Dienstag, 31. Januar 2017

Karl Marx behält recht: Kapitalvermehrung zerreißt die Gesellschaft

Sechs Thesen im Anschluss an eine Sendung von M.Greffrath im Deutschlandfunk, zusammengefasst für die Bezirksgruppe Dortmund-Hörde der LINKEN

Seit einiger Zeit empören sich nicht nur Linke, sondern auch sozial bewußte Bürgerliche über die obszön hohen Einkommen von Bänkern und Konzernbossen und die explosionsartige Reichtumsvermehrung an der Spitze der Gesellschaft. Besorgt fragte man sich jetzt sogar beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos, ob da nicht etwas aus dem Ruder läuft. Aber was und warum, und was dagegen zu tun sei, kann die bürgerliche Wissenschaft nicht erklären. „Theoretisch“ dürfte es eine so abgrundtiefe Ungleichheit der Einkommen und Vermögen gar nicht geben. Nach herrschender Lehre der „Marktwirtschaft“ sollten doch das wundersame Zusammenspiel der „Produktionsfaktoren“ Kapital, Boden und Arbeit und der harmonische Ausgleich von Angebot und Nachfrage für eine annähernd gerechte Verteilung der Einkommen sorgen. Und wenn da etwas aus dem Gleichgewicht kommt, kann das nur durch Störungen der Wirtschaft von außerhalb verursacht sein: Politiker, Gewerkschaften, Habgier, Bestechung usw. – aber niemals von den Marktmechanismen selbst. So die herrschende Lehre.

Wer den Skandal nicht schicksalhaft hinnehmen und hilflos (oder scheinheilig) bejammern, sondern beenden will, muss ihn verstehen. Wir können uns deshalb nicht mit so oberflächlichen Theorien abspeisen lassen. Vielleicht hilft uns der alte, amtlich totgesagte, wütend verschriene Karl Marx weiter, dem zerstörerischen Wirken des privaten Reichtums auf den Grund zu gehen.

In seiner Analyse des „Kapitals“ geht Marx zunächst auch von der Oberfläche der Erscheinungen aus: „Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ungeheure Warensammlung… Die Ware ist zunächst…ein Ding, das durch seine Eigenschaften menschliche Bedürfnisse irgendeiner Art befriedigt.“ [MEW 23 S.49]. Sie hat also für den Käufer einen bestimmten individuellen Gebrauchswert.

Wenn sie auf dem Markt gehandelt, d.h. gegen Geld oder andere Waren getauscht wird, muss sie aber auch einen Tauschwert haben. Und dieser muss für alle Waren, die man gegeneinander tauschen kann, gleich sein. Den jeweiligen Gebrauchswerten nach unterscheiden sich die Waren – ihrem Tauschwert nach sind sie gleich (gleichwertig = äquivalent).

Daraus ziehen wir eine erste Erkenntnis:
These (1) Wenn am Markt Verkäufer und Käufer gleiche Werte gegeneinander tauschen, besitzt jeder von beiden am Ende genau soviel Wert wie vorher, dadurch kann keiner von beiden reicher werden als der andere – Reichtum und Wirtschaftswachstum können also nicht am Markt entstehen, sondern müssen woanders entstehen.
Nun kommt es zwar vor, und durchaus nicht selten, dass nicht Äquivalente getauscht werden, sondern der eine Handelspartner den anderen übervorteilt (Prellerei, Betrug, Wucher, unfaire Handelsverträge, Spekulation usw.). Damit kann zwar der eine gewinnen, aber immer nur das was der andere verliert, im Durchschnitt bleibt der Warenhandel ein Null-Summen-Spiel, die Wirtschaft kann dadurch nicht wachsen.

Marx fragte sich nun: Wenn allen Waren die Eigenschaft gemeinsam ist, dass sie gleichen Tauschwert haben, was ist das Wesen dieses Tauschwerts?
Er stellte fest: „Sieht man nun vom Gebrauchswert der Warenkörper ab, so bleibt ihnen nur noch eine Eigenschaft, die von Arbeitsprodukten… Als Kristalle dieser ihnen gemeinschaftlichen gesellschaftlichen Substanz sind sie Werte – Warenwerte.“ [MEW 23 S.52]

Daraus ziehen wir eine zweite Erkenntnis:
These (2) Wert entsteht durch Arbeit, allgemein menschliche, lebendige  Durchschnittsarbeit, die einen Arbeitsgegenstand (Naturstoff, Rohmaterial, Vorprodukt) mithilfe von Arbeitsmitteln (Produktionsmitteln: Werkzeuge, Maschinen) zweckmäßig verändert.
Marx: "Eine Maschine, die nicht im Arbeitsprozess dient, ist nutzlos. Außerdem verfällt sie der zerstörenden Gewalt des natürlichen Stoffwechsels. Das Eisen verrostet, das Holz verfault, Garn, das nicht verwebt oder verstrickt wird, ist verdorbene Baumwolle. Die lebendige Arbeit muss diese Dinge ergreifen, sie von den Toten erwecken, sie aus nur möglichen in wirkliche und wirkende Gebrauchswerte verwandeln." [MEW 23 S.198]

Soweit waren schon vor Marx einige Ökonomen gekommen (Adam Smith, David Ricardo u.a). Sie hatten auch schon herausgefunden, dass der Wert der Arbeitsprodukte sich bemisst nach der jeweils zu ihrer Herstellung gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit.

Soweit, so gut. Aber damit ist immer noch nicht erklärt, wie es angeht, dass durch Anwendung produktiver Arbeit der Unternehmer reicher wird und der Arbeiter so arm bleibt wie vorher. Nach der Marktlogik des Äquivalententauschs müssten doch z.B. acht Stunden Arbeit genau soviel wert sein wie der von ihr in dieser Zeit geschaffene Warenwert – der müsste doch dann dem Arbeiter als Lohn für seine Arbeit ausbezahlt werden, und der Unternehmer hätte nichts gewonnen.

Marx sah also noch genauer hin und entdeckte:
These (3) Der Unternehmer kauft am Arbeitsmarkt nicht Arbeit und nicht Arbeitszeit, sondern was er dem Arbeiter abkauft, ist dessen Arbeitskraft. Die menschliche Arbeitskraft hat die Eigenschaft, dass sie (unter günstigen Bedingungen) mehr Werte produzieren kann, als zu ihrer Herstellung und Erhaltung notwendig sind. Das ist ihr spezifischer Gebrauchswert, und genau den hat der Unternehmer im Sinn, wenn er diese Ware Arbeitskraft kauft.
Es geht also alles ganz ehrlich und legal zu. Nach dem Marktgesetz, das besagt, dass auch die Ware Arbeitskraft, die der Unternehmer kauft, genau soviel wert ist, wie der Arbeiter zu ihrer Herstellung und Erhaltung braucht; der marktgerechte Lohn entspricht also genau den gewöhnlichen Lebenshaltungskosten des Arbeiters.
Als Käufer der Arbeitskraft wird der Unternehmer für die vereinbarte Zeit ihr rechtmäßiger Eigentümer, und als dieser gehört ihm der ganze Arbeitsertrag, der ganze in dieser Zeit geschaffene Wert, von dem er nur den vorher vereinbarten Arbeitslohn abziehen muss. So will es das bürgerliche Gesetzbuch.

Was nach Abzug des Arbeitslohns vom produzierten Wert übrig bleibt, nennt Marx den Mehrwert.

Das ist das ganze Geheimnis. Damit enthüllte Marx, wie die einen immer reicher werden, während die anderen immer nur höchstens soviel bekommen, wie sie brauchen, um am nächsten Tag wieder arbeiten zu können – und arbeiten müssen, um zu leben.

Um dies Geheimnis unkenntlich zu machen, nennt die bürgerliche Ideologie „Marktwirtschaft“, was eigentlich Mehrwertproduktion oder Kapitalverwertungswirtschaft heißen muss.

Daraus ergibt sich als weitere
These (4) Die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft ist, solange es sie gibt – also auch heute ! – in zwei Hauptklassen gespalten. Was sie voneinander grundlegend unterscheidet, sind die Eigentumsverhältnisse:
-       Die eine besitzt das Kapital, um Mehrwert produzieren zu lassen, nämlich die Produktionsmittel und das Geldkapital, um Arbeitskraft zu kaufen,
-       die andere besitzt nur Arbeitskraft, die sie infolgedessen ständig auf‘s neue an die Produktionsmittelbesitzer verkaufen muss. Weil es ohne die produktive, lebendige Arbeit auch keine Mehrwertproduktion geben kann, gibt es ohne Lohnarbeiter auch keine Kapitalisten. Das Gerede vom Verschwinden der Arbeiterklasse ist also dummes Zeug.

