Freitag, 3. Juli 2015

Blockupy goes Athens: Wähle Deine Klasse!


Das OXI wird nicht ausgehandelt, sondern auf der Straße erkämpft

Für die Bewegungen ist das Referendum eine Erlösung: Nach fünf Monaten einer SYRIZA-Politik der Verhandlungen ist die Auseinandersetzung auf die Straße zurückgekehrt. »Oxi«, ruft man sich in Athen zu: Es reicht.

Langsam sind wir in Athen angekommen. Nach unzähligen Gesprächen beginnen wir zu verstehen, was hier gerade passiert und auf dem Spiel steht. Sagen wir es so: Nach einigen kleineren und größeren Verwirrungen, nach neuen Angeboten und Taktiken sind die 
Foto: Blockupy goes Athens
Linien der nächsten Tage gezogen. »Seit gestern gibt es nur noch uns und sie« sagte uns eben eine griechische Genossin. Die Regierung hat die letzten ernsthaften oder taktischen Versuche, es irgendwie mit den Gläubigern hinzubekommen, eingestellt. Es ist klar: Sie bekommen vorerst nichts. Und das schafft auch eine Klarheit und neue Einheit: Nicht nur scheint alles und jedes an der Frage des Referendums zu stehen – auch die Linke ist in fast maximaler Verschiedenheit und Breite dahinter versammelt. Von anarchistischen bis zu sozialdemokratischen Kampagnen, Texten, Demos und Versammlungen – jede und jeder findet seine eigene Weise, das OXI zu sagen und zu begründen (traurige Ausnahme ist die KKE, die Kommunistische Partei Griechenlands. Und viele sind sich sicher, dass sie dafür bitter bezahlen wird). Natürlich heißt das auch, dass das OXI für alle auch etwas anderes bedeutet. Das Gemeinsame ist trotzdem klar: Nach all den Jahren dieser kalkulierten Erniedrigung und Verarmung soll es eine Richtungsentscheidung geben, die die Menschen selbst treffen. Und es ist auch klar, was hier gegen was steht. Oben gegen unten. Eine antagonistische Situation, extrem zugespitzt und extrem friedlich zugleich.

Und die radikale Linke ist darin sehr diszipliniert: Alle wissen, dass jede Form des »Chaos« gerade der Erzählung der Eliten nutzt. Denn Politik meint hier wirklich einmal Lebensdeutungen und darum, ob und wie eine Regierung das Leben besser machen kann und nicht nur davon spricht. Hoffnung ist in Athen keine individuelle Kategorie des kleinen Glücks mehr, sondern hat tatsächlich eine Gesellschaftlichkeit geschaffen, die etwas zurückverlangt, was ihr in der Dekade der Sparpolitik und Auspressung genommen wurde: Das Ende der humanitären Krise und die Rückkehr der Würde. Der Stimmzettel stellt symbolisch etwas zur Wahl; in Wirklichkeit geht es aber um mehr. Das Referendum gibt die Entscheidung zurück in die Hände derer, die ihre Regierung beauftragt haben, sie zu vertreten. Ja, es geht um die »Institutionen«, die elenden Verhandlungen, den Euro. Aber es geht auch um Zukunft. Das wissen alle, auch wenn niemand sagen kann, was danach passiert.

Als wir ankamen, war das alles noch nicht so. Es gab eine große Verwirrung um Briefe und Erklärungen von Tsipras. Bietet er Brüssel etwas an? Welchen Kompromiss gibt es? Gibt er nach und was heißt das? Es ist wirklich erstaunlich, wie (wir) alle kritisch auf »ihre Regierung« gucken, von ihr abhängig sind und gleichzeitig immer sofort denken: »jetzt sind sie umgefallen, jetzt haben sie uns verraten«. Man hat »ihnen« die Entscheidung gegeben und erwartet nun, dass sie sie irgendwie umsetzen. Ist das so falsch? Widerspricht das wirklich der Politik der Plätze, kehrt das Alte im Neuen zurück? Wer weiß das schon, aber vielleicht sind dies die wenigen historischen Momente, wo sich die Repräsentierten tatsächlich mit den Repräsentierenden im Einklang befinden, wo nicht mehr »die da oben« entscheiden, sondern das »wir« tatsächlich regiert. Das würde jede Enttäuschungen auch so doppelt schlimm machen, müssten wir uns doch fragen, ob wir uns selbst in uns getäuscht hätten.

Es ist mit den Händen zu greifen, dass das Referendum gerade für die Bewegungen eine wirkliche Erlösung ist. Nach den ersten fünf Syriza-Monaten, einer Politik der Verhandlungen und der vielleicht naiven Hoffnung auf die europäische Diplomatie ist jetzt die Auseinandersetzung zurück auf die Straße gekehrt. Dabei ist das zentrale Motiv, das die Leute sich zurufen: »OXI«, was nichts anderes heißt als Auflehnung. Und das Verrückte dabei ist, dass dieses OXI nicht für eine hoffnungsvolle Zukunft steht, sondern für das, wie 2011 vieles begann: Ya Basta. Es reicht. Genug. Bis hier und nicht weiter. Es ist eine Zurückweisung der Politik der Angst. Auf einem Konzert sagte ein bekannter griechischer Musiker, die Leute sollen sich von geschlossenen Bankautomaten und den Makkaroni-Vorräten nicht verrückt machen lassen. Schließlich sei man verantwortlich für die Zukunft anderer Generationen. In Deutschland gibt es solche Sätze nur als neoliberales Knutenargument, hier ist es ein Schlachtruf des Widerstands. Und das ist einfach nur großartig und beeindruckend: Keine Unterwerfung!

Da wirken die geschlossenen Banken eher wie Wahlkampfbilder der rechten Presse. Trotzdem sind sie da und nicht wenige Menschen wirken hilflos oder überrumpelt. Für viele aber kommt ohnehin schon lange kein Geld mehr aus den Automaten. Tatsächlich stimmt der oftmals falsche linke Satz hier: Viele haben wirklich nichts zu verlieren. Und deshalb sind sie auch nicht mehr zu schrecken. Kaum vorstellbar in Deutschland, dem Land der Ängste und Verängstigten.

Es ist jetzt die Stunde der Bewegung – und ihrer Regierung, die seit gestern Teil der Kampagne ist. Das JA gewinnt in den privaten Medien, in der Angstmacherei und der organisierten Unterwerfung. Das OXI wird hier auf der Straße erkämpft, in der Kollektivität, der Stimmung, dem Aufbruch, der Solidarität und dem Vertrauen. Das klappt nicht immer, aber immerhin passiert es. Erleben wir, wie aus einer Wahl ein Aufstand neuen Typs wird? Auf jeden Fall sind wir mit vielen anderen dabei.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/976544.waehle-deine-klasse.html 

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