Dienstag, 3. September 2013

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Dortmund, die "Siegerstadt"


Sogar konservative Medien beklagen den inhaltsleeren Werbetexterwahlkampf der Kanzlerin: „Gemeinsam erfolgreich“ – zum Verwechseln austauschbar mit dem der SPD: „Auf das WIR kommt es an.“ Doch auf den unteren Rängen, in Rathäusern, Bürgerversammlungen, IHK-Empfängen und Pressefrühstücken reden Lokalpolitiker schon lange so nichtssagend über die Probleme hinweg.

Beispiel Dortmund. Jetzt hat das Statistische Bundesamt unter den größten deutschen Städten den Dortmunder-innen das höchste Armutsrisiko bescheinigt. 26,4 % der Menschen leben hier an und unter der Armutsschwelle, also von weniger als 869 € im Monat (2012; seit Schröder-Fischers Hartzreform 2005 ein Plus von 8 Prozentpunkten). Und das korrespondiert mit der höchsten Quote der Langzeitarbeitslosen und dem höchsten Anteil prekärer Jobs zu Niedriglöhnen in ganz NRW.

Doch OB Sierau, statt zu untersuchen, welche Mitschuld seine Amtsführung daran trägt, hat eine Werbefirma mit einem neuen „Kommunikationskonzept“ beauftragt. Leitmotiv: „Dortmund überrascht. Dich.“ Zustimmender Kommentar eines Unternehmenslenkers (DEW21-Geschäftsführer): „Dortmund ist eine Siegerstadt.“ Jau, das passt zu den statistischen Befunden wie die Faust aufs Auge. So zynisch reden Leute daher, die reich sind, weil Andere arm sind.

Über die kritischen Zahlen setzte sich der OB mit einem Trick hinweg: Eine arme Person habe wegen der niedrigeren Wohn- und Lebenshaltungskosten in Dortmund möglicherweise ein besseres Auskommen als ein Münchner oberhalb der Armutsgrenze. Was will er uns damit sagen? Entweder: Arme Münchner sind noch ärmer dran als arme Dortmunder – was diesen nicht die Bohne weiter hilft. Oder: Ein Dortmunder mit 869 € im Monat ist gar nicht arm. Mit demselben Taschenspielertrick könnte er uns auch beweisen, dass Essen und Trinken arm macht und Raucher ärmer sind als Nichtraucher.

Jedenfalls beweist er uns damit, dass er keinen blassen Schimmer hat, wie in der Marktwirtschaft Einkommen, Preise und Gewinne zusammenhängen – oder er verarscht sein Publikum bewußt. Denn sonst hätte er erklären müssen, warum in Dortmund zum Beispiel Wohnraum billiger vermietet wird als in München: Nicht weil hier die Vermieter nettere Menschen sind, sondern weil Einkommen und Kaufkraft hier niedriger und die Zahl der Armen so hoch sind wie in keiner anderen deutschen Großstadt.

Aber soweit zu denken gehört nicht zum Management der Macht, das sich als Politik ausgibt. Dafür reicht das Denken der Werbetexter: „Die Leute wollen, dass es ihnen gut geht. Also sag‘ es ihnen.“

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