Montag, 28. November 2011

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Untote und andere Schmarotzer

Diese Geschichte klingt, als ob es doch diese Untoten gäbe, die hübsche Mädchen in den Hals beißen, um ihr Blut zu trinken. Dabei geht es nicht einmal um gewöhnliche Blutegel, die sich im Schuldensumpf an unserer Stadt festgebissen haben. Aber um eklige Schmarotzer, die unsere Stadt aussaugen, geht es schon. Und um den Schuldensumpf auch.

Um ahnungslosen Stadtbeamten und Räten weiszumachen, die beste Medizin für eine kranke Stadt sei ein Aderlaß, erzählen Banken, Baukonzerne, Heerscharen von Beratern und Anwälten ihnen natürlich nichts von blutsaugenden Untoten, aber haarsträubende Lügengeschichten erzählen sie schon. Die Titel hören sich harmlos an: „PPP“ – oder zu deutsch noch freundlicher: „Öffentlich-Private Partnerschaft“. Und da die PPP-Verträge immer geheim sind und nicht einmal Ratsmitglieder sie zu sehen bekommen, glauben diese gern, was so schön klingt.

An einem typischen Beispiel ist es der Linksfraktion im Dortmunder Stadtrat jetzt gelungen, so einer Lügengeschichte mal auf den Grund zu gehen. Dabei stießen wir auf unglaubliche Rechentricks zu Lasten der Stadt.

2005 beschloß der Dortmunder Rat, eine neue Feuerwache in Dortmund-Hörde müsse her. Die Städtische Immobilienwirtschaft schätzte die Investition auf 11,3 Mio €. Nach einem „Wirtschaftlichkeitsvergleich“, erstellt von einer bundesweit bekannten Beraterfirma, sollte PPP um 7,5 % günstiger sein als ein städtischer Eigenbau. Uns wunderte damals schon, wieso in der Vergleichsrechnung von vorn herein unterstellt wurde, dass private Bauträger pauschal um 10 % billiger bauen als die Kommune. Das sei ein allgemeiner „Erfahrungswert“, erklärte man uns. Also entschied sich der Rat für die PPP-Lösung.

Das Ausschreibungs- und Vergabeverfahren dauerte bis Mitte 2008. Den Zuschlag erhielt einer der größten Dortmunder Baukonzerne mit dahinter stehender Bank. Deren Angebot für Bau, Finanzierung, Unterhalt und Betrieb über 30 Jahre lag angeblich um 13 % unter der städtischen Eigenleistung. Uns interessierte, wie kamen diese 13 % zustande?

Zunächst fanden wir bestätigt, dass PPP-Investoren üblicherweise erst ab 15 Mio € Investitionsvolumen anbeißen. Also erhielt eine stadtbekannte Dortmunder Beraterfirma den Auftrag, das Projekt auf über 15 Mio „aufzublasen“. Zu diesem Zweck veranschlagte sie, neben einer Ausweitung des Raumprogramms, für die drei Jahre 2005 bis 2008 eine Inflationsrate von unverschämten 12,5 %, das macht ein Plus von 1,7 Mio €. (Im Vertrag wurden dann für die folgenden 30 Jahre jeweils nur 1,9 % vereinbart.) Allein mit diesem fiktiven Preisaufschlag gewann der PPP-Investor schon den Spielraum, um die Baukostenschätzung der Stadt um 10 % unterbieten zu können.

Gegenrechnen mußte man allerdings, dass private Bauträger nicht so günstig an Kredite kommen wie Kommunen. Die höheren Finanzierungskosten gehen natürlich ins Angebot des Investors ein, das hieß in diesem Fall, die Stadt Dortmund zahlt 0,8 % mehr an die Bank, als wenn sie den Bau selbst über Kommunalkredit finanziert hätte. Mehrkosten für die Stadt durch die PPP-Finanzierung: 2,7 Mio €.

Bei den Betriebskosten geht man ebenfalls pauschal davon aus, dass ein privates Gebäudemanagement um 10 % billiger wirtschaftet als eine Kommune. Warum, und ob das zwangsläufig auch für die Hörder Feuerwehr gelten muß, blieb unbeantwortet.

Für die Instandhaltung des Gebäudes müßte die Stadt, nach den von uns bei der Städtischen Immobilienwirtschaft erfragten Richtwerten, pro Jahr 1,55 % der Baukosten aufwenden, das wären über die 30 Jahre Laufzeit insgesamt 6,8 Mio €. Der PPP-Investor stellt ihr aber mehr als 9 Mio € in Rechnung. Damit diese Mehrkosten nicht auffallen, behaupten die PPP-Propagandisten regelmäßig, die Kommunen würden die nötige Instandhaltung ohnehin verschlampen, und daraus entstehe dann ein enorm hohes Bauschadensrisiko. Im konkreten Fall wäre dies angebliche Risiko beim städtischen Eigenbetrieb noch um 3 Mio € teurer als das PPP-Modell.

Außer diesem „Risiko unterlassener Bauunterhaltung“ belasten sie in der Vergleichsrechnung die städtische Seite noch mit einem guten Dutzend „sonstiger Risiken“, vom Risiko steigender Baustoffpreise über das Risiko, dass Auftragnehmer pleite gehen können, bis zum Risiko, dass Normen und gesetzliche Anforderungen sich ändern usw. Alles in allem horrende 4 Mio € „Risikokosten“. Auf der Seite des Privatinvestors schlägt merkwürdigerweise kein einziges dieser Risiken zu Buche. Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen. Entweder diese angeblichen Risiken sind rein fiktive Rechengrößen, damit PPP wirtschaftlicher aussieht als der städtische Betrieb – oder der private Bieter trägt sie genauso und hat sie in seinem Angebot auch eingepreist, aber nicht ausdrücklich in seiner Rechnung ausgewiesen. So oder so ist es eine grob irreführende Verfälschung des Wirtschaftlichkeitsvergleichs zugunsten von PPP, wenn man derlei „Risiken“ einseitig beim städtischen Eigenbau aufschlägt und beim PPP-Modell unterschlägt.

Strich drunter. Rechnen wir alle angeblichen, aber zu Unrecht behaupteten Vorteile von PPP zusammen und auf die Vertragslaufzeit von 30 Jahren hoch, dann wird PPP nicht um 13 % günstiger, sondern um fast ein Viertel (23,5 %) teurer, als wenn die Stadt die Hörder Feuerwache selbst gebaut, finanziert und bewirtschaftet hätte. So schmeißt die Stadt dem Baukonzern und der Bank hinter ihm ca. 8 Mio € zuviel in den Rachen. In jedem einzelnen Haushaltsjahr belastet das die – ohnehin bis zum Zerreißen angespannten – Finanzen der Stadt mit 263.000 € zusätzlich, allein für dies eine Projekt.

Womit das Beispiel beweist: PPP ist die reine Abzocke öffentlicher Haushalte zur Bereicherung privater Banken, Baukonzerne, Berater und Anwaltskanzleien. Da fragt man sich natürlich, warum biedere Stadtväter (und –mütter) sich auf derartige Durchstechereien zum Nachteil ihrer Stadt einlassen. Gehören sie selbst zu Draculas Gefolgschaft? Nun, jedenfalls sind sie bereitwillig den Regierungen in Düsseldorf (Rüttgers/Laumann), Berlin (Schröder/Steinbrück, Merkel) und Brüssel in die Strategie „Privat vor Staat“ gefolgt. Steuergeschenke an die Reichen haben die Kommunalfinanzen ebenso ruiniert wie immer neue Gesetzesänderungen zu Lasten der Kommunen. So dass diese sich bis über die Ohren verschulden müssen, um ihre Pflichtaufgaben noch erfüllen zu können. Dagegen rebellieren? – Nein, das gehört sich nicht in Deutschland! Lieber greifen sie nach jedem Strohhalm, den die Banken ihnen hinhalten. Eben auch zu PPP.

Abgezockt wird damit jede-r von uns. Wobei jedem und jeder von uns klar sein sollte, dass diese öffentlich-private Abzocke zu der Umverteilung gehört, die den Finanzkonzernen den Rohstoff liefert für die gegenwärtige Spekulationskrise. Folglich gehört zur Krisenbekämpfung auch das Verbot der PPP-Abzocke. Damit brauchen wir mal nicht auf die „große Politik“ zu warten, da sind wir schon bei unserer Stadtspitze an der richtigen Adresse.

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