Dienstag, 14. April 2015

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Nächste Runde im Hamsterrad - "Nordwärts"



Seit 1963 in Dorstfeld das lange Zechensterben anfing, und bis 2001 der letzte Hochofen ausgeblasen war, hat das Verschwinden der großen Industrien aus Dortmund die Nordstadt, als größtes zusammenhängendes Arbeiterquartier der Stadt, besonders schwer getroffen. Und seither versucht lokale Politik, die verheerenden Folgen globaler Kapitalstrategien, die man heute gern als „Strukturwandel“ beschönigt, in der Nordstadt mit allerlei Hilfsprogrammen abzufedern. Weit mehr als 100 Mio € aus öffentlichen Kassen sind in diesen fünfzig Jahren in der Nordstadt versickert – doch bis heute blieb sie der Stadtteil mit den massivsten sozialen Problemlagen, mit großem Abstand zu allen anderen Sozialräumen der Stadt.

Gegen Ende des Jahrtausends ließ sich nicht mehr vertuschen, dass trotz der Ausweitung der diversen Nordstadtprogramme die Lage zu kippen und Teile des Stadtbezirks zu Elendsvierteln abzurutschen drohten. Inzwischen gab es das Landesprogramm NRW „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“, wenig später das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ und das EU-Förderprogramm URBAN II für Stadtteile in der Krise, aus allen ließen sich –zig Millionen € in die Nordstadt leiten. Es folgten im Jahresrhythmus immer neue Konzepte mit dutzenden Plänen und Projekten. Schon einen Monat nach seiner Wahl zum OB, im September 2009 sahen Sierau und sein Verwaltungsvorstand sich veranlasst, auf alarmierende Medienberichte über aktuell zugespitzte Problemlagen mit einem neuen „Integrierten Stufenkonzept für eine Lebenswerte Nordstadt“ zu reagieren... Doch keine der sozialen Problemlagen konnte durchgreifend geheilt werden. Wie denn auch! Wie könnte ein bürokratischer Apparat die tiefen Schäden heilen, die eine übermächtige Wirtschaft lebendigen Menschen antut? 

Jetzt also eine neue Runde im Hamsterrad. Weil es schon längst peinlich ist, dass in der Nordstadt sich so wenig grundlegend ändert, jetzt die Ausweitung des Problemfelds auf den ganzen Dortmunder Norden. „Dialog und Beteiligung“ stehen jetzt hoch im Kurs, Ideen sind der Verwaltung willkommen. Offenbar stellen sich die Verantwortlichen die "Zivilgesellschaft" als eine Maschine vor, in die man nur einen Impuls eingeben muss - einen "Innovationsimpuls" - und schon verbreitet sich "Aufbruchstimmung". Und weil dieser neue Impuls jetzt die Stadt noch weniger kosten darf, nämlich überhaupt nichts mehr, bleibt Stimmungsmache das einzige Mittel der Wahl. Der Beitrag der Verwaltung erschöpft sich in der Auflistung - "Bündelung" - aller alten und noch laufenden Projekte und "Masterpläne". Doch der große Zampano bleibt Herr des Verfahrens, um sich herum ein handverlesenes "Kuratorium" aus "hochrangigen Persönlichkeiten". Bürgerengagement ehrenamtlich zur Entlastung des städtischen Haushalts. Nach dem Motto „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.“


Die Grundzüge der Solidarischen Stadt


Solidarität kommt im politisch-ideologischen Wortschatz unserer Stadtspitzen nicht mehr vor. Wir, LINKE & Piraten haben aber schon einige Eckpunkte für ein alternatives Leitbild der Solidarischen Stadt parat. Wir laden die Verwaltung ein, sie mit uns und den Bürger-/innen des Dortmunder Nordens zu verwirklichen:

-           Die Stadt muß Gemeinwesen („Kommune“) werden.

Der kapitalistische Sektor kann sich selbst finanzieren. Selbsthilfe der Bürger hingegen braucht die notwendige Anschubfinanzierung vom Staat, der Kommune und öffentlichen Einrichtungen wie Arbeitslosenversicherung, Sparkasse, Stiftungen u.a. Das zu organisieren ist die ökonomische Hauptaufgabe des solidarischen Gemeinwesens Stadt. Hier muß und kann eine Strategie der Veränderung sofort ansetzen.

-           Gerechte Verteilung, Umwandlung aller 1-€-Jobs, Mindestlohn

Wie neben unserer Ratsfraktion auch die Dortmunder ARGE nachgewiesen hat, wäre es sofort möglich, sämtliche „1-€-Jobs“ in reguläre, sozialversicherte, tariflich bzw. zum Mindestlohn bezahlte Arbeitsverhältnisse umzuwandeln, wenn die Leistungen des ALG 2, also Regelsatz, Kosten der Unterkunft und die Kosten der Arbeitsgelegenheiten gebündelt werden und der Trägeranteil von der Stadt bezuschusst wird.

-           Unsere Stärke sind die Menschen. Und zwar alle.

