Dieser Beitrag fasst
mein persönliches Fazit aus Diskussionen in der Bezirksgruppe Dortmund-Hörde
der LINKEN zusammen. Sie begannen mit
einer Auseinandersetzung um die Migrationspolitik - Abschottung versus offene Grenzen, dazu in diesem Blog ab
05.11.2015 - gingen von der Konfrontation zwischen Nationalismus und Humanismus auf eine
umfänglichere Untersuchung des Populismus über und schlossen von da aus an die Strategiedebatte an, die
aktuell bundesweit in der LINKEN läuft. Hier mein Fazit.
Bis in die zweite Hälfte der 1960er Jahre lieferte die
Nachkriegswirtschaft die materielle Basis dafür, dass die breite Mehrheit in Westdeutschland
mit den herrschenden Verhältnissen einigermaßen zurecht kam und zufrieden war. Das Kartell der
"Volksparteien" (CDU/CSU und SPD) schätzte das langezeit realistisch ein und verfolgte ein
integratives Politikkonzept des Klassenfriedens und der kleinen sozialen Korrekturen am Kapitalismus. Es
ermöglichte auch, dass das kleine Westdeutschland in nur achtundzwanzig Jahren bis 1973 20 Millionen
Zuwanderer aufnahm und ökonomisch und sozial, nicht immer problemlos, doch im großen und ganzen
erfolgreich integrierte. (Unter ihnen 10 Millionen Kriegsflüchtlinge aus Mittel-, Ost- und
Südosteuropa, 4 Millionen Aussiedler aus Ostblockstaaten, 4 Millionen Arbeitsmigranten
-"Gastarbeiter", über 1 Million DDR-Übersiedler, ab 1991 nochmals
über 2 Millionen Spätaussiedler und
"Kontingentflüchtlinge" aus der ehemaligen SU.)
Die Krise 1966/67 kündigte das Wegbrechen der ökonomischen Basis dieses
"rheinischen Kapitalismus" an,
die herrschende Klasse schaltete vom Klassenkompromiss auf verschärften
Klassenkampf um, schuf sich schon mal vorbeugend Notstandsgesetze und ging ab
1973/75 zum Neoliberalismus über. Mit einer Verzögerung von 30 Jahren schwenkte
die SPD auf die neuen Bedingungen ein und entwickelte sich zur Hilfstruppe des
neoliberalen Kraftzentrums (Schröders "Agenda 2010",
Jugoslawienkrieg). Die Grünen entstanden als Partei überhaupt erst in dieser
Periode und entwickelten sich von Anfang an zum "ökologischen
Gewissensbiss" der Globalisierung, zum "Ja-aber" des deutschen Großmachtdrangs.
Ab 2008 stößt die verschärfte Kapitaloffensive offenkundig an ihre
Grenzen. Deutsch-Europa geriet in eine
existenzielle Krise, die bis heute andauert. Und zwar hat die Krise sowohl
wirtschaftliche, finanzielle,
staatlich-politische, nationale wie internationale, als auch ideologische
Dimensionen. Die Herrschaft der
bürgerlich-(neo)liberalen Ideologie über den Alltagsverstand wird zunehmend in
Frage gestellt.
Als Symptom und Folge der Krise erleben wir ein umfassendes Abrutschen
des deutschen (und europäischen) common
sense nach rechts. Politik und Mainstream-Medien heizen den
Wohlstandschauvinismus der Mittel- und
Unterschichten seit Jahren mit pausenloser "Wettbewerbs"propaganda
auf und liefern damit auch
Argumentationsmuster für fremdenfeindliche Radikalisierung. Die jüngsten
Asylrechtsverschärfungen haben den
Schutz Verfolgter vom Menschenrecht zur Waffe im Wirtschaftskrieg entwertet.
Die europäische Einigung fällt zurück in
die Abschottung der Mitgliedstaaten gegeneinander und offenbart sich als
das, was sie immer war: ein Zweckbündnis
konkurrierender Wirtschaftsmächte, auf Widerruf sobald veränderte Verhältnisse ihn erzwingen. Vordergründig
richtet sich diese Politik gegen Minderheiten
("Wirtschaftsflüchtlinge, Sozialschmarotzer, Islamisten,
Straftäter, Gefährder" usw.), doch tatsächlich attackiert sie die Bevölkerung insgesamt: Die
Eliten zerstören die Solidarität in der Gesellschaft. Selbst die sich als liberal verstehenden
Medien machen sich zu Verstärkern des Rechtskurses.
Wie die Krise sich weiter entwickelt, und wie die dafür Verantwortlichen
sie überwinden wollen und können, ist
derzeit nicht absehbar. Einen Rückweg zum Integrationsregime der
Nachkriegsjahrzehnte verbieten die
Verwertungszwänge der "Globalisierung". Eine freundliche Übernahme
Europas als Deutschlands Hinterhof (wie
einstmals Lateinamerikas durch die USA) erscheint, zumindest von heute aus gesehen, ebenso unmöglich. Den Herrschenden,
da sie nicht dazu neigen, friedlich und bescheiden von der Bühne abzutreten, bleibt nur die Flucht nach
vorn, mit vollem Risiko verschärfter Klassenkämpfe.
