Dienstag, 31. Januar 2017

Karl Marx behält recht: Kapitalvermehrung zerreißt die Gesellschaft

Sechs Thesen im Anschluss an eine Sendung von M.Greffrath im Deutschlandfunk, zusammengefasst für die Bezirksgruppe Dortmund-Hörde der LINKEN

Seit einiger Zeit empören sich nicht nur Linke, sondern auch sozial bewußte Bürgerliche über die obszön hohen Einkommen von Bänkern und Konzernbossen und die explosionsartige Reichtumsvermehrung an der Spitze der Gesellschaft. Besorgt fragte man sich jetzt sogar beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos, ob da nicht etwas aus dem Ruder läuft. Aber was und warum, und was dagegen zu tun sei, kann die bürgerliche Wissenschaft nicht erklären. „Theoretisch“ dürfte es eine so abgrundtiefe Ungleichheit der Einkommen und Vermögen gar nicht geben. Nach herrschender Lehre der „Marktwirtschaft“ sollten doch das wundersame Zusammenspiel der „Produktionsfaktoren“ Kapital, Boden und Arbeit und der harmonische Ausgleich von Angebot und Nachfrage für eine annähernd gerechte Verteilung der Einkommen sorgen. Und wenn da etwas aus dem Gleichgewicht kommt, kann das nur durch Störungen der Wirtschaft von außerhalb verursacht sein: Politiker, Gewerkschaften, Habgier, Bestechung usw. – aber niemals von den Marktmechanismen selbst. So die herrschende Lehre.

Wer den Skandal nicht schicksalhaft hinnehmen und hilflos (oder scheinheilig) bejammern, sondern beenden will, muss ihn verstehen. Wir können uns deshalb nicht mit so oberflächlichen Theorien abspeisen lassen. Vielleicht hilft uns der alte, amtlich totgesagte, wütend verschriene Karl Marx weiter, dem zerstörerischen Wirken des privaten Reichtums auf den Grund zu gehen.

In seiner Analyse des „Kapitals“ geht Marx zunächst auch von der Oberfläche der Erscheinungen aus: „Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ungeheure Warensammlung… Die Ware ist zunächst…ein Ding, das durch seine Eigenschaften menschliche Bedürfnisse irgendeiner Art befriedigt.“ [MEW 23 S.49]. Sie hat also für den Käufer einen bestimmten individuellen Gebrauchswert.

Wenn sie auf dem Markt gehandelt, d.h. gegen Geld oder andere Waren getauscht wird, muss sie aber auch einen Tauschwert haben. Und dieser muss für alle Waren, die man gegeneinander tauschen kann, gleich sein. Den jeweiligen Gebrauchswerten nach unterscheiden sich die Waren – ihrem Tauschwert nach sind sie gleich (gleichwertig = äquivalent).

Daraus ziehen wir eine erste Erkenntnis:
These (1) Wenn am Markt Verkäufer und Käufer gleiche Werte gegeneinander tauschen, besitzt jeder von beiden am Ende genau soviel Wert wie vorher, dadurch kann keiner von beiden reicher werden als der andere – Reichtum und Wirtschaftswachstum können also nicht am Markt entstehen, sondern müssen woanders entstehen.
Nun kommt es zwar vor, und durchaus nicht selten, dass nicht Äquivalente getauscht werden, sondern der eine Handelspartner den anderen übervorteilt (Prellerei, Betrug, Wucher, unfaire Handelsverträge, Spekulation usw.). Damit kann zwar der eine gewinnen, aber immer nur das was der andere verliert, im Durchschnitt bleibt der Warenhandel ein Null-Summen-Spiel, die Wirtschaft kann dadurch nicht wachsen.

Marx fragte sich nun: Wenn allen Waren die Eigenschaft gemeinsam ist, dass sie gleichen Tauschwert haben, was ist das Wesen dieses Tauschwerts?
Er stellte fest: „Sieht man nun vom Gebrauchswert der Warenkörper ab, so bleibt ihnen nur noch eine Eigenschaft, die von Arbeitsprodukten… Als Kristalle dieser ihnen gemeinschaftlichen gesellschaftlichen Substanz sind sie Werte – Warenwerte.“ [MEW 23 S.52]

Daraus ziehen wir eine zweite Erkenntnis:
These (2) Wert entsteht durch Arbeit, allgemein menschliche, lebendige  Durchschnittsarbeit, die einen Arbeitsgegenstand (Naturstoff, Rohmaterial, Vorprodukt) mithilfe von Arbeitsmitteln (Produktionsmitteln: Werkzeuge, Maschinen) zweckmäßig verändert.
Marx: "Eine Maschine, die nicht im Arbeitsprozess dient, ist nutzlos. Außerdem verfällt sie der zerstörenden Gewalt des natürlichen Stoffwechsels. Das Eisen verrostet, das Holz verfault, Garn, das nicht verwebt oder verstrickt wird, ist verdorbene Baumwolle. Die lebendige Arbeit muss diese Dinge ergreifen, sie von den Toten erwecken, sie aus nur möglichen in wirkliche und wirkende Gebrauchswerte verwandeln." [MEW 23 S.198]

Soweit waren schon vor Marx einige Ökonomen gekommen (Adam Smith, David Ricardo u.a). Sie hatten auch schon herausgefunden, dass der Wert der Arbeitsprodukte sich bemisst nach der jeweils zu ihrer Herstellung gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit.

