Dienstag, 25. Oktober 2016

Belgien verhindert CETA: Käufliche Rebellen? Die Leitmedien lügen manchmal – aber das Verdrehen der Wahrheit ist ihr Alltag und viel schlimmer.

Eine bestimmte Denkrichtung der Politikwissenschaft lehrt, eine Diktatur sei ein Regime, das seine Herrschaft vor allem auf brutale Gewalt, Unterdrückung der Grundrechte und verlogene Propaganda stützt. So engt sie das Verständnis unzulässig ein und unterschlägt die ursprüngliche, wesentliche Bedeutung des Wortes: Diktatur leitet sich ab von „Diktieren, Diktat“ und meint eine Herrschaft, die wichtige Entscheidungen ohne Rücksicht auf die Meinung der Beherrschten oder sogar gegen einen erkennbaren Mehrheitswillen trifft.

Genau so funktioniert die EU, was ich im folgenden belege. Seit dem Konflikt um das CETA-Abkommen mit Kanada liegt es offen vor aller Augen, dass die EU-Kommission und EU-Parlamentspräsident Schulz (SPD) ebenso wie die Regierungschefs maßgeblicher EU-Staaten und der deutsche Wirtschaftsminister Gabriel (SPD) den Vertrag mit allen Tricks gegen den manifesten Widerstand in der europäischen Bevölkerung durchzudrücken versuchen. Zugleich liefert dieser Konflikt ein anschauliches Beispiel, mit welchen Mitteln eine moderne Diktatur herrscht. Es sind dies vor allem: das Geld und die Manipulation der öffentlichen Meinung.

Das Geld fließt hauptsächlich im Stillen, in verschwiegenen Hinterzimmern und Banken. Mit welchen Summen man jetzt versucht, die dissidenten belgischen Regionalregierungen zu kaufen, und ob dabei sogar einzelne Mandatsträger bestochen werden, wird als höchstes Staatsgeheimnis gehütet, das aufzudecken bräuchte einen Whistleblower. Zum Zeitpunkt da ich dies schreibe können wir noch hoffen, dass die Rebellen sich nicht kaufen lassen.

Umso offener wird indessen die Wahrheit vergewaltigt. Was die Monopolstellung eines Dutzends Zeitungsverleger, denen obendrein die meisten privaten Fernsehsender gehören, und der öffentlich-rechtlichen Medien flächendeckend gewährleistet: Das Dutzend Medienbeherrscher braucht nur noch acht überregionale Tageszeitungen und 120 Regionalredaktionen auf Linie zu bringen (was auch bei Journalisten gewöhnlich über finanzielle Abhängigkeit funktioniert), um täglich mehr als 20 Millionen Deutschen die Interessen des Großkapitals als Sachzwang zu erklären.

Egal welche Tageszeitung wir in den letzten zwei Wochen aufschlugen oder auf welchen Fernsehkanal wir zappten, überall bekamen wir – fast wortgleich – eine Story von der Handvoll wallonischer Quertreiber aufgetischt, die für ihre kleinkarierten „Sonderinteressen“ – ruinierte Industrien, hohe Arbeitslosigkeit, ums Überleben kämpfende Landwirtschaft – „Europas“ wirtschaftliche Zukunft aufs Spiel setzen. Dass ihre Ablehnungsgründe gegen CETA weit über ihre berechtigten Regionalinteressen hinaus gehen und sich genau mit den Punkten decken, die seit Monaten in ganz Europa hunderttausende Menschen auf die Straßen treiben, erwähnen unsere Leitmedien ebenso wenig wie die mehr als 300.000 Unterschriften europaweit gegen CETA. Diese Gründe haben mit Geld weniger, aber mit Demokratie ganz viel zu tun.

