Donnerstag, 1. September 2011

Keinen Fußbreit dem Fremdenhass

Solange es Städte gibt, gibt es Wanderungsbewegungen in die Städte, und so lange gehört es zum Selbstverständnis der Städter, Zuwanderer aufzunehmen und in ihr Leben zu integrieren. Das war jahrtausendelang so wesentlich und selbstverständlich für die Stadt, dass der Soziologe Hartmut Häußermann die Stadt schlechthin als „Integrationsmaschine“ bezeichnete.

Allerdings, weil größere Zuwanderungswellen in die Städte meist ökonomisch oder machtpolitisch, wenn nicht gar kriegerisch verursacht sind und die Zuwanderer zumal im Kapitalismus auf die Konkurrenz der Städter um knappe Ressourcen treffen, verläuft die Integration der Fremden selten konfliktfrei. So wie das Aufblühen der Städte – nicht zuletzt mithilfe der wirtschaftlichen Zugewinne durch Einwanderer! – die Polarisierung zwischen Metropolen und Peripherie verstärkte, so bildete sich innerhalb der Stadtgesellschaft eine mehr oder weniger scharfe Klassenteilung nach Berufen und sozialer Stellung, Einkommen, Wohnverhältnissen und kulturellen Lebensstilen heraus. Sie fand ihren Niederschlag in der räumlichen „Segregation“ der Bewohnerschaft in verschiedene Stadtviertel nach eben diesen Merkmalen. Die Wohlhabenden, Alteingesessenen eignen sich die angenehmeren Wohngegenden an und schließen sich dort exclusiv mit ihresgleichen vom Rest ab; die Armen müssen sich in schlechten Wohnverhältnissen zusammendrängen. Und solange Geld die Welt regiert, kommt es quasi naturwüchsig zu vielfältiger Vernachlässigung der ohnehin benachteiligten Quartiere – bis hin zu Slums- und Ghettobildung.

So lag und liegt es im Interesse der Wohlhabenden, Alteigesessenen, der Oberschicht, die Zuwanderer auszugrenzen, herabzusetzen, als Menschen minderer Herkunft oder gar als Untermenschen abzuqualifizieren. Auch wenn Fremdenhass von bürgerlichen Ideologen gern als typische Einstellung der Unterschicht dargestellt wird, ist er seinem Wesen nach immer konstituierender Bestandteil jeder Herrenmenschenideologie, sei sie sozial, national oder rassisch konstruiert. Fremdenfeindlichkeit widerspricht dem Gemeinwesen Stadt. Und jede Stadt, die attraktiv und lebenswert erscheinen will, muss aktiv an ihrem Ruf als weltoffen, fremdenfreundlich, bunt und egalitär arbeiten. Es bedarf immer einer bewusst integrativen Stadtpolitik, um der Segregation der Stadträume und deren ideologischer Entsprechung, der Fremdenfeindlichkeit entgegen zu wirken.

Aktive Integrationspolitik nötig – aber wie?

Die neu Zugewanderten zählen in aller Regel erst einmal zu den ärmeren Schichten. Etwa ab dem Jahr 1900 trat zur ökonomischen Segregation die ethnische und kulturelle, vielfach dann auch religiöse Segregation hinzu. Auch in deutschen Großstädten haben sich inzwischen bestimmte ethnische Gruppen in bestimmten Stadtteilen konzentriert, und diese Stadtteile werden zu Anlaufadressen für weitere Einwanderer.

In den USA stellten diese Entwicklungen, die aufs engste mit der Entwicklung des Kapitalismus verbunden sind, schon in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts die großen Städte vor existenzbedrohliche Probleme, bis hin zu gewaltsamen Rassenkonflikten. Daher entstand auch die Integrationsforschung als eigenes Gebiet der Stadtsoziologie in den USA, dort allerdings überwiegend mit dem ideologischen Motiv, Einwanderer zu „assimilieren“, d.h. mit dem „american way of life“ zu verschmelzen. (Das gängige Schlagwort dafür war fast ein Jahrhundert lang der „melting pot“ – Schmelztiegel Amerika.)

