Freitag, 24. Juli 2015

"Flüchtlingskrise"? Nein, Krise des Kapitalismus.


Fluchtursachen bekämpfen? Ja, Kapitalismus überwinden.

Soeben sind wieder 40 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken. Soeben hat der Ministerpräsident von
Bayern, CSU-Chef Seehofer als "Abschiebelager" bezeichnete Konzentrationslager für Flüchtlinge angeregt. Soeben hat die deutsche Bundeskanzlerin Merkel die Zukunftsangst eines von Abschiebung bedrohten palästinensischen Mädchens im Fernsehen dazu missbraucht, die fremdenfeindliche Abschottung Deutsch-Europas zu verteidigen.

Die weltweiten Fluchtbewegungen haben eine in der Menschheitsgeschichte nie gekannte Dimension erreicht, die selbst die Flüchtlingsströme nach dem zweiten Weltkrieg übertrifft: Die UNO-Organisation UNHCR registrierte Ende 2014 weltweit fast 60 Millionen Menschen (16 Prozent mehr als im Jahr davor) auf der Flucht vor Bürgerkriegen, Terror, Zerstörung ihrer Existenzgrundlagen.

Doch wo fast die Hälfte aller weltweit produzierten Werte in die Safes von weniger als einem Prozent der Menschheit wandert, gibt es nicht eine weltweite "Flüchtlingskrise", sondern eine Krise des Wirtschaftssystems, das die Fluchtbewegungen erzeugt. Wenn man diese Krise überwinden will, darf man nicht nur um die Folgen streiten, sondern muss ihre Ursachen ergründen.

Die Ursachen der weltweiten Fluchtwanderungen reichen weit zurück in die Geschichte der Kolonialisierung der ganzen Welt durch eine Handvoll kapitalistischer Staaten. Geschichte kann man nicht rückwirkend korrigieren. Deshalb sollte man bereit sein, sich wenigstens die Last der Folgen zu teilen.

Aber das allein genügt nicht. Soll die Menschheit nicht in Elend und Chaos versinken, dann muss sie sich der Tatsache stellen, dass die fluchtursächliche Ausplünderung der ganzen Welt durch den "Raubtierkapitalismus" (Helmut Schmidt) multinationaler Konzerne, Banken und Hedgefonds die Ausbeutungsmechanismen der Kolonialgeschichte heute noch bei weitem übersteigt.

Dazu zählen:
- der erzwungene Übergang von autarken Wirtschaftsformen hin zu weltmarktabhängigen Monokulturen;
- das Erwürgen der einheimischen Agrarproduktion durch europäische und US-amerikanische Billigimporte;
- die Nötigung zu verstärktem Import von Lebensmitteln aus den USA und Europa;
- das Dumping von Rohstoffpreisen durch erzwungene Überproduktion;
- Währungsabwertungen zur Exportförderung und zur Verteuerung von Importen;
- die Kreditregime der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Nötigung zur Exportproduktion für die Schuldentilgung;
- Importbeschränkungen für Bedarfsartikel des alltäglichen Gebrauchs, aber nicht für Luxuswaren und Rüstungsgüter;
- Steuergesetze zur Begünstigung internationaler Konzerne;
- Ruinierung der einheimischen Küstenfischerei durch die schwimmenden Fischfabriken aus Übersee;
- Zölle, mit denen Europa afrikanische Erzeugnisse von seinen Märkten ausschließt;
- die Aufstellung und Ausrüstung von Bürgerkriegsarmeen, mit Kindersoldaten usw.
usw. usw.

Vieles davon gehört zum Arsenal der Weltbank und des IWF (dargestellt z.B. in: Joseph Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung. Stiglitz muss es wissen: Er war 1993–1997 Wirtschaftsberater der US-Regierung, dann Chefökonom der Weltbank und wurde dort nach vier Jahren wegen seiner Reformvorschläge hinausgeworfen.)

Mitschuldig an den Krisenursachen und damit an den Flüchtlingsströmen sind die Handels-, Agrar- und Kreditpolitik der Europäischen Union, ihrer dominierenden Wirtschaftsmacht Deutschland und auch hier vor allem ihrer weltweit agierenden Großbanken. Abgesichert und unterstützt von einer Kanzlerin, die scheinheilig Flüchtlingskinder streichelt und im selben Atemzug die Abschottung Deutschlands gegen das hier verursachte Flüchtlingselend verteidigt.

Fluchtursachen bekämpfen erfordert, der Koalition der "Flüchtlingskrise" den Kampf anzusagen.

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