Montag, 19. Dezember 2016

Notizen aus der Provinzhauptstadt: „Lieber jedes Jahr 20 Millionen Defizit als mit anderen zusammenarbeiten!“

Nach einem Jahr sinkender Fluggastzahlen und erneut hoher Verluste des Dortmunder Flughafens stellte die Ratsfraktion DIE LINKE&Piraten zum städtischen Haushaltsplan 2017 unter anderem diesen Antrag:
„Der Rat fordert die Flughafen GmbH auf, mit den Flughäfen Münster/Osnabrück und Paderborn/Lippstadt in Verhandlungen zu treten – mit dem Ziel einer dauerhaften Kooperation. Bis dahin gibt es ein Moratorium, keine baulichen Veränderungen auf dem Flughafen-Gelände vorzunehmen. Dem Rat ist hierzu regelmäßig Bericht zu erstatten.
Begründung: Eine dauerhafte Kooperation mit den Nachbarflughäfen eröffnet neue Möglichkeiten der Kostensenkung bzw. der Generierung neuer Einnahmequellen.“

Wie nicht anders zu erwarten hat die große SPD-CDU-Koalition auch diesen vernünftigen Antrag im Rat Anfang Dezember abgelehnt. Fünf Tage darauf verkündete der Flughafenchef ein Plus von 612 An- und Abreisenden im November (knapp einem Prozent) gegenüber dem Vorjahr und jubelte das gleich zur „Trendwende“ hoch.

Was doch sehr nach dem berühmten Pfeifen-im-Wald klingt, kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass über dem Flughafen weiterhin die Auflage der EU-Kommission schwebt, die rechtswidrige Dauersubvention durch die Stadt (-werke) bis 2023 auf null zu bringen. Dazu müsste er nach seinen eigenen Berechnungen schon im laufenden Jahr rund 250.000 Passagiere mehr befördert haben als in 2015 – in Wirklichkeit kommt er aber bis Jahresende auf ein Minus von ca. 65.000. Und selbst wenn es gelänge, wie Mager hofft, im kommenden Jahr die 2-Millionen-Latte zu überspringen, vergrößert sich die Differenz zum planmäßigen Defizitabbau auf über 500.000 Passagiere. Das bei der EU vorgelegte Zahlenwerk ist also heute schon Makulatur.

Obendrein dürfte das vor kurzem eingeführte neue Rabattsystem für die Airlines das operative Defizit weiter erhöhen. Es bleibt wahr was wir schon seit 2008 vorrechnen: Jeder zusätzliche Billigflug-Passagier bringt den Flughafen tiefer in die Miesen.

Daraus gibt es nur einen Ausweg, wenn Dortmund einen eigenen Flughafen behalten will: Mit den umliegenden Regionalflughäfen eine solche Kooperation zu vereinbaren, bei der Dortmund aus der ruinösen Low-cost-Konkurrenz aussteigt und sich auf rentable Angebote konzentriert. Wie allerdings die Haushaltsberatung wieder zeigte, könnte die Ratsmehrheit in verbohrtem Fanatismus die Zeichen der Zeit erst erkennen, wenn das Desaster nicht mehr abwendbar ist.

Außerdem beantragten die LINKE&Piraten im Stadtrat:

„Keine Landebahnerweiterung am Dortmunder Flughafen

Begründung: Der Flughafen Dortmund schreibt seit Jahren Defizite im zweistelligen Millionenbereich, die über den Querverbund im Stadtwerkekonzern finanziert werden. Die Rücklagen zur Schuldenübernahme bei DSW21 sind inzwischen aufgebraucht. Weitere finanzielle Abenteuer kann sich Dortmund nicht leisten, zumal die Leistungen der DSW21, wie der ÖPNV, Energie und Wasser, die Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum oder Leistungen für die Wirtschaft am Dortmunder Hafen für die Stadtgesellschaft nicht verzichtbar sind.“

„Keine Verlängerung der Betriebszeiten
Der Rat lehnt jede weitere Verlängerung der Betriebszeiten in den Nachtflugbereich hinein ab.“


Auch diese Anträge stießen bei der vereinigten Front der Flughafen-Fanatiker auf taube Ohren.

Freitag, 16. Dezember 2016

Top-Ökonomen sehen den Euro am Ende

Vor ein paar Tagen empfahl Roland Berger, als Gründer und Chef der gleichnamigen Unternehmensberatungsfirma einer der einflussreichsten deutschen Wirtschaftslenker, Deutschland solle aus der Eurozone austreten. "Wir sollten nicht soviel darüber nachdenken, ob Griechenland gerettet werden kann, sagte Berger in einem Interview mit Handelsblatt-Global (13.12.2016), "stattdessen sollten wir erwägen, ob es nicht logischer ist, dass Deutschland die Eurozone verlässt, um die EU als ganze zu erhalten."

Radikale Lösungen seien notwendig, um den "katastrophalen Zustand" zu beenden, der nach seiner Meinung in erster Linie durch die Währungsunion verursacht sei. Deutschlands finanzielle und wirtschaftliche Stärke, wie sie sich im Überschuss seiner Leistungsbilanz zeigt, habe ein Ungleichgewicht innerhalb der Europäischen Union geschaffen, das anders nicht zu beheben sei als durch den deutschen Austritt.

Doch würde Deutschland, wie der Wirtschaftsberater sagte, niemals so einen radikalen Schritt wagen. Deshalb schlägt er eine alternative Lösung vor: "Die andere klare Lösung zur Rettung des Euro wäre eine Transferunion, wie sie lange Zeit zwischen den deutschen Ländern existierte."

Soweit Roland Berger. Dass aber die deutsche Führung so eine Transferunion, also den Finanzausgleich zwischen Schuldner- und Gläubigerstaaten und eine abgestimmte Finanz- und Wirtschaftspolitik in Europa stur verweigert, stellte der ehemalige Direktor der Deutschen Bundesbank und ehemaliger Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), Otmar Issing klar. Seiner Meinung nach soll die EZB unverändert Preisstabilität verfolgen und die Regierungen zu „soliden“ öffentlichen Finanzen drängen, also in Richtung der berüchtigten "schwarzen Null". Damit steht Deutschland weiterhin in krassem Gegensatz zu den meisten Ökonomen in USA, UK, China, Japan. Alle diese Länder halten sich die Möglichkeit eines „bail-out“ offen, weil sie seit Lehman-Brothers wissen: Geht eine Bank Pleite, könnten andere folgen, und am Ende kippen sie alle wie Dominosteine um. Issing und die Deutsche Bundesbank hingegen sehen eine Finanzunion als "Desaster". Eine Erhöhung der Staatsausgaben in Deutschland lehnt Issing kategorisch ab. Selbst bei Massenarbeitslosigkeit darf der Staat nicht Arbeitsplätze schaffen durch zusätzliche Ausgaben, er muss sie sogar durch Austeritätspolitik vernichten. 

Entsprechend dunkel sieht er die Zukunft der Eurozone. Die Währungsunion werde von Krise zu Krise taumeln, dies könne aber nicht unendlich weitergehen. Eines Tages werde das Kartenhaus kollabieren, prophezeit Issing - einer der wichtigsten Architekten der Währungsunion auf deutscher Seite.

Wie es weitergehen soll, verrät Issing uns nicht. Durch ein neues Verbundsystem zwischen nationalen Währungen die europäische Einigung vom Kopf auf die Füße zu stellen, kommt auch ihm nicht in den Sinn.

Dienstag, 13. Dezember 2016

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Altersarmut schon jetzt auf hohem Niveau

Information von Carsten Klink, Ratsmitglied DIE LINKE&Piraten Dortmund:

Im Dezember 2016 sind 10.100 Seniorinnen und Senioren in Dortmund auf Grundsicherung im Alter angewiesen. Das heißt, sie erhalten – zusätzlich zu ihrer geringen Rente – Sozialleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Dies geht aus einer aktuellen Antwort der Stadtverwaltung auf eine Anfrage der Fraktion DIE LINKE & PIRATEN  hervor. Damit liegt die Zahl der Betroffenen nahe dem Vorjahresniveau von 10.152. Im Dezember 2014 lag die Zahl der Grundsicherungsbezieher*innen mit 9.488 noch um 6,5 Prozent niedriger.