Diese Ideologie wurde nach dem zweiten Weltkrieg auch in die bundesdeutsche Zuwanderungspolitik übernommen und treibt hier bis heute noch ihr Unwesen. Als offizielles Ziel der Integration wurde und wird von Konservativen noch immer die Anpassung der Fremden an die deutsche „Leitkultur“ ausgerufen, also Assimilation – bei gleichzeitiger staatlicher Diskriminierung.

Doch etwa ab 1985 zeigte sich, dass vor allem wegen der anhaltenden und tendenziell steigenden Arbeitslosigkeit die westdeutschen Städte als „Integrationsmaschine“ zunehmend überfordert sind. Ab da wandte sich auch die deutsche Sozialwissenschaft der Integrationsproblematik zu, und zwar in durchaus kritischer Haltung gegenüber dem politischen mainstream. Dabei spielten Dortmunder Forschungseinrichtungen eine zentrale Rolle (IRPUD, ILS, sfs, KOWA). Zwischen 1994 und 2010 fanden hier mehrere wegweisende wissenschaftliche Tagungen statt, die sich unter anderem auch mit den Dortmunder Verhältnissen befassten, vor allem mit den Erfahrungen in der Nordstadt. – In der Dortmunder Politik sind die Ergebnisse dieser Fachdiskussion allerdings bis heute nicht oder kaum angekommen.

Hier einige wesentliche Aussagen aus der stadtsoziologischen Literatur, über die heute weitgehend Konsens in der Fachwelt besteht:

1. Die entscheidende Ursache der Migration in die Städte liegt in der Armut infolge des Arbeitsmangels und des Raubkapitalismus in der Heimat der Migranten. Deren Integration steht und fällt infolgedessen mit der Armutsbekämpfung durch aktive kommunale Beschäftigungspolitik. In dem Maß wie den Kommunen die Mittel zur Beschäftigungsförderung entzogen werden und die Politik sich daraus zurückzieht, versagt die „Integrationsmaschine Stadt“.

2. Integration ist dann gelungen, wenn die Zuwanderer sich „zu Hause fühlen“. Neben der wirtschaftlichen Existenzgrundlage durch sinnstiftende Arbeit bilden die zweitwichtigste Dimension für den Integrationserfolg die Wohnung und das Wohnumfeld.

3. Zur kulturellen Integration gehören vor allem alltagstaugliche Bildungs- und Ausbildungswege.

4. Zur Identifikation der Zuwanderer mit ihrer neuen Heimat gehört ferner eine wirksame Entscheidungsmacht über ihre eigenen Angelegenheiten.

5. Gescheitert ist das Leitbild der Assimilation an eine vorgebliche deutsche „Leitkultur“, denn die Migranten können sich nur „zu Hause fühlen“, wo sie ein Stück kultureller Heimat mitbringen und darin leben dürfen.

6. Gescheitert ist aber auch die von Stadtplanern und Kommunalpolitikern jahrzehntelang angestrebte „gesunde soziale Mischung“ in jedem Stadtteil, denn sie ist unter kapitalistischen Marktverhältnissen (Freizügigkeit, Bodenwertgefälle usw.) nicht zu verwirklichen.

7. Mit Skepsis bis Ablehnung begegnet die Fachwelt heute auch der grünen Multikulti-Romantik, weil diese dem Bedürfnis der Migranten nach ihrer jeweils eigenen kulturellen Identität widerspricht.

8. Umstritten ist in der Wissenschaft aber das Verhältnis von Integration und räumlicher Segregation. Während die einen die Konzentration ethnischer Gruppen in bestimmten Stadtteilen für ein Integrationshindernis halten, sehen andere sogar eine Bedingung des zur Integration notwendigen Heimatgefühls darin, dass die Migranten in enger Nachbarschaft mit ihren Landleuten wohnen können.

9. Jedenfalls stehen die neoliberalen Wettbewerbsstrategien der Städte, nur ihre Stärken zu stärken, jeglicher Integrationspolitik diametral entgegen.

Kommunen, die eine derartige Integrationspolitik aktiv betreiben und damit ein Klima der Zusammengehörigkeit des Gemeinwesens schaffen, leisten ihren besten Beitrag gegen rassistische und neofaschistische Ideologien und rechtspopulistische Bewegungen.

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