Michael Schlecht, MdB –
Spitzenkandidat DIE LINKE in Baden-Württemberg, Gewerkschaftspolitischer
Sprecher im Parteivorstand DIE LINKE – 29. Juli 2013
Merkels Kürzungsdiktat hat in der Eurozone zu einem
Schwelbrand geführt. Inzwischen hat sich die Rezession nach Frankreich
durchgefressen: Rekordarbeitslosigkeit, Wachstumsschwäche und steigende
Defizite im Außenhandel erhöhen den Druck auf die Regierung. Union und FDP sind
der Meinung, dass unser Nachbarland selbst schuld sei. "Frankreich braucht
Reformen, die die Wettbewerbsfähigkeit stärken", so FDP-Fraktionschef Brüderle.
Tatsache ist:
In Frankreich sind die Löhne seit 2000 genauso stark wie die Produktivität und
die Preise gestiegen. Die Reallöhne legten in den letzten zwölf Jahren um zwölf
Prozent zu. Die relative Wettbewerbsfähigkeit Frankreichs nahm nur deshalb ab,
weil in Deutschland die Reallöhne im gleichen Zeitraum sogar um ein Prozent
sanken. Es ist kein Anzeichen dafür erkennbar, dass sich hierzulande eine
politische Mehrheit für ein Ende des Lohndumpings und damit verbunden einer
extremen Exportorientierung ergeben könnte – egal wer nach der Wahl im
September die Regierung stellt.
Was bleiben
Frankreich also für Möglichkeiten? Wenn die bisherige Entwicklung sich
fortsetzt, droht eine tief gehende Krise. Dass Frankreich sich unter den
europäischen Rettungsschirm ESM stellen könnte, ist allein schon wegen der
Größenordnung ausgeschlossen. Zudem würde sich die „Grande Nation“ niemals dem
Diktat der Troika unterwerfen: "Die EU-Kommission hat uns nicht zu
diktieren, was wir zu machen haben", so Frankreichs Präsident François
Hollande.
Frankreich
bleiben nur zwei grundsätzliche Antworten auf den von Merkel vorangetriebenen
Vormarsch der Agenda-Politik in Europa.
Die erste
Möglichkeit besteht darin, dass das Land „freiwillig“ das deutsche Exportmodell
übernimmt und eine französische Agenda 2020 im Land umsetzt. Dazu gehören dann
Renten- und Lohnkürzungen genauso wie eine Abschaffung oder zumindest
Schleifung des flächendeckenden und allgemeinverbindlichen Mindestlohns von zur
Zeit 9,50 Euro. Dieses Szenario birgt für die französische Gesellschaft eine
enorme Sprengkraft. Es würde zwar die französischen Leistungsbilanzdefizite
beseitigen, aber auch die französische Wirtschaft in eine mehrjährige Rezession
stürzen. Arbeitslosigkeit und soziale Verwerfungen würden zunehmen. Dazu kommt,
dass dies in der französischen Öffentlichkeit zu Recht als inoffizielle
Kapitulation vor Deutschland wahrgenommen werden würde. Es bleibt deshalb
fraglich, ob dieser Kurs überhaupt politisch durchgehalten werden könnte.
Die zweite
Möglichkeit ist, einen Aufstand der Südländer anzuführen. Damit könnte Druck
auf die deutsche Regierung gemacht werden mit dem Ziel, hierzulande das unfaire
Lohndumping zu beenden und die Binnenwirtschaft massiv zu stärken. Eine solche
Allianz könnte damit drohen, aus dem Euro auszutreten, um anschließend sofort
gemeinsam einen Euro II zu gründen. Die Krisenländer wären damit aus dem alten
Währungsgefängnis ausgebrochen. Deutschland würde so schlagartig seine Vorteile
aus der gemeinsamen Währung verlieren. Das zurückgelassene Währungsgebiet des
Euro I würde massiv aufwerten und damit die preisliche Wettbewerbsfähigkeit
stark verringern. Die deutschen Exporte würden einbrechen und die Importe
steigen. Die exorbitanten deutschen Leistungsbilanzüberschüsse würden zusammenschmelzen.
Die Androhung
dieser Option hätte ein hohes Drohpotential gegenüber der herrschenden Politik
hierzulande. Aber ein solch radikaler Akt des Widerstands zeichnet sich nicht
ab. Offenbar kann sich der französische Präsident bislang nicht zu einem
solchen Schritt gegen Merkel durchringen.
Vieles spricht dafür, dass François
Hollande eher seinen lavierenden Kurs weiterfahren wird, nämlich ein bisschen
Agenda-2020-Reform und ein bisschen Widerstand gegenüber dem deutschen
Lohndumpingdiktat. Das ist aber zu wenig. Die Eurokrise und die Probleme
Frankreichs bleiben so ungelöst und schwelen zu Lasten der Bevölkerung weiter.
Zu diesem Thema ist ein ausführliches Papier von Michael
Schlecht als PDF erschienen (12 Seiten). Dieses kann über seine Webseite
oder direkt hier heruntergeladen werden.