Dienstag, 29. Dezember 2015

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Obdachlosenzahl verdoppelt – eine stolze Leistung der Dortmunder Stadtpolitik


2004, als ich erstmals in den Dortmunder Stadtrat gewählt wurde, notierte ich zur sozialen Lage in der Stadt auch die Zahl der Obdachlosen: rund 300 waren es damals. Wie jetzt die Lokalpresse schrieb, sind es heute mehr als doppelt so viele: 700. Diesen stolzen Erfolg „verdanken“ wir – ebenso wie das Dortmunder U, den Phoenixsee, das Flughafenfiasko, das Fußballmuseum undundund – der früheren SPD (die heute nur noch so heißt), der CDU (die mit ihrem Namen das Christentum verspottet), den Manchmal-noch-ein-bisschen-Grünen, den Parteien also, die in wechselnder Kungelei die Stadtpolitik durchführen, die ihnen die immer reicher werdende Dortmunder Oberschicht aufgibt, und nicht zuletzt den von ihnen gewählten Oberbürgermeistern Langemeyer und Sierau.

Dienstag, 22. Dezember 2015

Der Platz von AfD, Pegida u.co. in der Menschheitsentwicklung


Die wissenschaftliche Populismus-Forschung beschränkt sich gewöhnlich auf die Beschreibung der aktuellen Feindbilder, Stereotypen, Aktions- und Organisationsmuster populistischer Strömungen. Überlegungen, wie der Populismus zu bekämpfen und zurück zu drängen ist, erschließen sich aber erst aus seiner geschichtlichen Einordnung.

Sowohl Vertreter der etablierten „Volksparteien“, der Mainstream-Medien als auch manche wissenschaftliche Populismusforscher behaupten, AfD, Pegida u.co. konkurrierten mit der Linkspartei und bestimmten sozialen Basisbewegungen um dieselbe Klientel, und zwar mit denselben Methoden und ähnlichen Inhalten. Dem „Rechtspopulismus“ entspreche sozusagen spiegelbildlich ein „Linkspopulismus“. An der Oberfläche kann man allerdings über einige ähnliche Erscheinungen stolpern.

Ein Beispiel: Auch die Linke sieht die moderne Gesellschaft dichotomisch in Oben und Unten geteilt, in agitatorischer Zuspitzung wird wohl auch von links eine bürokratische, abgehobene, sich auf Kosten des Gemeinwesens bereichernde Elite der Mehrheit gegenüber angeprangert. Aber der grundlegende Unterschied ist – und hier erweist sich die Gleichsetzung Rechts = Links sofort wieder als unhaltbar: Die Linke bleibt nicht beim moralisierenden Vorwurf der individuellen Bereicherung und Privilegiertheit der Herrschenden stehen, um diese durch eine „bessere“ Elite abzulösen, sondern sie analysiert Struktur und Funktionsweise der kapitalistischen Gesellschaft, um diese zu überwinden.

So wie in diesem Beispiel können wir Punkt für Punkt die populistische Programmatik durchgehen und stellen immer fest: Die linken Positionen stehen dem Populismus diametral entgegen. Der rechten Ignoranz setzt die Linke Bildung und Wissen entgegen; dem Vorurteil das fortschreitende Verstehen von Zusammenhängen und Entwicklungen; der Ausgrenzung von Minderheiten die Integration in die Gemeinschaft; dem Dünkel der „höherstehenden“ Kultur-Nation-Rasse die Gleichwertigkeit Aller; dem Wohlstandschauvinismus den gerechten Ausgleich; dem dumpfen Hass die Empathie und Solidarität; der amorphen Wut der Masse den persönlichen Mut in organisierter Verantwortung.

Darüber hinaus zeigt diese Gegenüberstellung: Während der Populismus sich aus Versatzstücken auch ohne ihn existierender Ideologien bedient, steht die linke Programmatik auf eigenem Fundament der geschlossenen, konsistenten Weltanschauung eines zeitgemäßen Humanismus, in dessen Zentrum nicht das Kapital, sondern der Mensch steht. Deren Kernziel ist die Überwindung der Klassengesellschaft.