Soweit, so gut. Aber damit ist immer noch nicht erklärt, wie es angeht, dass durch Anwendung produktiver Arbeit der Unternehmer reicher wird und der Arbeiter so arm bleibt wie vorher. Nach der Marktlogik des Äquivalententauschs müssten doch z.B. acht Stunden Arbeit genau soviel wert sein wie der von ihr in dieser Zeit geschaffene Warenwert – der müsste doch dann dem Arbeiter als Lohn für seine Arbeit ausbezahlt werden, und der Unternehmer hätte nichts gewonnen.

Marx sah also noch genauer hin und entdeckte:
These (3) Der Unternehmer kauft am Arbeitsmarkt nicht Arbeit und nicht Arbeitszeit, sondern was er dem Arbeiter abkauft, ist dessen Arbeitskraft. Die menschliche Arbeitskraft hat die Eigenschaft, dass sie (unter günstigen Bedingungen) mehr Werte produzieren kann, als zu ihrer Herstellung und Erhaltung notwendig sind. Das ist ihr spezifischer Gebrauchswert, und genau den hat der Unternehmer im Sinn, wenn er diese Ware Arbeitskraft kauft.
Es geht also alles ganz ehrlich und legal zu. Nach dem Marktgesetz, das besagt, dass auch die Ware Arbeitskraft, die der Unternehmer kauft, genau soviel wert ist, wie der Arbeiter zu ihrer Herstellung und Erhaltung braucht; der marktgerechte Lohn entspricht also genau den gewöhnlichen Lebenshaltungskosten des Arbeiters.
Als Käufer der Arbeitskraft wird der Unternehmer für die vereinbarte Zeit ihr rechtmäßiger Eigentümer, und als dieser gehört ihm der ganze Arbeitsertrag, der ganze in dieser Zeit geschaffene Wert, von dem er nur den vorher vereinbarten Arbeitslohn abziehen muss. So will es das bürgerliche Gesetzbuch.

Was nach Abzug des Arbeitslohns vom produzierten Wert übrig bleibt, nennt Marx den Mehrwert.

Das ist das ganze Geheimnis. Damit enthüllte Marx, wie die einen immer reicher werden, während die anderen immer nur höchstens soviel bekommen, wie sie brauchen, um am nächsten Tag wieder arbeiten zu können – und arbeiten müssen, um zu leben.

Um dies Geheimnis unkenntlich zu machen, nennt die bürgerliche Ideologie „Marktwirtschaft“, was eigentlich Mehrwertproduktion oder Kapitalverwertungswirtschaft heißen muss.

Daraus ergibt sich als weitere
These (4) Die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft ist, solange es sie gibt – also auch heute ! – in zwei Hauptklassen gespalten. Was sie voneinander grundlegend unterscheidet, sind die Eigentumsverhältnisse:
-       Die eine besitzt das Kapital, um Mehrwert produzieren zu lassen, nämlich die Produktionsmittel und das Geldkapital, um Arbeitskraft zu kaufen,
-       die andere besitzt nur Arbeitskraft, die sie infolgedessen ständig auf‘s neue an die Produktionsmittelbesitzer verkaufen muss. Weil es ohne die produktive, lebendige Arbeit auch keine Mehrwertproduktion geben kann, gibt es ohne Lohnarbeiter auch keine Kapitalisten. Das Gerede vom Verschwinden der Arbeiterklasse ist also dummes Zeug.

Käufer und Verkäufer von Arbeitskraft haben natürlich genau entgegengesetzte Interessen: Der Arbeiter will so wenig wie möglich von seiner Arbeitskraft verkaufen und dafür so viel wie möglich an Lohn erhalten. Der Kapitalist hingegen versucht mit allen Mitteln, die Löhne so niedrig wie möglich zu halten und die Arbeitsleistung über das notwendige Maß hinaus zu steigern, denn das ist ja die Quelle seines Reichtums.

So kämpfen beide zunächst als Individuen gegeneinander. Mit Aufkommen des Industriebetriebs ist der Unternehmer auf das Zusammenwirken vieler Arbeitskräfte angewiesen, und das merken natürlich auch die Arbeiter. Es bilden sich Koalitionen (Gewerkschaften, Unternehmerverbände, politische Parteien, sie nehmen Einfluss auf die Gesetzgebung usw.) Es kommt unvermeidlich zum Klassenkampf. Auch das hatte schon Adam Smith beobachtet.