Dazu erklärt Ratsmitglied Carsten Klink (DIE LINKE): „Mit 10.100 Betroffenen sind ungefähr neun Prozent der Dortmunder Bevölkerung, die älter als 65 Jahre ist, auf Grundsicherung angewiesen. Ihre Rente reicht nicht. Die Dunkelziffer dürfte noch viel höher sein, wenn ältere Menschen trotz geringer Rente aus Stolz, Unwissenheit oder Überforderung keine Sozialleistungen beantragen.“
Die Anzahl der Grundsicherungsempfänger*innen stagniert auf hohem Niveau. Zudem müssen immer mehr Menschen im Alter arbeiten. Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit belegen für Dortmund, dass die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten über 65 Jahre eine Zuwachsrate von über zehn Prozent haben. Die Quote bei den geringfügig Beschäftigten über 65 liegt bei fünf Prozent.
Carsten Klink: „Wir brauchen eine armutsfeste Rente. Dazu möchte ich unseren Bundespräsidenten-Kandidaten zitieren, den Armutsforscher Prof. Christoph Butterwegge: Die Teilprivatisierung der Rente unter SPD und Grünen hat das Problem der Altersarmut noch verschärft. Eine Lösung bieten auch die jüngsten Beratungen der Bundesregierung nicht. Dabei gibt es eine Alternative: eine solidarische Bürgerversicherung für alle.“


Montag, 5. Dezember 2016

Renzirendum: Klatsche für Europas schwarze Nullen

Mit einer für italienische Verhältnisse hohen Beteiligung (68,5% der Wahlberechtigten) hat die Mehrheit der Bevölkerung den autoritären Angriff der Regierung Renzi auf die Verfassung zurückgewiesen. Das „NO“ setzte sich mit 59,1% der Stimmen (19.419.507 Stimmen gegen 13.432.208) durch.

Renzi’s Reformplan war von einer Parlamentsmehrheit durchgewunken worden, die aufgrund eines geänderten Wahlgesetzes zustande gekommen war, welches später das Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt hatte. Mit dem Referendum wollte Renzi das Verfassungsgerichtsurteil überspielen.

Gewinner des Referendums sind nicht nur rechte Parteien und Populisten, wie unsere Leitmedien behaupten, sondern die demokratische Verfassung, die noch stark vom Geist der Überwindung des italienischen Faschismus geprägt ist, sie wurde verteidigt gegen den Versuch der Oligarchie, sie „effektiver“ zu machen, nämlich autoritär zurecht zu stutzen.

Nein, Renzi’s Niederlage ist kein Votum gegen Italiens EU-Mitgliedschaft. Obschon die Medien vorher fast wortgleich solche Folgen in den schwärzesten Farben malten. Aber sie ist auch eine Klatsche für die herrschenden Kreise der EU. Denn hinter seinem Reformplan steht die Banken- und Schuldenkrise, die sich in den drei Jahren seiner Regierung weiter zuspitzte, und die er entgegen seinen vollmundigen Versprechungen nicht in den Griff bekam. Prompt meldeten sich heute führende EU-Größen und deutsche Banker zu Wort und forderten eine Neuauflage der „Technokraten“-Regierung, wie Italien sie vor Renzi schon zwei Jahre lang mit dem EU-Kommissar Mario Monti hatte (der auch schon daran scheiterte, Italien aus der europäischen Krise herauszuführen).

Gegen das „Renzirendum“ mobilisierten auch Rifondazione Comunista, der Partito dei Comunisti Italiani, Altra Europa, die Gewerkschaft CGIL, der Partisanenverband (ANPI) und viele andere linke Organisationen. Beachtlich ist auch, dass die überwiegende Mehrheit der jungen Menschen die Renzi-Reform ablehnte.

Damit hat Italien ein hohes Maß an politischem Durchblick gezeigt. Zu hoffen ist, dass der gemeinsame Erfolg gegen das Referendum die italienische Linke nachhaltig stärkt und einigt.

Mittwoch, 30. November 2016

Im „Rentenwahlkampf“: Räuber gegen Diebe

Helmut Kohl’s unvergessener Rentenminister (O-Ton Norbert Blüm: „Eins ist sicher: die Rente“ – bis die Sozis Schröder, Münte und Riester über sie herfielen) – eröffnete den „Rentenwahlkampf“ mit Klartext, wie wir es von ihm kennen. In der ZEIT (27.10.16) las er seinen „lieben Parteifreunden von der Jungen Union“ die Leviten, trifft damit aber alle, die nach seiner Amtszeit bis heute an den Renten herumdoktern. Er erinnerte an ein paar elementare Wahrheiten, die seither in allen Renten“reformen“ systematisch ausgehebelt wurden und von denen die heutigen „Experten“ anscheinend noch nie gehört haben – oder was noch schlimmer ist: die sie als eifrige Lobby der Versicherungskonzerne bewusst leugnen.

Wahrheit 1: „Eines bleibt immer gültig: Die Jungen zahlen für Alten… Es wird immer nur der Kuchen gegessen, der jetzt gebacken wird… Bezahlt wird die Rente stets aus dem aktuellen Sozialprodukt.“ (Blüm) – Das heißt: Wenn die lieben jungen Freunde morgen eine den Lebensstandard sichernde Rente bekommen wollen, müssen sie den Alten heute deren Lebensstandard sichern.

Wahrheit 2: „Das ist das Prinzip der Gegenseitigkeit im Zeitverlauf, der generationsübergreifenden Solidarität.“ (Blüm) Die Kampfparole „Jede Generation sorgt für sich selbst“ hält Blüm für eine Nobelpreis-würdige Dummheit: „Ich habe nämlich noch kein Baby gesehen, das sich selbst stillt und wickelt. Von der Wiege bis zur Bahre sind wir alle aufeinander angewiesen.“

Wahrheit 3: Seit es den Kapitalismus gibt, bildet die Versorgung der nicht arbeitsfähigen Angehörigen der Arbeiterklasse – Kinder, Hausfrauen, Kranke, Invaliden, Arbeitslose, Alte – einen unverzichtbaren Anteil der Reproduktionskosten der Arbeitskraft. Wer den Anspruch der Rentner*innen auf einen angemessenen Lebensstandard angreift, vergreift sich an der Lohnsumme der ganzen Arbeiterklasse. Die weitere Absenkung des Rentenniveaus im Verhältnis zu den Löhnen, worin die bürgerlichen Wahlkämpfer-innen von Nahles bis Seehofer jetzt wetteifern, ist also ein Angriff auf das gesamte Lohnniveau der abhängig Beschäftigten.

Wahrheit 4: „Geburtenrückgang und die steigende Lebenserwartung sind primär kein Rentenproblem. Die Zukunft der Rente hängt in erster Linie von der Produktivität der Arbeit ab… Es kommt also nicht so sehr auf die ‚Kopfzahl‘ der Geburten an, sondern mehr darauf, wie produktiv die Arbeit derjenigen ist, die geboren werden… Weniger Arbeiter erzeugen mehr, und weniger Beitragszahler können mehr Rentner finanzieren.“ (Blüm) – Wenn die Arbeitslöhne steigen, wächst auch die Belastbarkeit mit Rentenbeiträgen. Blüm gibt dafür ein einfaches Rechenbeispiel: Bei 10 % Rentenbeitrag auf 100 € Einkommen bleiben 90 € übrig, bei 20 % auf 200 € bleiben 160 € übrig.

