Samstag, 11. Juli 2015

Warum der Grexit ausfällt


1. Die Regierung Tsipras und das griechische Parlament haben dem Grexit die Kapitulation vorgezogen
Die von Tsipras nach Brüssel gesandte Liste entspricht sehr weitgehend den Forderungen der Gläubiger vor dem Referendum, weil das Land angesichts der Strangulation durch die EZB und der dadurch abgewürgten Wirtschaft in eine verzweifelte Lage rutschte und weitere Verzögerungen katastrophale Auswirkungen hätten. Zwar verlangt Tsipras weiterhin einen Schuldenschnitt, den Berlin kategorisch verweigert, am Donnerstag noch haben Merkel und Schäuble sich wieder ausdrücklich dagegen verwahrt. Stattdessen sollen die griechischen Schulden "umstrukturiert" werden, was das genau bedeutet, bleibt vorerst unklar. Um dennoch eine Mehrheit für die neue Vereinbarung mit Brüssel zu erhalten, war man auf Ja-Stimmen der Opposition angewiesen.

2. Die Beherrscher Europas brauchen noch keinen Grexit, um das unbotmäßige Volk zu bestrafen und die Demokratie marktkonform auszuhebeln
EU-Chef Juncker empfing am Donnerstag eine Delegation der konservativen griechischen Partei Nea Dimokratia und am Freitag den Vorsitzenden der Partei To Potami. Mit einer Abstimmung, in der die Regierung nur mithilfe der alten Memorandumsparteien eine Mehrheit zusammen bekam, während Teile der eigenen Fraktion das neue Sparpaket ablehnten, kann die EU der Welt noch ohne Grexit vorführen: "Widerstand gegen die von uns diktierte Politik ist aussichtslos, es gibt keine Alternative."

3. Die USA sorgen sich um die Bündnistreue Griechenlands - und um den Aufmarsch Deutschlands
James Stavridis, Ex-Admiral der U.S. Navy, bis 2013 Supreme Allied Commander Europe der NATO (SACEUR), warnte in der US-Zeitschrift "Foreign Policy": Werde Griechenland aus der Eurozone gedrängt, dann könne es sich zum "Quertreiber" in der EU und NATO entwickeln. Zudem werde die Krise Auswirkungen darauf haben, wie stark Athen sich an NATO-Operationen, EU-Missionen, "humanitären" Projekten usw. beteilige. Sogar der Zugang zu Griechenlands geostrategisch wichtigen Militärbasen sei dann gefährdet, "in einer Zeit beträchtlicher Spannungen im östlichen Mittelmeer", so der US-Admiral.
Was die US-Diplomatie nicht ausspricht, ist die Sorge, dass Deutschland in der Eurokrise zur unanfechtbar dominierenden Macht in Europa aufgestiegen ist. Das Wallstreet Journal schrieb nach dem griechischen Referendum: "Jahrzehntelang hatte ein Tandem aus Frankreich und Deutschland in Brüssel den Ton angegeben, deutsch-französische Kompromisse hatten von stark divergierenden Standpunkten aus die übrigen EU-Staaten integrieren können. Seit Deutschland nun allein dominiert, ist diese Integrationskraft nicht mehr gegeben. Berlins Macht schafft stattdessen neue Spannungen in der EU, die gegen die anschwellende Dominanz eines ihrer Mitglieder zu kämpfen hat. Spätestens mit dem griechischen "Nein" vom vergangenen Sonntag sind die Gefahren, die aus Deutschlands Aufstieg für das europäische Projekt resultieren, deutlich geworden."
Gelinge es nicht, die Griechenland-Krise einzudämmen, werde der Widerstand gegen "die deutsche Macht in Europa" weiter wachsen. Ähnlich wie die Vereinigten Staaten in der ganzen Welt "polarisiert die deutsche Macht Europa." In Spanien habe der Chef der neuen Partei Podemos kürzlich erklärt: "Wir wollen keine deutsche Kolonie sein," schreibt das Wallstreet Journal.
Berlin kann also (noch) nicht riskieren, sein Ziel mit der Brechstange durchzusetzen.

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