Zwar behaupten auch Populisten, die Spaltung der Gesellschaft in Oben und Unten aufzuheben, indem sie die „Elite“ zu entmachten und dem „Volk“ die Selbstbestimmung zurück zu geben versprechen, aber sie stellen dafür die kapitalistischen Produktionsverhältnisse nicht in Frage, und ohne diese abzuschaffen muss das populistische Gleichheitsversprechen ein großer Schwindel bleiben.

Somit stellt sich der Populismus als ein Krisensymptom des Kapitalismus dar und zugleich als Zerfallsprodukt der Klassengesellschaft überhaupt. Seit den frühesten Spaltungen der Menschheit in herrschende und beherrschte, ausbeutende und ausgebeutete Klassen hat das Streben der Unteren, diese Spaltung durch Kämpfe um Freiheit und Gleichheit zu überwinden, nie aufgehört. Um solchen Kämpfen die Spitze abzubrechen oder zuvor zu kommen, benutzen die Herrschenden auch die Methode, dem Volk nach dem Mund zu reden, es mit falschen Versprechungen zu verwirren und zu betrügen.

Ein paar Beispiele. Im späten Römerreich gab es massenhafte Sklavenaufstände – und die Führer der „Volkspartei“ (Populares), die den verarmten Plebejern weis machten, ihre Feinde seien nicht die Großgrundbesitzer-Sklavenhalter, sondern Kimbern und Teutonen vor den Toren. Ab dem 12. Jahrhundert drohte Unzufriedenheit des niederen Landadels die Grundlagen der Feudalherrschaft zu zersetzen – doch die weltlichen und geistlichen Fürsten finanzierten Orden, die die Ritterschaft zu Kreuzzügen gegen die „Heiden“ im Morgenland aufriefen. Im 16. Jahrhundert bedrohten die Bauernkriege Adel und Geistlichkeit – doch es gab den Martin Luther, einen Populisten reinsten Wassers, der die Gläubigen zwar aus den Fesseln der Papstkirche befreite, um sie und die Bauern als brave preußisch-deutsche Untertanen an die Landesfürsten auszuliefern. Im 19. Jahrhundert konnte die kapitalistische Wirtschaft die proletarisierten Massen nicht mehr ernähren – da predigten in England ein Malthus und ein Cecil Rhodes den Bürgern, die Proleten vermehrten sich zu schnell, dagegen helfen außer Zucht und Arbeit nur koloniale Raubzüge gegen die „Wilden“. Schließlich nach dem 1. Weltkrieg, als durch Krieg und Krise verelendete Massen für die Überwindung des Kapitalismus durch das Sowjetsystem kämpften – da wurde eine schon tausend Jahre alte Ideologie mit großem Geld aufgerüstet, die die Schuld an der Krise auf die Juden und die Bolschewiken-Russen-Slawen abschob und vorgab, nach deren Vernichtung gäbe es nur noch „ein Volk, ein Reich, einen Führer.“

Die Beispiele belegen: Populismus war immer ein Reflex der Herrschenden auf den Freiheitsdrang der Beherrschten. So auch heute. Daher ist es wissenschaftlich absurd und politisch infam, den Schein für das Wesen der Sache auszugeben und dem Populismus, der immer rechts, konservativ, auf Seite der bestehenden Verhältnisse steht, auch noch einen „linken“ Halbbruder anzudichten. Wenn hin und wieder sogar Freunde der Linken dazu raten, sie möge, um den Populisten das Wasser abzugraben, mit einem „linken Populismus“ antworten: diese Rechnung kann nicht aufgehen. Denn sie bleibt an der Oberfläche, während es darum geht, den Wesenskern der heutigen Klassenspaltung offen zu legen, das kapitalistische Produktionsverhältnis.

