Freitag, 11. März 2016

Eine halbe Million auf der Straße gegen französische Agenda 2010


Protestaktionen am 9. März mit bis zu 500 000 Teilnehmern in 150 Städten (224 000 nach Angaben des Innenministeriums), 100 000 Demonstranten allein in Paris. Veranstaltet von 22 Jugendorganisationen, dem Studentenverband UNEF und den zwei größten Schülerorganisationen FIDL und UNL, denen sich die Gewerkschaften CGT, Force Ouvrière, FSU und Solidaires anschlossen. Auch die Parteien links von den regierenden „Sozialisten“ (PS) unterstützten die Demonstrationen, so die Kommunisten (PCF), die Linkspartei (PG) und andere der „Linksfront“. Ebenso Grüne (EELV), die französischen Jungsozialisten sowie ein Dutzend Abgeordnete von Hollande’s regierender Partei selbst. Parallel dazu fand in der Region um Paris ein eintägiger Streik der Eisenbahner und Verkehrsbetriebe statt.
Die Protestaktionen richten sich gegen ein neues Arbeitsgesetz, mit dem der „sozialistische“ Präsident Hollande die französische Wirtschaft an den Kurs von Gerhard Schröders„Agenda 2010“ anpassen will.
Zu den wichtigsten „Reformen“ des Arbeitsgesetzes gehört, dass Arbeitszeiten und Überstundenregelungen, die in Gesetzen und Tarifverträgen festgelegt sind, durch Betriebsvereinbarungen „flexibel angepasst“ werden können. Die in Frankreich gesetzlich verankerte 35 Stunden-Woche wird zwar nicht abgeschafft, aber künftig sollen „Abweichungen“ bis zu 60 Stunden/Woche betrieblich vereinbart werden können, mit Höchstarbeitszeiten bis zu 12 Stunden. Überstundenzuschläge können per Betriebsvereinbarung von 25 auf 10 % abgesenkt werden. Auszubildende unter 18 Jahren sollen künftig statt 8 bis zu 10 Stunden am Tag und bis zu 40 Stunden pro Woche arbeiten können, ohne die Zustimmung der Arbeitsinspektionen und eines Mediziners einzuholen.
Darüber hinaus sollen Entlassungen aus betriebswirtschaftlichen Gründen erleichtert werden. Abfindungen werden auf 15 Monatslöhne gedeckelt (bisher pro Jahr der Betriebszugehörigkeit ein Monatslohn, auch über 15 Monatslöhne hinaus).
Insgesamt soll der Niedriglohnsektor schlecht bezahlter und befristeter Kurzzeitjobs ausgeweitet werden, um so den „Wettbewerbsvorsprung“ der deutschen Wirtschaft seit Schröders Agenda 2010 zu verringern. Zugleich würden die betrieblichen Abweichungen von Gesetzen und Tarifverträgen die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften schwächen.
Der Gesetzentwurf rief in der französischen Bevölkerung breite Ablehnung hervor. Bis zu 70 % erklärten sich gegen das Vorhaben. In den sozialen Netzwerken erreichte eine Petition „Arbeitsgesetz – nein danke!“ binnen drei Wochen weit über 1 Million Unterschriften.
Angesichts dieser breiten Ablehnung vertagte die Regierung die Verabschiedung des Gesetzentwurfs im Ministerrat vom  9. März auf den 24. März und bot „Gespräche“ über „Verbesserungen“ an. Während die sozialpartnerschaftlich-reformistischen Gewerkschaften unter Führung der CFDT darauf eingingen, forderten die linksorientierten Gewerkschaften CGT, FO, FSU und Solidaire die vollständige Zurückziehung des Entwurfs als unannehmbar.
In den nächsten Wochen muss sich zeigen, ob die Protestbewegung gegen die französische „Agenda“-Politik sich zu einer großen sozialen Massenbewegung ausweiten kann. Der Studentenverband UNEF und die Schülerorganisationen FIDL und UNL haben für den 17. März zu weiteren Aktionen aufgerufen. Für den 22. und 23. März sind landesweite Aktionen der Beschäftigten der öffentlichen Dienste und der Post angekündigt. CGT, FO, FSU und Solidaire haben zusammen mit den Jugendorganisationen für den 31. März zu einem weiteren landesweiten Streik- und Aktionstag aufgerufen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen