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Dienstag, 30. August 2016
Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz zur Zukunft des EURO: "Durchwursteln wird nicht funktionieren."
Heute erhielt ich die folgende email von der Initiative Eurexit:
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Dortmund, Deutschland
Dienstag, 23. August 2016
Was Merkel nicht schafft und „wir“ nur ganz anders schaffen können
Ende Juli wurde Sahra Wagenknecht, Co-Vorsitzende der LINKEN-Bundestagsfraktion, von Partei“freunden“ öffentlich an den Pranger gestellt – wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde! – weil sie sich unterstanden hatte, im Zusammenhang mit den islamistisch motivierten Terroranschlägen in Würzburg und Ansbach auf die „erheblichen Probleme“ hinzuweisen, über die das Kanzlerinnenwort „Wir schaffen das“ leichtfertig hinweg redet. Sahras Fraktionskollege Jan van Aken hielt ihre Mahnung für eine Merkel-Kritik „von rechts“ und forderte indirekt ihre Ablösung von der Fraktionsspitze, andere warfen ihr vor, sie stelle damit alle Flüchtlinge unter Generalverdacht und bediene AfD-Hetze.
Ich stellte mich damals uneingeschränkt auf Sahras Seite.
Mit einigem zeitlichen Abstand halte ich den Aufschrei der Empörung über ihren
Warnhinweis heute immer noch zum Teil für scheinheilig, mindestens aber für
naiv bis ignorant. Die personalisierte Kampagne „Sahra es reicht“ hinterließ
bei mir den Eindruck, dass wichtige Teile der LINKEN den Ernst der Lage, in die der „Westen“ durch die Ausplünderung und
Zerstörung des globalen Südens hineingestolpert ist, bewußt ausblenden, um sich
kurzsichtig auf aktuelle innenpolitische Tagesscharmützel zu konzentrieren,
statt eine Politik für das 21. Jahrhundert in den Blick zu nehmen, wie es sich
für Linke gehören würde.
Damit nicht auch mich sogleich der empörte Aufschrei trifft,
schicke ich voraus: Selbstverständlich ist jeder verallgemeinernde Schluss von
einzelnen Individuen auf „die“ Flüchtlinge, „die“ Muslime usw. absolut abwegig
und unzulässig. Es sind ja diese Verallgemeinerungen, aus denen sich die
populistische und faschistische Hetze speist. Ihnen muss die Linke selbstverständlich
energisch und unmissverständlich entgegen treten.
Umgekehrt wird es, von ein paar Wirrköpfen abgesehen, wohl
kaum Linke geben, die die Gefahr
abstreiten, dass unter den Flüchtlingsmassen versteckt auch einzelne Fanatiker
eingeschleust werden, um hier Verbrechen zu begehen, oder die Gefahr, dass Einzelne in den
Flüchtlingsunterkünften islamistischer Agitation auf den Leim gehen. Es darf
daher nicht als Rassismus oder Populismus verteufelt werden, wenn Linke eine
genaue – aber menschenrechtskonforme! – Kontrolle an den Grenzen und in den
Flüchtlingsunterkünften fordern. Allein das stellt den Staat und auch uns Linke
vor „erhebliche Probleme“.
Doch über diese tagespolitische Ebene hinaus sind die
Flüchtlingsströme von heute nur Vorboten der eigentlichen Probleme des 21. Jahrhunderts.
Probleme, die vor allem von den reichen Mächten des Westens erzeugt wurden und
die so, wie diese Mächte heute in der Welt agieren, mit Marktdominanz,
Rohstoffkriegen, globalen Rechtsbrüchen und Regime-change-Interventionen von
Tag zu Tag unlösbarer werden.
Schon zur Jahrtausendwende hatte der englische Geschichtswissenschaftler
Eric Hobsbawm dem neuen Jahrhundert
drei zentrale Probleme vorhergesagt:
-
Wenn die explosionsartige Vermehrung der Erdbevölkerung
(1950: 3 Milliarden Menschen – 2000: 6 Milliarden – 2030 nach UNO-Prognose: 10
Milliarden – …?) bei exponentiell zunehmender Ungleichheit der
Lebensbedingungen innerhalb und zwischen den reichen und armen Weltregionen
sich fortsetzt, wird sie einen Wanderungsdruck auf die reichen Länder erzeugen,
der mit demokratischen und marktwirtschaftlichen Mitteln nicht mehr
beherrschbar sein wird.
-
Hinzu kommt, dass Umweltzerstörung und
Klimawandel ganze Landstriche unbewohnbar machen und ganze Völkerschaften aus
ihren angestammten Gebieten vertreiben.
-
Noch verschärft wird der Druck auf die reichen
Länder durch die daraus unvermeidlich folgenden gewaltsamen Konflikte um
Ressourcen und Lebensräume.
In dieser – überwiegend vom Westen selbst verschuldeten –
Zwangslage sieht Hobsbawm die reichen Staaten vor die Alternative gestellt,
entweder ihre Grenzen radikal abzudichten oder (und) ausgewählte
Zuwanderergruppen z.B. als billige Arbeitskräfte, auf Zeit und nur mit
eingeschränkten Bürgerrechten aufzunehmen, sozusagen als Parias des Westens, was
einem Apartheidsregime gleich kommt. Beide Wege würden den zivilisatorischen
Grundkonsens in und zwischen den westlichen Gesellschaften zerreißen.
Wie Hobsbawm klar erkannte, können wir dieser Entwicklung
nicht entgehen, solange wir an unserem herkömmlichen Politik- und
Wirtschaftssystem festhalten – im Gegenteil verursacht und beschleunigt es diese
Entwicklung. Hobsbawm hielt – vor bald schon zwanzig Jahren – eines für „völlig
unbestreitbar“: Ein Ausgleich der Ungleichgewichte zwischen reichen und armen Ländern
„wäre unvereinbar mit einer
Weltwirtschaft, die auf dem unbegrenzten Profitstreben von
Wirtschaftsunternehmen beruht, welche ja per definitionem diesem Ziel
verpflichtet sind und die darum auf einem freien Weltmarkt konkurrieren… Wenn
die Menschheit eine Zukunft haben soll, kann der Kapitalismus (…) keine haben.“
(Das Zeitalter der Extreme, S.703) An anderer Stelle schrieb er (2009): „Soweit
ich weiß, gibt es keine Gesellschaft ohne den Begriff der Ungerechtigkeit. Und
daher soll es auch keine geben, in der man sich nicht mehr gegen sie auflehnt.“
Es kann Linke nicht verwundern, dass die Bundeskanzlerin
über die beschriebenen Folgen (auch) ihrer Politik leichtfertig hinweg redet.
In diesem Licht besehen, war Sahra’s Einspruch dagegen nicht nur vollauf gerechtfertigt,
sondern müsste allen Linken zu denken geben: Wir stehen tatsächlich vor
„erheblichen Problemen“, und die können wir nur gegen Merkel u.Co lösen.
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Dortmund, Deutschland
Mittwoch, 17. August 2016
Notizen aus der Provinzhauptstadt: Mit Sigmar Gabriel den „Strukturwandel“ feiern heißt: Alles bestens, weiter so.
Zeitgleich mit dem Besuch des Bundeswirtschaftsministers Sigmar Gabriel im Technologiezentrum, dem Flaggschiff des „Strukturwandels“ in Dortmund, berichteten die in Dortmund erscheinenden RuhrNachrichten von vier einschneidenden Deformationen des Sozialstaats, selbstverständlich ohne jeden Bezug auf den hohen Gast und den Anlass seines Besuchs:
1.
Minijobs und prekäre Arbeit können nicht mehr
verdecken, dass die Arbeitslosigkeit weiter zunimmt.
2.
Die Zusatzbeiträge zur Krankenversicherung
werden sich in den nächsten fünf Jahren durchschnittlich von 22 auf 55 Euro
monatlich mehr als verdoppeln.
3.
In den Großstädten wie Dortmund fehlen immer
dringender Sozialwohnungen.
4.
In NRW sind immer mehr Menschen obdachlos.
