Eine
bestimmte Denkrichtung der Politikwissenschaft lehrt, eine Diktatur sei ein
Regime, das seine Herrschaft vor allem auf brutale Gewalt, Unterdrückung der Grundrechte
und verlogene Propaganda stützt. So engt sie das Verständnis unzulässig ein und
unterschlägt die ursprüngliche, wesentliche Bedeutung des Wortes: Diktatur leitet
sich ab von „Diktieren, Diktat“ und meint eine Herrschaft, die wichtige
Entscheidungen ohne Rücksicht auf die Meinung der Beherrschten oder sogar gegen
einen erkennbaren Mehrheitswillen trifft.
Genau
so funktioniert die EU, was ich im folgenden belege. Seit dem Konflikt um das
CETA-Abkommen mit Kanada liegt es offen vor aller Augen, dass die EU-Kommission
und EU-Parlamentspräsident Schulz (SPD) ebenso wie die Regierungschefs maßgeblicher
EU-Staaten und der deutsche Wirtschaftsminister Gabriel (SPD) den Vertrag mit
allen Tricks gegen den manifesten Widerstand in der europäischen Bevölkerung
durchzudrücken versuchen. Zugleich liefert dieser Konflikt ein anschauliches
Beispiel, mit welchen Mitteln eine moderne
Diktatur herrscht. Es sind dies vor allem: das Geld und die Manipulation der öffentlichen
Meinung.
Das
Geld fließt hauptsächlich im Stillen, in verschwiegenen Hinterzimmern und
Banken. Mit welchen Summen man jetzt versucht, die dissidenten belgischen
Regionalregierungen zu kaufen, und ob dabei sogar einzelne Mandatsträger
bestochen werden, wird als höchstes Staatsgeheimnis gehütet, das aufzudecken bräuchte
einen Whistleblower. Zum Zeitpunkt da ich dies schreibe können wir noch hoffen,
dass die Rebellen sich nicht kaufen lassen.
Umso
offener wird indessen die Wahrheit vergewaltigt. Was die Monopolstellung eines
Dutzends Zeitungsverleger, denen obendrein die meisten privaten Fernsehsender
gehören, und der öffentlich-rechtlichen Medien flächendeckend gewährleistet:
Das Dutzend Medienbeherrscher braucht nur noch acht überregionale
Tageszeitungen und 120 Regionalredaktionen auf Linie zu bringen (was auch bei
Journalisten gewöhnlich über finanzielle Abhängigkeit funktioniert), um täglich
mehr als 20 Millionen Deutschen die Interessen des Großkapitals als Sachzwang
zu erklären.
Egal
welche Tageszeitung wir in den letzten zwei Wochen aufschlugen oder auf welchen
Fernsehkanal wir zappten, überall bekamen wir – fast wortgleich – eine Story
von der Handvoll wallonischer Quertreiber aufgetischt, die für ihre
kleinkarierten „Sonderinteressen“ – ruinierte Industrien, hohe
Arbeitslosigkeit, ums Überleben kämpfende Landwirtschaft – „Europas“
wirtschaftliche Zukunft aufs Spiel setzen. Dass ihre Ablehnungsgründe gegen
CETA weit über ihre berechtigten Regionalinteressen hinaus gehen und sich genau
mit den Punkten decken, die seit Monaten in ganz Europa hunderttausende
Menschen auf die Straßen treiben, erwähnen unsere Leitmedien ebenso wenig wie
die mehr als 300.000 Unterschriften europaweit gegen CETA. Diese Gründe haben
mit Geld weniger, aber mit Demokratie ganz viel zu tun.
Auf
die Knackpunkte der CETA-Kritik inhaltlich einzugehen hütet man sich, denn
genau sie sind für die multinationalen Großkonzerne das Wichtigste an den
ganzen Handelsverträgen und daher unverhandelbar: die privaten Schiedsgerichte,
die über Schadenersatzklagen von Unternehmen gegen Staaten urteilen und so
jeden Fortschritt der Politik verhindern können, und die „gemischte
Kommission“, die den Vertrag an allen Parlamenten und nationalen Regierungen
vorbei beliebig verändern darf. Statt sich zu dieser Kritik zu äußern,
verschieben die Verantwortlichen und Medien die Sache auf moralische Wolkenbänke:
Es gehe jetzt um „Europas Glaubwürdigkeit“ (wirklich? Europas?? Doch eher um
die der EU-Bürokraten gegenüber den Konzernbossen). EU-Ratspräsident Tusk sieht
die „Handlungsfähigkeit“ der EU gefährdet. Und die WAZ ergänzt, das Nein zu
CETA sei zur „Ehrensache“ geworden.
Auch
das gerade erst einen Monat alte Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts,
das ausdrücklich festschreibt, CETA dürfe endgültig nur in Kraft treten, wenn
mit allen EU-Staaten auch der deutsche Bundestag grünes Licht gibt, wie es
unsere Verfassung verlangt, wird jetzt von den Medien mausetot geschwiegen. So
wie wenn es gar nicht ergangen wäre, zitierten die WAZ und die Tagesschau sogar
zustimmend den Fraktionsvorsitzenden der Konservativen im Europaparlament,
Manfred Weber (CSU), es sei „ein Fehler“ der EU-Kommission gewesen, als
Zugeständnis auf die Massenproteste hin den Vertrag nun von allen nationalen
Parlamenten abstimmen zu lassen. Unser Grundgesetz hält der Herr EU-Politiker offenbar
schon für entbehrlich. Und will es durch das Diktat der EU-Bürokratie ersetzt
sehen.
Die
Lehre aus dem Exempel: Diktatur kommt nicht nur à la Hitler oder Erdogan daher,
sondern auch als Ausschalten der Demokratie mit der Macht des Geldes und der Meinungsindustrie.
Wie das Beispiel aber auch zeigt, können die Völker sich den Herrschaften mit
Erfolg widersetzen.
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