Freitag, 25. Januar 2013

Niedersachsenwahl zum zweiten: „Bewegungspartei“ werden

Einen Tag nachdem ich hier meine persönliche Einschätzung der linken Verluste in Niedersachsen mit dem Satz schloss: "Weitermachen und den historischen Optimismus nicht verlieren...", las ich in einem "Weckruf" an die LINKE in NRW: "Ein Weiter so darf es nicht geben," vielmehr sei nach den Niederlagen bei den jüngsten Landtagswahlen-West ein strategischer und Strukturwandel der LINKEN überfällig. Das nehme ich nun zum Anlass, den Denkanstoß mit neuem Nachdruck zu wiederholen, den ich schon nach der Landtagswahl in NRW im Mai 2012 hier veröffentlichte.

Doch zunächst scheinen mir zum Stellenwert von Landtagswahlen im politischen Kräftefeld der Bundesrepublik einige Bemerkungen notwendig, um einer unangemessenen Dramatisierung entgegen zu wirken. So zu tun, als hänge von der Landespolitik die Zukunft der LINKEN im Westen ab, und als stehe diese jetzt strategisch und strukturell vor dem Nichts - "ein Weiter so darf es nicht geben!" - überschätzte doch erheblich die politische Bedeutung der Landesebene. Fragen wir unsere Mitmenschen (die nicht gerade bei Landesbehörden arbeiten), welche politischen Vorgänge ihr Leben am stärksten berühren, nennen sie erstens Bundes- oder gar Europathemen (etwa "die Krise", die Energiewende, den Arbeitsmarkt, Hartz-IV usw.), zweitens kommunale Vorgänge, aber die Landespolitik kommt irgendwo weit hinten. Das gleiche gilt für die Selbstwahrnehmung der Menschen: Wir fühlen uns als Deutsche, vielleicht sogar als Europäer und als Dortmunder, Düsseldorfer oder Kölner, als Westfalen, Rheinländer, Eifelbauer oder Siegerländer, aber wer fühlt sich denn als "Nordrhein-Westfale"?! In den meisten deutschen Landschaften ist der Länderföderalismus eine von Verfassungsjuristen ausgetüftelte bürokratische Kunstfigur geblieben, die mit der Lebenswirklichkeit der Menschen nicht allzuviel zu tun hat. Das ist der Hauptgrund für das geringe Interesse der Wähler-innen an der guten Arbeit unserer ehemaligen Landtagsfraktionen, und das wird auch so bleiben. Daher ist es strategisch auch in NRW vollkommen richtig, 2013 die Bundespolitik zum Schwerpunkt zu machen und 2014 die Kommunalpolitik.

Eine ganz andere Frage ist, ob Wahlkämpfe und die Parlamentsarbeit den richtigen, angemessenen Stellenwert in unserer gesamten Parteiarbeit einnehmen. Diese Frage muss sich die Gesamtpartei stellen und ihr Erscheinungsbild daran überprüfen (und nicht nur eine Landesgliederung).

Unter der Zwischenüberschrift "Von der Monolog- zur Mitmachpartei" beklagt der eingangs erwähnte Aufruf, daß "die LINKE NRW eine strukturkonservative Partei geworden" sei, die jungen Menschen "keine wirkliche Andockmöglichkeiten" biete. Das ist in Teilen sicher richtig, trifft aber nicht den Kern des Problems. Die tatsächliche Herausforderung besteht vielmehr darin, daß (nicht nur junge) Menschen immer weniger Sinn darin sehen, bei irgendeiner Partei anzudocken. Weil der Parteienstaat insgesamt so unglaubwürdig geworden ist, haben alle Parteien massive Rekrutierungsprobleme - mit zwei Ausnahmen: Grüne und Piraten. Und diese Ausnahmen zeigen an, in welche Richtung die LINKE sich verändern muss: Die Grünen zehren immer noch von ihrer breiten, festen Verankerung in der Öko-Bewegung; die Piraten sind überhaupt keine Partei, sondern selbst eine Bewegung (und werden voraussichtlich nur als solche überleben können).

Wenn wir ernsthaft und nicht nur rhetorisch danach fragen, "worin für unsere Mitglieder und Wähler-innen der Nutzen unserer Partei besteht," reicht eine neue, lebendige, spannende Parteikultur nicht aus. Diskussionen offener, kontroverser, undogmatischer zu führen, die innerparteiliche Demokratie, den Pluralismus ernst zu nehmen usw. ja, das muss die LINKE unbedingt. Alles schön und gut, aber das beantwortet nicht die Frage nach dem Nutzen. Der messbare, spürbare, erlebbare Nutzen der LINKEN für die Menschen besteht heute (!) darin, dass sie real existierende politische und soziale Bewegungen unterstützt und voran bringt.

Deshalb dürfen wir nicht darauf hoffen und warten, daß linke Menschen bei der Partei andocken, sondern diese muss bei ihnen andocken, wo immer Menschen sich in Richtung unserer Ziele bewegen. D-a-s  muss ihr strategisches Standbein werden, nach dem sich Parlamentsarbeit und Wahlkämpfe zu richten haben. Daran muss sie ihre Parteistrukturen überprüfen und entwickeln.

Das "predige" ich seit der verlorenen NRW-Wahl (eigentlich schon viel länger!) und gebe mir Mühe, es in meinem Alltag zu praktizieren. Deshalb sage ich nicht: Ein Weiter so darf es nicht geben, sondern: Weitermachen damit, uns mit Bewegungen zu verbinden. Das nenne ich: Die LINKE muss "Bewegungspartei" werden.

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