Jeder dieser vier Trends folgt aus jeweils eigenen
spezifischen Ursachen, keine Frage. Dass der massenhafte Zuzug von Geflüchteten
auch auf den Arbeitsmarkt drückt, wird niemand bestreiten wollen. Der
Zusammenhang der explodierenden Kassenbeiträge für die Versicherten mit dem
medizinischen Fortschritt und der steigenden Lebenserwartung leuchtet ein. Dass
die Bundesregierung sich total aus der Wohnungsbaufinanzierung zurückgezogen
hat, musste absehbar zu Wohnungsnot im unteren Segment führen und war ein
großer Fehler, der nun hoffentlich schnell korrigiert wird. Steigende
Obdachlosenzahlen mit der Verarmung zunehmender Teile unserer Gesellschaft in
Verbindung zu bringen, erfordert auch nicht viel Denkarbeit.
Alles einleuchtend. Wo „Struktur gewandelt“ wird, gibt es
eben auch unschöne Begleiterscheinungen. Alles nicht so tragisch, denn die
Erklärungen liefern schon die Abhilfe? Gemeinsam ist allen solchen Erklärungen:
Sie ermöglichen bestenfalls ein hilfloses Herumdoktern am einzelnen Symptom.
Während eine Etage höher, auf gesellschaftlicher Ebene, fröhlich mit dem Minister
weiter der „Strukturwandel“ gefeiert werden kann. Von der Industrie- zur „Dienstleistungsgesellschaft“,
von dieser zur „Wissensgesellschaft“, und wie die Nebelwolken alle heißen.
Was sie vernebeln, ist der Zusammenhang zwischen den
zitierten Meldungen und der tatsächlichen Struktur unserer Gesellschaft. Ihre
Spaltung von Grund auf in die wirtschaftlich bestimmende Minderheit und die von
ihr abhängige ( mehr und mehr abgehängte) Mehrheit. Solange wir diese Struktur
nicht „wandeln“ – und das geht logischerweise nur von unten – werden ihre
Folgen weiter eskalieren.
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Sonntag, 7. August 2016
Unsere Arbeit vor der Entwertung retten!
2.Teil der Kritik zu Sahra Wagenknechts Buch "Reichtum ohne Gier"
Im ersten Teil meiner Urlaubslektüre von Sahra Wagenknechts
„Reichtum ohne Gier“ hatte ich ihr angekreidet, dass sie die Quelle kapitalistischer
Unternehmensgewinne falsch bestimmt. Das ist keine akademische Rechthaberei,
sondern hat weit reichende Konsequenzen für die Einkommensverteilung in der
Gesellschaft, die Arbeit und den Umgang der Menschen miteinander.
Der Mehrwert (nach Karl Marx) entsteht nicht „qua
Naturgesetz“, wie Sahra richtig bemerkt, aber auch nicht durch Ausschaltung des
Wettbewerbs, wie sie stattdessen behauptet, sondern ganz reell aus dem
Funktionsprinzip des Warenaustauschs, dass die Waren im Durchschnitt zu ihrem
Wert getauscht werden, das heißt (verkürzt ausgedrückt:) zu ihren
Herstellungskosten, egal wie der Käufer sie dann vernutzt. So auch die
menschliche Arbeitskraft, soweit sie auf dem Arbeitsmarkt gehandelt wird. Diese
hat aber gegenüber allen anderen Waren den einzigartigen Vorzug, dass sie mehr
Werte produzieren kann, als sie selbst zu ihrer Herstellung und Erhaltung
verbraucht, und genau diesen Vorzug nutzt ihr kapitalistischer Käufer, indem er
sie als ihr rechtmäßiger Eigentümer-auf-Zeit mit tausend Methoden dazu bringt, mehr
zu schaffen, als sie ihn für diese Zeit gekostet hat. (Ich weiß nach meinem
Arbeitsleben, wovon ich da rede.)
