Zur Arbeitstagung „Welche Alternative zum Euro und zur neoliberalen EU
brauchen wir?“
Der neue US-Präsident Trump dürfte mit seiner Vorhersage richtig liegen,
dass weitere Länder die EU verlassen werden. Die
Leistungsbilanzkrise des Euroraums verschärft die Widersprüche weiter. Von den 19
Euro-Staaten haben fünf hohe Leistungsbilanz-Defizite mit Deutschland, unter
ihnen Frankreich, Italien, Spanien und Griechenland. Italien, als drittgrößte
Wirtschaftsmacht in der EU ein Schwergewicht, rutscht immer tiefer in die Miesen.
In Frankreich droht die Übernahme der Staatsführung durch die erklärten Anti-Europäer
des Front National. Die diktatorischen Eingriffe der „Institutionen“ in
Wirtschaft und Politik der Schuldnerländer werden dort als Demütigung und Angriffe
auf ihre demokratische Verfasstheit erlebt. Das
bedrohliche Vordringen der Populisten in den für 2017 anstehenden Wahlen in
wichtigen europäischen Ländern ist nicht zuletzt diesem „Durchregieren“ (A. Merkel)
der EU-Machthaber geschuldet.
Der
Euro-kritische Ökonom Heiner Flassbeck bilanzierte vor kurzem: „In Europa
stehen große Veränderungen an, weil die wirtschaftliche Lage sieben Jahre nach
Beginn der Krise katastrophal ist, die Arbeitslosigkeit auf extrem hohem Niveau
nicht sinkt und die Wirtschaftspolitik ihr klägliches Versagen mit
Alternativlosigkeit verteidigt… In Deutschland ist Dummheit zur Staatsraison
geworden.“
Die wahren Europäer unter
meinen LINKEN Freund-innen weigern sich trotzköpfig, diesen Sachverhalt auch
nur zur Kenntnis zu nehmen. Doch „Augen zu und durch“ kann da nie und nimmer
mehr funktionieren.
Vor ein paar Tagen kritisierten zwei
meiner Genoss-innen in der LINKEN Dortmunder Ratsfraktion, dass ich die
mehrdimensionalen, zum Teil akuten, in anderen Formen noch im Hintergrund schwelenden
Strukturkrisen unter dem Begriff „Systemkrise“
zusammengefasst habe. Ihr Vorwurf: Seit Jahrzehnten würden linke Sektierer mit
Beschwörungen einer „Systemkrise“ oder auch der „Allgemeinen Krise des
Kapitalismus“ dessen bevorstehenden Zusammenbruch an die Wand malen, doch immer
habe er sich vital und anpassungsfähig genug erwiesen, um aus seinen
Akkumulationskrisen wie der jetzigen gestärkt aufzuerstehen.
Zu meiner Verteidigung könnte ich namhafte Zeugen aufrufen, die nicht im
Verdacht stehen, marxistische Dogmatiker zu sein. Hans Jürgen Urban vom
Hauptvorstand der IG Metall: „Es spricht
viel für die Annahme, dass es sich um eine ‘Systemkrise der kapitalistischen
Produktionsweise‘ handelt...Fasst man die Finanz- und Realwirtschaftskrisen als
Momente einer mehrdimensionalen Systemkrise des Kapitalismus und bezieht man in
diese die ökologische Dimension in Form von Energiekrise und drohendem
Klimakollaps ein, wird die gigantische Aufgabe deutlich, vor der die
Gesellschaft steht.“ (Die Mosaik-Linke, in: Blätter 5/2009 S.71)
Oder Elmar Altvater, emeritierter Professor für
Politikwissenschaft an der FU Berlin: „In Zeiten der Globalisierung sind mit
der Herausbildung eines weitgehend verselbständigten Finanzsystems Finanzkrisen
ausgelöst worden, deren Wucht und Reichweite mit
den traditionellen Akkumulationskrisen nicht vergleichbar sind.“ (Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen. 2005; Der große Krach: oder die Jahrhundertkrise von Wirtschaft und
Finanzen, von Politik und Natur, 2010).
Oder Peter Wahl, Mitgründer von attac-Deutschland und
im Vorstand von WEED: „Bei
allen sonstigen Unterschieden handelt es sich im Kern um eine Gegenreaktion auf
die Zusammenballung von Krisen und deren Effekte: der Krise neoliberaler
Globalisierung, der multiplen Krisen der EU und jeweils nationaler Probleme,
die ihrerseits alle miteinander wechselwirken. Die Politik scheint nicht in der
Lage, die Krisen in den Griff zu bekommen.“
Weil solche Zeugen meine Kritiker vermutlich kaum
beeindrucken, will ich mit eigenen Worten kurz erklären, was ich mit der
Kennzeichnung „Systemkrise“ meine – und was nicht. (Leider lässt sich eine
gewisse Theorielastigkeit dieses Einschubs nicht vermeiden. Wen das nicht interessiert,
kann den kursiv gesetzten Einschub überspringen.)
