Mittwoch, 7. Dezember 2011

Empörung und Bewußtsein


und die Anti-Parteien-Partei

Die Wellen der Empörung über die herrschenden Zustände haben viele Hoffnungen geweckt. Wenngleich diese Wellen in Deutschland gerade erst die Oberfläche kräuseln, werfen sie Fragen auch an die Linke hier auf.

Es ist eine Binsenweisheit, dass Empörung allein so schnell wieder abflaut wie sie aufwallt, wenn sie sich nicht mit Bewußtsein auflädt. Hier setzt die Verantwortlichkeit der Linken (im Plural) ein. Sie müßten die Empörten anregen, den Faden wieder aufzunehmen, den sie selbst, die Linken, 1989/90 fallen ließen: die Kritik der bürgerlichen Herrschaft, mit der sich alle Gegenentwürfe zu den herrschenden Zuständen auseinandersetzen müssen. Dabei geht es heute vor allem um die Kritik der modernen Demokratie als einer Form der Klassenherrschaft.

Wie jede Formation vor ihr verwirklicht sich die demokratische Herrschaft der bürgerlichen Klasse im wesentlichen über fünf „Apparate“:
- das Wirtschafts- und Finanzsystem (Ernährung, Versorgung),
- Polizei und Militär (Staatsgewalt),
- Rechtswesen (gesellschaftliches Reglement),
- Repräsentanz und soziale Teilhabe (Massenorganisation),
- Medien (Ideologie).

Auf allen Gebieten zeigt der Kapitalismus die Tendenz zur Hierarchisierung, zur Vermachtung der ganzen Gesellschaft von oben nach unten: von den die gesamte Volkswirtschaft und den Staat beherrschenden Finanz- und Industriekonzernen bis hinunter zu den abhängigen Zulieferern, Dienstleistern und Stadtkämmerern; vom Innenminister bis hinunter zu den Spitzeln in demokratischen Organisationen; von der Hartz-IV-Bundesagentur bis hinunter in die 1-€-Jobs und Ehrenämter der örtlichen Wohlfahrtsverbände usw. Dem entspricht auf der anderen Seite die Entmachtung (und Selbstentmachtung) der Gewerkschaften.

Die Tendenz zur Hierarchisierung der Macht widerlegt auch nicht, sondern bestätigt noch der eine große Fortschritt der modernen, nach-faschistischen Demokratie – wenngleich sein Wert eher propagandistisch als real ist: die Proklamation der Menschenrechte, einschließlich der Meinungsfreiheit. Die bürgerliche Macht über das Denken, Fühlen und Meinen der Menschen braucht kein Propagandaministerium und keine Pressezensur mehr, sie funktioniert durch die Zentralisation der Medien, d.h. deren freiwillige Selbstgleichschaltung auf die Ideen der Herrschenden.

Aber hier, auf dem Gebiet der Propaganda, hat man auch den Typus der „modernen“ Partei als medialer Bühne zur Massenbeeinflussung von den Nazis übernommen, nur zivilisiert und pluralistisch erweitert. Dass die Menschen intuitiv durchschauen, wie sie von den Parteien bloß zum Systemerhalt mißbraucht und von der parlamentarischen Dramaturgie hinters Licht geführt werden, ist die Ursache der massenhaften Politikverdrossenheit, die das Gemeinwesen zersetzt: Der Mensch wird dahin gedrängt, sein Wesen als „zoon politicon“ zu verleugnen.

Der erste Schritt der Bewegung der Empörten zu einem gesellschaftlichen Gegenentwurf ist, dass sie sich selbst als basisdemokratisches Gegenkonzept zur Medien- und Parteiendemokratie begreift. Darin besteht ihre erste politische Handlung und Wirkung, und schon diese stellt das ganze Herrschaftssystem in Frage.

Das Kunststück der LINKEN (Partei) besteht darin, einerseits diesen Bewußtseinsprozess tatkräftig zu unterstützen, ohne ihn vereinnahmen oder instrumentalisieren zu wollen – denn das wäre dem Selbstbewußtsein entgegengesetzt – andererseits ihre eigenen Wirkungsmöglichkeiten als Partei innerhalb des bürgerlichen Parteiensystems zu nutzen. Ob ihr dieser Spagat gelingt, steht und fällt damit, wie sie sich von den bürgerlichen Parteien zu unterscheiden lernt. Nur als „Anti-Parteien-Partei“ kann sie die Empörten erreichen. Bei aller Skepsis, versuchen wir’s. Der ist schon tot, der nicht aus seinen Fehlern lernt.

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