Samstag, 20. September 2014

Notizen aus der Provinzhauptstadt: In der Schuldenfalle - Erste Überlegungen zum städtischen Haushalt 2015


Dortmunds wirtschaftliche Lage

Die Wachstumsmaschine Stadt funktioniert nicht mehr. Die "Metropole Ruhr" - soweit sie jemals mehr war als ein Werbegag - sie schrumpft. Auch Dortmund, dessen Macher und Nutznießer sich immer noch auf Wachstumskurs wähnen. In Wirklichkeit kommt die "unternehmerische Stadt" zum Stillstand. Dortmunds Einwohnerzahl sank in den letzten sieben Jahren um 16.000 (Ende 2005: 588.000 - Ende 2012: 572.087 EW). Die Wertschöpfung und die Einzelhandelskaufkraft wachsen nur noch für eine Minderheit der Unternehmen. (Diese hält zwar die statistischen Durchschnittswerte noch knapp im Plus, aber die Mehrheit stagniert.) Auch die verfügbaren Einkommen legen nur noch im oberen Viertel zu.

Ursachen: Spärlichen Zuzügen von "High performers" (Phoenixsee, Stadtkrone Ost, Hohenbuschei) steht massenhafte Armutszuwanderung gegenüber, Fachkräfte wandern in tatsächliche Metropolen mit besseren Zukunftsaussichten ab. Hier dagegen basieren scheinbare Beschäftigungszuwächse fast ausschließlich auf der Zerlegung sozialversicherter Vollzeitstellen in Teilzeit-, Mini- und andere prekäre Jobs.

Die Folgen für den städtischen Haushalt

Die sündteuren "Leuchttürme" der Standortkonkurrenz versagen als Wachstumsmotoren, aber ihre Folgekosten belasten uns weiter zunehmend.
Niedriglöhne, Rentenreform, Flüchtlingsströme treiben die Zahl der Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften und die Sozialausgaben hoch und dämpfen zugleich die Wirtschaftskraft.
Die Schrumpfprozesse drücken auf den kommunalen Finanzausgleich, die Schlüsselzuweisungen des Landes sinken.
Um den Wachstumsschwindel noch ein Weilchen künstlich zu beatmen, verbrennt die "Standortentwicklung" über Wirtschaftsförderung, Sondervermögen, öffentlich-private Partnerschaften usw. jährlich viele Millionen Euro.
Der städtische Haushalt treibt auf ein Desaster zu.

Für einen Haushalt des Realismus, nicht der Illusionen

In dieser Lage unserer Stadt kann es nicht Aufgabe der LINKEN & Piraten sein, trotzige Wachstumsparolen und kannibalische Städtekonkurrenz zu unterstützen. Realistische Haushaltspolitik hat heute Abschied zu nehmen von den angeblich alternativlosen Sachzwängen der Standortlogik, hat aus Schrumpfung und Verarmung andere Konsequenzen zu ziehen, als die verarmende Nordstadt mit einem Fußballmuseum zu beglücken. Eine Haushaltspolitik, die Schrumpfung als Realität anerkennt und die sozialen Chancen entsprechend neu verteilt, hat ihre Leitlinien und Schwerpunkte neu zu buchstabieren. Es gilt

- Stadtentwicklung nicht mehr auf "Leuchttürme" und "High potentials" einzuengen: Die Zahl der Bedarfsgemeinschaften ist zu verringern durch Umlenken der Wirtschaftsfördermittel auf soziale und kulturelle Eigeninitiativen der Bevölkerung. Der sozialgewerbliche Beschäftigungssektor und Projekte der solidarischen Ökonomie sind energisch und massiv auszubauen ("Neue Arbeit-Ökonomie vor Ort"; siehe auch unsere Untersuchung "Arbeit für Alle").

- der sozialen Spaltung der Stadt entgegen zu wirken: Städtische Ressourcen sind auf die Aktionsräume der "Sozialen Stadt" zu konzentrieren.