Auf die Knackpunkte der CETA-Kritik inhaltlich einzugehen hütet man sich, denn genau sie sind für die multinationalen Großkonzerne das Wichtigste an den ganzen Handelsverträgen und daher unverhandelbar: die privaten Schiedsgerichte, die über Schadenersatzklagen von Unternehmen gegen Staaten urteilen und so jeden Fortschritt der Politik verhindern können, und die „gemischte Kommission“, die den Vertrag an allen Parlamenten und nationalen Regierungen vorbei beliebig verändern darf. Statt sich zu dieser Kritik zu äußern, verschieben die Verantwortlichen und Medien die Sache auf moralische Wolkenbänke: Es gehe jetzt um „Europas Glaubwürdigkeit“ (wirklich? Europas?? Doch eher um die der EU-Bürokraten gegenüber den Konzernbossen). EU-Ratspräsident Tusk sieht die „Handlungsfähigkeit“ der EU gefährdet. Und die WAZ ergänzt, das Nein zu CETA sei zur „Ehrensache“ geworden.

Auch das gerade erst einen Monat alte Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts, das ausdrücklich festschreibt, CETA dürfe endgültig nur in Kraft treten, wenn mit allen EU-Staaten auch der deutsche Bundestag grünes Licht gibt, wie es unsere Verfassung verlangt, wird jetzt von den Medien mausetot geschwiegen. So wie wenn es gar nicht ergangen wäre, zitierten die WAZ und die Tagesschau sogar zustimmend den Fraktionsvorsitzenden der Konservativen im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), es sei „ein Fehler“ der EU-Kommission gewesen, als Zugeständnis auf die Massenproteste hin den Vertrag nun von allen nationalen Parlamenten abstimmen zu lassen. Unser Grundgesetz hält der Herr EU-Politiker offenbar schon für entbehrlich. Und will es durch das Diktat der EU-Bürokratie ersetzt sehen.


Die Lehre aus dem Exempel: Diktatur kommt nicht nur à la Hitler oder Erdogan daher, sondern auch als Ausschalten der Demokratie mit der Macht des Geldes und der Meinungsindustrie. Wie das Beispiel aber auch zeigt, können die Völker sich den Herrschaften mit Erfolg widersetzen.

Dienstag, 18. Oktober 2016

Übernehmen Gangster die Macht? Fragen zum Vordringen des Rechtsradikalismus in staatlichen Institutionen


„So’n Quatsch,“ werden Sie, mein*e Leser*in, mit Ihrem kühlen Kopf denken, „jetzt dreht der Stammnitz ganz durch!“ Tatsächlich springen auf den ersten Blick so viele Gegenargumente ins Auge, dass die Titelfrage absurd erscheint. Heute noch viel absurder als etwa 1923, als ein bis dahin weithin unbekannter Anstreicher mit einer Handvoll radikaler Lumpen einen Marsch zur Münchner Feldherrnhalle unternahm und für die nächsten Jahre hinter Gittern verschwand. Aber was damals jeder kühle Kopf für unvorstellbar hielt, war zehn Jahre später grauenhafte Wirklichkeit in Deutschland.

„Geld regiert die Welt,“ nach der alten Volksweisheit sind die Bauern mit den dicksten Kartoffeln – zeitgemäßer ausgedrückt: die Eigentümer der mächtigsten, kapitalstärksten Finanz- und Industriekonzerne – die eigentlichen Beherrscher der Welt. Und dies umso mehr, je mehr Kapital sie kommandieren. Also heute noch viel mehr als vor 75 Jahren, als nach dem deutschen Überfall auf ganz Europa und Russland und dem japanischen Überfall auf Pearl Harbour der amerikanische Präsident Roosevelt feststellte, die Welt sei „von den Grundsätzen des Gangstertums beherrscht.“

Wer von uns Heutigen es sich nicht so bequem macht, das Nazi-Gangstertum als einzigartigen, eigentlich ganz unbegreiflichen und gerade deswegen unwiederholbaren Betriebsunfall in der historischen Aufwärtsentwicklung abzutun, steht für unsere Gegenwart und Zukunft vor beunruhigenden Fragen:

