Dienstag, 22. Dezember 2015

Der Platz von AfD, Pegida u.co. in der Menschheitsentwicklung


Die wissenschaftliche Populismus-Forschung beschränkt sich gewöhnlich auf die Beschreibung der aktuellen Feindbilder, Stereotypen, Aktions- und Organisationsmuster populistischer Strömungen. Überlegungen, wie der Populismus zu bekämpfen und zurück zu drängen ist, erschließen sich aber erst aus seiner geschichtlichen Einordnung.

Sowohl Vertreter der etablierten „Volksparteien“, der Mainstream-Medien als auch manche wissenschaftliche Populismusforscher behaupten, AfD, Pegida u.co. konkurrierten mit der Linkspartei und bestimmten sozialen Basisbewegungen um dieselbe Klientel, und zwar mit denselben Methoden und ähnlichen Inhalten. Dem „Rechtspopulismus“ entspreche sozusagen spiegelbildlich ein „Linkspopulismus“. An der Oberfläche kann man allerdings über einige ähnliche Erscheinungen stolpern.

Ein Beispiel: Auch die Linke sieht die moderne Gesellschaft dichotomisch in Oben und Unten geteilt, in agitatorischer Zuspitzung wird wohl auch von links eine bürokratische, abgehobene, sich auf Kosten des Gemeinwesens bereichernde Elite der Mehrheit gegenüber angeprangert. Aber der grundlegende Unterschied ist – und hier erweist sich die Gleichsetzung Rechts = Links sofort wieder als unhaltbar: Die Linke bleibt nicht beim moralisierenden Vorwurf der individuellen Bereicherung und Privilegiertheit der Herrschenden stehen, um diese durch eine „bessere“ Elite abzulösen, sondern sie analysiert Struktur und Funktionsweise der kapitalistischen Gesellschaft, um diese zu überwinden.

So wie in diesem Beispiel können wir Punkt für Punkt die populistische Programmatik durchgehen und stellen immer fest: Die linken Positionen stehen dem Populismus diametral entgegen. Der rechten Ignoranz setzt die Linke Bildung und Wissen entgegen; dem Vorurteil das fortschreitende Verstehen von Zusammenhängen und Entwicklungen; der Ausgrenzung von Minderheiten die Integration in die Gemeinschaft; dem Dünkel der „höherstehenden“ Kultur-Nation-Rasse die Gleichwertigkeit Aller; dem Wohlstandschauvinismus den gerechten Ausgleich; dem dumpfen Hass die Empathie und Solidarität; der amorphen Wut der Masse den persönlichen Mut in organisierter Verantwortung.

Darüber hinaus zeigt diese Gegenüberstellung: Während der Populismus sich aus Versatzstücken auch ohne ihn existierender Ideologien bedient, steht die linke Programmatik auf eigenem Fundament der geschlossenen, konsistenten Weltanschauung eines zeitgemäßen Humanismus, in dessen Zentrum nicht das Kapital, sondern der Mensch steht. Deren Kernziel ist die Überwindung der Klassengesellschaft.

Zwar behaupten auch Populisten, die Spaltung der Gesellschaft in Oben und Unten aufzuheben, indem sie die „Elite“ zu entmachten und dem „Volk“ die Selbstbestimmung zurück zu geben versprechen, aber sie stellen dafür die kapitalistischen Produktionsverhältnisse nicht in Frage, und ohne diese abzuschaffen muss das populistische Gleichheitsversprechen ein großer Schwindel bleiben.

Somit stellt sich der Populismus als ein Krisensymptom des Kapitalismus dar und zugleich als Zerfallsprodukt der Klassengesellschaft überhaupt. Seit den frühesten Spaltungen der Menschheit in herrschende und beherrschte, ausbeutende und ausgebeutete Klassen hat das Streben der Unteren, diese Spaltung durch Kämpfe um Freiheit und Gleichheit zu überwinden, nie aufgehört. Um solchen Kämpfen die Spitze abzubrechen oder zuvor zu kommen, benutzen die Herrschenden auch die Methode, dem Volk nach dem Mund zu reden, es mit falschen Versprechungen zu verwirren und zu betrügen.

Ein paar Beispiele. Im späten Römerreich gab es massenhafte Sklavenaufstände – und die Führer der „Volkspartei“ (Populares), die den verarmten Plebejern weis machten, ihre Feinde seien nicht die Großgrundbesitzer-Sklavenhalter, sondern Kimbern und Teutonen vor den Toren. Ab dem 12. Jahrhundert drohte Unzufriedenheit des niederen Landadels die Grundlagen der Feudalherrschaft zu zersetzen – doch die weltlichen und geistlichen Fürsten finanzierten Orden, die die Ritterschaft zu Kreuzzügen gegen die „Heiden“ im Morgenland aufriefen. Im 16. Jahrhundert bedrohten die Bauernkriege Adel und Geistlichkeit – doch es gab den Martin Luther, einen Populisten reinsten Wassers, der die Gläubigen zwar aus den Fesseln der Papstkirche befreite, um sie und die Bauern als brave preußisch-deutsche Untertanen an die Landesfürsten auszuliefern. Im 19. Jahrhundert konnte die kapitalistische Wirtschaft die proletarisierten Massen nicht mehr ernähren – da predigten in England ein Malthus und ein Cecil Rhodes den Bürgern, die Proleten vermehrten sich zu schnell, dagegen helfen außer Zucht und Arbeit nur koloniale Raubzüge gegen die „Wilden“. Schließlich nach dem 1. Weltkrieg, als durch Krieg und Krise verelendete Massen für die Überwindung des Kapitalismus durch das Sowjetsystem kämpften – da wurde eine schon tausend Jahre alte Ideologie mit großem Geld aufgerüstet, die die Schuld an der Krise auf die Juden und die Bolschewiken-Russen-Slawen abschob und vorgab, nach deren Vernichtung gäbe es nur noch „ein Volk, ein Reich, einen Führer.“

Die Beispiele belegen: Populismus war immer ein Reflex der Herrschenden auf den Freiheitsdrang der Beherrschten. So auch heute. Daher ist es wissenschaftlich absurd und politisch infam, den Schein für das Wesen der Sache auszugeben und dem Populismus, der immer rechts, konservativ, auf Seite der bestehenden Verhältnisse steht, auch noch einen „linken“ Halbbruder anzudichten. Wenn hin und wieder sogar Freunde der Linken dazu raten, sie möge, um den Populisten das Wasser abzugraben, mit einem „linken Populismus“ antworten: diese Rechnung kann nicht aufgehen. Denn sie bleibt an der Oberfläche, während es darum geht, den Wesenskern der heutigen Klassenspaltung offen zu legen, das kapitalistische Produktionsverhältnis.

Den Linken bleibt daher tatsächlich nichts anderes, als dem Populismus unsere humanen Werte (siehe oben) und das Wissen um den Gang der Geschichte entgegen zu stellen. In der Gewissheit, dass die Menschheit seit Kains Brudermord viel gelernt hat und mit Lernen nicht aufhören wird, bleibt beste Waffe gegen die Fremdenfeindlichkeit von AfD und Pegida: „Welcome refugees!“

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