Analyse von Franklin Frederick (auf amerika21, 06.10.2016, Auszüge)
Worum
geht es bei TPP und all den anderen Handelsabkommen, die zurzeit verhandelt
werden (TTIP, Tisa und Ceta), wirklich? Im Falle von TPP haben nur sechs von 30
Kapiteln etwas mit Handel zu tun. In den restlichen Kapiteln geht es vor allem
darum, Investorenrechte zu schützen und Unternehmen davor zu bewahren,
öffentlich Rechenschaft über ihre Tätigkeiten ablegen zu müssen. Wir können mit
großer Sicherheit davon ausgehen, dass TPP die Vorlage für die anderen
Handelsverträge liefert. Noam Chomsky nennt sie zurecht "Investorenrechtsabkommen".
So
weit wir wissen, sehen alle diese Abkommen ein ISDS vor. Der frühere
Stellvertretende US-Finanzminister und Mitherausgeber des Wall Street Journal,
Paul Craig Roberts – auch ein Mitglied des "Establishment" –, schrieb
in einem Artikel mit dem Titel: "Trans-Atlantic and Trans-Pacific
Partnerships Complete Corporate World Takeover":
"Seit zum ersten Mal von diesen
'Partnerschaften' die Rede war, habe ich immer wieder darauf hingewiesen, dass
ihr Zweck darin besteht, Großkonzernen Immunität vor den Gesetzen der Länder
zuzusichern, in denen sie Geschäfte machen. Der wichtigste Mechanismus dieser
Immunität besteht im Recht der Konzerne, gegen Regierungen und deren Behörden
zu klagen, aus deren Gesetzen und Bestimmungen ihnen Gewinneinbußen erwachsen
können. (…) Die ‚Partnerschaften‘ schaffen ‚Gerichte‘, deren Mitarbeitende von
den Konzernen selber eingesetzt werden und die außerhalb des Gerichtswesens
einer souveränen Regierung stehen. Die Gerichtsverfahren finden vor diesen
Konzerngerichten statt. Mit anderen Worten, die Konzerne sind gleichzeitig
Richter, Geschworene und Ankläger. Sie können nicht verlieren. Die
‚Partnerschaften‘ setzen geheime Regierungen ein, die nicht zur Rechenschaft
gezogen werden können, über den gewählten Regierungen stehen und mehr Macht
haben als diese."
In
der Tat ist es so, dass TPP, TTIP, Tisa und Ceta absichtlich als Instrumente
zur Umgehung gewählter Regierungen konzipiert wurden. Sollten sie abgeschlossen
und umgesetzt werden, würde dies die vollständige Kontrolle über fast die ganze
Welt durch Großkonzerne bedeuten. Was in diesem Zusammenhang dringendst
verstanden und öffentlich diskutiert werden muss, ist die Tatsache, dass die
Kontrolle über die Welt durch Großkonzerne dem faschistischen Projekt
entspricht.
Keiner
schrieb fachkundiger über dieses Thema als der Wirtschaftshistoriker Karl
Polanyi, Autor des Klassikers "The Great Transformation" (1944). Er
hatte den Aufstieg des Faschismus miterlebt und verwendete viel Energie darauf,
diesen zu verstehen, um ihn besser bekämpfen zu können. Seine Botschaft ist
heute von großer Bedeutung und es lohnt sich, zu seinen Schriften
zurückzukehren. In einem Essay mit dem Titel "Marxism Redefined"
schrieb Polanyi:
"Faschismus entsteht aus der Unvereinbarkeit
von Demokratie und Kapitalismus in einer vollständig entwickelten
Industriegesellschaft."
"Demokratie neigt dazu, zum Instrument der Einflussnahme
durch die Arbeiterklasse zu werden. Kapitalismus bleibt der Bereich, in der
Produktion unter der ausschließlichen Kontrolle der Eigentümer ist. Dies führt
unausweichlich in eine Sackgasse."
"Entweder der Kapitalismus oder die Demokratie
muss deshalb verschwinden. Faschismus ist die Lösung aus der Sackgasse. Er
erlaubt dem Kapitalismus weiterzubestehen."
"Die andere Lösung ist Sozialismus. Der
Kapitalismus verschwindet, die Demokratie besteht weiter."
In einem
anderen Artikel – The essence of fascism – schrieb Karl Polanyi:
"Grundsätzlich
gibt es folgende Alternative: Ausweitung des Demokratieprinzips von der Politik
auf die Wirtschaft oder schlicht und einfach Abschaffung der 'demokratischen' Politik."
Wie Polanyi
es ausdrücken würde: Solche Handelsabkommen sind nichts weniger als die
Übernahme der Politik durch die Wirtschaft. Tatsächlich lautet so seit dem 19.Jahrhundert
der totalitäre Traum der Großunternehmer, beschrieben von Rockefeller im Zitat
am Anfang dieses Artikels. Nur mittels der vollständigen Kontrolle über die
Politik kann sich der Kapitalismus der Einschränkungen entledigen, die ihm zum
Beispiel durch Arbeitsgesetze und Gesetze zum Schutze der Umwelt auferlegt
werden.
Machen
wir uns nichts vor: das wirkliche Ziel all derer, die diese Handelsabkommen
unterstützen, ist die Umwandlung der ganzen Gesellschaft in einen einzigen
Markt, in dem Demokratie und gewählte Regierungen keine Bedeutung mehr haben.
An ihrer Stelle wird eine Elite von Konzerntechnokraten zu den wahren Herren
der Welt. Polanyi formuliert es so:
"Nach
der Abschaffung des demokratisch-politischen Bereichs bleibt nur das
Wirtschaftsleben. Kapitalismus, so wie er in den verschiedenen
Industriesektoren organisiert ist, wird zur ganzen Gesellschaft. Das ist die
faschistische Lösung."
Als
Gesellschaft sind wir heute auf dem besten Weg hin zu einer solchen Lösung. Die
Konzentration von Reichtum und die daraus sich ergebende Ungleichheit haben ein
noch nie da gewesenes Ausmaß erreicht. Laut einer Oxfam-Studie besitzt ein
Prozent der Weltbevölkerung schon heute mehr Reichtum als die restlichen 99
Prozent zusammen. Aus Sicht Polanyis würde Demokratie vor diesem Hintergrund
strukturell zu einer gleichmäßigeren Verteilung des Reichtums dieser Welt
führen und Ungleichheiten dieses Ausmaßes sogar verhindern. Aber die
"faschistische Lösung", der Krieg der ein Prozent gegen die
Demokratie, dauert nun bereits eine gewisse Zeit an. Sie haben bereits einen
Großteil des politischen Diskurses in der westlichen Welt eingenommen und
erfolgreich verhindert, dass Demokratie weiterhin funktioniert.
So
ist es wichtig daran zu erinnern, wie die EU und der Großteil der
Mainstreampresse reagierten, als Griechenlands Bevölkerung in einer
demokratischen Abstimmung "Nein" zu den von der Troika verhängten
Sparmaßnahmen sagte. Ich kann an kein besseres Beispiel für die Übernahme der
Kontrolle über die Politik durch die Wirtschaft, wie es Polanyi ausdrücken
würde, denken als das, was in Griechenland geschah.
Gleichermaßen
aufschlussreich ist die Art und Weise, wie die Mainstreampresse und der
Großteil der westlichen Welt auf Regierungen reagieren, die ihre Politik – ihre
Demokratie – gegen die Übernahme durch Großkonzerne bzw. die Wirtschaft
verteidigen. Länder wie Venezuela, Kuba, Bolivien zum Beispiel – alles Länder,
die nicht an den Handelsabkommen beteiligt sind – werden als weniger
demokratisch oder sogar als diktatorisch bezeichnet. Der aktuell von den
Großkonzernen, den Vertretern und Vertreterinnen des einen Prozent, gegen die
Demokratie geführte Krieg kann sehr effizient sein. Das zeigt der Fall
Brasiliens, dessen gewählte Regierung sich stur aus den Handelsabkommen
raushielt und entschieden war, seine natürlichen Ressourcen – hauptsächlich Öl
– für seine eigenen Zwecke zu verwenden. Diese Regierung wurde durch einen
"sanften" Putsch entmachtet. Die neue Regierung kündigte postwendend
die Freigabe der kommerziellen Ausbeutung der Ölreserven für ausländische
Konzerne an. Sie ist gegen den Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung
Brasiliens bestrebt, sich an den Handelsabkommen zu beteiligen und
ausländischen Firmen das Recht zu geben, in Brasilien Ländereien aufzukaufen.
Wir
müssen uns der Bedeutung dessen, was hier passiert, bewusst sein. Ein solches
Ausmaß an wirtschaftlicher Ungleichheit und Demokratieabbau - das faschistische
Projekt – kann nicht ohne Gewalt und Krieg gegen eine immer größer werdende
Anzahl Menschen durchgesetzt werden. In Lateinamerika sind die
"sanften" Putsche in Honduras, Paraguay und Brasilien klare Beispiele
einer Strategie gegen die Demokratie, ein Versuch der Wirtschaft, die
endgültige Kontrolle über die Politik zu übernehmen. Wieder einmal erkannte
Polanyi die grundlegende Entwicklung, die den gesellschaftlichen Dynamiken
unserer Zeit zugrunde liegt:
"Die
Geschichte der Gesellschaft unserer Zeit ist das Ergebnis einer doppelten
Entwicklung: Eine Entwicklung beruht auf dem Prinzip des
Wirtschaftsliberalismus, mit dem Ziel der Einsetzung eines sich selbst regulierenden
Marktes. Die andere Entwicklung beruht auf dem Prinzip der sozialen Sicherung,
mit dem Ziel der Erhaltung der Menschheit und der Natur sowie einer produktiven
Organisation der Gesellschaft."
Die
Handelsabkommen sind der letzte Schritt hin zur vollständigen Übernahme der
Politik durch die Wirtschaft und somit des faschistischen Projektes. Ihre
Umsetzung führt zu nichts weniger als der Globalisierung von Faschismus.
Schweigen oder Gleichgültigkeit können wir uns angesichts dieser Tatsache nicht
leisten.
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