Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Dortmunder*innen,
ich soll zu einem Thema sprechen, zu dem ich als Kommunalpolitiker von Amts wegen eigentlich kein Mandat hätte, weil es in unserer Kommunalpolitik nicht vorkommt, obschon es im Leben der Menschen unserer Stadt eine dramatische und immer wichtigere Rolle spielt.
Einige Jahrzehnte lang kamen ältere Mitbürger*innen, die so
arm sind, dass sie im Müll nach Pfandflaschen suchen, in
unserer Stadt nur als tragische Einzelschicksale vor. Jahrzehntelang passte so
krasse Armut einfach nicht ins Selbstbild unserer Wohlstandsgesellschaft und ihres
Sozialstaates. So galt etwa für die gesetzliche Rentenversicherung bei der Neugründung
1957 der Grundsatz, auch am Ende eines arbeitsreichen Lebens den gewohnten Lebensstandard
zu sichern.
In den letzten 20 Jahren hat sich das radikal geändert. – Halt,
ich muss das genau ausdrücken: nicht „es“ hat „sich“ geändert, denn
entgegen allen amtlichen Behauptungen gibt es kein ökonomisches Gesetz und
keinen demografischen Sachzwang, nach denen die Renten von den Löhnen
abgekoppelt werden müssen und auf nur noch 43 % der durchschnittlichen
Arbeitseinkommen sinken müssen. Sondern es waren die politisch
und gesellschaftlich Mächtigen, die nach 1989 aus purem Eigennutz das
einigermaßen gut funktionierende Altersvorsorgesystem zerschlugen und durch
marktliberales Chaos ersetzten.
Inzwischen hat die Politik, unter dem Druck der
Wirtschaftslobby, die Lebensstandardsicherung der Rente über Bord gekippt und als
neues Ziel die Beitragsstabilität gesetzt. Mit der „Riesterreform“ lieferten
SPD und Grüne die gesetzliche Altersvorsorge als profitablen neuen Geschäftszweig
an private
Versicherungskonzerne aus und durchbrachen damit zugleich die
Beitragsparität zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Und nachdem 2003 die
Regierung Schröder/Fischer die Sozialhilfe abgeschafft hat, müssen heute über
8.400 Bürger*innen dieser Stadt von einer Grundsicherung im Alter leben, die weit
unter der amtlich anerkannten Armutsschwelle liegt. Unter Hinzurechnung der
hohen Dunkelziffer der verschämten Armut müssen in Dortmund
mindestens 11.000 Menschen über 65 Jahren als arm gelten, und jedes Jahr
nimmt ihre Zahl um 1.000 weitere zu. Das ist auch Ergebnis einer Stadtpolitik, die
gemäß einem neuen Ratsbeschluss „Altersgerechtigkeit“ nur auf die bauliche Infrastruktur
und Quartiersmanagement beschränkt und Armutsbekämpfung gar nicht im Programm
hat.
Die Wirtschaft und ihre Lobbyisten behaupten – wie vor
wenigen Tagen der Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände, Kampeter (der
übrigens bis Juli für die CDU im Bundestag saß) – sie behaupten, Rentenkürzungen
seien ein Gebot der „Generationengerechtigkeit“. Das ist nicht wahr. Schon vor 60
Jahren, vor der Neufassung der gesetzlichen Rentenversicherung 1957 wies der
Sozialwissenschaftler Gerhard Mackenroth nach, dass die
Rentenzahlungen immer in der jeweils laufenden Periode erwirtschaftet werden
müssen, das heiß dass sie immer einen jeweils politisch vereinbarten Anteil am aktuellen
Volkseinkommen ausmachen. Es gibt also keinerlei vernünftigen Grund,
warum die heute aktiv arbeitende Generation später als Rentner schlechter
gestellt sein sollte als die heutigen Rentenbezieher. Die Aktiven müssen heute
angemessene Beiträge einzahlen und haben später auch Anspruch auf entsprechende
Renten. Mit dem Totschlagwort „Generationengerechtigkeit“ werden nur Junge
gegen Alte ausgespielt und aufgehetzt.
