nicht zu verwirklichen.

7. Mit Skepsis bis Ablehnung begegnet die Fachwelt heute auch der grünen Multikulti-Romantik, weil diese dem Bedürfnis der Migranten nach ihrer jeweils eigenen kulturellen Identität widerspricht.

8. Umstritten ist in der Wissenschaft aber das Verhältnis von Integration und räumlicher Segregation. Während die einen die Konzentration ethnischer Gruppen in bestimmten Stadtteilen für ein Integrationshindernis halten, sehen andere sogar eine Bedingung des zur Integration notwendigen Heimatgefühls darin, dass die Migranten in enger Nachbarschaft mit ihren Landleuten wohnen können.

9. Jedenfalls stehen die neoliberalen Wettbewerbsstrategien der Städte, nur ihre Stärken zu stärken, jeglicher Integrationspolitik diametral entgegen.

Kommunen, die eine derartige Integrationspolitik aktiv betreiben und damit ein Klima der Zusammengehörigkeit des Gemeinwesens schaffen, leisten ihren besten Beitrag gegen rassistische und neofaschistische Ideologien und rechtspopulistische Bewegungen.