Dienstag, 25. Oktober 2016

Belgien verhindert CETA: Käufliche Rebellen? Die Leitmedien lügen manchmal – aber das Verdrehen der Wahrheit ist ihr Alltag und viel schlimmer.

Eine bestimmte Denkrichtung der Politikwissenschaft lehrt, eine Diktatur sei ein Regime, das seine Herrschaft vor allem auf brutale Gewalt, Unterdrückung der Grundrechte und verlogene Propaganda stützt. So engt sie das Verständnis unzulässig ein und unterschlägt die ursprüngliche, wesentliche Bedeutung des Wortes: Diktatur leitet sich ab von „Diktieren, Diktat“ und meint eine Herrschaft, die wichtige Entscheidungen ohne Rücksicht auf die Meinung der Beherrschten oder sogar gegen einen erkennbaren Mehrheitswillen trifft.

Genau so funktioniert die EU, was ich im folgenden belege. Seit dem Konflikt um das CETA-Abkommen mit Kanada liegt es offen vor aller Augen, dass die EU-Kommission und EU-Parlamentspräsident Schulz (SPD) ebenso wie die Regierungschefs maßgeblicher EU-Staaten und der deutsche Wirtschaftsminister Gabriel (SPD) den Vertrag mit allen Tricks gegen den manifesten Widerstand in der europäischen Bevölkerung durchzudrücken versuchen. Zugleich liefert dieser Konflikt ein anschauliches Beispiel, mit welchen Mitteln eine moderne Diktatur herrscht. Es sind dies vor allem: das Geld und die Manipulation der öffentlichen Meinung.

Das Geld fließt hauptsächlich im Stillen, in verschwiegenen Hinterzimmern und Banken. Mit welchen Summen man jetzt versucht, die dissidenten belgischen Regionalregierungen zu kaufen, und ob dabei sogar einzelne Mandatsträger bestochen werden, wird als höchstes Staatsgeheimnis gehütet, das aufzudecken bräuchte einen Whistleblower. Zum Zeitpunkt da ich dies schreibe können wir noch hoffen, dass die Rebellen sich nicht kaufen lassen.

Umso offener wird indessen die Wahrheit vergewaltigt. Was die Monopolstellung eines Dutzends Zeitungsverleger, denen obendrein die meisten privaten Fernsehsender gehören, und der öffentlich-rechtlichen Medien flächendeckend gewährleistet: Das Dutzend Medienbeherrscher braucht nur noch acht überregionale Tageszeitungen und 120 Regionalredaktionen auf Linie zu bringen (was auch bei Journalisten gewöhnlich über finanzielle Abhängigkeit funktioniert), um täglich mehr als 20 Millionen Deutschen die Interessen des Großkapitals als Sachzwang zu erklären.

Egal welche Tageszeitung wir in den letzten zwei Wochen aufschlugen oder auf welchen Fernsehkanal wir zappten, überall bekamen wir – fast wortgleich – eine Story von der Handvoll wallonischer Quertreiber aufgetischt, die für ihre kleinkarierten „Sonderinteressen“ – ruinierte Industrien, hohe Arbeitslosigkeit, ums Überleben kämpfende Landwirtschaft – „Europas“ wirtschaftliche Zukunft aufs Spiel setzen. Dass ihre Ablehnungsgründe gegen CETA weit über ihre berechtigten Regionalinteressen hinaus gehen und sich genau mit den Punkten decken, die seit Monaten in ganz Europa hunderttausende Menschen auf die Straßen treiben, erwähnen unsere Leitmedien ebenso wenig wie die mehr als 300.000 Unterschriften europaweit gegen CETA. Diese Gründe haben mit Geld weniger, aber mit Demokratie ganz viel zu tun.

Auf die Knackpunkte der CETA-Kritik inhaltlich einzugehen hütet man sich, denn genau sie sind für die multinationalen Großkonzerne das Wichtigste an den ganzen Handelsverträgen und daher unverhandelbar: die privaten Schiedsgerichte, die über Schadenersatzklagen von Unternehmen gegen Staaten urteilen und so jeden Fortschritt der Politik verhindern können, und die „gemischte Kommission“, die den Vertrag an allen Parlamenten und nationalen Regierungen vorbei beliebig verändern darf. Statt sich zu dieser Kritik zu äußern, verschieben die Verantwortlichen und Medien die Sache auf moralische Wolkenbänke: Es gehe jetzt um „Europas Glaubwürdigkeit“ (wirklich? Europas?? Doch eher um die der EU-Bürokraten gegenüber den Konzernbossen). EU-Ratspräsident Tusk sieht die „Handlungsfähigkeit“ der EU gefährdet. Und die WAZ ergänzt, das Nein zu CETA sei zur „Ehrensache“ geworden.

Auch das gerade erst einen Monat alte Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts, das ausdrücklich festschreibt, CETA dürfe endgültig nur in Kraft treten, wenn mit allen EU-Staaten auch der deutsche Bundestag grünes Licht gibt, wie es unsere Verfassung verlangt, wird jetzt von den Medien mausetot geschwiegen. So wie wenn es gar nicht ergangen wäre, zitierten die WAZ und die Tagesschau sogar zustimmend den Fraktionsvorsitzenden der Konservativen im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), es sei „ein Fehler“ der EU-Kommission gewesen, als Zugeständnis auf die Massenproteste hin den Vertrag nun von allen nationalen Parlamenten abstimmen zu lassen. Unser Grundgesetz hält der Herr EU-Politiker offenbar schon für entbehrlich. Und will es durch das Diktat der EU-Bürokratie ersetzt sehen.


Die Lehre aus dem Exempel: Diktatur kommt nicht nur à la Hitler oder Erdogan daher, sondern auch als Ausschalten der Demokratie mit der Macht des Geldes und der Meinungsindustrie. Wie das Beispiel aber auch zeigt, können die Völker sich den Herrschaften mit Erfolg widersetzen.

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