Mackenroth widerlegte noch eine weitere irreführende Behauptung
der Wirtschaft: Das Rentenniveau folgt keineswegs aus einem vorher angesparten
Beitragskapital. Der Beitragssatz richtet sich einzig und
allein nach den jeweils aktuellen Zahlenverhältnissen zwischen
Rentnern und Aktiven. Er verschiebt sich nicht nur mit der angeblichen „Vergreisung“
der Gesellschaft, sondern viel stärker mit der Beschäftigungslage am Arbeitsmarkt
und der gezahlten Lohnsumme. Für diese aber tragen zu allererst die Unternehmer und
die Tarifparteien Verantwortung und am allerwenigsten die Opfer der
Rentenkürzungen, die Rentner selbst.
Seit Jahrhunderten werden die Menschen immer älter. Schon
immer wurde der Anstieg der Lebenserwartung über die steigende
Produktivität der Wirtschaft finanziert. Es gibt kein ehrliches
Argument, warum das jetzt und in Zukunft anders sein sollte. Alle Vorstöße zur
Verlängerung der Lebensarbeitszeit dienen der Verdummung der Bevölkerung: Das spätere
Renteneintrittsalter ist nichts anderes als eine weitere Rentenkürzung.
Daher ist es kein Zufall, dass jetzt die Deutsche Bank – ja ausgerechnet die
Deutsche Bank! – die Rente erst ab 69 fordert. Denn sie profitiert satt an
privaten Zusatzverträgen zur gesetzliuchen Rente. – Und ein späteres Rentenalter
ist obendrein ein doppelter Betrug an den Jungen, denn es vermehrt die Jugendarbeitslosigkeit,
indem es Arbeitsplätze blockiert, die sonst von Jüngeren besetzt werden könnten.
Das alles muss nicht so sein. Es ist tatsächlich nur eine
Frage der Verteilung des geschaffenen Reichtums. Also der solidarischen Umfairteilung
von oben nach unten.
Inzwischen scheint auch den Regierenden zu dämmern, dass der
von ihren Vorgängern eingeschlagene und von ihnen fortgesetzte Weg geradezu in
eine soziale
Katastrophe führt.
Jetzt – vor den nächsten Wahlen! – wollen sie ihren Kurs in
die Altersarmut etwas abbremsen und wenigstens Niedriglöhner etwas
besser stellen. Doch die Privatisierung und Individualisierung
der Altersvorsorge wollen sie mit der Förderung von Sparverträgen und
Betriebsrenten noch mehr ausbauen. Die Grundsicherung im Alter wollen sie nicht
oder nur unwesentlich anheben.
Wir sagen: Was ihr vorhabt, vermehrt die Altersarmut weiter!
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Stattdessen fordern wir das sofortige Aussetzen
der Kürzungsfaktoren in der Rentenformel und die Wiederanhebung des Rentenniveaus
auf mindestens 50 % der durchschnittlichen Nettolöhne!
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Wir fordern eine armutsfeste Mindestrente!
Wir fordern eine Grundsicherung, von der sich menschenwürdig leben
lässt!
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Wir fordern, die Verlängerung der
Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre zurück zu nehmen.
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Wir fordern, endlich alle versicherungsfremden Belastungen
der Rentenkasse vollständig vom Staat aus Steuermitteln zu bezahlen und nicht
den Beitragszahlern aufzuhalsen (ca. 60 – 90 Mrd.€ p.a.)!
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Über diese Sofortmaßnahmen hinaus fordern wir
die Einbeziehung aller Erwerbseinkommen und insbesondere der Spitzeneinkommen
in die gesetzliche Pflichtversicherung! Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze
von 6.200 € p.mt.!
Dafür
wollen wir gemeinsam streiten: Sozialverbände, Gewerkschaften, Kirchen und alle
für die Menschenwürde engagierten Bürger*innen: Altersarmut in diesem reichen
Land ist ein Skandal, den wir nicht hinnehmen.
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