1.- Grundsatz Kapitalvermehrung oder Gangstertum? Was bewog die deutsche, italienische, japanische Kapitalistenklasse, die Staatsgewalt an notorische Verbrecherbanden zu übertragen, während ihre Konkurrenten in USA, England, Frankreich weiterhin auf Demokratie setzten? Gibt es grundsätzliche Wesensunterschiede zwischen den (auch damals schon) global vernetzten Finanzoligarchien? Oder wechseln sie zwischen friedlich-demokratischen und gewaltsamen Herrschaftsmethoden je nach der Zuspitzung ihrer Konkurrenzkämpfe um Märkte, Rohstoffe, Anlagesphären usw.? Müssen wir folglich damit auch weiterhin rechnen?

2.- Soweit die Motive für den Wechsel von der „Weimarer“ Republik zum Naziterror mit den Krisen nach dem 1. Weltkrieg und der besonders schweren, tiefen Wirtschaftskrise 1929-33 zusammenhingen: Welchen politischen Sprengstoff brüten die heutigen Krisen aus, die ja nicht weniger die Kapitalvermehrung bedrohen? Wird wieder ein autoritäres Regime gebraucht, um die Krisenlasten ganz auf die eigene Bevölkerung und abhängige Völker abzuwälzen?

3.- Krise und Krieg: Seit den 90‘er Jahren nehmen die „Stellvertreterkriege“ weltweit dramatisch zu, an Zahl, Umfang der Zerstörungen und zivilen Opfern. Damit wächst die Gefahr direkter militärischer Konfrontation der Großmächte. Die EU wird gepriesen als Garant des Friedens zwischen den früheren europäischen Kriegsgegnern. Doch seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008, die in vielen Ländern bis heute nicht überwunden ist, zerfällt die EU, und hinter der Friedensfassade tritt der alte deutsche Vormachtanspruch wieder herrisch ans Licht. Werden die rechtsradikalen Banden in vielen Ländern, aber auch bei uns von der Staatsmacht gedeckt und offen oder heimlich gefördert, um mit Chauvinismus und Herrenmenschendünkel (gegen Muslime, die „faulen Griechen“, Flüchtlinge, Einwanderer generell usw.) die Bevölkerung wieder kriegsbereit zu machen? Und um die Demokratie Schritt für Schritt im Ausnahmezustand zu ersticken, siehe Frankreich?

4.- Beinahe im Wochentakt folgt schon ein Anti-Terror-Gesetz dem anderen. Unbestreitbar werden damit Menschenrechte und demokratische Freiheiten eingeschränkt und abgebaut. Sind die rechten Terrorbanden auch willkommen, um die sich allmählich formierende demokratische Opposition einzuschüchtern und Gegenwehr zu kriminalisieren?

5.- Der Wechsel zu einem autoritären Regime fällt nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel, er benötigt mehr oder weniger lange Vorbereitungsetappen: In den Köpfen müssen „Grundsätze“ ausgewechselt werden. Dazu müssen die Medien auf Linie gebracht werden. Sie vor allem müssen Feindbilder erzeugen, popularisieren und ins Unterbewußtsein hämmern. (Das haben wir von Hugenberg und Goebbels gelernt, in Krisenzeiten braucht das Kapital äußere Feindbilder.) Es müssen flächendeckend rechtsradikale Massenorganisationen aufgezogen, verankert, zur Straßengewalt erzogen, ihr Führungspersonal ämtertauglich geschult werden. Staatliche Überwachungs- und Verfolgungsorgane lassen sich nur Zug um Zug ausbauen. Usw. Fragen also: Tragen die aktuellen Maßnahmen selbst zur Eskalation der Krise bei? Was fehlt noch zur Vorbereitung eines Krisenregimes? Wird das Fehlende schon wo in Angriff genommen?