- die soziale Infrastruktur auszubauen: Städtische Tochterunternehmen dürfen nicht länger zur Sanierung des Kernhaushalts mißbraucht werden. Das gilt besonders für den Wohnungsbau, den ÖPNV, die Energie- und Wasserversorgung, Sport- und Kulturstätten.

- Schluß zu machen mit der privaten Abzocke städtischer Gelder: Verbot und möglichst Rückabwicklung von ppp-Projekten, vollständige Auflösung der RWE-Beteiligung an DEW21, sofortige Rückführung des Flughafens auf den Geschäfts- und Frachtverkehr.

- Kreativität nicht zuerst als Wirtschaftsfaktor ("Kreativwirtschaft"), sondern als selbstbestimmte Lebensäußerung der Stadtmenschen zu begreifen: Basisinitiativen mit leerstehenden Flächen und Räumen versorgen, Genossenschaftsgründungen erleichtern und besonders fördern.

- die "Schuldenbremse" vom Kopf auf die Füße zu stellen: Heraus aus der Schuldenfalle durch die staatliche Unterfinanzierung der Kommunen, heraus aus der Ausplünderung durch Banken. Sämtliche kommunalen Leistungen, die ihrem Wesen nach Staatsaufgaben erfüllen, werden in vollem Umfang dem Land in Rechnung gestellt (Personenstands- und Zulassungsämter, alle Kosten der Unterkunft für Grundsicherungsbedürftige, das gesamte Bildungswesen, Gesundheitsvorsorge, Krankenhäuser und Heilstätten, Klima- und Umweltschutz, bestimmte Aufgaben der Wirtschaftsförderung wie Messen, Vernetzung von Forschung und Lehre mit der Produktion, Instandsetzung brachfallender Immobilien überregionaler Unternehmen uvm.)
Liquiditätskredite werden in einen gemeinsamen ruhrgebietsweiten Schuldenfonds ausgelagert, der zentral Zins- und Tilgungserlasse aushandelt.

Konsequenzen für unser Verhalten zum Haushalt 2015: Die Reichen sollen zahlen

Mit dem staatlichen Ausbluten der Gemeindekassen ist von vorn herein dafür gesorgt, dass jede soziale Forderung einen Verteilungskonflikt mit den mächtigen Nutznießern des städtischen Haushalts heraufbeschwört: den Wirtschaftsverbänden, den Kammern, einigen einflussreichen Managern wichtiger Unternehmen (z.B. RWE), Banken und Versicherungen, den mit Wirtschaft und Politik eng verzahnten Hochschulen, auch mit dem lokalen Zeitungsmonopolisten Lensing. Denen geht verloren, was der breiten Masse zusätzlich zugute kommen soll.

Absehbar ist auch: Ohne die laufenden Defizite des Konzerthauses, des Flughafens, des U-Turms, des Fußballmuseums (zusammen ca. 40 Millionen € jährlich), ohne die Zinsverpflichtungen an Banken und „ppp“-Investoren (ca. 60 Millionen € jährlich) und ohne die Gewinnabflüsse aus der Energie- und Wasserversorgung an den Privatkonzern RWE (ca. 20 Millionen € jährlich) wäre der Stadthaushalt auch 2015 im plus und wären manche unserer sozialen Forderungen zusätzlich zu finanzieren.

Es versteht sich von selbst, dass solche Anschläge auf die Goldesel der Oberen Zehntausend eine gehässige, demagogische Hetze gegen die LINKE & Piraten hervorrufen. Dennoch, sollte die Stadtspitze jemals auf unsere Stimmen für ihren Haushalt angewiesen sein, müsste sie sich nicht nur auf unsere Forderungen, sondern auch auf unsere Finanzierungsvorschläge einlassen. Solange sie dazu nicht bereit ist, haben wir keinen Grund, ihrem Haushalt zuzustimmen.

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