Dienstag, 8. November 2016

Notizen aus der Provinzhauptstadt: „Wirkungsorientierter Haushalt“ - Kleinlauter Bericht über das Versagen neoliberaler Stadtpolitik

Nun schon im vierten Jahr erstellt die Dortmunder Stadtverwaltung neben dem gesetzlich vorgeschriebenen Haushaltsplan ein propagandistisch eingefärbtes Zahlenwerk, das sich „Wirkungsorientierter Haushalt“ (WOH) nennt und den Bürgern die Schwerpunkte der Stadtpolitik nahe bringen soll. Ausgeheckt haben dies Verfahren neoliberale Thinktanks wie die Bertelsmann-Stiftung. In der Dortmunder Version umfasst es sechs Zielfelder: Wirtschaft und Beschäftigung, Kinder-Jugend-Bildung, Sicherheit und Ordnung, Soziales, Umwelt, Lebensqualität. Mit insgesamt 18 „strategischen Zielen“ von a wie „attraktiver Unternehmensstandort“ bis z wie „zivilgesellschaftliches Engagement“. Zwar musste die Verwaltung schon vorab einräumen, dass sie die Zielerreichung nur „bedingt“ beeinflussen kann: Von 65 Kennzahlen, an denen sie die Erfolge messen will, sind nur elf auf kommunaler Ebene steuerbar. Dennoch legt der neueste Zwischenbericht über den WOH 2015 den historischen Bankrott der heutigen Kommunalpolitik bloß.

Der weitaus größte Brocken der „strategisch“ eingesetzten Haushaltsmittel (202 Millionen €, rund ein Viertel von insgesamt 802 Millionen des WOH) soll dem Ziel dienen: „Menschen in Dortmund werden vor Armut und deren Folgen geschützt.“ Hinter der großmäuligen Behauptung marschieren alle staatlichen Hilfen zum Lebensunterhalt für Arbeitslose, Alte, Menschen mit Behinderungen und Zuwanderer auf. Allesamt durch Bundes- und Landesgesetze genauestens reglementiert, schützt keines dieser Almosen wirklich vor Armut, von einem menschenwürdigen Leben gar nicht zu sprechen.

Die auf das Soziale bezogenen Kennzahlen beweisen zudem die stetig sich verschlimmernde soziale Schieflage in unserer Gesellschaft. Der Anteil der ALG-II-Beziehenden an Dortmunds Wohnbevölkerung wächst von Jahr zu Jahr, und zwar schneller als die Einwohnerzahl (2012: 173 auf 1.000 – 2013: 175 auf 1.000 – 2014: 178 auf 1.000 – 2015: 180 auf 1.000). Ebenso der Anteil der Aufstocker an den sozialversichert Beschäftigten. Die Altersarmut, ablesbar am Anteil der Bezieher von Grundsicherung unter den Jahrgängen ab 65 aufwärts, ist binnen Jahresfrist von 63:1.000 auf 69:1.000 angestiegen.

Das Soziale liegt aber nur an zweiter Stelle im WOH und wird bei weitem übertroffen vom Zielfeld Kinder-Jugend-Bildung (345 Millionen €). Auch hier schmückt sich die Stadt mit fremden Federn. Der Ressourceneinsatz besteht größtenteils aus – weit ungenügenden – Landeszuweisungen, bei entsprechend strengen gesetzlichen Vorgaben zur Mittelverwendung.

Die städtischen Ziele auf dem Feld Kinder-Jugend-Bildung versprechen blühende Landschaften: „Jedem Kind steht eine bedarfsgerechte Betreuungsmöglichkeit zur Verfügung.“ – „Die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen wird in Ausführung des gesetzlichen Auftrages konsequent gefördert und vor negativen Einflüssen geschützt.“ – „Jugendliche in Dortmund erreichen einen Schulabschluss und gelangen von der Schule/Hochschule reibungslos in das Arbeitsleben.“ Hält das erste Versprechen der Nachprüfung noch mit Einschränkungen stand, muss das zweite mit vielen Fragezeichen versehen werden, so steht das dritte in krassem Gegensatz zur Realität: Dortmund hat unter allen Großstädten in NRW seit Jahren unverändert die höchste Schulabbrecherquote, und jährlich finden Hunderte Schulabgänger nicht reibungslos, sondern überhaupt nicht ins Arbeitsleben.

Unter „ferner liefen“ folgt das Zielfeld Wirtschaft und Beschäftigung. Hierfür wurden vom gesamten WOH 2015 nur 3,3 Prozent aufgewendet (26 Millionen €). Daran bestätigt sich einmal mehr, was wir seit eh und je kritisieren: Den seit zehn Jahren ungebrochenen Zuwachs an sozialversichert Beschäftigten überlässt die Kommune fast ganz ohne eigenes finanzielles Zutun den „Marktkräften“. Die Folgen zeigen sich einerseits im Überhandnehmen von Teilzeit- und Leiharbeit, anderseits im Übergewicht hoch qualifizierter Spezialistenjobs gegenüber Einfacharbeit. Dieser unsozialen Schieflage, Auswuchs auch einer jahrzehntelangen neoliberalen Wirtschaftsförderung, kann jetzt nur noch mit hohem Mitteleinsatz für öffentlich geförderte Beschäftigung gegengesteuert werden. Zwar scheint diese Einsicht allmählich auch einigen Wirtschaftsförderern zu dämmern, doch bis zu einem Umsteuern der Kommunalfinanzen ist der Weg noch weit.

Schließlich bildet das Schlusslicht der kommunalen Strategie, wie könnte es anders sein unter dem Diktat der Wachstumsideologie: Umwelt- und Klimaschutz. Der in Dortmund hierfür zuständige Dezernent ist sich als einziger im ganzen Verwaltungsvorstand zu schade für verlogene Schönrednerei und Verschweigen von Fehlentwicklungen, als einziger spart er nicht mit kritischen Bewertungen.


Was für ein Offenbarungseid der neoliberal gewendeten SPD, in ihrer „Herzkammer“ Dortmund!

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