- - - - -
Unbestreitbar stecken
die „westlichen“ Gesellschaften und mit ihnen die ganze vom Westen reklamierte Zivilisation
in einer ihrer tiefsten Krisen. Sie kündigte sich seit den 70‘er Jahren des
vorigen Jahrhunderts an und spitzt sich seither immer weiter zu. Und zwar als
Strukturkrise in mehreren Dimensionen:
1.
Im Vordergrund
leiden die kapitalistischen Kernländer an einem chronischen Schrumpfen ihrer wirtschaftlichen
Wachstumsraten gegen null. Eine kapitalistische Wirtschaft ohne ein
Mengenwachstum mindestens in Höhe des Produktivitätsfortschritts läuft aber auf
längere Sicht aus dem Ruder: Sie erstickt am Widerspruch zwischen
Produktivitätszuwachs und „gesättigten Märkten“, produziert also immer mehr
Arbeitslosigkeit und Armut, bis zum Zerreißen des gesellschaftlichen
Zusammenhalts.
2.
Die Tendenz zur
Stagnation hat im wesentlichen zwei Ursachen: Zum einen schwächt die rasant
zunehmende Konzentration der Wirtschaft in globalen Riesenkonzernen die
Konkurrenz als Triebkraft des Produktivitätsfortschritts, welche die Wirtschaft
aus den Krisen zieht. Zum andern hat die Schere zwischen den enorm
anschwellenden Profiten der Oberklasse und den stagnierenden Masseneinkommen
riesige Kapitalmengen aufgehäuft, die in Ermangelung profitabler Produktionsmöglichkeiten
nur noch als Spekulationskapital auf den Finanzmärkten umher vagabundieren.
3.
Zum kritischen
Problem würde aber auch die Fortsetzung der Wachstumsdynamik, weil sie schon
lange und zunehmend auf Raubbau an den natürlichen Ressourcen basiert und
global unsere Lebensgrundlagen zerstört (Klima, Wasser, Boden…). Da dies
Problem mit marktwirtschaftlichen Methoden unlösbar ist, wird es schon in Kürze
weltweite Massenmigrationen auslösen.
4.
Seit den 70’er
Jahren und verstärkt nach 1989 haben bewaffnete Konflikte weltweit massiv
zugenommen. Eine wesentliche Ursache, auch für Bürgerkriege, Warlords und
Terrorarmeen, bildet die aggressive Konkurrenz der kapitalistischen Mächte um
Märkte und Einflusszonen. Die Folge sind weiterhin anschwellende
Flüchtlingsströme aus den zerstörten und verelendeten Weltregionen in die westlichen
Wohlstandsinseln, die sich zunehmend einigeln und ent-demokratisieren.
5.
Propagandistisch aufgeladen
wird die Krise noch durch politisch und medial geschürte Schreckensszenarien
einer angeblich drohenden demografischen Krise durch die „explosive Vermehrung
der Weltbevölkerung“ außerhalb des westlichen Kulturkreises. Was die Panikmache
verbirgt, ist die dramatisch wachsende, vom Kapitalismus verursachte Kluft
zwischen den reichen und armen Weltregionen. Diese wird allerdings noch weit
stärkeren Wanderungsdruck auf die reichen Staaten erzeugen, als wir uns heute
vorstellen können, und wird hier zu mehr und mehr gewaltsamer Abwehr führen
(sowohl als „Selbsthilfe besorgter Bürger“ als auch staatlich organisiert).
6.
Der einzige
Ausweg, auf dem die „Marktkräfte“ in der Vergangenheit Strukturkrisen
überwinden konnten, die Erzeugung neuer Märkte in großem Stil mithilfe
technischer Revolutionen (Dampfmaschine, Verbrennungsmotor, Computer), dieser
Ausweg steht kurz- und mittelfristig nicht in Aussicht. („Industrie 4.0“ zielt
ja mehr auf die Rationalisierung der Produktion und Dienstleistungen als auf
neue Massenmärkte.)
Aus der
Überlagerung und gegenseitigen Verstärkung dieser Krisenmomente folgt, dass der
übliche Verlauf der zyklischen Konjunkturkrisen, wie die kapitalistische
Wirtschaft sie seit 1825 alle paar Jahre durchgemacht hat, hier nicht mehr
gilt, sondern die gegenwärtige multiple Krise in einen lang anhaltenden,
labilen Dauerzustand übergeht, der das Wirtschafts-, Politik- und
Gesellschaftssystem bis auf den Grund zerrüttet und nicht absehbare Konflikte heraufführt.