Während jeder dieser Etappen kann einen Regimewechsel die gesellschaftliche Opposition stoppen – solange sie noch dazu fähig ist. Die notwendige Stärke gewinnt sie nur, wenn sie die Gefahr früh genug erkennt und sich früh genug dagegen einigt. Deshalb sind diese Fragen gar nicht so absurd. Jede*r sollte sich mit kühlem Kopf Wissen und Klarheit darüber verschaffen, dass diese Entwicklungen, die heute weit außerhalb unserer Vorstellungskraft liegen – uns dennoch drohen, wenn wir sie nicht aktiv verhindern. Die Haltung „Es wird schon nicht so schlimm kommen“ hat schon damals nichts verhindert, sondern das Unvorstellbare erst ermöglicht.

Mittwoch, 12. Oktober 2016

Gregor Gysi an der Seite von Merkel, Gabriel und Draghi: „Wir brauchen die EU.“ – Frage: Wer ist da „wir“?



In der Zeitung „Neues Deutschland“ (12.10.2016) versuchte Gregor Gysi, sich für den Vorsitz der Europäischen Linken zu qualifizieren mit einem weiteren Versuch, die EU zu „retten“ (wörtlich!): Er will weder den Euro abschaffen noch zurück zum „Pickelhaubenstaat“.

Mit dieser raffinierten Fälschung der nationalstaatlichen Wirklichkeit der Bundesrepublik zum preußisch-wilhelminischen Anachronismus täuscht Gysi darüber hinweg, dass wir hier und heute in einer Klassengesellschaft leben, und dass die EU ein Projekt der Herrschenden zur verstärkten Ausbeutung der beherrschten Klassen ist. Und dass dies Herrschaftsprojekt nicht die Konkurrenz zwischen den europäischen Kapitalblöcken aufhebt, nicht aufheben kann. Und dass auch für die EU gilt, was alle Bündnisse zwischen kapitalistischen Staaten kennzeichnet: Sie haben immer nur vorübergehenden Nutzen, ihre Geschäftsgrundlage fällt weg, sobald die Kräfteverhältnisse sich ändern. Dann werden aus Partnern genauso schnell wieder Rivalen.

Die Kräfteverhältnisse ändern sich gerade dramatisch: Die Konstruktion der EU und speziell ihrer Währungseinheit hat zu einer wirtschaftlichen und politischen Übermacht der deutschen Konzerne und Banken in Europa geführt, die den Nachbarn mehr und mehr die Luft abschnürt: Mit Lohndumping erzielt die deutsche Wirtschaft horrende Exportüberschüsse, die bei den anderen als Verschuldung zu Buche schlagen. Gysi findet das anscheinend richtig, er ist gegen die Abschaffung des Euro, weil sie „in Deutschland dazu führen würde, dass die Exporte einbrechen und die Arbeitslosigkeit steigt“!!! Das ist reinste populistische Arbeitgeberpropaganda!

Aber keine Sorge, trotz Gysi’s „Rettungs“versuch ist der Egoismus der kapitalistischen Staaten schon dabei, die deutsch-imperialen EU-Träume zum Scheitern zu bringen. Sorgen müssen wir uns allerdings, was aus dem Scheitern folgt. Sache der Linken ist es, nicht die nationalen Rivalitäten zu verstärken, sondern die Völkerverständigung. Dafür gibt es ein gutes altes Wort, das die Gysi’s nicht mehr kennen wollen: Internationalismus.

„Völkerverständigung“, das meint konkret, dass die Völker – und nicht die Herrschaften – sich über ihre gemeinsame Zukunft verständigen. Genau das ist es ja, was die deutschen Kapitalvertreter nicht erst seit dem Brexit, sondern schon seit der Wahl der Syriza-Regierung in Griechenland umtreibt: die Sorge, dass die Völker Europas ihre eigenen Vorstellungen vom europäischen Zusammenschluss entwickeln, einem Bündnis demokratischer Nationen auf Augenhöhe, das die EU unmöglich macht. Es wäre eigentlich Sache der Europäischen Linken, die Völker darin zu unterstützen und nicht, sie noch fester an das Kapital zu ketten.