Den Linken bleibt daher tatsächlich nichts anderes, als dem Populismus unsere humanen Werte (siehe oben) und das Wissen um den Gang der Geschichte entgegen zu stellen. In der Gewissheit, dass die Menschheit seit Kains Brudermord viel gelernt hat und mit Lernen nicht aufhören wird, bleibt beste Waffe gegen die Fremdenfeindlichkeit von AfD und Pegida: „Welcome refugees!“

Dienstag, 15. Dezember 2015

„Ein Dammbruch hat nicht stattgefunden.“ Der Euro und der Rechtsradikalismus


Auszug aus: „Lernen von Marine Le Pen“, von Daniel Binswanger, Das Magazin (Schweiz), 09.12.2015
„…
Es ist sicher richtig, dass Le Pen vom aktuellen Klima der Angst profitiert und dass ihre Kampagnen gegen die maghrebinische Minderheit heute besser verfangen als noch vor einem Monat. Dennoch ist die Erklärungskraft der Attentate begrenzt. Die rasanten Zuwächse des FN haben viel früher eingesetzt, lange vor dem Bataclan, lange vor Charlie Hebdo. Die heutige Steigerung stellt nichts anderes dar als die Verlängerung einer mehrjährigen Erfolgskurve. Ein Dammbruch hat nicht stattgefunden. Der Front National profitiert von einer langfristigen Entwicklung, deren Dynamik so schnell nicht wieder abflauen wird.
Nicht der Terrorismus, Europa ist die Erklärung. Nicht die Kalaschnikow, der Euro droht der Rechtspopulistin den Weg in den Élysée-Palast zu ebnen. Das heutige Programm des Front National besteht in seinem Kern in einer Rückgängigmachung der französischen EU-Integration: Austritt aus dem Euro, Aufkündigung von Schengen, Widerrufung der Zollunion. Marine Le Pens «Entdiabolisierung» des FN besteht weitgehend darin, das antisemitische Gepoltere ihres Vaters durch ein EU-feindliches Wirtschaftsprogramm zu ersetzen. Sie gibt sich damit nicht nur ein gemäßigteres, pragmatischeres Image. Sie gewinnt auch massiv an Glaubwürdigkeit. Denn obschon ihre Versprechungen demagogisch und unrealistisch sind, hat sie in einem Punkt recht: Die heutige Wirtschaftspolitik innerhalb der Eurozone schadet Frankreich. Wird sie nicht fundamental korrigiert, dürfte der Euro-Austritt irgendwann nicht mehr zu verhindern sein – vermutlich unter einer Präsidentin namens Le Pen.
Die französische Wirtschaftskrise hat selbstverständlich vielschichtige Ursachen, aber der Euro – so wie er heute funktioniert – ist der entscheidende Faktor. Frankreich war Ende der Neunzigerjahre die europäische Konjunkturlokomotive. Die Produktivitätsentwicklung war vorbildlich, die Lohnentwicklung blieb vernünftig, die hohe Staatsquote hat nicht geschadet (dass stets der Staat das Problem ist, glauben nur Leute, die volkswirtschaftliche Statistiken gar nicht erst zur Kenntnis nehmen). Das Problem Frankreichs liegt darin, dass es außenwirtschaftlich auf Gedeih und Verderb von Deutschland, seinem mit Abstand wichtigsten Handelspartner, abhängig ist. Im Jahr 2003 beschloss die Schröder-Regierung die Agenda 2010, im Jahr 2004 kippte die französische Handelsbilanz mit Deutschland zum ersten Mal seit der Wiedervereinigung ins Negative. Auf dem Krisenhöhepunkt 2011 lag das Gesamtaußenhandelsdefizit bei über 90 Milliarden, im Jahr 2014 immer noch bei 86 Milliarden Euro. Etwa 40 Prozent des Defizits entfallen auf den direkten Außenhandel mit Deutschland. Frankreich ist innerhalb der Eurozone Deutschland gegenüber nicht mehr konkurrenzfähig. Solange dieses Ungleichgewicht nicht korrigiert wird, hat Frankreich keine realistischen Aussichten sich zu erholen, und solange sich die Konjunkturaussichten nicht bessern und die Jugendarbeitslosigkeit nicht wenigstens wieder unter 20 Prozent fällt, darf Le Pen voller Optimismus in die Zukunft blicken. Das ist die Lektion von Marines Triumph. Eine Lektion, die man im übrigen Europa nicht zur Kenntnis nehmen will.“