Nun meinen nicht nur bürgerliche Gelehrte und der journalistische Mainstream, sondern die ganze sozialdemokratische Denke ist darauf gegründet und hat da immer noch die breite Masse der Arbeitenden hinter sich:
„Wenn unsere Gesellschaft nun mal so aufgebaut ist, dass wir nur arbeiten können, weil und damit unsere Arbeit die Kapitalisten immer reicher macht, dann sei’s drum, sollen sie doch an ihrem Reichtum ersticken – wenn sie uns nur das geben, was uns zusteht: Arbeit, Löhne, die zum Leben reichen, und Arbeitsbedingungen, die uns nicht vor der Zeit zu Invaliden machen. Dann müssten doch beide Seiten dasselbe Interesse haben, möglichst viele Arbeiter in Arbeit zu bringen, sprich: Vollbeschäftigung nützt doch beiden Seiten.“

Doch leider-leider sind es nicht „Managementfehler“ von „Nieten in Nadelstreifen“, die die ständigen Konflikte um die Arbeit verschulden, und es ist auch nicht „Profitgier“ oder sonst ein moralischer Defekt. Sondern:

Am Ende des Produktionsprozesses hat der Kapitalist den produzierten Wert erst einmal als Haufen von Waren auf Lager, die er am Markt verkaufen muss, um sie zu verwerten. Dort tritt er in Konkurrenz zu anderen Kapitalisten, die auch ihre Waren verkaufen wollen.

Daraus folgt eine fünfte Erkenntnis:
These (5) Die Konkurrenz zwingt die Kapitalisten, die Waren so preisgünstig wie möglich herzustellen, Produktionskosten zu senken, aus möglichst wenigen Arbeitern maximale Leistung herauszupressen, die lebendige Arbeit effektiver zu machen durch immer rationellere Technik usw. Aus diesem konkurrenzbedingten Zwang zu Innovation und Rationalisierung erklärt sich, dass die Anhäufung von immer mehr Reichtum zugleich immer mehr Arbeitslosigkeit erzeugt, wie wir sie heute in allen kapitalistischen Ländern vorfinden.
Marx fasste diesen Widerspruch als „absolutes, allgemeines Gesetz der kapitalistischen Akkumulation“ zusammen: „Je größer der gesellschaftliche Reichtum, das funktionierende Kapital, Umfang und Energie seines Wachstums, also auch die absolute Größe des Proletariats und die Produktivkraft seiner Arbeit, desto größer die industrielle Reservearmee… Die verhältnismäßige Größe der industriellen Reservearmee wächst also mit den Potenzen des Reichtums.“ [MEW 23 S.673].

Das eskaliert also immer mehr, je mehr Reichtum wir produzieren. Auch wenn dieser Prozess sich nur über lange Zeiträume und mit vielerlei Gegentendenzen durchsetzt.

Viele meinen nun, diesen Widerspruch, den der einzelne Kapitalist nicht lösen kann – und die Arbeiter auch nicht, solange sie nur darauf aus sind, ihre Arbeitskraft marktgerecht zu verkaufen – diesen Widerspruch zu lösen sei Sache des Staates. In bestimmter Weise trifft das auch zu. Tatsächlich erkennt auch die Kapitalistenklasse, dass ihre Konkurrenz die ganze Gesellschaft zu sprengen droht, wenn nicht bestimmte Höchstgrenzen der Ausbeutung der Arbeitskräfte gesetzt und eingehalten werden. Dies ist tatsächlich eine Aufgabe des bürgerlichen Staates (Arbeitszeitgesetze, Mindestlohn, Gesundheitsschutz usw.)
Aber innerhalb dieser Grenzen hat der bürgerliche Staat vor allem die Grundbedingung des Wirtschaftswachstums zu garantieren und zu schützen, das Recht des Kapitaleigentums auf seine Verwertung, also die Mehrwertproduktion, die alle Klassenwidersprüche immer wieder aufs neue erzeugt. Das heißt, die Wurzel des Übels, die Ursache des Skandals darf und kann der bürgerliche Staat nicht antasten.

Folglich taumelt die kapitalistische Wirtschaft von einer Krise in die nächste. Was wir heute überall beobachten, bestätigt praktisch, was Marx zu seiner Zeit nur theoretisch schließen konnte:
Je größer die auf den Märkten zirkulierende Kapitalmenge, umso explosiver wird der Gegensatz zwischen Reich und Arm, Oben und Unten, umso tiefer und heftiger werden die Krisen, und umso höher wird jedesmal der Preis ihrer Überwindung.

Damit bestätigt sich aber Marxens Schlussfolgerung aus dem ganzen Prozess:
These (6) „Die Mehrwertproduktion entwickelt den Reichtum der Gesellschaft nur, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter". Das muss über kurz oder lang an einen Punkt führen, an dem die Sache kippt. Wie in jeder früheren Epoche der Menschheitsentwicklung sind es auch in unserer die Produktivkräfte, die gegen die zu eng gewordenen Produktionsverhältnisse – das sind vor allem immer die Eigentumsverhältnisse – rebellieren, sie umstürzen und eine neue, gemeinschaftlichere  Produktionsweise erzwingen.
Dies wäre der „zivilisatorische Evolutionssprung“, den auch Mathias Greffrath am Schluss seines Vortrags im DLF für notwendig hält. Marx nennt es „Revolution“ (=Umwälzung).