Montag, 10. Oktober 2016

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Hier mein Beitrag zur Altersarmut (Bündnis "Umfairteilen")


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Dortmunder*innen,
ich soll zu einem Thema sprechen, zu dem ich als Kommunalpolitiker von Amts wegen eigentlich kein Mandat hätte, weil es in unserer Kommunalpolitik nicht vorkommt, obschon es im Leben der Menschen unserer Stadt eine dramatische und immer wichtigere Rolle spielt.

Einige Jahrzehnte lang kamen ältere Mitbürger*innen, die so arm sind, dass sie im Müll nach Pfandflaschen suchen, in unserer Stadt nur als tragische Einzelschicksale vor. Jahrzehntelang passte so krasse Armut einfach nicht ins Selbstbild unserer Wohlstandsgesellschaft und ihres Sozialstaates. So galt etwa für die gesetzliche Rentenversicherung bei der Neugründung 1957 der Grundsatz, auch am Ende eines arbeitsreichen Lebens den gewohnten Lebensstandard zu sichern.

In den letzten 20 Jahren hat sich das radikal geändert. – Halt, ich muss das genau ausdrücken: nicht „es“ hat „sich“ geändert, denn entgegen allen amtlichen Behauptungen gibt es kein ökonomisches Gesetz und keinen demografischen Sachzwang, nach denen die Renten von den Löhnen abgekoppelt werden müssen und auf nur noch 43 % der durchschnittlichen Arbeitseinkommen sinken müssen. Sondern es waren die politisch und gesellschaftlich Mächtigen, die nach 1989 aus purem Eigennutz das einigermaßen gut funktionierende Altersvorsorgesystem zerschlugen und durch marktliberales Chaos ersetzten.

Inzwischen hat die Politik, unter dem Druck der Wirtschaftslobby, die Lebensstandardsicherung der Rente über Bord gekippt und als neues Ziel die Beitragsstabilität gesetzt. Mit der „Riesterreform“ lieferten SPD und Grüne die gesetzliche Altersvorsorge als profitablen neuen Geschäftszweig an private Versicherungskonzerne aus und durchbrachen damit zugleich die Beitragsparität zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Und nachdem 2003 die Regierung Schröder/Fischer die Sozialhilfe abgeschafft hat, müssen heute über 8.400 Bürger*innen dieser Stadt von einer Grundsicherung im Alter leben, die weit unter der amtlich anerkannten Armutsschwelle liegt. Unter Hinzurechnung der hohen Dunkelziffer der verschämten Armut müssen in Dortmund mindestens 11.000 Menschen über 65 Jahren als arm gelten, und jedes Jahr nimmt ihre Zahl um 1.000 weitere zu. Das ist auch Ergebnis einer Stadtpolitik, die gemäß einem neuen Ratsbeschluss „Altersgerechtigkeit“ nur auf die bauliche Infrastruktur und Quartiersmanagement beschränkt und Armutsbekämpfung gar nicht im Programm hat.

Die Wirtschaft und ihre Lobbyisten behaupten – wie vor wenigen Tagen der Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände, Kampeter (der übrigens bis Juli für die CDU im Bundestag saß) – sie behaupten, Rentenkürzungen seien ein Gebot der „Generationengerechtigkeit“. Das ist nicht wahr. Schon vor 60 Jahren, vor der Neufassung der gesetzlichen Rentenversicherung 1957 wies der Sozialwissenschaftler Gerhard Mackenroth nach, dass die Rentenzahlungen immer in der jeweils laufenden Periode erwirtschaftet werden müssen, das heiß dass sie immer einen jeweils politisch vereinbarten Anteil am aktuellen Volkseinkommen ausmachen. Es gibt also keinerlei vernünftigen Grund, warum die heute aktiv arbeitende Generation später als Rentner schlechter gestellt sein sollte als die heutigen Rentenbezieher. Die Aktiven müssen heute angemessene Beiträge einzahlen und haben später auch Anspruch auf entsprechende Renten. Mit dem Totschlagwort „Generationengerechtigkeit“ werden nur Junge gegen Alte ausgespielt und aufgehetzt.