Der Kapitalismus hat also die „Marktwirtschaft“ erst
vervollständigt und allumfassend verallgemeinert, indem er erstmals in der
Geschichte auch die Arbeitskraft in eine Ware verwandelt hat, weil die Arbeiter
nun in Ermangelung eigener Produktionsmittel gezwungen sind, ihren
Lebensunterhalt durch Verkauf ihres Arbeitsvermögens an einen
Produktionsmittelbesitzer zu verdienen. Und nur zu dieser Bedingung, dass die
wertschaffende Arbeit selbst in den Wettbewerb einbezogen wird, ist der ganze Marktkreislauf
erst vollständig und funktionsfähig. (Denn wie könnte der Arbeiter seinerseits
die zu seiner Reproduktion notwendigen Waren kaufen, wenn er nicht vorher für
seine Arbeit marktgerecht entlohnt worden wäre.) Das heißt, zum Marktwirtschaftssystem
gehört die Existenz des Arbeitsmarktes, auf dem die Arbeiter gegeneinander um
Arbeit und Lohn konkurrieren, unverzichtbar dazu. Mit all den katastrophalen
Folgen, unter denen die Arbeiterklasse zu leiden hat, seit und solange es den Kapitalismus
gibt.
(Übrigens vollzog sich dieselbe Verallgemeinerung auch in Bezug
auf das Grundeigentum, das ebenfalls erst im und durch den Kapitalismus zur
Ware gemacht und in die Produktionskosten aller anderen Waren einbezogen wurde.
Allerdings handelt es sich hierbei tatsächlich um einen reinen
Monopolaufschlag, der sich aus der Unvermehrbarkeit der Erdoberfläche ergibt.
Folglich dürften auch Mieten, Pachten und Hypotheken auf keinen Fall „vor dem
Kapitalismus gerettet“, sondern müssen schnellstens abgeschafft werden: indem der
Boden in Gemeineigentum überführt und seinen Nutzern unentgeltlich zur
Verfügung gestellt wird.)
Vom Arbeitsmarkt aus stoßen wir auf eine der Kernfragen der
linken Alternative zur kapitalistischen Warenwirtschaft: Wollen wir, dass die
Arbeitskraft auch in Zukunft eine Ware bleibt? Ich bin dafür, das so schnell
wie möglich zu überwinden. Sahra
schweigt sich dazu leider aus.
Ganz richtig macht sie als Quelle des explosionsartigen
Wachstums- und Wohlstandsschubs, den der Kapitalismus gegenüber früheren
Epochen hervor brachte, den technischen Fortschritt als „Innovationsmotor“ aus.
Und sie mahnt daher ein viel breiter ausgebautes Bildungssystem an, um unsere
kreativen, innovativen Potenzen besser auszuschöpfen. Gut.
Der technische Fortschritt hat jedoch im Kapitalismus einen
Januskopf. Einerseits dient er den Unternehmen im Wettbewerb zur Einsparung von
Arbeit, um ihre Produktionskosten und Marktpreise zu senken, und das verbilligt
auch unsere Lebenshaltung und erhöht unsere Kaufkraft. – Andrerseits bewirken
die technischen Umwälzungen gerade (Digitalisierung, Vernetzung der Produktion,
Business-on-demand, Industrie 4.0 usw.) eine Entwertung und
„Entprofessionalisierung“ der Arbeit, die Sahra zu Recht einen „klaren
Rückschritt“ nennt, weil dadurch der Mensch „einen wesentlichen Teil seiner
Selbstachtung verliert.“
Hinzu tritt – von Sahra leider nur gestreift – die aktuell
sich weiter zuspitzende Beschäftigungskrise, da nämlich der technische
Fortschritt mehr Arbeitskräfte freisetzt, als durch Erweiterung der Märkte neue
Arbeitsplätze entstehen (können). Bereits vor mehr als dreißig Jahren kam der
Soziologe Claus Offe empirisch zu dem Ergebnis: „Der technische Wandel wird zur
systemimmanenten Quelle von Arbeitslosigkeit.“ Das „Organisationsmodell
Arbeitsmarkt“ habe sich infolgedessen – nicht zuletzt aus ökologischen Gründen,
wie er damals schon erkannte – „historisch erschöpft“ und sei „untauglich
geworden“ (Claus Offe, Arbeitsgesellschaft – Strukturprobleme und
Zukunftsperspektiven, 1984).
