Dienstag, 6. August 2013

Zurück zum politischen Marx: NSA zwingt zum Abschied vom bürgerlichen Kinderglauben


Das liberale Kleinbürgertum ist entsetzt und verstört. Auf den NachDenkSeiten sieht J.K. mit der Enthüllung von Prism, Tempora und XKeyscore „die gesamte demokratische Verfasstheit der westlichen Welt in Frage gestellt.“ Mit dieser „Sichtbarmachung“ seien wir „unbemerkt in einen neuen historischen Zeitabschnitt eingetreten,“ in dem „alle bürgerlichen Selbstbestimmungsrechte nichts mehr wert sind.“ (NDS vom 06.08.2013)

Oha, große Worte! Abschiedsworte für große Illusionen. Nüchtern analysiert, besteht das historisch Neue ja nicht etwa darin, dass der demokratische Westen nun erstmals zur geheimdienstlichen Überwachung seiner inneren Gegner greift. In der nüchternen Wirklichkeit wollte noch nie seit es Staaten gibt, nicht einmal in noch so demokratischen Staatswesen, die herrschende Klasse auf Kontrolle der Beherrschten auch mit geheimpolizeilichen Mitteln verzichten, so wenig wie Kapitalisten auf Wirtschaftsspionage als Waffe im Konkurrenzkampf.

Ebenso wenig neu ist der Konflikt zwischen den zwei konkurrierenden Staatszielen „Bürgerliche Freiheiten“ und „Innere Sicherheit“, in dem immer, unvermeidlich auch in Demokratien die Exekutive danach strebt, ihre Zuständigkeit für letztere in Richtung auf Totalkontrolle aller politischen Bewegungen schon im vor-politischen, noch-privaten Raum auszudehnen. Neu schließlich auch nicht, dass Geheimpolizeien und –dienste allein schon aufgrund ihrer klammheimlichen Arbeitsmethoden dahin tendieren, sich demokratischer Weisung und Aufsicht zu entziehen und zu verselbständigen.

Neu ist nur, dass jetzt erstmals in der Geschichte Staaten die technischen Mittel besitzen, um zu erreichen was Herrschende schon immer wollen: die Aufhebung der Grenzen zwischen Privatem und Politischem zwecks Totalüberwachung sämtlicher gesellschaftlichen Beziehungen und Bewegungen.

Wenn diese jetzt offensichtliche, nicht mehr zu leugnende Tatsache uns zum Abschied vom Kinderglauben an die heilige bürgerliche Demokratie zwingt, wird es höchste Zeit, sich zu erinnern, dass Karl Marx nicht nur mit seiner ökonomischen Kritik des Kapitalismus Recht behielt, sondern auch mit seiner brillanten politischen Analyse des Staates – einschließlich der bürgerlichen Demokratie – als Instrument der Klassenherrschaft der ökonomisch mächtigsten Klasse über die ganze übrige Gesellschaft. NSA und BND zwingen uns, da wieder anzuknüpfen, wo die Sozialdemokratie Marx und Engels vergaß. Ein harter, aber unentbehrlicher Lernprozess – auch für manche Linke.

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