Gerade die erst vor kurzem in der Wolle gefärbte Hilfstruppe des
Neoliberalismus, die SPD weiß in dieser
neuen Lage überhaupt nicht mehr "wo's lang geht". Im gleichen Maß,
wie der Mainstream sich nach rechts
verschiebt, verschwimmen auch die Grenzen des Zumutbaren für
Sozialdemokrat-innen. Sigmar Gabriels
Verzweiflungskurs, die CSU rechts überholen zu wollen, führt bislang nicht zu
massenhaften Absetzbewegungen an der
Basis. Doch an der Unvereinbarkeit von reformistischem Klassenfrieden und Hilfsdiensten für die Kapitalverwertung wird
die SPD immer weiter an Zustimmung verlieren. Sie bleibt attraktiv nur noch für Technokraten zweiter
Garnitur, alle anderen sind ihr schon verloren gegangen oder werden ihr im nächsten Jahrzehnt
verloren gehen. Die Grünen werden ihre Rolle als ökologische Bedenkenträger weiter spielen, aber das ist
keine ausreichende Basis für eine erhebliche Verbreiterung ihres Wählerpotentials.
Die meisten Mitglieder und immer mehr Funktionäre der LINKEN ahnen
inzwischen, dass ein rot-rot-grünes
Projekt sich wohl kaum (jedenfalls nur in sporadischen Ausnahmen) durch
Wahlarithmetik allein ergibt, sondern
eine deutliche Wechselstimmung in der Bevölkerung bräuchte, die entsprechenden
Druck auf SPD und Grüne aufbaut. Danach
sieht es hierzulande gegenwärtig ganz und gar nicht aus.
Unter diesen Bedingungen kann die LINKE sich alle Hoffnungen auf eine
rot-rot-grüne Parlaments- und
Regierungsmehrheit auf absehbare Zeit abschminken. Selbst wenn es ihr
gelänge, einen relevanten Teil der von
der SPD enttäuschten Sozialdemokrat-innen dafür zu gewinnen, wäre das keine
ausreichende gesellschaftliche Basis für
eine rot-rot-grüne Parlamentsmehrheit. Das schätzen Gabriel u.Co. durchaus realistisch ein und werden sich solchen
Avancen auch weiterhin verweigern. Ebenso die Grüne Führung. Und die Aussichtslosigkeit dieser Strategie
erkennen natürlich auch die heimatlos gewordenen Sozialdemokrat-innen und sehen für sich
keinen Grund, das tot geborene Kind der LINKEN aus dem Brunnen zu holen.
Doch wenngleich der Rechtsrutsch sich jetzt so beschleunigt, dass einem
angst und bange werden kann und wir uns
ohnmächtig in der Defensive fühlen: Die herrschende Klasse kann auch in
Deutschland nicht einfach
"durchregieren" lassen, wie Merkel das versprach. Dem steht immer
noch eine deutliche Mehrheit der
Bevölkerung auf Seiten der Demokratie,
der Menschenrechte und sozialer Gerechtigkeit im Weg. Gerade wegen der (europa- und weltweiten)
Verschärfung des Klassenkampfs-von-Oben ist es durchaus möglich, dass der Widerstand an Breite, Ge-
und Entschlossenheit zunimmt.
Eine politische Gegenbewegung nach links kann aber nur außerhalb der
Parlamente und Institutionen wachsen,
durch außerparlamentarisch-basisdemokratische Kooperationen. Von den
organisierten Linken erfordert das eine
klare, harte strategische Kurskorrektur: Bisher stand im Mittelpunkt linken Politikverständnisses die parlamentarische
Tätigkeit. Besonders der Linkspartei diente ihre (überschaubare) Unterstützung
außerparlamentarischer Kämpfe vor allem zur Begründung ihrer parlamentarischen Initiativen. Will sie der
neuen Lage gerecht werden, muss sie ab sofort ihr Standbein wechseln und zur "Bewegungspartei"
werden.
Wenn die Linken in der Gesellschaft es nicht schaffen, mit der
demokratisch gesinnten Mehrheit gemeinsam den Rechtskurs zu stoppen, dann
brauchen sie von mehr Demokratie und sozialem Ausgleich nicht zu träumen, weder im einzelstaatlichen Rahmen
noch gar in der europäischen Staatengemeinschaft. Der Kampf gegen die rechte Politik kann aber nur
nachhaltige Erfolge haben, wenn er die alltägliche Abwehr populistischer Demokratieverächter
(AfD-Pegida-DieRechte-NPD, Seehofer u.co.) erweitert auf die Zerstörung des solidarischen Gemeinwesens
durch die herrschende Ideologie des "Kampfs um's Dasein" (Neusprech: "Wettbewerb"); wenn er
in seinen organisierten Formen Solidarität und Internationalität lebt und stärkt. - Dazu haben linke
Bewegungen in ihrer traditionellen Sektenborniertheit bisher wenig geleistet. Das vor allem müssen sie bei sich
selbst und im Umgang mit Bündnispartnern ändern.
An die Stelle aussichtsloser Versuche, der EU
den Neoliberalismus auszureden, muss die Losung treten: Demokrat-innen Europas vereinigt euch gegen
das antidemokratische, antisoziale Monster EU -
organisieren wir die Solidarität von unten, im Inland und international.