Fluchtursachen bekämpfen? Ja, Kapitalismus überwinden.
Soeben sind wieder 40 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken.
Soeben hat der Ministerpräsident von
Bayern, CSU-Chef Seehofer als "Abschiebelager"
bezeichnete Konzentrationslager für Flüchtlinge angeregt. Soeben hat die
deutsche Bundeskanzlerin Merkel die Zukunftsangst eines von Abschiebung
bedrohten palästinensischen Mädchens im Fernsehen dazu missbraucht, die fremdenfeindliche
Abschottung Deutsch-Europas zu verteidigen.
Die weltweiten Fluchtbewegungen haben eine in der
Menschheitsgeschichte nie gekannte Dimension erreicht, die selbst die
Flüchtlingsströme nach dem zweiten Weltkrieg übertrifft: Die UNO-Organisation
UNHCR registrierte Ende 2014 weltweit fast 60 Millionen Menschen (16 Prozent
mehr als im Jahr davor) auf der Flucht vor Bürgerkriegen, Terror, Zerstörung
ihrer Existenzgrundlagen.
Doch wo fast die Hälfte aller weltweit produzierten Werte in
die Safes von weniger als einem Prozent der Menschheit wandert, gibt es nicht
eine weltweite "Flüchtlingskrise", sondern eine Krise des
Wirtschaftssystems, das die Fluchtbewegungen erzeugt. Wenn man diese Krise
überwinden will, darf man nicht nur um die Folgen streiten, sondern muss ihre
Ursachen ergründen.
Die Ursachen der weltweiten Fluchtwanderungen reichen weit
zurück in die Geschichte der Kolonialisierung der ganzen Welt durch eine
Handvoll kapitalistischer Staaten. Geschichte kann man nicht rückwirkend
korrigieren. Deshalb sollte man bereit sein, sich wenigstens die Last der Folgen
zu teilen.
Aber das allein genügt nicht. Soll die Menschheit nicht in
Elend und Chaos versinken, dann muss sie sich der Tatsache stellen, dass die
fluchtursächliche Ausplünderung der ganzen Welt durch den
"Raubtierkapitalismus" (Helmut Schmidt) multinationaler Konzerne,
Banken und Hedgefonds die Ausbeutungsmechanismen der Kolonialgeschichte heute
noch bei weitem übersteigt.
Dazu zählen:
- der erzwungene Übergang von autarken Wirtschaftsformen hin
zu weltmarktabhängigen Monokulturen;
- das Erwürgen der einheimischen Agrarproduktion durch
europäische und US-amerikanische Billigimporte;
- die Nötigung zu verstärktem Import von Lebensmitteln aus
den USA und Europa;
- das Dumping von Rohstoffpreisen durch erzwungene
Überproduktion;
- Währungsabwertungen zur Exportförderung und zur
Verteuerung von Importen;
- die Kreditregime der Weltbank und des Internationalen
Währungsfonds (IWF) und die Nötigung zur Exportproduktion für die
Schuldentilgung;
- Importbeschränkungen für Bedarfsartikel des alltäglichen
Gebrauchs, aber nicht für Luxuswaren und Rüstungsgüter;
- Steuergesetze zur Begünstigung internationaler Konzerne;
- Ruinierung der einheimischen Küstenfischerei durch die schwimmenden
Fischfabriken aus Übersee;
- Zölle, mit denen Europa afrikanische Erzeugnisse von
seinen Märkten ausschließt;
- die Aufstellung und Ausrüstung von Bürgerkriegsarmeen, mit
Kindersoldaten usw.
usw. usw.
Vieles davon gehört zum Arsenal der Weltbank und des IWF
(dargestellt z.B. in: Joseph Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung.
Stiglitz muss es wissen: Er war 1993–1997 Wirtschaftsberater der US-Regierung,
dann Chefökonom der Weltbank und wurde dort nach vier Jahren wegen seiner Reformvorschläge
hinausgeworfen.)
Mitschuldig an den Krisenursachen und damit an den
Flüchtlingsströmen sind die Handels-, Agrar- und Kreditpolitik der Europäischen
Union, ihrer dominierenden Wirtschaftsmacht Deutschland und auch hier vor allem
ihrer weltweit agierenden Großbanken. Abgesichert und unterstützt von einer Kanzlerin,
die scheinheilig Flüchtlingskinder streichelt und im selben Atemzug die
Abschottung Deutschlands gegen das hier verursachte Flüchtlingselend verteidigt.
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