Freitag, 6. Februar 2015

"Modell Deutschland" gerät in die Defensive.


Wenn nach jüngsten Umfragen hierzulande immer noch eine Mehrheit den Merkel'schen "Spar- und Reformkurs" gutheißt und, weil er ja uns Deutschen den Aufschwung aus der Krise beschert habe, ihn auch den Griechen und ganz Europa aufdrücken will, so geht diese Mehrheit bewußt oder gutgläubig der regierungsamtlichen und medialen Propaganda auf den Leim. Diese stellt anhand einseitiger und verzerrender Auswahl statistischer Daten "Deutschland" als ein besonders erfolgreiches, nachahmenswertes Modell dar. Die Schattenseiten des Vorsprungs der deutschen Wirtschaft aber werden systematisch verschwiegen.


Die langen Schatten des "Modells Deutschland"



Zum Beispiel lässt unsere mit vielen Tricks geschönte Arbeitslosenstatistik kaum noch erkennen, wie hoch die Arbeitslosigkeit wirklich ist. Der riesige Niedriglohnsektor, mit dem sie "bekämpft" wird, übertrifft die meisten anderen Euroländer bei weitem, weshalb Merkel auch die 1-Euro-Jobs in ganz Europa einführen will. Über 3,1 Millionen Erwerbstätige im reichen Deutschland gelten als arm trotz Arbeit (2013), weil ihre Löhne plus staatliche Hilfen (Wohngeld, Kindergeld, ergänzendes Arbeitslosengeld) zusammen weniger als 979 Euro netto im Monat ergeben. Der Mindestlohn, der am 1.Januar endlich auch in Deutschland Gesetz wurde, liegt niedriger als in vielen anderen europäischen Ländern. Er wird an der anwachsenden Armut in Deutschland wenig ändern, denn sein Nettobetrag reicht in den meisten Fällen kaum an die Armutsschwelle heran und dient unterhalb dieser Schwelle mehr zur Entlastung der Staatskasse von Sozialleistungen als zu echten Einkommenssteigerungen. Auch schießt die Unternehmerlobby in den Regierungsparteien immer mehr Löcher ins Gesetz, was man durchaus als eine Variante von Klientelpolitik bezeichnen muss, wie sie "den Griechen" vorgeworfen wird.

Zu den Schattenseiten "unseres" Aufschwungs gehört auch die skandalöse Kinderarmut, die verlotterte öffentliche Infrastruktur, das vorzeitige Burnout der Arbeitskraft, der hohe Krankenstand bei stressbedingten Leiden, das hohe Maß an Frühverrentungen, die Überlastung und Überforderung der Familien, unser altmodisches Bildungssystem mit viel höheren Klassenfrequenzen als in den meisten Nachbarländern, die finanziell ausgebluteten Kommunen, die explodierende Belastung privater Haushalte durch Mieten und Energiepreise (in anderen Ländern schützt eine höhere Wohneigentumsquote auch vor Altersarmut) und-und-und. Vor den Lobgesängen auf das "Modell Deutschland" muss also die Frage stehen:



Wer ist "Deutschland", wer sind "die Griechen"?



Wem gehören denn die Banken, die in der Finanzkrise ihre faulen Kredite auf die EZB abwälzen konnten? Sie gehören dir und mir so wenig wie den griechischen Arbeitern und Kleinbauern - aber diese und wir zusammen müssen letztlich dafür bluten. Wem gehören denn die Supergewinne, die hier wie in Griechenland an der Steuer vorbei auf Auslandskonten verschoben werden? Wer macht denn hier wie in Griechenland solche Steuergesetze, dass Großkonzerne praktisch keinen Euro Steuern zahlen müssen, während der griechischen Bevölkerung die Mehrwertsteuer von 19 auf 23 % erhöht wurde? Wer hat den Nutzen davon, dass in Deutschland schon viel länger als in Griechenland die Löhne weit hinter der Arbeitsproduktivität der Industrie zurück blieben?

Nüchtern und ohne chauvinistische Scheuklappen betrachtet müssen wir feststellen, dass es mittel- und längerfristig auch unsere Löhne sind, die die Mehrheit der Arbeiter und Bauern in Griechenland gegen ihre und unsere Oligarchenschicht verteidigt. So wie es auch in unserem Interesse als Steuerzahler liegt, dass Griechenland nicht noch mehr erdrosselt wird mit den Diktaten der Troika, sondern Luft bekommt, um sich zu erholen.

Das "Modell", das Merkel u.co. Europa aufzwingen wollen, ist drauf und dran, Europa zu ruinieren. Die meisten Völker Europas sind dabei, das zu erkennen und Konsequenzen daraus zu ziehen. In Deutschland hat Merkel noch eine Mehrheit.

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