Käufer und Verkäufer von Arbeitskraft haben natürlich genau entgegengesetzte Interessen: Der Arbeiter will so wenig wie möglich von seiner Arbeitskraft verkaufen und dafür so viel wie möglich an Lohn erhalten. Der Kapitalist hingegen versucht mit allen Mitteln, die Löhne so niedrig wie möglich zu halten und die Arbeitsleistung über das notwendige Maß hinaus zu steigern, denn das ist ja die Quelle seines Reichtums.

So kämpfen beide zunächst als Individuen gegeneinander. Mit Aufkommen des Industriebetriebs ist der Unternehmer auf das Zusammenwirken vieler Arbeitskräfte angewiesen, und das merken natürlich auch die Arbeiter. Es bilden sich Koalitionen (Gewerkschaften, Unternehmerverbände, politische Parteien, sie nehmen Einfluss auf die Gesetzgebung usw.) Es kommt unvermeidlich zum Klassenkampf. Auch das hatte schon Adam Smith beobachtet.

Nun meinen nicht nur bürgerliche Gelehrte und der journalistische Mainstream, sondern die ganze sozialdemokratische Denke ist darauf gegründet und hat da immer noch die breite Masse der Arbeitenden hinter sich:
„Wenn unsere Gesellschaft nun mal so aufgebaut ist, dass wir nur arbeiten können, weil und damit unsere Arbeit die Kapitalisten immer reicher macht, dann sei’s drum, sollen sie doch an ihrem Reichtum ersticken – wenn sie uns nur das geben, was uns zusteht: Arbeit, Löhne, die zum Leben reichen, und Arbeitsbedingungen, die uns nicht vor der Zeit zu Invaliden machen. Dann müssten doch beide Seiten dasselbe Interesse haben, möglichst viele Arbeiter in Arbeit zu bringen, sprich: Vollbeschäftigung nützt doch beiden Seiten.“

Doch leider-leider sind es nicht „Managementfehler“ von „Nieten in Nadelstreifen“, die die ständigen Konflikte um die Arbeit verschulden, und es ist auch nicht „Profitgier“ oder sonst ein moralischer Defekt. Sondern:

Am Ende des Produktionsprozesses hat der Kapitalist den produzierten Wert erst einmal als Haufen von Waren auf Lager, die er am Markt verkaufen muss, um sie zu verwerten. Dort tritt er in Konkurrenz zu anderen Kapitalisten, die auch ihre Waren verkaufen wollen.

Daraus folgt eine fünfte Erkenntnis:
These (5) Die Konkurrenz zwingt die Kapitalisten, die Waren so preisgünstig wie möglich herzustellen, Produktionskosten zu senken, aus möglichst wenigen Arbeitern maximale Leistung herauszupressen, die lebendige Arbeit effektiver zu machen durch immer rationellere Technik usw. Aus diesem konkurrenzbedingten Zwang zu Innovation und Rationalisierung erklärt sich, dass die Anhäufung von immer mehr Reichtum zugleich immer mehr Arbeitslosigkeit erzeugt, wie wir sie heute in allen kapitalistischen Ländern vorfinden.
Marx fasste diesen Widerspruch als „absolutes, allgemeines Gesetz der kapitalistischen Akkumulation“ zusammen: „Je größer der gesellschaftliche Reichtum, das funktionierende Kapital, Umfang und Energie seines Wachstums, also auch die absolute Größe des Proletariats und die Produktivkraft seiner Arbeit, desto größer die industrielle Reservearmee… Die verhältnismäßige Größe der industriellen Reservearmee wächst also mit den Potenzen des Reichtums.“ [MEW 23 S.673].

Das eskaliert also immer mehr, je mehr Reichtum wir produzieren. Auch wenn dieser Prozess sich nur über lange Zeiträume und mit vielerlei Gegentendenzen durchsetzt.

