Sonntag, 5. Juli 2015

Die Linke und die Griechenlandkrise


Zwischenbilanz nach dem Referendum vom 05.07.15

Das Ergebnis des Referendums und die Erwartungen der griechischen Gesellschaft an EU und Euro

Das Erpressungspotential der Gläubiger mit den Staatsschulden war stark genug, ein Euroland in Not und Elend zu stürzen, aber die zynische Kompromisslosigkeit ihres Zerstörungswerks hat die Mehrheit der griechischen Bevölkerung nicht um ihre Urteilskraft betrügen können:

- Ökonomisch hätte Griechenlands Zustimmung zum Austeritätsprogramm der „Institutionen“ die humanitäre Katastrophe unabsehbar vertieft und verlängert. Damit hätten weder Griechenland noch die meisten europäischen Länder ihre heutigen Standards halten können. Denn auch wenn Griechenland nur über 2 bis 3 % des europäischen Wirtschaftspotentials verfügt, werden die Probleme mit der Fehlkonstruktion einer Währungsunion ohne einheitliche Wirtschafts- und Sozialpolitik ja nicht kleiner, sondern nehmen weiter zu – und der tatsächliche und ideologisch angebetete Wettbewerb der Euromächte gegeneinander verhindert die sonntags beschworene Einheit.

Und es ist ja auch nicht so, wie die Neoliberalen behaupten, dass SYRIZA noch nichts erreicht hätte: Zwar hätten die sehr weitgehenden Zugeständnisse an die Kreditgeber die griechische Wirtschaft auch tiefer in die Rezession gedrückt und die griechischen Arbeiter, Arbeitslosen und Rentner-innen noch mehr belastet, aber jetzt sollten endlich auch mal Unternehmer und Reiche zur Kasse gebeten werden – und genau das wollten deren Komplizen in Brüssel, Berlin, Frankfurt und Washington verhindern. Und wie alle Welt nun sieht, ist das Finanzkapital doch nicht so mächtig, eine selbstbewußte Nation und deren Regierung ökonomisch in die Knie zu zwingen.

- Auch politisch haben Schäuble-Merkel-Gabriel ihr Nahziel, die Linke am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen, noch nicht erreicht. Sie und alle Schulz-Junckers-Dijsselbloem, Draghi-Lagarde usw. konnten mit ihrer geballten Macht nicht verhindern, dass ihr neoliberales "Reformprogramm" einem basisdemokratischen Urteil unterzogen wird und dabei – durchfällt. Dass ein europäisches Volk mehrheitlich die Unterwerfung unter ihr Diktat ablehnt und über sein Leben selbst bestimmen will.

Wie es nach dem Volksentscheid weitergeht, ist völlig offen. Noch haben die „Institutionen“ starke ökonomische Waffen in der Hand, um die Lage in Griechenland weiter zu verschärfen. Z.B. indem sie jetzt Verhandlungen über ehrliche Wirtschaftshilfe endlos hinauszögern, während inzwischen die EZB das griechische Bankensystem nicht mehr stützt und die Regierung Tsipras zwingt, de facto eine Art Schattenwährung in Gestalt von Schuldscheinen an die eigene Bevölkerung auszugeben…usw.

Das „äußerst großzügige Angebot“ (Merkel), die Kreditvereinbarung bis November zu verlängern, war ja eine Spekulation auf das Scheitern der Tsipras-Regierung: Diese hätte entweder die Bedingungen unterschreiben oder immer weiter verhandeln müssen, während die humanitäre Krise sich immer mehr verschärft und die Menschen immer unzufriedener werden. Inzwischen hätten die Memorandumsparteien Zeit gehabt, sich zum Regierungssturz zu formieren… Diese Spekulation hat das Referendum durchkreuzt. Doch so schnell werden die Herrschaften ihr Ziel, Griechenland ökonomisch zu destabilisieren, um die linke Regierung zu stürzen, noch nicht aufgeben.

Dahinter stehen schon die viel wichtigeren Fragen für Griechenlands Zukunft: Wird SYRIZA jetzt die schon beschlossenen Sozialgesetze durchführen? Wird der Regierung zugetraut, den gewonnenen Spielraum zu nutzen, um Wirtschaft und Verwaltung zu reorganisieren, Steuern einzutreiben, die Korruption zu bekämpfen, Investitionen ins Land zu holen?

Nach dem Referendum erscheinen auch die Fragen zur Zukunft des Euro und der Europäischen Union mit neuer Dynamik. Der links-keynesianische Ökonom Heiner Flassbeck schrieb wenige Tage vor dem Referendum zum damaligen Verhandlungsstand: Mit diesem Kompromiss „kann weder Griechenland leben noch Europa. Wir werden in sechs Monaten dieselben Probleme wieder diskutieren. (…) Wenn bis 2017 kein Wunder geschieht und die sechsjährige Rezession nicht überwunden wird, wird es dramatisch. Wie in Griechenland werden die Leute radikal wählen, erst in Spanien, dann in Italien. Dies Land ist in einer katastrophalen Situation. Und dann kommt Frankreich – und der Front National könnte die Präsidentschaftswahl gewinnen. Demokratien sind nicht beliebig dehnbar, der Hass auf die Deutschen wächst. Europa ist schon jetzt im Kern zerstört."


Die Amerikaner Europas"


Der linke Publizist Tomasz Konicz stellte unmittelbar nach dem Abbruch der Verhandlungen fest: „Das Kreditprogramm für Hellas wurde auch deswegen nicht um sieben Tage (bis zum Referendum, W.S.) verlängert, um den Druck auf die griechische Regierung aufrechtzuerhalten und die griechischen Wähler zu erpressen. Das Land soll in den Ausnahmezustand manövriert werden…

Berlin betreibt somit eine ordinär imperialistische Politik, bei der missliebige Regierungen in abhängigen und peripheren Staaten einfach weggeputscht werden, wenn diese nicht die Weisungen aus dem Zentrum befolgen. Süd- und Osteuropa spielen in dieser Vorstellung die Rolle eines europäischen Lateinamerikas. Südeuropa wird von Deutschland - das die Rolle der USA Europas einnimmt - lateinamerikanisiert. Der rechte Spiegel-Kolumnist Jan Fleischhauer hat bereits 2012 in unverschämter Offenheit diese neue Machtkonstellation ausgesprochen und die Deutschen zu eben den "Amerikanern Europas" erklärt. "Wir sind jetzt die Amerikaner Europas. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass wir in manchen Ländern Europas für einige Zeit nicht mehr sehr beliebt sind.“

Daher stellt sich der europäischen Linken jetzt mit neuer Brisanz die Frage, wie wir mit diesem imperialistischen Deutsch-Europa umgehen wollen. Mit wolkigen Floskeln wie „Europa geht anders“ oder "Europa neu begründen" kommen wir nicht weiter. Das griechische Referendum hat erstmals eine weithin sichtbare Einheit der Linken auf die europäischen Straßen gebracht. Einen deutlichen Impuls, der Eurokratie von oben den seit 1989 totgesagten Internationalismus von unten entgegen zu stellen. Wenn wir es schaffen, diesen Impuls aufzunehmen, zu stabilisieren und weiter zu verstärken, wäre das die mächtigste Wirkung des griechischen Referendums.

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