Wenn wir also, auch nach meinen persönlichen Erfahrungen in
der industriellen Wirklichkeit, künftig die Konkurrenz der Arbeiter um Arbeit
und Löhne beenden wollen, setzt das eine ganz andere Eigentumsordnung voraus:
Die Arbeiter müssen dann selbst, nicht nur als „Garagenbastler“, sondern auch
in der Großindustrie über die Produktionsmittel verfügen – und den Unternehmern
muss es verwehrt sein, Gewinne aus dem Einsatz von Lohnarbeit sich privat
anzueignen.
Damit bin ich beim letzten Teil von Sahras Buch. Auch sie
hält es für notwendig, „Eigentum neu zu denken.“ Für die Zukunft schlägt sie
vier Unternehmenstypen vor, von denen nur der erste nach marktwirtschaftlichen
Prinzipien organisiert ist: Die von ihr so genannte „Personengesellschaft“, im
Privateigentum ihrer Inhaber/Investoren, mit voller Gewinnprivatisierung, aber
auch mit voller persönlicher Verlusthaftung und frei von jeglicher öffentlichen
Förderung.
Die nächste, schon gemeinwirtschaftliche Stufe ist die
„Mitarbeitergesellschaft“. Im unpersönlichen Kollektiveigentum der Belegschaft,
die auch gemeinsam über die Geschäftsstrategie entscheidet, die
Geschäftsführung bestimmt und kontrolliert. Im Unterschied von der
Genossenschaft sind hier die Eigentumsanteile nicht individuell, nicht
übertragbar, nicht ausschüttungsberechtigt und erlöschen mit dem Ausscheiden
aus dem Unternehmen. Als historische Beispiele verweist sie auf
Belegschaftsübernahmen, mit denen erfolgreich Betriebsschließungen verhindert
werden konnten.
Die dritte Form, für Großunternehmen gedacht, ist die „Öffentliche
Gesellschaft“, die gleichfalls „sich selbst gehört“, also weder den einzelnen
Mitarbeitern noch externen Kapitaleignern und auch nicht dem Staat. In ihrem
Aufsichtsrat sitzen neben den Belegschaftsvertretern je nach ihrer Bedeutung
für die kommunale, regionale und nationale Wirtschaft entsprechend Vertreter
der jeweiligen öffentlichen Ebene. Die Umwandlung bestehender Unternehmen in „Öffentliche
Gesellschaften“ soll durch Ablösung der ursprünglichen Kapitaleinlagen abzüglich
kassierter Dividenden aus den laufenden Erträgen erfolgen.
Schließlich als vierter Typus die „Gemeinwohlgesellschaft“,
ein nicht-kommerzielles Unternehmen, das für öffentliche Versorgungsbetriebe
aller Art in Frage kommt, auch nur „sich selbst gehört“ und unter öffentlicher
(nicht nur staatlicher) Kontrolle arbeitet.
In diese vierte Kategorie ordnet Sahra auch
„Gemeinwohlbanken“ ein, die sie anstelle der privaten Großbanken setzen will. Wobei
sie es aber jeder heute bestehenden Bank freistellen will, sich als
Gemeinwohlbank zu reorganisieren oder weiter am freien Markt zu agieren, dann
allerdings bei vollem privatem Risiko und ohne staatliche Absicherung. (Ihr
ganzes Kapitel zum Finanzsektor lasse ich hier weg, möchte aber betonen, dass
ich es insgesamt fundiert und überzeugend finde – bis hin zur Konsequenz, die
Euro-Währungsunion in der heutigen Form aufzulösen und durch nationale
Währungen mit festen, nach abgestimmten Regeln veränderbaren Wechselkursen zu
ersetzen, was ich nachdrücklich unterstütze, weil ich es für die wirksamste
Waffe gegen die Zerstörung der Demokratie und sich verschärfende nationalistische
Konfrontationen halte.)
