In meinem Urlaub fand ich Zeit und Ruhe, die einschneidenden Verluste der „Volksparteien“ und die AfD-Gewinne bei den Länderwahlen in Meck-Pomm und Berlin in allgemeineren Zusammenhang zu stellen, um daraus Schlüsse für demokratische Politik zu ziehen. Hier in Kurzfassung meine Überlegungen.
Beides, sowohl der Niedergang der Altparteien als auch das
Vordringen populistischer Parteien in Europa muss mit zeitkritischem Abstand
vom politischen Tagesbetrieb als Symptom einer gesellschaftlichen Krise erkannt
werden. Natürlich gehört es zur kurzschlüssigen Demagogie von Populist*innen,
dass sie selbst das Wesen, Tragweite und Tiefe der Krise nicht erfassen (wollen
und können) und folglich keine Wege zu deren Überwindung bieten. Daraus folgt
aber auch, dass populistische Bewegungen sich nicht einfach von selbst
erledigen oder durch aufklärende Gegenpropaganda erledigen lassen (so
unverzichtbar diese ist), solange ihre Ursache, die gesellschaftliche Krise
fortbesteht und sich gar noch verschärft.
Tatsächlich stecken die „westlichen“ Gesellschaften und mit
ihnen die ganze vom Westen reklamierte „Zivilisation“ in einer ihrer tiefsten
Krisen. Sie kündigte sich seit den 70‘er Jahren des vorigen Jahrhunderts an und
spitzt sich seither immer weiter zu. Und zwar als Strukturkrise in mehreren
Dimensionen:
1.
Im Vordergrund leiden die kapitalistischen
Kernländer an einem chronischen Schrumpfen ihrer wirtschaftlichen Wachstumsraten
(durchschnittliche jährliche BIP-Zunahme 2008 – 2016 OECD: 1,1 % - BRD: 0,95 %
- in den 90‘er Jahren lag sie noch bei OECD: 2,6 % - BRD: 2,3 %). Eine
kapitalistische Wirtschaft ohne ein Mengenwachstum mindestens in Höhe des
Produktivitätsfortschritts läuft auf längere Sicht aus dem Ruder: Sie erstickt
am Widerspruch zwischen Produktivitätszuwachs und „gesättigten Märkten“,
produziert also immer mehr Arbeitslosigkeit und Armut, bis zum Zerreißen des
gesellschaftlichen Zusammenhalts.
2.
Zum kritischen Problem würde aber auch die
Fortsetzung der Wachstumsdynamik, weil sie schon lange und zunehmend auf
Raubbau an den natürlichen Ressourcen basiert und global unsere
Lebensgrundlagen zerstört (Klima, Wasser, Boden…). Da dies Problem mit
marktwirtschaftlichen Methoden unlösbar ist, wird es schon in Kürze weltweite
Massenmigrationen auslösen, die in den Wohlstandsgesellschaften als Bedrohung
des Erreichten aufgefasst werden.
3.
Seit den 70’er Jahren und verstärkt nach 1989
haben bewaffnete Konflikte weltweit massiv zugenommen. Eine wesentliche
Ursache, auch für Bürgerkriege, Warlords und Terrorarmeen, bildet die
aggressive Konkurrenz der kapitalistischen Mächte um Märkte und Einflusszonen.
Die Folge sind weiterhin anschwellende Flüchtlingsströme aus den zerstörten und
verelendeten Weltregionen in die Wohlstandsinseln, die sich zunehmend einigeln
und ent-demokratisieren.
4.
Propagandistisch aufgeladen wird die Krise noch
durch politisch und medial geschürte Schreckensszenarien einer angeblich
drohenden demografischen Krise durch die „explosive Vermehrung der Weltbevölkerung“
außerhalb des westlichen Kulturkreises. Was die Panikmache verbirgt, ist die
dramatisch wachsende, vom Kapitalismus verursachte Kluft zwischen den reichen
und armen Weltregionen, die allerdings noch weit stärkeren Wanderungsdruck auf
die reichen Staaten erzeugen wird, als wir uns heute vorstellen können, und
hier zu mehr und mehr gewaltsamer Abwehr führen wird (sowohl als „Selbsthilfe
besorgter Bürger“ als auch staatlich organisiert).
Bei einigermaßen unvoreingenommener Überlegung kommt niemand
um die Feststellung herum, dass die „Marktkräfte“ – als gängiges Kürzel für die
auf privaten Gewinn gerichteten Beziehungen zwischen privaten Geschäftspartnern
– naturgemäß keine dieser vier Krisendimensionen auslöschen können. Im
Gegenteil macht ihr Streben nach einzelwirtschaftlichen Renditevorteilen einen
wesentlichen Teil der Krisenursachen aus und verschärft sie tagtäglich weiter. Der
einzige Ausweg, auf dem sie in der Vergangenheit Strukturkrisen überwinden konnten,
die Erzeugung neuer Märkte in großem Stil mithilfe technologischer Revolutionen
(Dampfmaschine, Verbrennungsmotor, Computer), dieser Ausweg steht kurz- und
mittelfristig nicht in Aussicht.
So kategorisch unfähig die auf Konkurrenz gegründete Marktwirtschaft
zur Überwindung von Strukturkrisen, so hilflos zeigt sich dann natürlich auch
die „marktkonforme Demokratie“ (Angela Merkel): Sowohl global als auch national
durchkreuzen die Egoismen der großen Konzerne alle vernünftigen politischen
Regelungen. (Besonders krasse Beispiele des Versagens sind die internationalen Klimakonferenzen
mit ihrem aussichtslosen Versuch, die CO2-Produktion mithilfe des Ablasshandels
einzudämmen; das Scheitern der Regulierung der Finanzmärkte seit 2008; das Umbiegen
der Energiewende in Deutschland; die Ruinierung Griechenlands durch die Achse
Berlin-Frankfurt-Brüssel-IWF; der egoistische Schacher der europäischen Staaten
um die Abschottung gegen Flüchtlinge usw.)
Daraus kann nichts anderes entstehen als die Anpassung der
Politik an die sich zuspitzenden Krisenverläufe. Es ist daher absehbar, dass
die Politik in den nächsten Jahren immer unsozialer, undemokratischer,
unmenschlicher und gewalttätiger wird. Egal welche der bürgerlichen Parteien
die Regierungen bilden, werden sich alle in die Richtung bewegen, die die Populisten
heute schon fordern. (Die AfD vertritt ja ebenso ein marktliberales Programm,
nur noch um eine Umdrehung radikaler als die anderen – ihre Regierungsbeteiligung
ist da nur eine Frage der Zeit.)
Aus solchen Aussichten ergibt sich zwingend eine Schlussfolgerung:
Am Krisenkurs werden die westlichen Gesellschaften sich mehr und mehr spalten.
Alles was rechts ist, auch wenn es sich „die Mitte der Gesellschaft“ nennt, wird
die nationalistische Abschottung, Kriegseinsätze, den Abbau des Sozialstaats
und der Demokratie verstärken. – Dagegen könnte sich um die Verteidigung der
Demokratie, der Sozialeinrichtungen, der Menschenwürde und Gewaltlosigkeit eine
gesellschaftliche „Linke“ mit großer Spannweite sammeln, von „rot-rot-grünen“
Parteikreisen, Sozialverbänden, Teilen der Gewerkschaften, Migrantenvereinen
und -hilfswerken über kirchliche Gruppen bis zu überzeugten bürgerlichen Demokraten.
Bis dies „linke Lager“ in den kapitalistischen Kernländern stark
genug wird, Mehrheiten zu organisieren, um zu einer humanen, gemeinschaftlichen
Verantwortung (zurück) zu finden, können die nächsten Jahrzehnte zum Albtraum
werden. Dabei ist durchaus nicht ausgeschlossen, dass die herrschende Klasse, um
die Krisenfolgen nach unten und außen abzuwälzen und das Erstarken der Linken
zu verhindern, zu einer neuen Variante eines autoritären Regimes greift, einer
Art weiterentwickeltem, modernisiertem Faschismus, der auf lückenlose digitale Überwachung,
subtile Repression, Gehirnwäsche, Hitech-Krieg nach innen und außen setzt (ohne
auf eine Massenbasis aus radikalisierten Kleinbürgern und Lumpenproletariern zu
verzichten). Wer sich und seinen Nachkommen diesen Albtraum ersparen will, muss
sich beizeiten, nämlich heute, für die Bildung des „linken Lagers“ einsetzen.
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