Wahrheit 5: „Es gibt keinen Sparstrumpf, aus dem das Geld von gestern für die Rentenzahlungen heute entnommen werden könnte… Es gehört zu den Lebenslügen der Privatversicherung, sich als unabhängig von der Wirtschaftsentwicklung zu gerieren, indem sie ihre gestern eingesammelten Beiträge heute verteilt. Es nützt das schönste Kapitaldeckungsverfahren nichts, wenn das eingesetzte Kapital keine Nutzung findet.“ (Blüm) – Das haben wir am Renditenverfall der privaten Lebensversicherungen in der Finanz- und Wirtschaftskrise gesehen. Und das gilt selbstredend auch für Riesterverträge und Betriebsrenten, Frau Nahles.

Danke, Norbert Blüm, für diese klare Ansage.


Freitag, 25. November 2016

Angela Weiterso: Die Patin der AfD

"Wieder hat sie die Agenda 2010 gelobt und gemeint, nur so könne Europa sein Wohlstandsversprechen einlösen. Die Millionen im Niedriglohnsektor, in Hartz IV, in Leiharbeit, schlecht bezahlten Werkverträgen oder in befristeten Jobs können nur mit kalter Wut reagieren. Merkel ist die Patin der AfD.
Eine Bemerkung zum Schluss: In fast allen Kommentaren zeigen die „Qualitätsmedien“ ihre Voreingenommenheit und Blindheit und versuchen, der Partei DIE LINKE, die als einzige Partei gegen Lohndrückerei, Rentenkürzung und Sozialabbau ist und in der Steuer-, Sozial- und Wirtschaftspolitik Vorschläge macht, die der AfD die Grundlagen entziehen würden, AfD-Nähe zu unterstellen. So täuschen die Medien darüber hinweg, dass CDU, CSU, SPD, FDP und Grüne in der Steuer-, Sozial- und Wirtschaftspolitik die gleichen Grundsätze vertreten wie die AfD und werden so zu den unfreiwilligen Trotteln der AfD-Propaganda."

Oskar Lafontaine (auf facebook)

Donnerstag, 24. November 2016

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Ratsfraktion DIELINKE&Piraten beantragt Umbau der Wirtschaftsförderung zur Beschäftigungsförderung

"Kein Blatt Papier" passt zwischen Stadtspitze und Wirtschaftslobby (IHK), brüstet sich der sozialdemokratische (!) Oberbürgermeister Sierau. Kein Wunder, denn der Genosse liest den Bossen alle Wünsche von den Augen ab, bevor sie sie ausgesprochen haben. 12 Millionen € verbrennt die Stadt jedes Jahr für "Wirtschaftsförderung", doch von den 5.850 sozialversicherten Beschäftigungen, die im vorigen Jahr in Dortmund neu entstanden, gingen maximal bis zu 475 auf kommunale Projekte zurück. Die Hauptmasse verdanken wir schlicht und einfach der noch anhaltenden Exportkonjunktur, von der auch manche Dortmunder Unternehmen satt profitieren.

Wenn die Wirtschaftsförderung in ihrem Wirtschaftsplan für 2017 prahlt: "Dortmund ist eine attraktive Stadt, in der es sich gut leben lässt," dann müsste sie wahrheitsgemäß hinzu fügen: „...sofern man Arbeit hat und der Lohn zum guten Leben reicht!“ Mindestens jede-r vierte Dortmunder-in kann das von sich nicht behaupten. Jedes dritte Dortmunder Kind lebt in einem Hartz-IV-Haushalt.

Schon vor zweieinhalb Jahren ahnte die Stadtspitze – und gab damit dem jahrelangen Druck der LINKEN-Ratsfraktion endlich Recht: "Notwendig ist ein kommunal gesteuerter, öffentlich geförderter Arbeitsmarkt zur Integration von Langzeitarbeitslosen." Doch darum soll sich kümmern, wer will - getan hat sich seither null (außer Appellen an die Bundesregierung, die auf dem Ohr absolut taub ist). Beschäftigungspolitik? Kein Thema für die Wirtschaft und folglich auch nicht für die Wirtschaftsförderung: Wenn diese von ihren "Kunden" spricht, wie jetzt bei einer Kundenbefragung durch das FORSA-Institut, interessiert ausschließlich die Zufriedenheit der Unternehmer, die Beschäftigten zählt sie nicht zu ihren Kunden, von Arbeitsuchenden gar nicht zu reden. Nach deren Zufriedenheit mit der Wirtschaftsförderung wurde also nicht gefragt.

Damit das Geld der Bürger nicht immer weiter zum Fenster rausgeworfen wird, stellt die Fraktion LINKE-Piraten im Stadtrat jetzt einen Antrag für den städtischen Haushaltsplan 2017:

„Beschäftigungsförderung

1.    Der städtische Zuschuss an die Wirtschaftsförderung Dortmund wird auf 6 Millionen €  reduziert. Mit den freiwerdenden Haushaltsmitteln wird im Rahmen der „Kommunalen  Arbeitsmarktstrategie 2020" die Schaffung von sozialversicherungspflichtiger, tariflich  entlohnter Einfacharbeit in geeigneten Projekten von Beschäftigungsträgern gefördert.

2.    Der Rat beauftragt die Verwaltung, zeitnah ein Konzept zum grundlegenden Umbau der  Wirtschaftsförderung Dortmund in eine „Beschäftigungsförderung für solidarisch organisierte  Arbeit“ auszuarbeiten und dem Rat zur Beschlussfassung vorzulegen.

Begründung: Wie die Fachwelt und die Dortmunder Wirtschaftsförderung selbst erkannt haben, besteht ein dringender Bedarf an HelferInnen-Arbeitsplätzen, um die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit in Dortmund nachhaltig zu  senken. Wie aber der Wirtschaftsplan 2017 der städtischen Wirtschaftsförderung erneut mit Zahlen belegt, steht die  Beschäftigungswirkung der Wirtschaftsförderung in keinem vertretbaren Verhältnis zur  dramatischen Schieflage am Dortmunder Arbeitsmarkt und auch nicht zum jährlichen Aufwand.  Besonders ist zu kritisieren, dass die Verwaltung den Aufbau eines  Integrationsarbeitsmarktes für Langzeitarbeitslose ausschließlich vom Ausgang des Streits in der Bundesregierung über die Finanzierung eines Arbeitsmarktfonds abhängig macht, statt auch im Budget der eigenen Wirtschaftsförderung Mittel dafür freizustellen. Insbesondere die Gründungsförderung und die Standortkommunikation betätigen sich auf Feldern, die nur minimal zur Senkung der Langzeitarbeitslosigkeit beitragen und bei den Kammern, Wirtschaftsverbänden sowie kommerziellen Agenturen besser aufgehoben sind als in der öffentlichen Verwaltung.

Ohnehin stehen die Dortmunder Beschäftigungsträger nach dem Auslaufen des  Arbeitsmarktinstruments „Bürgerarbeit" zusätzlich vor dem Problem, die entstandenen Lücken  personell und finanziell zu schließen. Dazu bedürfen sie verstärkter Förderung durch die Stadt.

Im Verhältnis zu diesen Herausforderungen setzt die Wirtschaftsförderung mit den oben  genannten Aktivitäten arbeitsmarkt- und sozialpolitisch einen falschen Schwerpunkt. Dieser ist zu korrigieren. Der Wirtschaftsplan der Wirtschaftsförderung ist entsprechend zu ändern. Die Verwaltung  wird verpflichtet, in Abstimmung mit Dortmunder Beschäftigungsträgern ein Konzept zur  Ausweitung der kommunalen Beschäftigungsförderung, mit dem Schwerpunkt auf Einfacharbeit, zu  sozialverträglichen Bedingungen, zeitnah aufzustellen und dem Rat zur Beschlussfassung  vorzulegen.“

Freitag, 11. November 2016

Trump, Europa und die Linke

Vielleicht denkt mein Parteivorsitzender Bernd Riexinger nach der Wahl in den USA noch einmal darüber nach, ob das so stimmen kann, was er ein paar Tage vorher in die linke Strategiedebatte warf (ND 29.10.16). Bis dahin schätzte ich an ihm, dass er die linke Reformstrategie nach vorn erweitern wollte, so z.B. (mit Katja Kipping): „Soziale Rechte, Demokratie und Weltoffenheit sind heute nur noch im Vorwärtsgang zu verteidigen … Europa braucht eine demokratische Revolution … setzt dem Europa der Banken und Konzerne ein Europa von unten entgegen … stärker die (Selbst-)Organisation der Menschen fördern … für einen neuen Verfassungsprozess von unten, in dem die Menschen die Initiative haben.“ So wollte er die „Empörung von links besetzen.“

Alles nicht so ernst gemeint? Oder Angst vor der eigenen Courage bekommen? Jetzt verlangt er, weil die Kritik an der EU von rechts dominiert werde und die LINKE klar von den Rechten unterscheidbar sein müsse: Schluss mit der „oberflächlichen Eliten- und Währungskritik“, es werde „Zeit, dass die europäische Linke aufhört, verbissen über die Währungsfrage zu diskutieren.“ Und mit der Währungsfrage haut er gleich alle linken „Exit-Illusionen“ in die Pfanne.