An erster Stelle der Solidarischen Stadtentwicklung steht daher eine soziale Kommunalwirtschaft, welche die zig-tausend Dortmunder/-innen einbezieht, die keine realistische Chance auf eine reguläre Beschäftigung am „ersten“ Arbeitsmarkt haben. Das riesige brach liegende Leistungspotential der arbeitslosen Menschen wird auch künftig nicht mit den herkömmlichen Strategien der Wirtshchaftsförderung zu aktivieren sein. Eine sozial verträgliche Wirtschaftspolitik hat heute mehr denn je öffentliche Beschäftigungspolitik zu sein. Das gilt ganz besonders für den Dortmunder Norden. Lokale/regionale Wirtschaftskreisläufe können nicht ausschließlich in den gängigen kapitalistischen Unternehmensformen organisiert werden, sondern in einer auf Teilhabe aller, auf gemeinsamen Nutzen, sinnvolle Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung gerichteten Stadtgesellschaft müssen Formen des selbstverwalteten Gemeineigentums, z.B. in Genossenschaften, mit Vorrang gefördert werden.

-           Beschäftigungsförderung zum Dreh und Angelpunkt der Wirtschaftsförderung machen

Arbeit bleibt das Fundament jeder Wirtschaft. Arbeit muss daher im Mittelpunkt jeder Wirtschaftsförderung stehen. Arbeit ist zu allererst Erwerbsquelle. Arbeit ist nicht deckungsgleich mit Lohnarbeit. Über ihre wirtschaftlichen Ergebnisse hinaus bleibt Arbeit der wichtigste Integrationsmotor für den Menschen in der Gesellschaft. Es darf also nicht um irgendwelche Arbeit gehen. „Hauptsache Arbeit“ wird dem Menschen nicht gerecht. Es muss um „gute“ Arbeit gehen.

-           Stärkung des Gemeineigentums statt Privatisierung öffentlicher Einrichtungen

Der Vielfalt der Kooperationsbeziehungen in einer solidarischen Kommunalwirtschaft entsprechen vielfältige Eigentums- und Rechtsformen. Sie ersetzen nicht den kapitalistisch organisierten Sektor, aber die vielfältigen Formen des Gemeineigentums müssen Vorrang vor dem kapitalistischen Eigentum an Produktionsmitteln bekommen.

Als sinnvolle Beschäftigungsprojekte bieten sich im Dortmunder Norden sofort an:

-           Sanierung herunter gewirtschafteter Wohnungsbestände und neuer sozialer Wohnungsbau

Von -zigtausend Arbeitsuchenden könnten einige Hunderte bereit und fähig sein, durch handwerkliche Selbsthilfe etwa auf genossenschaftlicher Grundlage ihre eigenen vier Wände zu modernisieren oder neue zu schaffen. Wie nach dem 2. Weltkrieg könnten sie in wenigen Jahren den kommunalen / staatlichen Vorschuß auf ihr Wohneigentum durch ihre handwerkliche Eigenleistung getilgt haben und damit obendrein das Gemeinwesen von lebenslangen Wohnkostenzuschüssen entlasten.

-           dezentrale integrierte Kreisläufe für Energieversorgung und Wertstoffrecycling

Kleine Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung sind geeignet, das Preisdiktat der marktbeherrschenden Strom-, Gas- und Müllkartelle auszuhebeln und damit nicht nur der Masse der Kleinverbraucher, sondern auch der Kommune erhebliche Kosten zu sparen. Solche Anlagen können von jeweils einem Dutzend bis zu einigen hundert Haushalten in Eigenregie errichtet und betrieben werden. Binnen 10 bis 12 Jahren erwirtschaften sie ihre Investitionskosten.

-           Gesundheitswirtschaft und Seniorenbetreuung

Der „erste“, profitgebundene Arbeitsmarkt erweist sich als unfähig, der stetig wachsenden Zahl von Senioren eine menschenwürdige Versorgung und Betreuung zu bieten. Das wird eine die wichtigsten, wenn nicht die wichtigste Zukunftsaufgabe des gemeinnützigen, öffentlich geförderten „zweiten“ Arbeitsmarktes.

-           Bildung und Erziehung

Wenn wir den Anschluß an die Bildungsniveaus fortgeschrittener Länder wieder gewinnen wollen, müssen unser Land und unsere Stadt erheblich mehr sowohl in die Bildung und (Ganztags-) Betreuung unserer Kinder und Jugendlichen als auch in die Familienarbeit investieren. Das überfordert die Möglichkeiten sowohl des öffentlichen Dienstes als auch des gewinnorientierten „ersten“ Arbeitsmarktes bei weitem. Ein heute noch gar nicht abzuschätzendes Beschäftigungsfeld für den ÖBS.

-           Betreuung und Integration von Zuwandererfamilien und Flüchtlingen

Eine Kommune handelte verantwortungslos, wenn sie diese Aufgabe allein dem ehrenamtlichen bürgerschaftlichen Engagement überlassen würde. Geldmangel darf keine Ausrede sein, wo Jahr für Jahr viele Millionen Euro in die laufenden Kosten von Prestigeprojekten fließen.

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