Im „Zeitalter der Globalisierung“, das Greffrath am Schluss nur kurz streift, haben die Nationalstaaten immer weniger Einfluss auf die Bedingungen der Kapitalverwertung. Alle aus der Mehrwertproduktion entstehenden Probleme eskalieren weltweit und können nur noch weltweit gelöst werden.
Wobei wir über die Zukunft der Nationalstaaten heute nur sagen können: Sie ist endlich, wie alles auf dieser Welt. Sie werden nicht ewig fortbestehen. Aber welche Rolle sie in der weiteren Entwicklung noch spielen können, lässt sich nicht absehen. Eine Zeitlang bleiben sie noch als Kampfboden der Klassenkämpfe unverzichtbar. (Übrigens auch in Europa, liebe Linkspartei-Häuptlinge !)

Was auch noch offen bleibt, ist die Frage nach dem Subjekt des evolutionären oder/und revolutionären Umbruchs, denn der geschieht nicht automatisch und blindlings, sondern Geschichte wird immer von Menschen gemacht. Wer wird die neuen Verhältnisse erkämpfen?

Welche Gesellschaftsklasse das nur sein kann, liegt klar auf der Hand: Die Klasse, in der die ganze Produktivkraft der Gesellschaft, des zukünftigen Reichtums verkörpert ist und bleibt – die vielgeschmähte, von vielen leichtfertig für tot erklärte Arbeiterklasse. Aber wie sie sich dazu neu aufstellen wird, ihr Bewusstsein und Wissen um diese Aufgabe zurück gewinnt, neue politische Kräfte sammeln kann usw. – ist noch kaum zu ahnen.

Eins aber lässt sich schon sagen: Sie wird gut daran tun, wieder Karl Marx für sich zu entdecken.

Mittwoch, 18. Januar 2017

Alternativen zum Euro – demokratisch, internationalistisch, sozial?

Zur Arbeitstagung „Welche Alternative zum Euro und zur neoliberalen EU brauchen wir?“

Der neue US-Präsident Trump dürfte mit seiner Vorhersage richtig liegen, dass weitere Länder die EU verlassen werden. Die Leistungsbilanzkrise des Euroraums verschärft die Widersprüche weiter. Von den 19 Euro-Staaten haben fünf hohe Leistungsbilanz-Defizite mit Deutschland, unter ihnen Frankreich, Italien, Spanien und Griechenland. Italien, als drittgrößte Wirtschaftsmacht in der EU ein Schwergewicht, rutscht immer tiefer in die Miesen. In Frankreich droht die Übernahme der Staatsführung durch die erklärten Anti-Europäer des Front National. Die diktatorischen Eingriffe der „Institutionen“ in Wirtschaft und Politik der Schuldnerländer werden dort als Demütigung und Angriffe auf ihre demokratische Verfasstheit erlebt. Das bedrohliche Vordringen der Populisten in den für 2017 anstehenden Wahlen in wichtigen europäischen Ländern ist nicht zuletzt diesem „Durchregieren“ (A. Merkel) der EU-Machthaber geschuldet.

Der Euro-kritische Ökonom Heiner Flassbeck bilanzierte vor kurzem: In Europa stehen große Veränderungen an, weil die wirtschaftliche Lage sieben Jahre nach Beginn der Krise katastrophal ist, die Arbeitslosigkeit auf extrem hohem Niveau nicht sinkt und die Wirtschaftspolitik ihr klägliches Versagen mit Alternativlosigkeit verteidigt… In Deutschland ist Dummheit zur Staatsraison geworden.
Die wahren Europäer unter meinen LINKEN Freund-innen weigern sich trotzköpfig, diesen Sachverhalt auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Doch „Augen zu und durch“ kann da nie und nimmer mehr funktionieren.

Vor ein paar Tagen kritisierten zwei meiner Genoss-innen in der LINKEN Dortmunder Ratsfraktion, dass ich die mehrdimensionalen, zum Teil akuten, in anderen Formen noch im Hintergrund schwelenden Strukturkrisen unter dem Begriff „Systemkrise“ zusammengefasst habe. Ihr Vorwurf: Seit Jahrzehnten würden linke Sektierer mit Beschwörungen einer „Systemkrise“ oder auch der „Allgemeinen Krise des Kapitalismus“ dessen bevorstehenden Zusammenbruch an die Wand malen, doch immer habe er sich vital und anpassungsfähig genug erwiesen, um aus seinen Akkumulationskrisen wie der jetzigen gestärkt aufzuerstehen.