Auch wenn er dafür den Begriff eines „dritten Pols“ aufgreift, der seit einiger Zeit durch die linke Debatte geistert und ursprünglich die gesellschaftliche Opposition sowohl gegen den herrschenden Machtblock als auch gegen die sich radikalisierende Rechte meinte, läuft das bei ihm auf die De-facto-Parteinahme für jene Kräfte hinaus, die die EU bewahren und „reformieren“ wollen. Seine hierfür vorgebrachten Argumente sind aber allesamt unhaltbar.

1.    Linke Elitenkritik oberflächlich? Nicht von der Rechten unterscheidbar?

Wer Donald Trump wählte, weil er/sie sich von ihm eine andere Politik als die des Wallstreet-Establishments erhofft, wird schnell noch einmal enttäuscht werden. „Amerika“ wird nicht wieder so „great“ werden wie früher, die Klimakatastrophe wird vor den Farmern in MiddleWest nicht halt machen, es werden neue Spekulationsblasen platzen und weitere Millionen Existenzen ruinieren, Trumps Populismus wird sich schnell als hohle Prahlerei offenbaren.

Sicher trifft es zu, dass Trump auch in erheblichem Maß Enttäuschung und berechtigte Wut auf das „Establishment“ für sich mobilisieren konnte. Diese Stimmung gewinnt auch in Europa an Boden. Da wäre es natürlich eine absurde Strategie, den Populismus hier bekämpfen zu wollen, indem wir uns schützend vor das EU-Establishment stellen. Das tut Bernd R. auch nicht. Er wendet sich nur gegen „oberflächliche“ Elitenkritik.

Ist es oberflächlich, wenn wir der hierzulande herrschenden Klasse vorwerfen, sie würde über internationale Verträge die Demokratie aushebeln, um sich ungestörter den gesellschaftlich erzeugten Reichtum anzueignen und die sozialen und Menschenrechte außer Kraft zu setzen? Was ist oberflächlich an der Kritik, unsere Elite habe die EU-Institutionen genau so verfasst und durchgesetzt, dass sie ihre elitäre Vorherrschaft über das eigene Volk und Europas Völker absichern und verstärken? Derlei Kritik von links kommt ja überwiegend sehr konkret und sachkundig daher. Das unterscheidet sie fundamental vom Populismus. Darum geht es doch wohl nicht. Worum es vielmehr geht ist, was die Kritik für praktische Konsequenzen haben soll oder nicht.

2.    Wie wichtig ist die Währungsfrage?

Bernd Riexinger warnt vor der Illusion, „primär“, „in erster Linie“ über die Abschaffung des Euro größere Verteilungsspielräume zu bekommen. Denn, so behauptet er: „Ein ‚Sozialstaat in einem Land‘ ist aber auf Dauer kaum möglich.“ Das Scheitern des Keynesianismus in einem Land sei „notwendig“ (er meint zwangsläufig, unvermeidlich). Beweis? Nur der misslungene Eiertanz der Ära Mitterand in Frankreich in den 80er Jahren zwischen Volksfront und imperialistischem Auftrumpfen in Konkurrenz und Kooperation mit Deutschland. Nun gibt es ja ganze Bibliotheken voll mit dem Streit über die Zukunftsfähigkeit des Keynesianismus. Aber davon abgesehen habe ich noch von niemand die Ansicht gehört oder gelesen, mit der Ablösung des Euro durch einen flexibleren Verbund nationaler Währungen werde der Kapitalismus sozialer und humaner. Wer will denn welches linke Projekt über die Währungsfrage „abkürzen“, wie R. mutmaßt?

Anerkennen müsste aber auch er, dass die Währungsunion genau so konstruiert ist und quasi automatisch funktioniert, dass sie die Umverteilung von unten nach oben in Europa und auch in Deutschland enorm beschleunigt und unsere Kämpfe dagegen enorm erschwert. Schon deshalb muss sie weg. Und das so schnell wie möglich.

3.    Euro, Exit und Krise

Bernd Riexinger warnt eindringlich, die Rückkehr zu nationalen Währungen wäre mit einem länger anhaltenden Krisenprozess mit unklarem Ausgang, neuen Finanzspekulationen, deutlichen Wohlstandsverlusten und verschärften Verteilungskämpfen verbunden. Damit hat er wahrscheinlich Recht.

Allerdings sind alle mir bekannten Fachleute unter den Exit-Befürwortern sich einig, dass das Kapital dazu nicht erst die Linke braucht, sondern schon selbst auf den Kollaps dieses Währungssystems zutreibt, mit allen Krisenerscheinungen für die Völker Europas und auch für uns in Deutschland, die R. aufzählt. Bei allen mir bekannten linken Alternativvorschlägen geht es folglich, anders als R. implizit suggeriert, nicht darum, dass eine falsche linke Strategie eine Krise verursachen würde, sondern darum, der absehbar sich zuspitzenden Krise des Euroregimes zuvorzukommen und einen Ausweg mit geringstem Schaden für die Menschen zu verabreden, zu dem die Elite weder willens noch fähig ist.

4.    Die Kräfteverhältnisse

Die Verteilungsspielräume für eine soziale Politik, schreibt Riexinger, „hängen in erster Linie von der Position in der kapitalistischen Weltwirtschaft ab.“ Es tut mir leid, Genosse Vorsitzender, das klingt fatal nach der Standortlogik, die wir tagein-tagaus von den Spitzen der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften zu hören kriegen, und es wird nicht besser, wenn ein Spitzenmensch der LINKEN es nachbetet. Spielräume? Das Spiel heißt Klassenkampf, an anderer Stelle sagst du es ja selbst. Das bedeutet: In erster Linie (!) hängt das „Spiel“ vom Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit ab und nicht von weltwirtschaftlich zu erobernden „Spielräumen“.

Tatsächlich, aus diesem Kampf gibt es keinen Exit, da hat er Recht. Doch in Bezug auf das Kräfteverhältnis müssen wir wohl oder übel als erstes die Tatsache anerkennen, dass die Kapitalistenklasse, einschließlich Eigentümer und Befehlshaber der größten Konzerne und Finanzimperien, weiterhin national verankert und organisiert ist. Da darf die Linke nicht auf die bürgerliche Verkürzung des „Globalisierungs“-Begriffs hereinfallen. Wenn R. schreibt: „Entscheidend ist, dass die EU einem neuen Niveau der Verflechtungen des Kapitals und damit wirtschaftlicher Abhängigkeit entspricht,“ ist er schon auf die propagandistische Verkürzung des Begriffs hereingefallen. Globalisierung vollzieht sich heute ja nicht als Zusammenwachsen der Multis zu einem europaweiten Monopol („Verflechtung“), sondern als die trans- und multinationale Ausdehnung der weiterhin national verankerten Kapitalblöcke und ihre europa- und weltweiten Kämpfe um Marktbeherrschung, um Vorherrschaft sowohl in (zeitweiligen) Kooperationen als auch in Konkurrenz, und diese letztere ist und bleibt als die „natürliche“ Bewegungsform des Kapitals vorherrschend. Warum das so wichtig ist? Damit wir die gegenwärtige und absehbare Bedeutung der Nationalstaaten im Kräfteverhältnis von Kapital und Arbeit richtig einschätzen, sie nicht über- aber auch nicht unterschätzen.

Es stimmt eben gerade nicht mit den Tatsachen überein, dass mit der EU das Kapital sich eine neue staatliche Ebene geschaffen habe, wie R. behauptet. In den Kernbereichen staatlicher Machtausübung, als da sind: Außen- und Sicherheitspolitik, Innen- und Rechtspolitik, Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik setzen die nationalen Kapitalistenklassen nach wie vor auf ihre nationalstaatliche Hoheit und liefern sich in der EU erbitterte Kämpfe, die sich voraussichtlich mit der Eurokrise weiter verschärfen werden.

Weil das so ist – und nicht weil Gewerkschaften und Sozialverbände so borniert und rückständig wären – spielen sich nach wie vor fast sämtliche sozialen Kämpfe in Europa auf den Hoheitsgebieten der jeweiligen Nationalstaaten ab. Das ist eine Tatsache, über die Schöngeister wie Jürgen Habermas, Jeremy Rifkin oder Ulrich Beck zwar gern hinwegträumen, an denen die linke Strategie aber nicht vorbei kommt: Wer den „Sozialstaat“ verteidigen will, muss ihn auf nationalstaatlicher Ebene verteidigen.

Riexingers Fazit, dass ein koordinierter „left exit“ in einigen Eurostaaten nur möglich wird aufgrund einer umwälzenden Verschiebung der Kräfteverhältnisse hin zu einer linken Hegemonie, stimme ich natürlich uneingeschränkt zu. Wenn er daraus aber schließt: „Dann wäre es wiederum vermutlich auch möglich, eine grundlegende Reform der EU durchzusetzen,“ dann ziehe ich mit derselben Berechtigung genau den Umkehrschluss: Die Kräfte, die notwendig wären, die EU-Eliten zu einer ganz anderen – demokratischen, sozialen, solidarischen – EU-Politik zu zwingen, würden auch ausreichen, um einen ganz anderen europäischen Staatenbund von unten zu schaffen.


Und wenn er am Schluss auf die vielfältigen Teilkämpfe hinweist, die eine Neugründung Europas von unten vorbereiten können, ergänze ich: Zu ihnen gehören die staatliche Haushalts- und Fiskalpolitik und damit auch der Kampf um Währungssouveränität unverzichtbar dazu. Nicht vorrangig vor allen anderen, aber neben den anderen eben auch.

Dienstag, 8. November 2016

Notizen aus der Provinzhauptstadt: „Wirkungsorientierter Haushalt“ - Kleinlauter Bericht über das Versagen neoliberaler Stadtpolitik

Nun schon im vierten Jahr erstellt die Dortmunder Stadtverwaltung neben dem gesetzlich vorgeschriebenen Haushaltsplan ein propagandistisch eingefärbtes Zahlenwerk, das sich „Wirkungsorientierter Haushalt“ (WOH) nennt und den Bürgern die Schwerpunkte der Stadtpolitik nahe bringen soll. Ausgeheckt haben dies Verfahren neoliberale Thinktanks wie die Bertelsmann-Stiftung. In der Dortmunder Version umfasst es sechs Zielfelder: Wirtschaft und Beschäftigung, Kinder-Jugend-Bildung, Sicherheit und Ordnung, Soziales, Umwelt, Lebensqualität. Mit insgesamt 18 „strategischen Zielen“ von a wie „attraktiver Unternehmensstandort“ bis z wie „zivilgesellschaftliches Engagement“. Zwar musste die Verwaltung schon vorab einräumen, dass sie die Zielerreichung nur „bedingt“ beeinflussen kann: Von 65 Kennzahlen, an denen sie die Erfolge messen will, sind nur elf auf kommunaler Ebene steuerbar. Dennoch legt der neueste Zwischenbericht über den WOH 2015 den historischen Bankrott der heutigen Kommunalpolitik bloß.

Der weitaus größte Brocken der „strategisch“ eingesetzten Haushaltsmittel (202 Millionen €, rund ein Viertel von insgesamt 802 Millionen des WOH) soll dem Ziel dienen: „Menschen in Dortmund werden vor Armut und deren Folgen geschützt.“ Hinter der großmäuligen Behauptung marschieren alle staatlichen Hilfen zum Lebensunterhalt für Arbeitslose, Alte, Menschen mit Behinderungen und Zuwanderer auf. Allesamt durch Bundes- und Landesgesetze genauestens reglementiert, schützt keines dieser Almosen wirklich vor Armut, von einem menschenwürdigen Leben gar nicht zu sprechen.

Die auf das Soziale bezogenen Kennzahlen beweisen zudem die stetig sich verschlimmernde soziale Schieflage in unserer Gesellschaft. Der Anteil der ALG-II-Beziehenden an Dortmunds Wohnbevölkerung wächst von Jahr zu Jahr, und zwar schneller als die Einwohnerzahl (2012: 173 auf 1.000 – 2013: 175 auf 1.000 – 2014: 178 auf 1.000 – 2015: 180 auf 1.000). Ebenso der Anteil der Aufstocker an den sozialversichert Beschäftigten. Die Altersarmut, ablesbar am Anteil der Bezieher von Grundsicherung unter den Jahrgängen ab 65 aufwärts, ist binnen Jahresfrist von 63:1.000 auf 69:1.000 angestiegen.

Das Soziale liegt aber nur an zweiter Stelle im WOH und wird bei weitem übertroffen vom Zielfeld Kinder-Jugend-Bildung (345 Millionen €). Auch hier schmückt sich die Stadt mit fremden Federn. Der Ressourceneinsatz besteht größtenteils aus – weit ungenügenden – Landeszuweisungen, bei entsprechend strengen gesetzlichen Vorgaben zur Mittelverwendung.

Die städtischen Ziele auf dem Feld Kinder-Jugend-Bildung versprechen blühende Landschaften: „Jedem Kind steht eine bedarfsgerechte Betreuungsmöglichkeit zur Verfügung.“ – „Die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen wird in Ausführung des gesetzlichen Auftrages konsequent gefördert und vor negativen Einflüssen geschützt.“ – „Jugendliche in Dortmund erreichen einen Schulabschluss und gelangen von der Schule/Hochschule reibungslos in das Arbeitsleben.“ Hält das erste Versprechen der Nachprüfung noch mit Einschränkungen stand, muss das zweite mit vielen Fragezeichen versehen werden, so steht das dritte in krassem Gegensatz zur Realität: Dortmund hat unter allen Großstädten in NRW seit Jahren unverändert die höchste Schulabbrecherquote, und jährlich finden Hunderte Schulabgänger nicht reibungslos, sondern überhaupt nicht ins Arbeitsleben.

Unter „ferner liefen“ folgt das Zielfeld Wirtschaft und Beschäftigung. Hierfür wurden vom gesamten WOH 2015 nur 3,3 Prozent aufgewendet (26 Millionen €). Daran bestätigt sich einmal mehr, was wir seit eh und je kritisieren: Den seit zehn Jahren ungebrochenen Zuwachs an sozialversichert Beschäftigten überlässt die Kommune fast ganz ohne eigenes finanzielles Zutun den „Marktkräften“. Die Folgen zeigen sich einerseits im Überhandnehmen von Teilzeit- und Leiharbeit, anderseits im Übergewicht hoch qualifizierter Spezialistenjobs gegenüber Einfacharbeit. Dieser unsozialen Schieflage, Auswuchs auch einer jahrzehntelangen neoliberalen Wirtschaftsförderung, kann jetzt nur noch mit hohem Mitteleinsatz für öffentlich geförderte Beschäftigung gegengesteuert werden. Zwar scheint diese Einsicht allmählich auch einigen Wirtschaftsförderern zu dämmern, doch bis zu einem Umsteuern der Kommunalfinanzen ist der Weg noch weit.