Samstag, 12. Dezember 2015

Kriegsflüchtlinge – Eurokrise: Der Fluch der bösen Tat


Vor kurzem schrieb ich in diesem Blog über das Versagen der EU-„Integration von Oben“ im Zusammenhang mit den Flüchtlingsströmen. Etwa zeitgleich lieferte Heiner Flassbeck, bis Ende 2012 Chef-Volkswirt der UNCTAD (United Nations Conference on Trade And Development), den faktischen Nachweis für diesen Zusammenhang. Hier mein Resümee seines Gedankengangs.

Dass junge, vergleichsweise gut ausgebildete Migranten (vor allem ja Männer) gerade nach Deutschland drängen, ist nachvollziehbar. Können sie doch hier bei einer der niedrigsten Arbeitslosenquoten und relativ hohem Einkommensdurchschnitt in Europa am ehesten auf eine gesicherte Existenz hoffen. Dass umgekehrt die deutsche Regierungspolitik auf eine „gerechte“, zu den Bevölkerungszahlen proportionale Verteilung der Flüchtlingsströme über ganz (EU-)Europa drängt, erscheint auf den ersten Blick ebenso einleuchtend.

Die Sprengkraft dieses Widerspruchs zeigte sich, als die meisten Nachbarstaaten sich weigerten, Deutschland den Gefallen zu tun und fortfuhren, Flüchtlinge nach Deutschland durchzuschleusen. Dafür können sie ins Feld führen, dass der Zuwanderungsdruck auf Deutschland ja Indiz und Folge seines enormen Vorsprungs in der Wirtschaftskraft gegenüber den anderen Euroländern ist.

Wie aber konnte  die deutsche Wirtschaft ihren Vorsprung seit der Gründung der Währungsunion dermaßen ausbauen? Indem sie durch aggressive, staatlich forcierte Senkung der Lohnstückkosten (Hartz IV u.a.) ihre Arbeitsmarktprobleme in die anderen Euroländer exportierte und dort die heimischen Produzenten an die Wand drückte.

Heiner Flassbeck zieht daraus das Fazit: „Deutschland bleibt allein in der Flüchtlingskrise, weil es in der Eurokrise die anderen über den Tisch gezogen hat.“ Die Folge: Flüchtlingskrise und Wirtschafts- und Finanzkrise der EU/Eurozone überlagern und verstärken sich gegenseitig zu einem Problemknäuel, dem die Integrationskraft der europäischen Politik nicht mehr gewachsen ist.

Hier der Link zu Flassbecks Aufsatz: http://www.flassbeck-economics.de/tag/fluechtlinge/

Donnerstag, 10. Dezember 2015

Die EU vor dem moralischen Bankrott.


Mit jedem Flüchtlingszug wird es deutlicher: Europas Integration von Oben, mittels Weisungen, Richtlinien und finanzieller Erpressung durch die bürokratischen EU-Institutionen funktioniert nicht mehr. Die Existenzkrisen, welche die EU bis heute mit Ach und Krach und wachsendem Abscheu der Menschen überstand, waren noch nichts gegen das Desaster, das die kapitalistischen Großmächte im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika angerichtet haben, und dessen Folgen jetzt nach Europa zurückkehren.
Darauf wissen die EU-„Eliten“ – wie die anderen kapitalistischen Großmächte – nur eine Antwort: Waffengewalt nach außen gegen die Opfer der Großmachtpolitik – und nach innen Rückzug auf die nationalistische Abschottung nach dem St.Florians-Prinzip.
Damit wird immer klarer: Wer die große, fortschrittliche Idee der europäischen Einigung retten will, muss sie vor dieser EU retten. Muss der EU der Kriegsherren, Waffenspekulanten und Finanzhaie das Europa der Menschen, das Europa der Solidarität entgegen stellen: Refugees welcome!