Mackenroth widerlegte noch eine weitere irreführende Behauptung der Wirtschaft: Das Rentenniveau folgt keineswegs aus einem vorher angesparten Beitragskapital. Der Beitragssatz richtet sich einzig und allein nach den jeweils aktuellen Zahlenverhältnissen zwischen Rentnern und Aktiven. Er verschiebt sich nicht nur mit der angeblichen „Vergreisung“ der Gesellschaft, sondern viel stärker mit der Beschäftigungslage am Arbeitsmarkt und der gezahlten Lohnsumme. Für diese aber tragen zu allererst die Unternehmer und die Tarifparteien Verantwortung und am allerwenigsten die Opfer der Rentenkürzungen, die Rentner selbst.

Seit Jahrhunderten werden die Menschen immer älter. Schon immer wurde der Anstieg der Lebenserwartung über die steigende Produktivität der Wirtschaft finanziert. Es gibt kein ehrliches Argument, warum das jetzt und in Zukunft anders sein sollte. Alle Vorstöße zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit dienen der Verdummung der Bevölkerung: Das spätere Renteneintrittsalter ist nichts anderes als eine weitere Rentenkürzung. Daher ist es kein Zufall, dass jetzt die Deutsche Bank – ja ausgerechnet die Deutsche Bank! – die Rente erst ab 69 fordert. Denn sie profitiert satt an privaten Zusatzverträgen zur gesetzliuchen Rente. – Und ein späteres Rentenalter ist obendrein ein doppelter Betrug an den Jungen, denn es vermehrt die Jugendarbeitslosigkeit, indem es Arbeitsplätze blockiert, die sonst von Jüngeren besetzt werden könnten.

Das alles muss nicht so sein. Es ist tatsächlich nur eine Frage der Verteilung des geschaffenen Reichtums. Also der solidarischen Umfairteilung von oben nach unten.

Inzwischen scheint auch den Regierenden zu dämmern, dass der von ihren Vorgängern eingeschlagene und von ihnen fortgesetzte Weg geradezu in eine soziale Katastrophe führt.
Jetzt – vor den nächsten Wahlen! – wollen sie ihren Kurs in die Altersarmut etwas abbremsen und wenigstens Niedriglöhner etwas besser stellen. Doch die Privatisierung und Individualisierung der Altersvorsorge wollen sie mit der Förderung von Sparverträgen und Betriebsrenten noch mehr ausbauen. Die Grundsicherung im Alter wollen sie nicht oder nur unwesentlich anheben.

Wir sagen: Was ihr vorhabt, vermehrt die Altersarmut weiter!

-       Stattdessen fordern wir das sofortige Aussetzen der Kürzungsfaktoren in der Rentenformel und die Wiederanhebung des Rentenniveaus auf mindestens 50 % der durchschnittlichen Nettolöhne!

-       Wir fordern eine armutsfeste Mindestrente! Wir fordern eine Grundsicherung, von der sich menschenwürdig leben lässt!

-       Wir fordern, die Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre zurück zu nehmen.

-       Wir fordern, endlich alle versicherungsfremden Belastungen der Rentenkasse vollständig vom Staat aus Steuermitteln zu bezahlen und nicht den Beitragszahlern aufzuhalsen (ca. 60 – 90 Mrd.€ p.a.)!

-       Über diese Sofortmaßnahmen hinaus fordern wir die Einbeziehung aller Erwerbseinkommen und insbesondere der Spitzeneinkommen in die gesetzliche Pflichtversicherung! Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze von 6.200 € p.mt.!

