Montag, 10. Oktober 2016

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Hier mein Beitrag zur Altersarmut (Bündnis "Umfairteilen")


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Dortmunder*innen,
ich soll zu einem Thema sprechen, zu dem ich als Kommunalpolitiker von Amts wegen eigentlich kein Mandat hätte, weil es in unserer Kommunalpolitik nicht vorkommt, obschon es im Leben der Menschen unserer Stadt eine dramatische und immer wichtigere Rolle spielt.

Einige Jahrzehnte lang kamen ältere Mitbürger*innen, die so arm sind, dass sie im Müll nach Pfandflaschen suchen, in unserer Stadt nur als tragische Einzelschicksale vor. Jahrzehntelang passte so krasse Armut einfach nicht ins Selbstbild unserer Wohlstandsgesellschaft und ihres Sozialstaates. So galt etwa für die gesetzliche Rentenversicherung bei der Neugründung 1957 der Grundsatz, auch am Ende eines arbeitsreichen Lebens den gewohnten Lebensstandard zu sichern.

In den letzten 20 Jahren hat sich das radikal geändert. – Halt, ich muss das genau ausdrücken: nicht „es“ hat „sich“ geändert, denn entgegen allen amtlichen Behauptungen gibt es kein ökonomisches Gesetz und keinen demografischen Sachzwang, nach denen die Renten von den Löhnen abgekoppelt werden müssen und auf nur noch 43 % der durchschnittlichen Arbeitseinkommen sinken müssen. Sondern es waren die politisch und gesellschaftlich Mächtigen, die nach 1989 aus purem Eigennutz das einigermaßen gut funktionierende Altersvorsorgesystem zerschlugen und durch marktliberales Chaos ersetzten.

Inzwischen hat die Politik, unter dem Druck der Wirtschaftslobby, die Lebensstandardsicherung der Rente über Bord gekippt und als neues Ziel die Beitragsstabilität gesetzt. Mit der „Riesterreform“ lieferten SPD und Grüne die gesetzliche Altersvorsorge als profitablen neuen Geschäftszweig an private Versicherungskonzerne aus und durchbrachen damit zugleich die Beitragsparität zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Und nachdem 2003 die Regierung Schröder/Fischer die Sozialhilfe abgeschafft hat, müssen heute über 8.400 Bürger*innen dieser Stadt von einer Grundsicherung im Alter leben, die weit unter der amtlich anerkannten Armutsschwelle liegt. Unter Hinzurechnung der hohen Dunkelziffer der verschämten Armut müssen in Dortmund mindestens 11.000 Menschen über 65 Jahren als arm gelten, und jedes Jahr nimmt ihre Zahl um 1.000 weitere zu. Das ist auch Ergebnis einer Stadtpolitik, die gemäß einem neuen Ratsbeschluss „Altersgerechtigkeit“ nur auf die bauliche Infrastruktur und Quartiersmanagement beschränkt und Armutsbekämpfung gar nicht im Programm hat.

Die Wirtschaft und ihre Lobbyisten behaupten – wie vor wenigen Tagen der Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände, Kampeter (der übrigens bis Juli für die CDU im Bundestag saß) – sie behaupten, Rentenkürzungen seien ein Gebot der „Generationengerechtigkeit“. Das ist nicht wahr. Schon vor 60 Jahren, vor der Neufassung der gesetzlichen Rentenversicherung 1957 wies der Sozialwissenschaftler Gerhard Mackenroth nach, dass die Rentenzahlungen immer in der jeweils laufenden Periode erwirtschaftet werden müssen, das heiß dass sie immer einen jeweils politisch vereinbarten Anteil am aktuellen Volkseinkommen ausmachen. Es gibt also keinerlei vernünftigen Grund, warum die heute aktiv arbeitende Generation später als Rentner schlechter gestellt sein sollte als die heutigen Rentenbezieher. Die Aktiven müssen heute angemessene Beiträge einzahlen und haben später auch Anspruch auf entsprechende Renten. Mit dem Totschlagwort „Generationengerechtigkeit“ werden nur Junge gegen Alte ausgespielt und aufgehetzt.