Schließlich bildet das Schlusslicht der kommunalen Strategie, wie könnte es anders sein unter dem Diktat der Wachstumsideologie: Umwelt- und Klimaschutz. Der in Dortmund hierfür zuständige Dezernent ist sich als einziger im ganzen Verwaltungsvorstand zu schade für verlogene Schönrednerei und Verschweigen von Fehlentwicklungen, als einziger spart er nicht mit kritischen Bewertungen.


Was für ein Offenbarungseid der neoliberal gewendeten SPD, in ihrer „Herzkammer“ Dortmund!

Dienstag, 25. Oktober 2016

Belgien verhindert CETA: Käufliche Rebellen? Die Leitmedien lügen manchmal – aber das Verdrehen der Wahrheit ist ihr Alltag und viel schlimmer.

Eine bestimmte Denkrichtung der Politikwissenschaft lehrt, eine Diktatur sei ein Regime, das seine Herrschaft vor allem auf brutale Gewalt, Unterdrückung der Grundrechte und verlogene Propaganda stützt. So engt sie das Verständnis unzulässig ein und unterschlägt die ursprüngliche, wesentliche Bedeutung des Wortes: Diktatur leitet sich ab von „Diktieren, Diktat“ und meint eine Herrschaft, die wichtige Entscheidungen ohne Rücksicht auf die Meinung der Beherrschten oder sogar gegen einen erkennbaren Mehrheitswillen trifft.

Genau so funktioniert die EU, was ich im folgenden belege. Seit dem Konflikt um das CETA-Abkommen mit Kanada liegt es offen vor aller Augen, dass die EU-Kommission und EU-Parlamentspräsident Schulz (SPD) ebenso wie die Regierungschefs maßgeblicher EU-Staaten und der deutsche Wirtschaftsminister Gabriel (SPD) den Vertrag mit allen Tricks gegen den manifesten Widerstand in der europäischen Bevölkerung durchzudrücken versuchen. Zugleich liefert dieser Konflikt ein anschauliches Beispiel, mit welchen Mitteln eine moderne Diktatur herrscht. Es sind dies vor allem: das Geld und die Manipulation der öffentlichen Meinung.

Das Geld fließt hauptsächlich im Stillen, in verschwiegenen Hinterzimmern und Banken. Mit welchen Summen man jetzt versucht, die dissidenten belgischen Regionalregierungen zu kaufen, und ob dabei sogar einzelne Mandatsträger bestochen werden, wird als höchstes Staatsgeheimnis gehütet, das aufzudecken bräuchte einen Whistleblower. Zum Zeitpunkt da ich dies schreibe können wir noch hoffen, dass die Rebellen sich nicht kaufen lassen.

Umso offener wird indessen die Wahrheit vergewaltigt. Was die Monopolstellung eines Dutzends Zeitungsverleger, denen obendrein die meisten privaten Fernsehsender gehören, und der öffentlich-rechtlichen Medien flächendeckend gewährleistet: Das Dutzend Medienbeherrscher braucht nur noch acht überregionale Tageszeitungen und 120 Regionalredaktionen auf Linie zu bringen (was auch bei Journalisten gewöhnlich über finanzielle Abhängigkeit funktioniert), um täglich mehr als 20 Millionen Deutschen die Interessen des Großkapitals als Sachzwang zu erklären.

Egal welche Tageszeitung wir in den letzten zwei Wochen aufschlugen oder auf welchen Fernsehkanal wir zappten, überall bekamen wir – fast wortgleich – eine Story von der Handvoll wallonischer Quertreiber aufgetischt, die für ihre kleinkarierten „Sonderinteressen“ – ruinierte Industrien, hohe Arbeitslosigkeit, ums Überleben kämpfende Landwirtschaft – „Europas“ wirtschaftliche Zukunft aufs Spiel setzen. Dass ihre Ablehnungsgründe gegen CETA weit über ihre berechtigten Regionalinteressen hinaus gehen und sich genau mit den Punkten decken, die seit Monaten in ganz Europa hunderttausende Menschen auf die Straßen treiben, erwähnen unsere Leitmedien ebenso wenig wie die mehr als 300.000 Unterschriften europaweit gegen CETA. Diese Gründe haben mit Geld weniger, aber mit Demokratie ganz viel zu tun.

Auf die Knackpunkte der CETA-Kritik inhaltlich einzugehen hütet man sich, denn genau sie sind für die multinationalen Großkonzerne das Wichtigste an den ganzen Handelsverträgen und daher unverhandelbar: die privaten Schiedsgerichte, die über Schadenersatzklagen von Unternehmen gegen Staaten urteilen und so jeden Fortschritt der Politik verhindern können, und die „gemischte Kommission“, die den Vertrag an allen Parlamenten und nationalen Regierungen vorbei beliebig verändern darf. Statt sich zu dieser Kritik zu äußern, verschieben die Verantwortlichen und Medien die Sache auf moralische Wolkenbänke: Es gehe jetzt um „Europas Glaubwürdigkeit“ (wirklich? Europas?? Doch eher um die der EU-Bürokraten gegenüber den Konzernbossen). EU-Ratspräsident Tusk sieht die „Handlungsfähigkeit“ der EU gefährdet. Und die WAZ ergänzt, das Nein zu CETA sei zur „Ehrensache“ geworden.

Auch das gerade erst einen Monat alte Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts, das ausdrücklich festschreibt, CETA dürfe endgültig nur in Kraft treten, wenn mit allen EU-Staaten auch der deutsche Bundestag grünes Licht gibt, wie es unsere Verfassung verlangt, wird jetzt von den Medien mausetot geschwiegen. So wie wenn es gar nicht ergangen wäre, zitierten die WAZ und die Tagesschau sogar zustimmend den Fraktionsvorsitzenden der Konservativen im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), es sei „ein Fehler“ der EU-Kommission gewesen, als Zugeständnis auf die Massenproteste hin den Vertrag nun von allen nationalen Parlamenten abstimmen zu lassen. Unser Grundgesetz hält der Herr EU-Politiker offenbar schon für entbehrlich. Und will es durch das Diktat der EU-Bürokratie ersetzt sehen.


Die Lehre aus dem Exempel: Diktatur kommt nicht nur à la Hitler oder Erdogan daher, sondern auch als Ausschalten der Demokratie mit der Macht des Geldes und der Meinungsindustrie. Wie das Beispiel aber auch zeigt, können die Völker sich den Herrschaften mit Erfolg widersetzen.

Dienstag, 18. Oktober 2016

Übernehmen Gangster die Macht? Fragen zum Vordringen des Rechtsradikalismus in staatlichen Institutionen


„So’n Quatsch,“ werden Sie, mein*e Leser*in, mit Ihrem kühlen Kopf denken, „jetzt dreht der Stammnitz ganz durch!“ Tatsächlich springen auf den ersten Blick so viele Gegenargumente ins Auge, dass die Titelfrage absurd erscheint. Heute noch viel absurder als etwa 1923, als ein bis dahin weithin unbekannter Anstreicher mit einer Handvoll radikaler Lumpen einen Marsch zur Münchner Feldherrnhalle unternahm und für die nächsten Jahre hinter Gittern verschwand. Aber was damals jeder kühle Kopf für unvorstellbar hielt, war zehn Jahre später grauenhafte Wirklichkeit in Deutschland.