Was Sahra hier ganz ausblendet, ist die Zukunft der Opfer arbeitsparender
Rationalisierung. Wer hilft den Arbeitslosen bei der Re-Integration ins
Arbeitsleben? Und wie? Ich werfe ihr nicht vor, dass sie hierzu nichts schreibt,
hat doch die LINKE ohnehin die öffentlich geförderte Beschäftigung sehr richtig
zu einem Schwerpunkt ihrer ganzen Arbeitspolitik gemacht. Seit den 80er Jahren
wissen wir, dass da weder der Ruf nach „echtem Wettbewerb“ weiter hilft noch
illusionäre (und zunehmend unverantwortliche) Hoffnungen auf neues
„Wirtschaftswachstum“ durch technologische Innovation. Hier geht es jetzt
weniger um neue Konzepte als vielmehr um die praktische Durchsetzung unserer
Politik.
Wenngleich Sahra es nicht ausspricht (um Wähler*innen aus
dem Mittelstand nicht zu verschrecken? Oder Teile der eigenen Partei?) haben
ihre Vorschläge zur Neuordnung des wirtschaftlichen Eigentums selbstredend
einschneidende Beschränkungen der unternehmerischen Freiheiten zur Folge. Es
liegt auf der Hand: In drei der vier von ihr vorgestellten Unternehmenstypen
ist die Arbeitskraft keine Ware mehr. An die Stelle der privatrechtlichen
individuellen (Arbeits-) Vertragsfreiheit tritt der Kollektivvertrag der
Gesamtbelegschaft, den der Einzelne beim Eintritt ins Unternehmen anerkennt.
Den Ertrag aus seiner Arbeit eignet sich kein Privateigentümer mehr an (auch
nicht er selbst!), sondern er kommt in voller Höhe dem ganzen Unternehmen und
darüber hinaus der Allgemeinheit zugute. Auch die Unternehmensstrategie, die
innerbetrieblichen Abläufe und das Betriebsklima werden sich grundlegend
verändern, wenn die Aufsicht nicht mehr bei Kapitalvertretern liegt, sondern
bei den Beschäftigten selbst und der demokratischen Öffentlichkeit.
Im unklaren lässt Sahra, ob die Inhaber-Kapitalisten ihrer „Personengesellschaften“
sich weiterhin an Lohnarbeit privat bereichern dürfen. Wenn ja, würde das auf
eine weitere Spaltung der Arbeiterklasse in selbstbestimmt-selbstverantwortlich
Arbeitende einerseits und fremdbestimmt-ausgebeutet-abhängig Beschäftigte
andrerseits hinauslaufen. Ich fände das höchstens für eine Übergangszeit mit
zunehmenden Einschränkungen annehmbar, zumal offen bleiben muss, wie viele
Unternehmer sich in Zukunft für diese Variante entscheiden würden.
Ich vermute, dass Sahra diesen Bruch in ihrer Konzeption
hingenommen hat, um die Verherrlichung des „echten“, vermeintlich „antimonopolistischen“
Wettbewerbs zu retten, die sich durch das ganze Buch zieht, aber wie gesehen
theoretisch und historisch ohnehin nicht überzeugt. Umso wichtiger ist mir am
Schluss ein Hinweis, der über den in diesem Buch abgesteckten Horizont hinausgeht:
Diese Konzeption des wirtschaftlichen Eigentums, die sich
vor allem auf gemeinwirtschaftliche Unternehmensformen stützt, führt auch
direkt an das Verhältnis von Unternehmensautonomie und gesamtgesellschaftlicher Planung
heran. Mit der Konsequenz, dass diese Unternehmen nicht mehr nur für den Markt arbeiten würden. Das
wäre eine bedeutende Einschränkung des „Wettbewerbs“ um Käufer, ein wesentlicher
Schritt über die kapitalistische Konkurrenz hinaus. Ein Schritt, an dem bislang
alle realsozialistischen wie die sozialdemokratischen Versuche in Europa
gescheitert sind. Aber wir müssen (!)
ihn über kurz oder lang gehen, daran führt kein Weg vorbei, weil die
kapitalistische Konkurrenz uns immer mehr in Chaos, Mord und Totschlag stürzt.
Dabei können Sahras Vorschläge uns nützen. Die aufgezeigten
Mängel, Inkonsequenzen und Brüche in Sahras Buch ändern nichts an meiner
Empfehlung: Ein anregender, im Wortsinn in die Zukunft weisender Band.
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