Viele meinen nun, diesen Widerspruch, den der einzelne Kapitalist nicht lösen kann – und die Arbeiter auch nicht, solange sie nur darauf aus sind, ihre Arbeitskraft marktgerecht zu verkaufen – diesen Widerspruch zu lösen sei Sache des Staates. In bestimmter Weise trifft das auch zu. Tatsächlich erkennt auch die Kapitalistenklasse, dass ihre Konkurrenz die ganze Gesellschaft zu sprengen droht, wenn nicht bestimmte Höchstgrenzen der Ausbeutung der Arbeitskräfte gesetzt und eingehalten werden. Dies ist tatsächlich eine Aufgabe des bürgerlichen Staates (Arbeitszeitgesetze, Mindestlohn, Gesundheitsschutz usw.)
Aber innerhalb dieser Grenzen hat der bürgerliche Staat vor allem die Grundbedingung des Wirtschaftswachstums zu garantieren und zu schützen, das Recht des Kapitaleigentums auf seine Verwertung, also die Mehrwertproduktion, die alle Klassenwidersprüche immer wieder aufs neue erzeugt. Das heißt, die Wurzel des Übels, die Ursache des Skandals darf und kann der bürgerliche Staat nicht antasten.

Folglich taumelt die kapitalistische Wirtschaft von einer Krise in die nächste. Was wir heute überall beobachten, bestätigt praktisch, was Marx zu seiner Zeit nur theoretisch schließen konnte:
Je größer die auf den Märkten zirkulierende Kapitalmenge, umso explosiver wird der Gegensatz zwischen Reich und Arm, Oben und Unten, umso tiefer und heftiger werden die Krisen, und umso höher wird jedesmal der Preis ihrer Überwindung.

Damit bestätigt sich aber Marxens Schlussfolgerung aus dem ganzen Prozess:
These (6) „Die Mehrwertproduktion entwickelt den Reichtum der Gesellschaft nur, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter". Das muss über kurz oder lang an einen Punkt führen, an dem die Sache kippt. Wie in jeder früheren Epoche der Menschheitsentwicklung sind es auch in unserer die Produktivkräfte, die gegen die zu eng gewordenen Produktionsverhältnisse – das sind vor allem immer die Eigentumsverhältnisse – rebellieren, sie umstürzen und eine neue, gemeinschaftlichere  Produktionsweise erzwingen.
Dies wäre der „zivilisatorische Evolutionssprung“, den auch Mathias Greffrath am Schluss seines Vortrags im DLF für notwendig hält. Marx nennt es „Revolution“ (=Umwälzung).

Im „Zeitalter der Globalisierung“, das Greffrath am Schluss nur kurz streift, haben die Nationalstaaten immer weniger Einfluss auf die Bedingungen der Kapitalverwertung. Alle aus der Mehrwertproduktion entstehenden Probleme eskalieren weltweit und können nur noch weltweit gelöst werden.
Wobei wir über die Zukunft der Nationalstaaten heute nur sagen können: Sie ist endlich, wie alles auf dieser Welt. Sie werden nicht ewig fortbestehen. Aber welche Rolle sie in der weiteren Entwicklung noch spielen können, lässt sich nicht absehen. Eine Zeitlang bleiben sie noch als Kampfboden der Klassenkämpfe unverzichtbar. (Übrigens auch in Europa, liebe Linkspartei-Häuptlinge !)

Was auch noch offen bleibt, ist die Frage nach dem Subjekt des evolutionären oder/und revolutionären Umbruchs, denn der geschieht nicht automatisch und blindlings, sondern Geschichte wird immer von Menschen gemacht. Wer wird die neuen Verhältnisse erkämpfen?

Welche Gesellschaftsklasse das nur sein kann, liegt klar auf der Hand: Die Klasse, in der die ganze Produktivkraft der Gesellschaft, des zukünftigen Reichtums verkörpert ist und bleibt – die vielgeschmähte, von vielen leichtfertig für tot erklärte Arbeiterklasse. Aber wie sie sich dazu neu aufstellen wird, ihr Bewusstsein und Wissen um diese Aufgabe zurück gewinnt, neue politische Kräfte sammeln kann usw. – ist noch kaum zu ahnen.

Eins aber lässt sich schon sagen: Sie wird gut daran tun, wieder Karl Marx für sich zu entdecken.

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