„Geld regiert die Welt,“ nach der alten Volksweisheit sind die Bauern mit den dicksten Kartoffeln – zeitgemäßer ausgedrückt: die Eigentümer der mächtigsten, kapitalstärksten Finanz- und Industriekonzerne – die eigentlichen Beherrscher der Welt. Und dies umso mehr, je mehr Kapital sie kommandieren. Also heute noch viel mehr als vor 75 Jahren, als nach dem deutschen Überfall auf ganz Europa und Russland und dem japanischen Überfall auf Pearl Harbour der amerikanische Präsident Roosevelt feststellte, die Welt sei „von den Grundsätzen des Gangstertums beherrscht.“

Wer von uns Heutigen es sich nicht so bequem macht, das Nazi-Gangstertum als einzigartigen, eigentlich ganz unbegreiflichen und gerade deswegen unwiederholbaren Betriebsunfall in der historischen Aufwärtsentwicklung abzutun, steht für unsere Gegenwart und Zukunft vor beunruhigenden Fragen:

1.- Grundsatz Kapitalvermehrung oder Gangstertum? Was bewog die deutsche, italienische, japanische Kapitalistenklasse, die Staatsgewalt an notorische Verbrecherbanden zu übertragen, während ihre Konkurrenten in USA, England, Frankreich weiterhin auf Demokratie setzten? Gibt es grundsätzliche Wesensunterschiede zwischen den (auch damals schon) global vernetzten Finanzoligarchien? Oder wechseln sie zwischen friedlich-demokratischen und gewaltsamen Herrschaftsmethoden je nach der Zuspitzung ihrer Konkurrenzkämpfe um Märkte, Rohstoffe, Anlagesphären usw.? Müssen wir folglich damit auch weiterhin rechnen?

2.- Soweit die Motive für den Wechsel von der „Weimarer“ Republik zum Naziterror mit den Krisen nach dem 1. Weltkrieg und der besonders schweren, tiefen Wirtschaftskrise 1929-33 zusammenhingen: Welchen politischen Sprengstoff brüten die heutigen Krisen aus, die ja nicht weniger die Kapitalvermehrung bedrohen? Wird wieder ein autoritäres Regime gebraucht, um die Krisenlasten ganz auf die eigene Bevölkerung und abhängige Völker abzuwälzen?

3.- Krise und Krieg: Seit den 90‘er Jahren nehmen die „Stellvertreterkriege“ weltweit dramatisch zu, an Zahl, Umfang der Zerstörungen und zivilen Opfern. Damit wächst die Gefahr direkter militärischer Konfrontation der Großmächte. Die EU wird gepriesen als Garant des Friedens zwischen den früheren europäischen Kriegsgegnern. Doch seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008, die in vielen Ländern bis heute nicht überwunden ist, zerfällt die EU, und hinter der Friedensfassade tritt der alte deutsche Vormachtanspruch wieder herrisch ans Licht. Werden die rechtsradikalen Banden in vielen Ländern, aber auch bei uns von der Staatsmacht gedeckt und offen oder heimlich gefördert, um mit Chauvinismus und Herrenmenschendünkel (gegen Muslime, die „faulen Griechen“, Flüchtlinge, Einwanderer generell usw.) die Bevölkerung wieder kriegsbereit zu machen? Und um die Demokratie Schritt für Schritt im Ausnahmezustand zu ersticken, siehe Frankreich?

4.- Beinahe im Wochentakt folgt schon ein Anti-Terror-Gesetz dem anderen. Unbestreitbar werden damit Menschenrechte und demokratische Freiheiten eingeschränkt und abgebaut. Sind die rechten Terrorbanden auch willkommen, um die sich allmählich formierende demokratische Opposition einzuschüchtern und Gegenwehr zu kriminalisieren?

5.- Der Wechsel zu einem autoritären Regime fällt nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel, er benötigt mehr oder weniger lange Vorbereitungsetappen: In den Köpfen müssen „Grundsätze“ ausgewechselt werden. Dazu müssen die Medien auf Linie gebracht werden. Sie vor allem müssen Feindbilder erzeugen, popularisieren und ins Unterbewußtsein hämmern. (Das haben wir von Hugenberg und Goebbels gelernt, in Krisenzeiten braucht das Kapital äußere Feindbilder.) Es müssen flächendeckend rechtsradikale Massenorganisationen aufgezogen, verankert, zur Straßengewalt erzogen, ihr Führungspersonal ämtertauglich geschult werden. Staatliche Überwachungs- und Verfolgungsorgane lassen sich nur Zug um Zug ausbauen. Usw. Fragen also: Tragen die aktuellen Maßnahmen selbst zur Eskalation der Krise bei? Was fehlt noch zur Vorbereitung eines Krisenregimes? Wird das Fehlende schon wo in Angriff genommen?

Während jeder dieser Etappen kann einen Regimewechsel die gesellschaftliche Opposition stoppen – solange sie noch dazu fähig ist. Die notwendige Stärke gewinnt sie nur, wenn sie die Gefahr früh genug erkennt und sich früh genug dagegen einigt. Deshalb sind diese Fragen gar nicht so absurd. Jede*r sollte sich mit kühlem Kopf Wissen und Klarheit darüber verschaffen, dass diese Entwicklungen, die heute weit außerhalb unserer Vorstellungskraft liegen – uns dennoch drohen, wenn wir sie nicht aktiv verhindern. Die Haltung „Es wird schon nicht so schlimm kommen“ hat schon damals nichts verhindert, sondern das Unvorstellbare erst ermöglicht.

Mittwoch, 12. Oktober 2016

Gregor Gysi an der Seite von Merkel, Gabriel und Draghi: „Wir brauchen die EU.“ – Frage: Wer ist da „wir“?



In der Zeitung „Neues Deutschland“ (12.10.2016) versuchte Gregor Gysi, sich für den Vorsitz der Europäischen Linken zu qualifizieren mit einem weiteren Versuch, die EU zu „retten“ (wörtlich!): Er will weder den Euro abschaffen noch zurück zum „Pickelhaubenstaat“.

Mit dieser raffinierten Fälschung der nationalstaatlichen Wirklichkeit der Bundesrepublik zum preußisch-wilhelminischen Anachronismus täuscht Gysi darüber hinweg, dass wir hier und heute in einer Klassengesellschaft leben, und dass die EU ein Projekt der Herrschenden zur verstärkten Ausbeutung der beherrschten Klassen ist. Und dass dies Herrschaftsprojekt nicht die Konkurrenz zwischen den europäischen Kapitalblöcken aufhebt, nicht aufheben kann. Und dass auch für die EU gilt, was alle Bündnisse zwischen kapitalistischen Staaten kennzeichnet: Sie haben immer nur vorübergehenden Nutzen, ihre Geschäftsgrundlage fällt weg, sobald die Kräfteverhältnisse sich ändern. Dann werden aus Partnern genauso schnell wieder Rivalen.

Die Kräfteverhältnisse ändern sich gerade dramatisch: Die Konstruktion der EU und speziell ihrer Währungseinheit hat zu einer wirtschaftlichen und politischen Übermacht der deutschen Konzerne und Banken in Europa geführt, die den Nachbarn mehr und mehr die Luft abschnürt: Mit Lohndumping erzielt die deutsche Wirtschaft horrende Exportüberschüsse, die bei den anderen als Verschuldung zu Buche schlagen. Gysi findet das anscheinend richtig, er ist gegen die Abschaffung des Euro, weil sie „in Deutschland dazu führen würde, dass die Exporte einbrechen und die Arbeitslosigkeit steigt“!!! Das ist reinste populistische Arbeitgeberpropaganda!

Aber keine Sorge, trotz Gysi’s „Rettungs“versuch ist der Egoismus der kapitalistischen Staaten schon dabei, die deutsch-imperialen EU-Träume zum Scheitern zu bringen. Sorgen müssen wir uns allerdings, was aus dem Scheitern folgt. Sache der Linken ist es, nicht die nationalen Rivalitäten zu verstärken, sondern die Völkerverständigung. Dafür gibt es ein gutes altes Wort, das die Gysi’s nicht mehr kennen wollen: Internationalismus.

„Völkerverständigung“, das meint konkret, dass die Völker – und nicht die Herrschaften – sich über ihre gemeinsame Zukunft verständigen. Genau das ist es ja, was die deutschen Kapitalvertreter nicht erst seit dem Brexit, sondern schon seit der Wahl der Syriza-Regierung in Griechenland umtreibt: die Sorge, dass die Völker Europas ihre eigenen Vorstellungen vom europäischen Zusammenschluss entwickeln, einem Bündnis demokratischer Nationen auf Augenhöhe, das die EU unmöglich macht. Es wäre eigentlich Sache der Europäischen Linken, die Völker darin zu unterstützen und nicht, sie noch fester an das Kapital zu ketten.