Mackenroth widerlegte noch eine weitere irreführende Behauptung der Wirtschaft: Das Rentenniveau folgt keineswegs aus einem vorher angesparten Beitragskapital. Der Beitragssatz richtet sich einzig und allein nach den jeweils aktuellen Zahlenverhältnissen zwischen Rentnern und Aktiven. Er verschiebt sich nicht nur mit der angeblichen „Vergreisung“ der Gesellschaft, sondern viel stärker mit der Beschäftigungslage am Arbeitsmarkt und der gezahlten Lohnsumme. Für diese aber tragen zu allererst die Unternehmer und die Tarifparteien Verantwortung und am allerwenigsten die Opfer der Rentenkürzungen, die Rentner selbst.

Seit Jahrhunderten werden die Menschen immer älter. Schon immer wurde der Anstieg der Lebenserwartung über die steigende Produktivität der Wirtschaft finanziert. Es gibt kein ehrliches Argument, warum das jetzt und in Zukunft anders sein sollte. Alle Vorstöße zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit dienen der Verdummung der Bevölkerung: Das spätere Renteneintrittsalter ist nichts anderes als eine weitere Rentenkürzung. Daher ist es kein Zufall, dass jetzt die Deutsche Bank – ja ausgerechnet die Deutsche Bank! – die Rente erst ab 69 fordert. Denn sie profitiert satt an privaten Zusatzverträgen zur gesetzliuchen Rente. – Und ein späteres Rentenalter ist obendrein ein doppelter Betrug an den Jungen, denn es vermehrt die Jugendarbeitslosigkeit, indem es Arbeitsplätze blockiert, die sonst von Jüngeren besetzt werden könnten.

Das alles muss nicht so sein. Es ist tatsächlich nur eine Frage der Verteilung des geschaffenen Reichtums. Also der solidarischen Umfairteilung von oben nach unten.

Inzwischen scheint auch den Regierenden zu dämmern, dass der von ihren Vorgängern eingeschlagene und von ihnen fortgesetzte Weg geradezu in eine soziale Katastrophe führt.
Jetzt – vor den nächsten Wahlen! – wollen sie ihren Kurs in die Altersarmut etwas abbremsen und wenigstens Niedriglöhner etwas besser stellen. Doch die Privatisierung und Individualisierung der Altersvorsorge wollen sie mit der Förderung von Sparverträgen und Betriebsrenten noch mehr ausbauen. Die Grundsicherung im Alter wollen sie nicht oder nur unwesentlich anheben.

Wir sagen: Was ihr vorhabt, vermehrt die Altersarmut weiter!

-       Stattdessen fordern wir das sofortige Aussetzen der Kürzungsfaktoren in der Rentenformel und die Wiederanhebung des Rentenniveaus auf mindestens 50 % der durchschnittlichen Nettolöhne!

-       Wir fordern eine armutsfeste Mindestrente! Wir fordern eine Grundsicherung, von der sich menschenwürdig leben lässt!

-       Wir fordern, die Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre zurück zu nehmen.

-       Wir fordern, endlich alle versicherungsfremden Belastungen der Rentenkasse vollständig vom Staat aus Steuermitteln zu bezahlen und nicht den Beitragszahlern aufzuhalsen (ca. 60 – 90 Mrd.€ p.a.)!

-       Über diese Sofortmaßnahmen hinaus fordern wir die Einbeziehung aller Erwerbseinkommen und insbesondere der Spitzeneinkommen in die gesetzliche Pflichtversicherung! Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze von 6.200 € p.mt.!

Dafür wollen wir gemeinsam streiten: Sozialverbände, Gewerkschaften, Kirchen und alle für die Menschenwürde engagierten Bürger*innen: Altersarmut in diesem reichen Land ist ein Skandal, den wir nicht hinnehmen.

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