Zu meiner Verteidigung könnte ich namhafte Zeugen aufrufen, die nicht im Verdacht stehen, marxistische Dogmatiker zu sein. Hans Jürgen Urban vom Hauptvorstand der IG Metall: „Es spricht viel für die Annahme, dass es sich um eine ‘Systemkrise der kapitalistischen Produktionsweise‘ handelt...Fasst man die Finanz- und Realwirtschaftskrisen als Momente einer mehrdimensionalen Systemkrise des Kapitalismus und bezieht man in diese die ökologische Dimension in Form von Energiekrise und drohendem Klimakollaps ein, wird die gigantische Aufgabe deutlich, vor der die Gesellschaft steht.“ (Die Mosaik-Linke, in: Blätter 5/2009 S.71)
Oder Elmar Altvater, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der FU Berlin: „In Zeiten der Globalisierung sind mit der Herausbildung eines weitgehend verselbständigten Finanzsystems Finanzkrisen ausgelöst worden, deren Wucht und Reichweite mit den traditionellen Akkumulationskrisen nicht vergleichbar sind.“  (Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen. 2005; Der große Krach: oder die Jahrhundertkrise von Wirtschaft und Finanzen, von Politik und Natur, 2010).
Oder Peter Wahl, Mitgründer von attac-Deutschland und im Vorstand von WEED: Bei allen sonstigen Unterschieden handelt es sich im Kern um eine Gegenreaktion auf die Zusammenballung von Krisen und deren Effekte: der Krise neoliberaler Globalisierung, der multiplen Krisen der EU und jeweils nationaler Probleme, die ihrerseits alle miteinander wechselwirken. Die Politik scheint nicht in der Lage, die Krisen in den Griff zu bekommen.“ 

Weil solche Zeugen meine Kritiker vermutlich kaum beeindrucken, will ich mit eigenen Worten kurz erklären, was ich mit der Kennzeichnung „Systemkrise“ meine – und was nicht. (Leider lässt sich eine gewisse Theorielastigkeit dieses Einschubs nicht vermeiden. Wen das nicht interessiert, kann den kursiv gesetzten Einschub überspringen.)
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Unbestreitbar stecken die „westlichen“ Gesellschaften und mit ihnen die ganze vom Westen reklamierte Zivilisation in einer ihrer tiefsten Krisen. Sie kündigte sich seit den 70‘er Jahren des vorigen Jahrhunderts an und spitzt sich seither immer weiter zu. Und zwar als Strukturkrise in mehreren Dimensionen:
1.    Im Vordergrund leiden die kapitalistischen Kernländer an einem chronischen Schrumpfen ihrer wirtschaftlichen Wachstumsraten gegen null. Eine kapitalistische Wirtschaft ohne ein Mengenwachstum mindestens in Höhe des Produktivitätsfortschritts läuft aber auf längere Sicht aus dem Ruder: Sie erstickt am Widerspruch zwischen Produktivitätszuwachs und „gesättigten Märkten“, produziert also immer mehr Arbeitslosigkeit und Armut, bis zum Zerreißen des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
2.    Die Tendenz zur Stagnation hat im wesentlichen zwei Ursachen: Zum einen schwächt die rasant zunehmende Konzentration der Wirtschaft in globalen Riesenkonzernen die Konkurrenz als Triebkraft des Produktivitätsfortschritts, welche die Wirtschaft aus den Krisen zieht. Zum andern hat die Schere zwischen den enorm anschwellenden Profiten der Oberklasse und den stagnierenden Masseneinkommen riesige Kapitalmengen aufgehäuft, die in Ermangelung profitabler Produktionsmöglichkeiten nur noch als Spekulationskapital auf den Finanzmärkten umher vagabundieren.
3.    Zum kritischen Problem würde aber auch die Fortsetzung der Wachstumsdynamik, weil sie schon lange und zunehmend auf Raubbau an den natürlichen Ressourcen basiert und global unsere Lebensgrundlagen zerstört (Klima, Wasser, Boden…). Da dies Problem mit marktwirtschaftlichen Methoden unlösbar ist, wird es schon in Kürze weltweite Massenmigrationen auslösen.
4.    Seit den 70’er Jahren und verstärkt nach 1989 haben bewaffnete Konflikte weltweit massiv zugenommen. Eine wesentliche Ursache, auch für Bürgerkriege, Warlords und Terrorarmeen, bildet die aggressive Konkurrenz der kapitalistischen Mächte um Märkte und Einflusszonen. Die Folge sind weiterhin anschwellende Flüchtlingsströme aus den zerstörten und verelendeten Weltregionen in die westlichen Wohlstandsinseln, die sich zunehmend einigeln und ent-demokratisieren.
5.    Propagandistisch aufgeladen wird die Krise noch durch politisch und medial geschürte Schreckensszenarien einer angeblich drohenden demografischen Krise durch die „explosive Vermehrung der Weltbevölkerung“ außerhalb des westlichen Kulturkreises. Was die Panikmache verbirgt, ist die dramatisch wachsende, vom Kapitalismus verursachte Kluft zwischen den reichen und armen Weltregionen. Diese wird allerdings noch weit stärkeren Wanderungsdruck auf die reichen Staaten erzeugen, als wir uns heute vorstellen können, und wird hier zu mehr und mehr gewaltsamer Abwehr führen (sowohl als „Selbsthilfe besorgter Bürger“ als auch staatlich organisiert).
6.    Der einzige Ausweg, auf dem die „Marktkräfte“ in der Vergangenheit Strukturkrisen überwinden konnten, die Erzeugung neuer Märkte in großem Stil mithilfe technischer Revolutionen (Dampfmaschine, Verbrennungsmotor, Computer), dieser Ausweg steht kurz- und mittelfristig nicht in Aussicht. („Industrie 4.0“ zielt ja mehr auf die Rationalisierung der Produktion und Dienstleistungen als auf neue Massenmärkte.)
Aus der Überlagerung und gegenseitigen Verstärkung dieser Krisenmomente folgt, dass der übliche Verlauf der zyklischen Konjunkturkrisen, wie die kapitalistische Wirtschaft sie seit 1825 alle paar Jahre durchgemacht hat, hier nicht mehr gilt, sondern die gegenwärtige multiple Krise in einen lang anhaltenden, labilen Dauerzustand übergeht, der das Wirtschafts-, Politik- und Gesellschaftssystem bis auf den Grund zerrüttet und nicht absehbare Konflikte heraufführt.

Das meint der Begriff „Systemkrise“. – Nicht gemeint ist, der Kapitalismus sei mit dieser Krise definitiv an seinem Ende angekommen. Aus Krisen gibt es immer Auswege. Und wenn seine Gegner ihn nicht überwinden, entstünde aus der Systemkrise eine neue Variante dieses kapitalistischen Wirtschaftssystems. Das dann allerdings noch brutaler, barbarischer und instabiler würde. Denn anders kann das Kapital seine Krisen nicht überwinden, als es Marx und Engels schon 1848 beschrieben: „Wodurch überwindet die Bourgeoisie die Krisen? Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften; anderseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung der alten Märkte. Wodurch also? Dadurch dass sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert.“ (Kommunistisches Manifest)
Dass der Kapitalismus aus der Krise jeweils „gestärkt“ heraus käme, wie es seine Apologeten gern behaupten, trifft also nur in einem sehr beschränkten Sinn zu.

Ganz gewiss nicht meine ich, dass in dieser „Systemkrise“ oder durch sie der Kapitalismus „von allein zusammenbricht“. Dazu bedarf es der handlungswilligen und -fähigen gesellschaftlichen Gegenmacht der unteren Klassen. Mit einer klaren Zielvorstellung der Alternative. Die aber ist heute allenfalls in ersten Ansätzen erkennbar.
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Aus der seit Jahren sich zuspitzenden Krise der EU und des Euro müsste eigentlich der gesunde Menschenverstand schließen, dass es „so“ nicht weitergehen kann. Und zwar selbst dann nicht, wenn es gelingen könnte, dies „so“ mit einiger Reformkosmetik abzuschwächen, wie unsere LINKEN EU-Reformer es gern hätten. Ein gesellschaftlicher Systemwechsel ist eigentlich überfällig.
Frage also an meine Freund-innen in der LINKEN: Was wollt ihr? Das Weiter-so mit ein bisschen Krisenkosmetik? Oder gar den reaktionären Ausweg der herrschenden Klasse zu „mehr Europa“ (Augen zu und durch)? Oder doch lieber die Systemalternative? Entscheidet euch.

Um einer Lösung näher zu kommen, bittet die „Antikapitalistische Linke“-Arbeitsgemeinschaft in der LINKS-Partei zusammen mit dem „euroexit“-Komitee zu einer hochkarätigen Tagung:

Welche Alternative zum Euro und zur neoliberalen EU brauchen wir?
28.01.2017, 11 - 20 Uhr
Bürgerhaus-Bilk, Bachstr. 145, 40217 Düsseldorf
mit
* Janine Wissler (stellv. Parteivorsitzende der LINKEN)
* Panagiotis Sotiris (Volkseinheit, Griechenland)
* Sergio Cesaratto (Prof. für Ökonomie an der Universität in Siena/Italien)
* Martin Höpner (Prof. für Politikwissenschaften am Max-Planck-Institut, Köln)
* Paul Steinhardt (Herausgeber von Makroskop.eu gemeinsam mit Heiner Flassbeck)
* Franziska Lindner (SDS)
* Frank Futselaar (Sozialistische Partei der Niederlande)
* Inge Höger (MdB DIE LINKE, Bundessprecher*innenrat der AKL)
* Thies Gleiss (Parteivorstand DIE LINKE, Bundessprecher*innenrat der AKL)
* Peter Wahl (weed u. attac)
* Christian Leye (Landessprecher DIE LINKE und einer der Spitzenkandidat*innen zur Landtagswahl)


Freitag, 6. Januar 2017

Kommunalpolitik in der Krisenzeit: Aktiv statt passiv! Ein Blick über den Gartenzaun

Denkanstoß zur Klausur 2017 der Dortmunder Ratsfraktion LINKE&Piraten

Das neue Jahr wird spannend. Ein Jahr der Weichenstellungen für unser zukünftiges Leben. Nicht nur die Landtags- und Bundestagswahlen in Deutschland; Wahlen auch in Frankreich und Italien, mit evtl. weitreichenden Folgen; der bevorstehende Brexit Englands; Griechenland steht vor der nächsten Erpressung durch die Berliner Euro-Imperialisten; alles das stellt Weichen, wie es mit Europa und dem Euro weitergeht; darüber hinaus hängen z.B. unsere Flüchtlingszahlen nicht nur von Merkel, Seehofer, Gabriel und populistischen Scharfmachern ab, sondern auch davon wie der neue US-Präsident sich im Machtkampf der Weltmächte im Nahen Osten verhalten wird; usw.
Alles das kann uns Kommunalpolitiker-innen nicht kalt lassen. Linke Kommunalpolitik zeichnet sich ja dadurch aus (-sollte sich zumindest dadurch auszeichnen-), dass sie die Gestaltung des städtischen Zusammenlebens in allgemeinere Ziele einordnet, die sie von der Einsicht in umfassendere historische Erfordernisse ableitet. Unser Horizont ist nicht der Gartenzaun.
Einigermaßen aufgeklärte Menschen wissen doch (ahnen zumindest), dass wir die Ursachen der brennenden Probleme, auf die Stadtpolitik heute reagieren muss, in den weltweiten Krisen der kapitalistischen Gesellschaft zu suchen haben, und dass unsere Antworten sich in die übergreifenden Strategien zur Überwindung der Systemkrise des Kapitalismus einpassen müssen.

Dass wir es mit einer Systemkrise zu tun haben, dass der Kapitalismus nicht mehr funktioniert wie er nach den Lehrbüchern sollte, das pfeifen heute ja schon die hellsichtigeren Vertreter der herrschenden Eliten selbst von den Dächern. Sogar der Deutschlandfunk brachte im Dezember eine ganze Sendereihe in sechs Folgen über die "aktuelle Brisanz der Marx'schen Kategorien" Kapital, Mehrwertproduktion und -aneignung, Entfremdung, Krisen, Niedergang des Kapitalismus und dessen mögliche Überwindung - und sowas im Deutschlandfunk!
Wir wissen z.B. dass die Flüchtlingsströme, die letztlich in den Kommunen ankommen, individuelle Versuche, der Zerstörung ganzer Weltregionen zu entfliehen, ganz wesentlich verursacht werden durch Stellvertreterkriege für die verschärfte Konkurrenz der Großmächte um die Ausbeutung der Weltressourcen. Wir wissen, dass der religiöse Fanatismus, der jetzt unsere Städte mit Terror bedroht, ein ebenso verzweifelter wie reaktionärer Fluchtversuch aus dem globalen Desaster der Profitwirtschaft ist. Wir wissen, dass die Populisten, die sich jetzt auch im Dortmunder Stadtrat breit machen, auf die berechtigte Enttäuschung über die Unfähigkeit und Unwilligkeit der Herrschenden zur Überwindung der Systemkrise in Wahrheit nur Scheinantworten liefern. Wir wissen, wenn "die Märkte" nur noch den Reichtum der oberen Zehntausend ins Unermessliche steigern und spiegelbildlich Millionen Menschen in Armut drücken, dass dann auch Merkels "marktgerechte Demokratie" an Zustimmung verliert.
Die Systemkrise ist unbestreitbar. Und linke Politik hat auf sie angemessen zu antworten und eine Strategie zu ihrer Überwindung anzubieten.

In dieser Krisenlage muss linke Strategie nach meinem Verständnis darauf abheben, die berechtigte Wut der Menschen sowie rückwärtsgewandte Scheinantworten "nach vorne" zu überwinden: nämlich mit einer Politik, die neue Wege der gesellschaftlichen Aneignung ebnet.
"Gesellschaftliche Aneignung" - das wäre in meinen Augen die passende und umfassende Formel für unsere strategische Antwort: die schrittweise Aufhebung des von Marx erkannten Widerspruchs zwischen der gesellschaftlichen Produktion und der privaten Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums. Eine Formel, der eigentlich auch "Piraten" zustimmen können.
Darunter haben wir nicht nur die Rekommunalisierung privatisierter Produktions- und Dienstleistungsbetriebe zu fassen und natürlich den traditionellen Genossenschaftssektor und sozialgewerbliche Kooperativen, sondern mehr und mehr auch die mit fortschreitender Digitalisierung wachsenden Netzwerke freischaffender Produzenten (Open-source, Wissensallmende, Commons-Bewegung usw.). Ja, es ist an der Zeit, unseren klassischen Begriff des "Proletariats" (nicht abzulegen, sondern) den veränderten Gesellschaftsstrukturen anzupassen.
Gesellschaftliche Aneignung - das ist in der Tat der epochale Umbruch, der aus der Krise des Kapitalismus heraus führt. Dieser Umbruch vollzieht sich nicht in einem einzigen gewaltsamen Akt, sondern Steinchen für Steinchen, bis Quantität in neue Qualität umschlägt.

Die gesellschaftliche Linke - und besonders deren parteilich organisierter Teil - hat in dieser Krisensituation eine doppelte Verantwortung:
- Zum einen muss sie Prozesse der gesellschaftlichen Aneignung politisch absichern und unterstützen.
- Zum andern muss sie einen entsprechenden Mentalitätswandel ("Wertewandel") vorantreiben:
die klassischen Werte der Arbeiterbewegung - Solidarität, Schutz der Benachteiligten, Kampf gegen Ausbeutung, Selbstermächtigung durch demokratische Organisation und Bildung, Verteidigung der Freiheitsrechte - "aufheben" (in Hegels doppeltem Wortsinn) in kooperativer Vernetzung der Produzenten in unterschiedlichsten Organisationsformen. Natürlich ist beim gegenwärtigen Entwicklungsstand noch nicht absehbar, auf welchen Wegen mit welchen Methoden private Großkonzerne "vergesellschaftet" werden können, und darauf kommt es letztlich an – aber diese große Zukunftsaufgabe wird die Gesellschaft auch nur lösen können, indem die Einsicht in die Notwendigkeit gesellschaftlicher Aneignung zum hegemonialen Allgemeingut wird.

Noch sind die Linken in Räten und Parlamenten viel zu schwach, um der bürgerlichen Herrschaft auf Augenhöhe zu begegnen. Solange wir uns selbst dem vermeintlichen Sachzwang beugen, auf jede der tausenderlei Verwaltungsvorlagen adäquat reagieren zu müssen, bleiben wir in der Defensive stecken. Stattdessen mahne ich zur Besinnung auf unsere eigene Politik, unsere eigentliche Verantwortung:
Linke Fraktionen müssen zu Kristallisationskernen und politischen Agenturen gesellschaftlicher Aneignung werden. Politik, auch Kommunalpolitik bringt diesen Prozess nur voran, wo sie sich auf die Unterstützung entsprechender Basisinitiativen, Organisationen und Projekte konzentriert.

Dienstag, 3. Januar 2017

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Rekordbeschäftigung, kein Grund zum Jubeln

Mehr Jobs, weniger Arbeitslose. Die Arbeitslosenquote in Dortmund sank im Dezember um sage und schreibe 0,1 auf 11,1 Prozent. Insgesamt waren 33.773 Menschen arbeitslos gemeldet. Davon 6.127 Personen bei der Arbeitsagentur und 27.646 Menschen beim Jobcenter.
Deutlich war der Rückgang der Arbeitslosen, die 55 Jahre und älter sind: im Vergleich zum
Dezember des Vorjahres um minus 8,7 Prozent.
Ebenso erfreulich ging die Jugendarbeitslosigkeit zurück: im Vorjahresvergleich um 119 Personen oder 3,9 Prozent.
Derzeit stehen 7.054 Stellen zur Besetzung offen. Das sind gut 1.300 Stellen mehr als im Dezember 2015. 140 Stellen wurden im Bereich Gesundheits- und Sozialwesen neu gemeldet, 142 Stellen im Bereich Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen und 156 Stellenmeldungen im Bereich freiberufliche, wissenschaftliche und technische Dienstleistungen.

Dass die (um diverse Warteschleifen geschönte) Statistik seit Monaten immer besser aussieht, über diese Jubelmeldungen könnte man sich freuen – wäre nicht die Arbeitslosenquote hier unverändert fast doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt und hätte nicht der Dortmunder OB groß getönt, schon 2015 die Arbeitslosenquote unter 10 Prozent zu drücken und sähe nicht die Wirklichkeit der neuen Jobs weniger erfreulich aus.

Denn die Zahl der Erwerbstätigen sagt nichts über die Art der Erwerbstätigkeit. Teilzeitjobs, Leiharbeit, Werkverträge, Scheinselbstständigkeit, Minijobs: die prekären Jobs sind weder mit dem Mindestlohn noch mit den Appellen der ARGE an Dortmunds Unternehmer verschwunden. Wer so arbeiten muss, kann sich kaum über seine Beschäftigung freuen. Zumal selbst wer auf Mindestlohnniveau unbefristet und in Vollzeit beschäftigt ist, kaum genug Geld für das menschenwürdige Überleben einer Familie heim bringt.

Wichtig wäre deshalb eine Qualitätsoffensive der Wirtschaftsförderung zusammen mit den Kammern und Verbänden. Angesichts der gedämpften Konjunkturprognosen besteht hier reichlich Handlungsbedarf. Tausende Flüchtlinge müssen in den Arbeitsmarkt integriert werden, immer noch warten knapp 15.000 Langzeitarbeitslose auf eine Chance. Ihnen existenzsichernde Arbeit anzubieten, dazu wären eigene Anstrengungen auch der Lokalpolitik nötig – stattdessen starrt man in Dortmund auf Frau Nahles und die schwarze Null in Berlin.