Montag, 10. Oktober 2016

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Hier mein Beitrag zur Altersarmut (Bündnis "Umfairteilen")


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Dortmunder*innen,
ich soll zu einem Thema sprechen, zu dem ich als Kommunalpolitiker von Amts wegen eigentlich kein Mandat hätte, weil es in unserer Kommunalpolitik nicht vorkommt, obschon es im Leben der Menschen unserer Stadt eine dramatische und immer wichtigere Rolle spielt.

Einige Jahrzehnte lang kamen ältere Mitbürger*innen, die so arm sind, dass sie im Müll nach Pfandflaschen suchen, in unserer Stadt nur als tragische Einzelschicksale vor. Jahrzehntelang passte so krasse Armut einfach nicht ins Selbstbild unserer Wohlstandsgesellschaft und ihres Sozialstaates. So galt etwa für die gesetzliche Rentenversicherung bei der Neugründung 1957 der Grundsatz, auch am Ende eines arbeitsreichen Lebens den gewohnten Lebensstandard zu sichern.

In den letzten 20 Jahren hat sich das radikal geändert. – Halt, ich muss das genau ausdrücken: nicht „es“ hat „sich“ geändert, denn entgegen allen amtlichen Behauptungen gibt es kein ökonomisches Gesetz und keinen demografischen Sachzwang, nach denen die Renten von den Löhnen abgekoppelt werden müssen und auf nur noch 43 % der durchschnittlichen Arbeitseinkommen sinken müssen. Sondern es waren die politisch und gesellschaftlich Mächtigen, die nach 1989 aus purem Eigennutz das einigermaßen gut funktionierende Altersvorsorgesystem zerschlugen und durch marktliberales Chaos ersetzten.

Inzwischen hat die Politik, unter dem Druck der Wirtschaftslobby, die Lebensstandardsicherung der Rente über Bord gekippt und als neues Ziel die Beitragsstabilität gesetzt. Mit der „Riesterreform“ lieferten SPD und Grüne die gesetzliche Altersvorsorge als profitablen neuen Geschäftszweig an private Versicherungskonzerne aus und durchbrachen damit zugleich die Beitragsparität zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Und nachdem 2003 die Regierung Schröder/Fischer die Sozialhilfe abgeschafft hat, müssen heute über 8.400 Bürger*innen dieser Stadt von einer Grundsicherung im Alter leben, die weit unter der amtlich anerkannten Armutsschwelle liegt. Unter Hinzurechnung der hohen Dunkelziffer der verschämten Armut müssen in Dortmund mindestens 11.000 Menschen über 65 Jahren als arm gelten, und jedes Jahr nimmt ihre Zahl um 1.000 weitere zu. Das ist auch Ergebnis einer Stadtpolitik, die gemäß einem neuen Ratsbeschluss „Altersgerechtigkeit“ nur auf die bauliche Infrastruktur und Quartiersmanagement beschränkt und Armutsbekämpfung gar nicht im Programm hat.

Die Wirtschaft und ihre Lobbyisten behaupten – wie vor wenigen Tagen der Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände, Kampeter (der übrigens bis Juli für die CDU im Bundestag saß) – sie behaupten, Rentenkürzungen seien ein Gebot der „Generationengerechtigkeit“. Das ist nicht wahr. Schon vor 60 Jahren, vor der Neufassung der gesetzlichen Rentenversicherung 1957 wies der Sozialwissenschaftler Gerhard Mackenroth nach, dass die Rentenzahlungen immer in der jeweils laufenden Periode erwirtschaftet werden müssen, das heiß dass sie immer einen jeweils politisch vereinbarten Anteil am aktuellen Volkseinkommen ausmachen. Es gibt also keinerlei vernünftigen Grund, warum die heute aktiv arbeitende Generation später als Rentner schlechter gestellt sein sollte als die heutigen Rentenbezieher. Die Aktiven müssen heute angemessene Beiträge einzahlen und haben später auch Anspruch auf entsprechende Renten. Mit dem Totschlagwort „Generationengerechtigkeit“ werden nur Junge gegen Alte ausgespielt und aufgehetzt.

Mackenroth widerlegte noch eine weitere irreführende Behauptung der Wirtschaft: Das Rentenniveau folgt keineswegs aus einem vorher angesparten Beitragskapital. Der Beitragssatz richtet sich einzig und allein nach den jeweils aktuellen Zahlenverhältnissen zwischen Rentnern und Aktiven. Er verschiebt sich nicht nur mit der angeblichen „Vergreisung“ der Gesellschaft, sondern viel stärker mit der Beschäftigungslage am Arbeitsmarkt und der gezahlten Lohnsumme. Für diese aber tragen zu allererst die Unternehmer und die Tarifparteien Verantwortung und am allerwenigsten die Opfer der Rentenkürzungen, die Rentner selbst.

Seit Jahrhunderten werden die Menschen immer älter. Schon immer wurde der Anstieg der Lebenserwartung über die steigende Produktivität der Wirtschaft finanziert. Es gibt kein ehrliches Argument, warum das jetzt und in Zukunft anders sein sollte. Alle Vorstöße zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit dienen der Verdummung der Bevölkerung: Das spätere Renteneintrittsalter ist nichts anderes als eine weitere Rentenkürzung. Daher ist es kein Zufall, dass jetzt die Deutsche Bank – ja ausgerechnet die Deutsche Bank! – die Rente erst ab 69 fordert. Denn sie profitiert satt an privaten Zusatzverträgen zur gesetzliuchen Rente. – Und ein späteres Rentenalter ist obendrein ein doppelter Betrug an den Jungen, denn es vermehrt die Jugendarbeitslosigkeit, indem es Arbeitsplätze blockiert, die sonst von Jüngeren besetzt werden könnten.

Das alles muss nicht so sein. Es ist tatsächlich nur eine Frage der Verteilung des geschaffenen Reichtums. Also der solidarischen Umfairteilung von oben nach unten.

Inzwischen scheint auch den Regierenden zu dämmern, dass der von ihren Vorgängern eingeschlagene und von ihnen fortgesetzte Weg geradezu in eine soziale Katastrophe führt.
Jetzt – vor den nächsten Wahlen! – wollen sie ihren Kurs in die Altersarmut etwas abbremsen und wenigstens Niedriglöhner etwas besser stellen. Doch die Privatisierung und Individualisierung der Altersvorsorge wollen sie mit der Förderung von Sparverträgen und Betriebsrenten noch mehr ausbauen. Die Grundsicherung im Alter wollen sie nicht oder nur unwesentlich anheben.

Wir sagen: Was ihr vorhabt, vermehrt die Altersarmut weiter!

-       Stattdessen fordern wir das sofortige Aussetzen der Kürzungsfaktoren in der Rentenformel und die Wiederanhebung des Rentenniveaus auf mindestens 50 % der durchschnittlichen Nettolöhne!

-       Wir fordern eine armutsfeste Mindestrente! Wir fordern eine Grundsicherung, von der sich menschenwürdig leben lässt!

-       Wir fordern, die Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre zurück zu nehmen.

-       Wir fordern, endlich alle versicherungsfremden Belastungen der Rentenkasse vollständig vom Staat aus Steuermitteln zu bezahlen und nicht den Beitragszahlern aufzuhalsen (ca. 60 – 90 Mrd.€ p.a.)!

-       Über diese Sofortmaßnahmen hinaus fordern wir die Einbeziehung aller Erwerbseinkommen und insbesondere der Spitzeneinkommen in die gesetzliche Pflichtversicherung! Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze von 6.200 € p.mt.!

Dafür wollen wir gemeinsam streiten: Sozialverbände, Gewerkschaften, Kirchen und alle für die Menschenwürde engagierten Bürger*innen: Altersarmut in diesem reichen Land ist ein Skandal, den wir nicht hinnehmen.