Donnerstag, 5. November 2015

„Wir“, unser Gartenzaun und „Die“



Der unsägliche Hans-Peter Friedrich, Ex-Innenminister aus der CSU, schimpfte in Anne Wills Talkshow: "Ich weiß gar nicht, was die Dämonisierung von Zäunen soll. Es gibt ganz viele Leute, die haben um ihre Häuser Zäune." Und seine noch amtierende Gesinnungsfreundin, Österreichs Innenministerin, die ebenso unsägliche Frau Mikl-Leitner von der ÖVP, sprang ihm bei: „Jeder, der ein Haus hat, hat einen Garten und einen Zaun, und jeder entscheidet, wer rein darf und wer raus."

So wollen auch „wir“ (Deutschen) entscheiden, wer bei uns rein darf. Denn dies Land gehört „uns“. – Tatsächlich? Gehört dies Land uns wie unser Häuschen, unser Auto – oder wem gehört eigentlich was davon? Und über welche Eigentumsverteilung und welche Machtverhältnisse, die diese Eigentumsverteilung herstellen und sichern, soll das nationalistische „Wir“ uns immer wieder hinwegtäuschen?

Viele von denen, die Deutschland jetzt dicht machen, mit Grenzzäunen abschotten und mit Abschiebeknästen umstellen möchten, begründen das tatsächlich ganz platt mit dem „Fressen, das vor der Moral kommt“: „Die“ nehmen uns die Arbeit weg, die Wohnung, unsere Sozialleistungen, brechen in unsere Villen ein, rauben uns auf offener Straße das Handy und uns‘Omma die Brosche vom Hals. Solche Ängste, so erklärlich sie in der „Wettbewerbsgesellschaft“ sind, werden von den Funktionären des Eigentums gegen die Habenichtse gesteigert bis zur Hysterie, wo sie keinem nüchternen Faktenckeck mehr zugänglich sind.

Doch politisch mindestens so gefährlich wie die militanten, halb oder schon ganz kriminellen Verteidiger des Eigentums (Pegida u.co.), weil mehr in die Breite wirkt die „anständige“, dem Schein nach vernünftigere Variante des bürgerlich-nationalistischen „Wir“. Sie argumentiert sittlich-kulturell, aber dahinter versteckt sich auch nicht mehr als der – moralisch überhöhte – Eigentumsdünkel: „Die Errungenschaften unseres Landes, unserer Kultur haben wir erarbeitet, sagt diese Variante, also haben nur wir ein Anrecht darauf.“ – Das ist natürlich hanebüchen geschichtsvergessener Blödsinn. Jahrtausende bevor Nationen und nationale Eigentümlichkeiten entstanden, war gerade unsere abendländische Kultur schon seit 4.000 Jahren immer ein Schmelztiegel, haben wir Europäer – und in besonderem Maße mitten in Europa wir Deutschen – uns immer alles angeeignet und genutzt, was die ganze Menschheit an geistigen und materiellen Leistungen geschaffen hat. Unsere Zahlen stammen aus Arabien, unsere Mathematik und Philosophie aus Griechenland, der Beton aus dem alten Rom, das Glas aus Ägypten, das Porzellan aus China, unser Gott aus Israel, … Wer gab uns eigentlich ein Recht dazu? Wir konnten das alles nur für unser Land nutzen, weil wir immer offen waren für alle Völkerwanderungen herein und hinaus. Und das haben wir bekanntlich bis in die jüngste Vergangenheit der europäischen Gemeinschaft durchgehalten – klugerweise, denn mit Zuwanderern kamen nicht nur Arbeitskräfte, sondern immer auch kultureller Reichtum ins Land. Also worauf haben „wir“ ein Anrecht, das unsere Zuwanderer nicht hätten?

Chauvinistische Abschottung gegen „Fremde“ wird auch nicht weniger dumm, wenn man mit „Wir“ nicht nur Deutschland meint, sondern gleich ganz Europa dicht macht. – „Aber wir können doch nicht die ganze Welt aufnehmen.“ – Als ob es darum ginge! Als ob die Welt nichts besseres wüsste, als der Heimat den Rücken zu kehren und von fremden – „unseren“ Gütern zu schmarotzen! Auf so eine perverse Vorstellung können nur Leute kommen, denen ihre eigene privilegierte, saturierte, selbstgenügsame Lebensweise als der höchste erstrebenswerte Zustand der Menschheit erscheint, und die folglich „die ganze Welt“ für genauso blöd halten wie sich selbst.

Als ob „die ganze Welt“ auf der Flucht wäre! Als ob es nicht ganz bestimmte, klar erkennbare und vom Westen, namentlich auch von uns Deutschen zu verantwortende Fluchtursachen gäbe! Und als ob wir nicht unser Handeln, unseren Lebensstil und unsere Politik auf den Prüfstand zu stellen hätten: Wo mischen wir uns in gesellschaftliche Konflikte anderer Länder ein, wo unterstützen wir Bürgerkriegsparteien und beliefern sie mit Waffen, wo sind ungleiche Handelsverträge, Kapitalexporte deutscher Konzerne, unser Lohndumping Ursachen für Hunger und Elend? Und wie müssen wir selbst unser Leben und Zusammenleben ändern, um Fluchtursachen aus der Welt zu schaffen?

Bei gewissenhafter, unvoreingenommener Prüfung können wir nur zu diesen Schlüssen kommen: Die Beseitigung der Fluchtursachen wird erst gelingen auf Grundlage einer anderen Wirtschaftsweise, als sie der heutige Kapitalismus ermöglicht. Solange uns die Kraft fehlt – und sie fehlt uns mit jedem Tag dringender! – unsere Gesellschaft so gründlich zu verändern, kommen wir gar nicht umhin, die Opfer unseres Handelns aufzunehmen. Zäune und Abschiebeknäste können sie nicht hindern, zu uns zu kommen. Wir müssten sie schon abknallen wie die Hasen oder massenhaft im Mittelmeer ertrinken lassen, wenn wir sie hindern wollten. Wer das nicht will, muss die Ideologie des „Wettbewerbs“ (der Menschen, Nationen und Kulturen) überwinden und ihr die internationale, weltweite Solidarität entgegen stellen. Nicht zufällig ist die LINKE die einzige Partei im deutschen Bundestag, die in dieser Frage kein bisschen wackelt.

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