Das meint der
Begriff „Systemkrise“. – Nicht gemeint ist, der Kapitalismus sei mit dieser
Krise definitiv an seinem Ende angekommen. Aus Krisen gibt es immer Auswege.
Und wenn seine Gegner ihn nicht überwinden, entstünde aus der Systemkrise eine
neue Variante dieses kapitalistischen Wirtschaftssystems. Das dann allerdings
noch brutaler, barbarischer und instabiler würde. Denn anders kann das Kapital
seine Krisen nicht überwinden, als es Marx und Engels schon 1848 beschrieben: „Wodurch
überwindet die Bourgeoisie die Krisen? Einerseits durch die erzwungene
Vernichtung einer Masse von Produktivkräften; anderseits durch die Eroberung
neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung der alten Märkte. Wodurch also?
Dadurch dass sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die
Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert.“ (Kommunistisches Manifest)
Dass der Kapitalismus aus der Krise jeweils
„gestärkt“ heraus käme, wie es seine Apologeten gern behaupten, trifft also nur
in einem sehr beschränkten Sinn zu.
Ganz
gewiss nicht meine ich, dass in dieser „Systemkrise“ oder durch sie der
Kapitalismus „von allein zusammenbricht“. Dazu bedarf es der
handlungswilligen und -fähigen gesellschaftlichen Gegenmacht der unteren
Klassen. Mit einer klaren Zielvorstellung der Alternative. Die aber ist heute allenfalls
in ersten Ansätzen erkennbar.
- - - - -
Aus der seit Jahren sich zuspitzenden Krise der EU und des Euro müsste
eigentlich der gesunde Menschenverstand schließen, dass es „so“ nicht weitergehen
kann. Und zwar selbst dann nicht, wenn es gelingen könnte, dies „so“ mit
einiger Reformkosmetik abzuschwächen, wie unsere LINKEN EU-Reformer es gern
hätten. Ein gesellschaftlicher
Systemwechsel ist eigentlich überfällig.
Frage also an meine Freund-innen in der LINKEN: Was wollt ihr? Das
Weiter-so mit ein bisschen Krisenkosmetik? Oder gar den reaktionären Ausweg der
herrschenden Klasse zu „mehr Europa“ (Augen zu und durch)? Oder doch lieber die
Systemalternative? Entscheidet euch.
Um einer Lösung näher zu kommen, bittet die „Antikapitalistische Linke“-Arbeitsgemeinschaft
in der LINKS-Partei zusammen mit dem „euroexit“-Komitee zu einer hochkarätigen Tagung:
Welche
Alternative zum Euro und zur neoliberalen EU brauchen wir?
28.01.2017, 11 - 20 Uhr
Bürgerhaus-Bilk, Bachstr. 145, 40217 Düsseldorf
28.01.2017, 11 - 20 Uhr
Bürgerhaus-Bilk, Bachstr. 145, 40217 Düsseldorf
mit
* Janine Wissler (stellv. Parteivorsitzende der LINKEN)
* Panagiotis Sotiris (Volkseinheit, Griechenland)
* Sergio Cesaratto (Prof. für Ökonomie an der Universität in Siena/Italien)
* Martin Höpner (Prof. für Politikwissenschaften am Max-Planck-Institut, Köln)
* Paul Steinhardt (Herausgeber von Makroskop.eu gemeinsam mit Heiner Flassbeck)
* Franziska Lindner (SDS)
* Frank Futselaar (Sozialistische Partei der Niederlande)
* Inge Höger (MdB DIE LINKE, Bundessprecher*innenrat der AKL)
* Thies Gleiss (Parteivorstand DIE LINKE, Bundessprecher*innenrat der AKL)
* Peter Wahl (weed u. attac)
* Christian Leye (Landessprecher DIE LINKE und einer der Spitzenkandidat*innen zur Landtagswahl)
* Panagiotis Sotiris (Volkseinheit, Griechenland)
* Sergio Cesaratto (Prof. für Ökonomie an der Universität in Siena/Italien)
* Martin Höpner (Prof. für Politikwissenschaften am Max-Planck-Institut, Köln)
* Paul Steinhardt (Herausgeber von Makroskop.eu gemeinsam mit Heiner Flassbeck)
* Franziska Lindner (SDS)
* Frank Futselaar (Sozialistische Partei der Niederlande)
* Inge Höger (MdB DIE LINKE, Bundessprecher*innenrat der AKL)
* Thies Gleiss (Parteivorstand DIE LINKE, Bundessprecher*innenrat der AKL)
* Peter Wahl (weed u. attac)
* Christian Leye (Landessprecher DIE LINKE und einer der Spitzenkandidat*innen zur Landtagswahl)
mehr Info: www.antikapitalistische-linke.de
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