Donnerstag, 16. Juni 2016

Demokratie auf der Kippe. Jenseits aller unterschiedlichen nationalistischen Rhetorik gehen die populistischen Rezepte auf eine gemeinsame Ursache zurück.


Nach Ungarn, Polen, um ein Haar diesmal noch nicht Österreich, aber morgen vielleicht England, USA, übermorgen Frankreich, bald auch Deutschland: Selbst in gefestigten Demokratien gewinnen antiliberale Demagogen Massenzulauf und drängen den etablierten Parteien die politische Agenda auf. Ihre Rezepte und die öffentliche Auseinandersetzung mit ihnen kreisen um Ausgrenzung von Fremden, Grenzzäune, plebiszitäre Mobilisierung gegen Institutionen und Eliten, Verweigerung von Menschenrechten, Intoleranz. Die lokalen Varianten mögen sich unterscheiden. So notwendig es ist, die demagogischen Kurzschlüsse auch lokal zu widerlegen: Jenseits aller unterschiedlichen nationalistischen Rhetorik gehen die populistischen Rezepte auf eine gemeinsame Ursache zurück.

Die neoliberale Offensive hat alle diese Länder, den ganzen „Westen“ in eine wirtschaftliche und soziale Dauerkrise gestürzt. Die explodierenden Einkommen und Vermögen an der Spitze der Gesellschaften finanzieren sich 1:1 aus Verarmung der unteren Hälfte der Bevölkerungen und fortschreitender Prekarisierung der Mittelschichten. Die Enttäuschung über die Unfähigkeit der Alt-Parteien, diesen sich zuspitzenden Widerspruch mit friedlich-demokratischen Methoden innerhalb der gewohnten Verhältnisse auflösen zu können, macht die Demokratien zunehmend unregierbar und stößt die herrschende Klasse vorwärts, ihre Herrschaft in autoritäre Pseudodemokratien zu transformieren.

- Aber kann man denn so unterschiedliche Bewegungen wie Orbans Fidesz in Ungarn, Kaczynskis PiS in Polen, Straches FPÖ in Österreich, Marine LePens FN in Frankreich, Frauke Petris AfD, Trumps Republican Party in USA alle in denselben Sack „Populismus“ stecken? Ja, man kann, man muss sogar den gemeinsamen Kern ihrer Heilsbotschaften herausschälen: Sie alle versprechen einen radikal anderen Ausweg aus der Krise, aber nur als Umwälzung im Überbau, ohne – das ist der springende Punkt – an der Krisenursache, nämlich an der Klassengesellschaft und deren ökonomischer Basis das geringste ändern zu wollen.

Sie schützen ausdrücklich das Eigentum und meinen das kapitalistische Eigentum. Sie bekennen sich entschieden zum Wettbewerb und meinen den privaten Reichtum, der angeblich aus „eigener Leistung“ entspringe, und der weiter wachsen solle. Sie wollen den „schlanken Staat“ und meinen fortgesetzten Abbau von Sozialleistungen und Privatisierung von Gemeinschaftseinrichtungen.

Anders kann man nicht erklären, wieso die alte Republican Party, die ein Erbrecht für sich reklamieren kann, alle paar Jahre den mächtigsten Präsidenten der Welt zu stellen, wieso die jetzt sich und die Staatsmacht an einen wildgewordenen Abenteurer, Immobilienmilliardär und TV-Clown ausliefert. Anders kann man auch nicht erklären, wieso eine AfD mit einem durch und durch neoliberalen Programm vor allem in der Mittelschicht Erfolg hat, bei Leuten, die den antisozialen Leitsatz „Jeder ist sich selbst der Nächste“ schon mit dem Babybrei eingetrichtert bekamen.

Zwar kann man das Versprechen, die Krise des Westens zu überwinden, ohne an deren Ursachen zu rühren, nur als Betrug bewerten. Doch das heißt im Umkehrschluss: Den Betrug entlarven und zurückdrängen können wir nur, wenn wir die Krisenursachen beim Namen nennen und für ihre Beseitigung kämpfen:
-       das kapitalistische Eigentum an den entscheidenden Produktionsmitteln, als Basis der Bereicherung der Reichen durch Ausbeutung fremder Arbeitskraft,
-       die Wettbewerbsideologie als Recht der Stärkeren auf Vernichtung der Schwächeren,
-       den Markt, der alles und sogar den Menschen selbst zur Ware macht und den Tauschwert vor die Bedürfnisse stellt.

Wenn diese Lehre aus dem Vordringen des Populismus nicht bald den Nebel aus den Köpfen vertreibt, dann sind die Tage der westlichen Demokratien gezählt. Barbarei oder Sozialismus heißt die Alternative unserer Zeit.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen