Freitag, 28. September 2012

Hilfe, ich hab’ne Idee! oder: Warum unsere Eliten versagen

Ideen sind Abbilder der objektiven Wirklichkeit, Interpretation und Vision der in ihr verborgenen Möglichkeiten, wie alle Bilder subjektiv gestaltet. Das gilt auch für die Wirtschaft. Wirtschaftstheorien sind subjektive, interessenbestimmte Ideen, wie die Wirtschaft funktionieren könnte.

In einer Gesellschaft, die alle Lebenssphären des Menschen auf den Markt, in den Wettbewerb zwingt, müssen auch Ideen gegeneinander um die Gunst der Kundschaft konkurrieren. Die Ziele der Kunden bestimmen die Nachfrage nach zielkonformen Theorien. Wer sind die Nachfrager von Wirtschaftstheorien? Natürlich diejenigen, die täglich darauf angewiesen sind, die Funktionen des Wirtschaftens möglichst „richtig“, das heißt zielkonform abzubilden, um ihr Handeln danach auszurichten. Zu allererst die Unternehmer. Je größer deren Marktmacht, umso bestimmender ihr Einfluß auf die Auswahl der jeweils vorherrschenden Wirtschaftstheorie. Die herrschenden Ideen sind die Ideen der Herrschenden, Karl Marx.

Wie „richtig“ eine Wirtschaftstheorie die Wirklichkeit abbildet, erweist sich am Erfolg des wirtschaftlichen Handelns. Jede Wirtschaftskrise ist unter anderem auch immer ein sicheres Indiz für die Unzulänglichkeit der herrschenden Wirtschaftstheorie. Das gilt sogar für Theorien, die eine quasi natürliche Krisenanfälligkeit des Kapitalismus zugeben und in ihre Erklärungsmuster einbeziehen: Krisen vermeiden können sie nicht, ohne den Boden des Kapitalismus zu verlassen. Je tiefer, dramatischer die Krise, umso dringlicher stellen die von ihr betroffenen Teile der Gesellschaft auch ihre alten Theorien auf den Prüfstand und suchen nach neuen Wegweisern aus der Krise. Wenn denn die Charakterisierung der gegenwärtigen Krise als „Systemkrise des Kapitalismus“ zutrifft, könnten wir eigentlich erwarten, daß die Herrschaften selbst ihre neoliberale Heilslehre auf den Schrotthaufen der überholten, als falsch erwiesenen Ideen entsorgen. Die Vitalität und Überlegenheit einer herrschenden Klasse zeigt sich historisch ja immer in ihrer Anpassungsfähigkeit an veränderte Verhältnisse.

Aber weit gefehlt. Damit sieht es gegenwärtig gar nicht gut aus. Eine Erkenntnis springt schon dem interessierten Laien ins bloße Auge: Die herkömmlichen Mittel der kapitalistischen Krisenbewältigung, als da sind: Kapitalvernichtung und -restrukturierung, Schuldenschnitte, Konzentration und Zentralisation der Produktionskapitale, Rationalisierung der Prozesse und Technologien, massenhafte Vernichtung überschüssiger Arbeitskraft, verschärfte Ausbeutung, Anpassung der Währungsrelationen usw., sie alle greifen in der gegenwärtigen Krise zu kurz. Das beim deutschen Bürgertum so beliebte Zusammenstreichen des Staatsverbrauchs („Sparprogramme“, „Schuldenbremsen“) verschärft die Krise sogar bedrohlich. Aber auch mit dem keynesianischen Werkzeugkasten allein ist ihr nicht beizukommen. Denn ihre Ursache war in der herrschenden Theorie gar nicht vorgesehen, sie liegt in einer völlig hypertrophen, so noch nie dagewesenen Überdimensionierung der Finanzsphäre gegenüber der Produktionssphäre auf Grundlage eines jahrzehntelangen schuldenfinanzierten Wachstums und der alles Gewohnte sprengenden Umverteilung der geschaffenen Werte in den Finanzsektor, der sich infolgedessen als fiktives, spekulatives Kapital von der materiellen Produktion abgekoppelt und verselbständigt hat. Da geht es jetzt nicht mehr bloß um den nächsten zyklischen Aufschwung aus der Talsohle der Konjunktur, sondern tatsächlich darum, eine systemische Fehlentwicklung des Ganzen zu überwinden. Es geht nicht mehr weiter wie bisher, rien ne va plus ohne Transformation des Kapitalismus in etwas neues.

Angesichts dieser enormen Aufgabe erscheint die Hilflosigkeit unserer Eliten, ihre Unfähigkeit oder mangelnde Bereitschaft, die alten Rezepte in Frage zu stellen, ihre feige Tabuisierung neuer Antworten geradezu selbstmörderisch. Ihre Ignoranz brachte Altkanzler Helmut Schmidt auf den bräsigen Nenner: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen!“

Die neuen Ideen liegen ja längst auf dem Markt. Gegenwärtig läuft alles auf die Frage zu, welche Klasse der Gesellschaft den Mut und die Kraft aufbringt, sie sich anzueignen. Alle scheinen gespannt darauf zu warten. Es kommt aber darauf an, selbst zuzugreifen.

Mittwoch, 26. September 2012

Trennkost von Merkels nächstem Finanzminister

Es ist schon ein Elend mit der Politik heute. Man weiß jetzt schon, was bei der Bundestagswahl in einem Jahr herauskommt: Weniger als ein Viertel der Wahlberechtigten wird CDU wählen, weniger als ein Fünftel SPD, und diese Minderheitsvertretung groß-koaliert dann zur Regierung. Mit Merkel an der Spitze und Steinbrück als Finanzminister. Da die Achterbahn-FDP den Herrschenden zu abenteuerlich geworden ist und in der sich verschärfenden Krise die Umverteilung von der Masse auf die Reichen nur von einer großen Koalition durchgehalten werden kann, wird Rösler mit einem Lobby-Posten für die Wirtschaft abgefunden – deren Lobbyist er ja auch als Minister immer war, und Merkels treuer Schildknappe Schäuble übernimmt das Wirtschaftsressort. (Oder geht in Pension und Steinbrück übernimmt beides.)

Warum aber Steinbrück? Und nicht –meyer oder Gabriel? Weil Steinbrück der ausgewiesene Anti-Lafontaine ist, der den Aufstieg der LINKEN weiter verhindern kann. Steinmeyer kommt von seinem Hartz-Trauma nicht weg, muss lebenslang verbissen darauf beharren, dass er und seine Chefs Gerhard und Joschka alles richtig gemacht haben, die millionenfach blamierte Hartz-Agenda, mit dem durch sie explodierten Niedriglohnsektor, die Rente ab 67, mit der durch all das programmierten Altersarmut, die Legalisierung all der Zockertricks, die uns die Finanzmarktkrise eingebrockt haben, an all dem klebt auch der Name Steinmeyer.

Und Gabriel? Versteht von Wirtschaft und Finanzen zu wenig, als dass er Oskar das Wasser reichen könnte. Steinbrück aber versteht immerhin genug davon, um sich vor der Wahl so aufzubauen, als wolle er danach wenigstens den einen oder anderen linken Lösungsvorschlag gegen die Finanzmarktkrise verwirklichen. Jetzt, nach vier Jahren Krise, hat er für sich also das Trennbankensystem entdeckt, die Trennung des hoch spekulativen Investmentbanking vom normalen Spar- und Kreditgeschäft. Was die LINKE wie zahlreiche namhafte Ökonomen seit Jahren fordert – allerdings neben dem Verbot der übelsten Zockerinstrumente und der Verstaatlichung des gesamten Kreditwesens, davon hält Steinbrück natürlich gar nichts.

Aber wie gesagt, das Elend ist, wir wissen heute schon, was dabei herauskommt: der nächste Finanzminister am langen Arm der Deutschen Bank, also: nichts als die Fortsetzung der Zockerei.

Montag, 17. September 2012

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Erbärmlich, Herr Oberbürgermeister!

Ein Freund bat mich, den folgenden Leserbrief (WR-Stadtteilseite Lütgendortmund vom 08.09.12) weiter zu verbreiten. Dem schließe ich mich gern an:

„Betr.: Warum das Nein zum Antifa-Camp Sinn macht.
Das Nein zum Antifa-Camp macht nur Sinn, wenn die Stadt Dortmund nun dazu übergehen will, linke Antifaschisten und Nazis auf eine Stufe zu stellen, und zwar nach dem Anti-Extremismus-Programm der Bundesregierung. Diese zahlt nur Fördermittel, wenn sich die geförderten Projekte sowohl gegen links wie gegen rechts wenden. Erklärt dies das Angebot (des Dortmunder Oberbürgermeisters, W.S.), ein Aussteigerprogramm für Linke zu begründen, ausgesprochen am 1.September auf dem Wilhelmsplatz in Dorstfeld? Und Dr. Borstel von „Exit“ macht dann gleich mit dabei – als Experte?
Bisher nannte man so etwas Radikalenerlass. Ich hatte gehofft, dass diese Zeiten vorbei sind. Mit dem erstmaligen Verbot der Naziaufmärsche zum 1.September hat das Bundesverfassungsgericht endlich seine Position aufgegeben, die Meinungsfreiheit der Nazis zu garantieren und die der Dortmunder in Frage zu stellen. Soll nun den Linken die Meinungsfreiheit genommen werden, zunächst denen, die als „Reisekader“ kommen, wie das neue Schimpfwort für Auswärtige heißt?
Wir sagen: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.

Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA“