Freitag, 11. November 2016

Trump, Europa und die Linke

Vielleicht denkt mein Parteivorsitzender Bernd Riexinger nach der Wahl in den USA noch einmal darüber nach, ob das so stimmen kann, was er ein paar Tage vorher in die linke Strategiedebatte warf (ND 29.10.16). Bis dahin schätzte ich an ihm, dass er die linke Reformstrategie nach vorn erweitern wollte, so z.B. (mit Katja Kipping): „Soziale Rechte, Demokratie und Weltoffenheit sind heute nur noch im Vorwärtsgang zu verteidigen … Europa braucht eine demokratische Revolution … setzt dem Europa der Banken und Konzerne ein Europa von unten entgegen … stärker die (Selbst-)Organisation der Menschen fördern … für einen neuen Verfassungsprozess von unten, in dem die Menschen die Initiative haben.“ So wollte er die „Empörung von links besetzen.“

Alles nicht so ernst gemeint? Oder Angst vor der eigenen Courage bekommen? Jetzt verlangt er, weil die Kritik an der EU von rechts dominiert werde und die LINKE klar von den Rechten unterscheidbar sein müsse: Schluss mit der „oberflächlichen Eliten- und Währungskritik“, es werde „Zeit, dass die europäische Linke aufhört, verbissen über die Währungsfrage zu diskutieren.“ Und mit der Währungsfrage haut er gleich alle linken „Exit-Illusionen“ in die Pfanne.

Auch wenn er dafür den Begriff eines „dritten Pols“ aufgreift, der seit einiger Zeit durch die linke Debatte geistert und ursprünglich die gesellschaftliche Opposition sowohl gegen den herrschenden Machtblock als auch gegen die sich radikalisierende Rechte meinte, läuft das bei ihm auf die De-facto-Parteinahme für jene Kräfte hinaus, die die EU bewahren und „reformieren“ wollen. Seine hierfür vorgebrachten Argumente sind aber allesamt unhaltbar.

1.    Linke Elitenkritik oberflächlich? Nicht von der Rechten unterscheidbar?

Wer Donald Trump wählte, weil er/sie sich von ihm eine andere Politik als die des Wallstreet-Establishments erhofft, wird schnell noch einmal enttäuscht werden. „Amerika“ wird nicht wieder so „great“ werden wie früher, die Klimakatastrophe wird vor den Farmern in MiddleWest nicht halt machen, es werden neue Spekulationsblasen platzen und weitere Millionen Existenzen ruinieren, Trumps Populismus wird sich schnell als hohle Prahlerei offenbaren.

Sicher trifft es zu, dass Trump auch in erheblichem Maß Enttäuschung und berechtigte Wut auf das „Establishment“ für sich mobilisieren konnte. Diese Stimmung gewinnt auch in Europa an Boden. Da wäre es natürlich eine absurde Strategie, den Populismus hier bekämpfen zu wollen, indem wir uns schützend vor das EU-Establishment stellen. Das tut Bernd R. auch nicht. Er wendet sich nur gegen „oberflächliche“ Elitenkritik.

Ist es oberflächlich, wenn wir der hierzulande herrschenden Klasse vorwerfen, sie würde über internationale Verträge die Demokratie aushebeln, um sich ungestörter den gesellschaftlich erzeugten Reichtum anzueignen und die sozialen und Menschenrechte außer Kraft zu setzen? Was ist oberflächlich an der Kritik, unsere Elite habe die EU-Institutionen genau so verfasst und durchgesetzt, dass sie ihre elitäre Vorherrschaft über das eigene Volk und Europas Völker absichern und verstärken? Derlei Kritik von links kommt ja überwiegend sehr konkret und sachkundig daher. Das unterscheidet sie fundamental vom Populismus. Darum geht es doch wohl nicht. Worum es vielmehr geht ist, was die Kritik für praktische Konsequenzen haben soll oder nicht.

2.    Wie wichtig ist die Währungsfrage?

Bernd Riexinger warnt vor der Illusion, „primär“, „in erster Linie“ über die Abschaffung des Euro größere Verteilungsspielräume zu bekommen. Denn, so behauptet er: „Ein ‚Sozialstaat in einem Land‘ ist aber auf Dauer kaum möglich.“ Das Scheitern des Keynesianismus in einem Land sei „notwendig“ (er meint zwangsläufig, unvermeidlich). Beweis? Nur der misslungene Eiertanz der Ära Mitterand in Frankreich in den 80er Jahren zwischen Volksfront und imperialistischem Auftrumpfen in Konkurrenz und Kooperation mit Deutschland. Nun gibt es ja ganze Bibliotheken voll mit dem Streit über die Zukunftsfähigkeit des Keynesianismus. Aber davon abgesehen habe ich noch von niemand die Ansicht gehört oder gelesen, mit der Ablösung des Euro durch einen flexibleren Verbund nationaler Währungen werde der Kapitalismus sozialer und humaner. Wer will denn welches linke Projekt über die Währungsfrage „abkürzen“, wie R. mutmaßt?

Anerkennen müsste aber auch er, dass die Währungsunion genau so konstruiert ist und quasi automatisch funktioniert, dass sie die Umverteilung von unten nach oben in Europa und auch in Deutschland enorm beschleunigt und unsere Kämpfe dagegen enorm erschwert. Schon deshalb muss sie weg. Und das so schnell wie möglich.

3.    Euro, Exit und Krise

Bernd Riexinger warnt eindringlich, die Rückkehr zu nationalen Währungen wäre mit einem länger anhaltenden Krisenprozess mit unklarem Ausgang, neuen Finanzspekulationen, deutlichen Wohlstandsverlusten und verschärften Verteilungskämpfen verbunden. Damit hat er wahrscheinlich Recht.

Allerdings sind alle mir bekannten Fachleute unter den Exit-Befürwortern sich einig, dass das Kapital dazu nicht erst die Linke braucht, sondern schon selbst auf den Kollaps dieses Währungssystems zutreibt, mit allen Krisenerscheinungen für die Völker Europas und auch für uns in Deutschland, die R. aufzählt. Bei allen mir bekannten linken Alternativvorschlägen geht es folglich, anders als R. implizit suggeriert, nicht darum, dass eine falsche linke Strategie eine Krise verursachen würde, sondern darum, der absehbar sich zuspitzenden Krise des Euroregimes zuvorzukommen und einen Ausweg mit geringstem Schaden für die Menschen zu verabreden, zu dem die Elite weder willens noch fähig ist.

4.    Die Kräfteverhältnisse

Die Verteilungsspielräume für eine soziale Politik, schreibt Riexinger, „hängen in erster Linie von der Position in der kapitalistischen Weltwirtschaft ab.“ Es tut mir leid, Genosse Vorsitzender, das klingt fatal nach der Standortlogik, die wir tagein-tagaus von den Spitzen der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften zu hören kriegen, und es wird nicht besser, wenn ein Spitzenmensch der LINKEN es nachbetet. Spielräume? Das Spiel heißt Klassenkampf, an anderer Stelle sagst du es ja selbst. Das bedeutet: In erster Linie (!) hängt das „Spiel“ vom Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit ab und nicht von weltwirtschaftlich zu erobernden „Spielräumen“.

Tatsächlich, aus diesem Kampf gibt es keinen Exit, da hat er Recht. Doch in Bezug auf das Kräfteverhältnis müssen wir wohl oder übel als erstes die Tatsache anerkennen, dass die Kapitalistenklasse, einschließlich Eigentümer und Befehlshaber der größten Konzerne und Finanzimperien, weiterhin national verankert und organisiert ist. Da darf die Linke nicht auf die bürgerliche Verkürzung des „Globalisierungs“-Begriffs hereinfallen. Wenn R. schreibt: „Entscheidend ist, dass die EU einem neuen Niveau der Verflechtungen des Kapitals und damit wirtschaftlicher Abhängigkeit entspricht,“ ist er schon auf die propagandistische Verkürzung des Begriffs hereingefallen. Globalisierung vollzieht sich heute ja nicht als Zusammenwachsen der Multis zu einem europaweiten Monopol („Verflechtung“), sondern als die trans- und multinationale Ausdehnung der weiterhin national verankerten Kapitalblöcke und ihre europa- und weltweiten Kämpfe um Marktbeherrschung, um Vorherrschaft sowohl in (zeitweiligen) Kooperationen als auch in Konkurrenz, und diese letztere ist und bleibt als die „natürliche“ Bewegungsform des Kapitals vorherrschend. Warum das so wichtig ist? Damit wir die gegenwärtige und absehbare Bedeutung der Nationalstaaten im Kräfteverhältnis von Kapital und Arbeit richtig einschätzen, sie nicht über- aber auch nicht unterschätzen.

Es stimmt eben gerade nicht mit den Tatsachen überein, dass mit der EU das Kapital sich eine neue staatliche Ebene geschaffen habe, wie R. behauptet. In den Kernbereichen staatlicher Machtausübung, als da sind: Außen- und Sicherheitspolitik, Innen- und Rechtspolitik, Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik setzen die nationalen Kapitalistenklassen nach wie vor auf ihre nationalstaatliche Hoheit und liefern sich in der EU erbitterte Kämpfe, die sich voraussichtlich mit der Eurokrise weiter verschärfen werden.

Weil das so ist – und nicht weil Gewerkschaften und Sozialverbände so borniert und rückständig wären – spielen sich nach wie vor fast sämtliche sozialen Kämpfe in Europa auf den Hoheitsgebieten der jeweiligen Nationalstaaten ab. Das ist eine Tatsache, über die Schöngeister wie Jürgen Habermas, Jeremy Rifkin oder Ulrich Beck zwar gern hinwegträumen, an denen die linke Strategie aber nicht vorbei kommt: Wer den „Sozialstaat“ verteidigen will, muss ihn auf nationalstaatlicher Ebene verteidigen.

Riexingers Fazit, dass ein koordinierter „left exit“ in einigen Eurostaaten nur möglich wird aufgrund einer umwälzenden Verschiebung der Kräfteverhältnisse hin zu einer linken Hegemonie, stimme ich natürlich uneingeschränkt zu. Wenn er daraus aber schließt: „Dann wäre es wiederum vermutlich auch möglich, eine grundlegende Reform der EU durchzusetzen,“ dann ziehe ich mit derselben Berechtigung genau den Umkehrschluss: Die Kräfte, die notwendig wären, die EU-Eliten zu einer ganz anderen – demokratischen, sozialen, solidarischen – EU-Politik zu zwingen, würden auch ausreichen, um einen ganz anderen europäischen Staatenbund von unten zu schaffen.


Und wenn er am Schluss auf die vielfältigen Teilkämpfe hinweist, die eine Neugründung Europas von unten vorbereiten können, ergänze ich: Zu ihnen gehören die staatliche Haushalts- und Fiskalpolitik und damit auch der Kampf um Währungssouveränität unverzichtbar dazu. Nicht vorrangig vor allen anderen, aber neben den anderen eben auch.

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