Dafür wollen wir gemeinsam streiten: Sozialverbände, Gewerkschaften, Kirchen und alle für die Menschenwürde engagierten Bürger*innen: Altersarmut in diesem reichen Land ist ein Skandal, den wir nicht hinnehmen.

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Umfairteilen hilft. Bündnis wirbt für Vermögensteuer.


von Carsten Klink (lokalkompass)

Am Donnerstag fand in der Dortmunder Innenstadt eine rund anderthalbstündige Kundgebung des Bündnis UmFairteilen statt. Hauptredner der Veranstaltung "Umfairteilen hilft - wie wir unser Land zusammenhalten können" war Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.
Schneider forderte, dass die wirklich Reichen in Deutschland wieder mehr Steuern zahlen sollen und erinnerte in diesem Zusammenhang an die Steuersätze zu Zeiten des CDU-Kanzlers Helmut Kohl, die entsprechend höher waren als die heutigen. Des Weiteren forderte er, dass endlich eine Börsenumsatzsteuer eingeführt werden soll. Auf Bücher oder Lebensmittel müsse man sieben Prozent auf andere Waren sogar 19 Prozent Mehrwertsteuer zahlen, aber auf Finanzprodukte, die letztlich auch für die weltweite Finanzkrise verantwortlich sind, müsse man bis heute keine Steuern zahlen.

Zahl der Hilfesuchenden versechsfacht

Anschließend sprach Reinold Dege, der zweite Vorsitzende des Dortmunder Vereins Gast-Haus Ökumenische Wohnungslosen-Initiative. Er berichtete, dass vor zehn Jahren rund 50 Besucher täglich die Hilfs- und Informationsangebote des Vereins nutzten und die Zahl nun auf über 300 angestiegen sei.

Wolf Stammnitz, Sachkundiger Bürger der Linken im Beschäftigungsausschuss der Stadt Dortmund, prangerte die Rentenpolitik der damaligen rot-grünen Bundesregierung an und sprach von einer Fortführung dieser unsozialen Rentenpolitik durch die CDU-SPD-Regierung. Diese falsche Rentenpolitik würde auch die Jugendarbeitslosigkeit fördern, da die älteren Beschäftigten immer länger arbeiten müssen und somit die Arbeitsplätze später erst freigeben können. Folgerichtig forderte er daher die Rücknahme der Rente erst ab 67 Jahren, eine Anhebung der Rente auf mindestens 50 Prozent der Löhne sowie die Einbeziehung weiterer Einkunftsarten in die gesetztliche Rentenversicherung und das Ende der Finanzierung rentenversicherungsfremder Leistungen aus der Rentenkasse.

Soziale Kluft tiefer geworden

Das Bündnis Umfairteilen kritisiert grundsätzlich, dass die Armut zunimmt. Eine Hauptursache ist die massive und unsoziale Deregulierung des Arbeitsmarktes in den letzten 20 Jahren, insbesondere durch die Hartz-Gesetze. Die soziale Kluft sei auch tiefer geworden, da das Einkommen der ärmeren Schichten sinkt während das reichste Zehntel der Bevölkerung hinzugewann. Kritisiert wird auch, dass das reichste eine Prozent der Bevölkerung ein Drittel des gesamten Vermögens besitzt, die reichsten 10 Prozent sogar zwei Drittel. Das Bündnis stellt auch heraus, dass der Reichtum der Multimillionäre ererbt sei und die Konzentration immer größerer Vermögen auch das Ergebnis der Aussetzung der Vermögenssteuer sei.

Der Huckarder Bezirksvertreter Ingo Meyer, der Koordinator des Bündnis Umfairteilen in Dortmund, zeigte sich erfreut über die große Resonanz auf das Thema Umfairteilen und kündigte weitere Aktionen an.
Quelle: http://www.lokalkompass.de/dortmund-city/politik/umfairteilen-hilft-buendnis-wirbt-fuer-vermoegensteuer-d701796.html