Donnerstag, 23. März 2017

Notizen aus der Provinzhauptstadt: „Festivalisierung“ der Stadt – Politik im Erlebnisrausch

Ist es wirklich schon Ewigkeiten her, dass leitende Kommunalbeamte respekt- und vertrauensvoll „Stadtväter“ genannt wurden? Heute fühlen sie sich lieber als Manager eines „Konzerns Stadt Dortmund“ (zum Beispiel). Um ihr Unternehmen zu vermarkten, müssen sie die Stadt, unser Stückchen Heimat zu einer „Marke“ hochstilisieren. Die Dortmunder Stadtspitze ist da wirklich Spitze. Ihr neuester Marketing-Gag: Ein „Masterplan Erlebnis.Dortmund“ soll unser Alltagsmilieu zum Dauer-Event aufmotzen. Wäre es nicht so peinlich, könnte man drüber lachen, wie sie mit heraushängender Zunge einer blindwütigen Marktideologie hinterher stürzen. Dabei planen die Masters an den Tatsachen vorbei ins Blaue.

Tatsachen? – Nur passende!

Der Umbau der alten Kohle-Stahl-Bier-Stadt zum Dienstleistungszentrum hat beachtliche Ströme von Geschäftsreisenden, Messe- und Kongressbesuchern in die Stadt gebracht. In den letzten acht Jahren stieg die Zahl der Übernachtungen von 749.300 (2009) um 465.200 auf 1.214.500 (2016), um durchschnittlich 58.000 pro Jahr. Der Masterplan will diesen Trend nicht nur um weitere acht Jahre verlängern, sondern jedes Jahr um 100.000 steigern, also fast verdoppeln.
-       Aber Tatsache ist auch: Der Umbau der Wirtschaftsbasis ist im wesentlichen abgeschlossen. Viel mehr als die heute erreichten 85 % Dienstleistungsjobs gibt der Arbeitsmarkt der Stadt nicht her, ohne die verbliebene industrielle Basis weiter zu zerstören. Der Ausbau der Hochtechnologien stößt an die Grenze des Fachkräftemangels. Die Geschäftsbesucherzahl wird sich nicht mehr verdoppeln lassen, schon gar nicht binnen acht Jahren.
Dortmund ist nach dem Abgang der Montanindustrien grüner geworden, sauberer, ansehnlicher. Seine Sehenswürdigkeiten locken 34,5 Millionen Tagesgäste an (2015). Diesen Trend will der Masterplan ebenfalls noch steigern.
-       Aber: Stillschweigend unterstellt werden dafür weiter steigende Masseneinkommen nicht nur in Deutschland, sondern auch bei unseren Nachbarn. Das kann nicht funktionieren. Bei uns basierten Einkommenszuwächse der letzten Jahre auf der deutschen Sonderkonjunktur der Exportüberschüsse – aber diese gingen zu Lasten ihrer Handelspartner, erhöhten dort die Arbeitslosigkeit und senkten die Einkommen. Die EU-Krise, der Brexit, der neue USA-Protektionismus werden Deutschland in den nächsten Jahren zwingen, die Ungleichgewichte abzubauen und mit den Überschüssen der Exportwirtschaft die Einkommenszuwächse auf europäisches Mittelmaß zu senken.
Unterstellt wird weiter anhaltende, von Terrorismus, internationalen Spannungen und sozialen Abstiegsängsten durch „Industrie 4.0“ unbeeindruckte Reiselust einer sorgenfreien Mittelschicht.
-       Alles höchst unwahrscheinliche Annahmen, wie die rückläufigen Passagierzahlen des Flughafens inzwischen schwarz auf weiß bestätigen.

Was nicht passt, wird passend gerechnet

Der Beitrag des Tourismus zur Dortmunder Wirtschaftsleistung wird im Masterplan nicht nur übertrieben, sondern seine Berechnung ist grob fehlerhaft und daher falsch.
Nach den -ungeprüften- Angaben einer privaten Beraterfirma geben die Besucher in Dortmund jährlich ca. 1,3 Milliarden € aus, entsprechend 6,4 % der gesamten Wirtschaftsleistung der Stadt. Davon angeblich 690 Millionen € für Einkäufe. Das wären unglaubwürdig hohe 18,2 % am Gesamtumsatz des Dortmunder Einzelhandels!
Die 1,3 Mrd.€ Umsatz tragen angeblich 600 Millionen € zu den Primäreinkommen der Erwerbstätigen in Handel, Verkehr und Gastgewerbe bei. Fälschlich wurden darin die Vorleistungen doppelt eingerechnet, um diesen Fehler korrigiert bleiben knappe 345 Millionen € für Erwerbseinkommen übrig. Das sind gerade mal 3 % aller Dortmunder Primäreinkommen, die sich aber auf 30 % aller Erwerbtätigen verteilen. Womit bewiesen ist, dass der Tourismus nur weniger als 1 %, also verschwindend wenig zur Lebenshaltung der Dortmunder Erwerbsbevölkerung beiträgt, und dass obendrein der Masterplan wieder einmal Branchen mit besonders niedrigen Arbeitsentgelten (und den miesesten Arbeitsbedingungen) besonders fördert.

Die Stadt als Kulisse der Event-Industrie

Die Stadt ist alltäglicher Lebensort mit all ihren schönen und Schattenseiten, Gemeinwesen und Heimat ihrer Bewohner. Doch dieser Masterplan und seine Macher haben ein ganz anderes Bild vor Augen, sie begreifen das Stadtleben als pausenlose Abfolge von „Erlebnissen“, möglichst einzigartigen „Events“. Die bekannten Sozialwissenschaftler H.Häußermann und W.Siebel prägten dafür den Ausdruck „Festivalisierung der Städte“ und ordneten diese Art Stadtentwicklungspolitik der neoliberalen Ideologie des totalen Wettbewerbs zu. Und sie fragten (schon zwanzig Jahre vor der heutigen Politikverdrossenheit): „Könnte es vielleicht sein, dass eine Politik, die ihr eigenes Überflüssigwerden in den Augen der wahlentscheidenden Mehrheit ahnt, Projekte gleichsam als Selbstrechtfertigung erfindet? Festivalisierung der Politik als Inszenierung der eigenen Daseinsberechtigung?“ (in: Werk, Bauen+Wohnen Heft 6/1998 S.29)

Cui bono – wem zum Vorteil?

Wie oben nachgewiesen, ist der Beitrag des Tourismus zur Dortmunder Wirtschaft mit etwas über  6 % eher gering. Wenn alle Hotels, Gaststätten, Discos und Boutiquen zusammen gerade mal ein Sechzehntel des BIP von den Besuchern abschöpfen, muss hinter diesem Masterplan noch ein anderes Kalkül stecken als die gewöhnliche Kumpanei neoliberal geprägter Wirtschaftsförderung mit einflussreichen Unternehmerverbänden.

Schon der römische Kaiser Trajan (98 bis 117 n.u.Z.) wusste, wie Politik die Volksmassen unmündig im Bann halten kann: „Panem et circenses“ – Brot und Spiele müsse die Herrschaft dem Volk bieten, damit es gar nicht erst auf unnütze Gedanken kommt. Und wenn heute das „Brot“, ein auskömmliches Leben nicht mehr für Alle vorgesehen ist, weil die Superreichen zu wenig fürs Volk übrig lassen, dann müssen umso mehr „Spiele“ – auf neudeutsch „Events“ inszeniert werden. Das ist der tiefere Hintersinn solcher Politik. Noch einmal Häußermann/Siebel: „Festivalisierung ist auch das organisierte Wegsehen von sozialen, schwer lösbaren und wenig spektakuläre Erfolge versprechenden Problemen… Dafür eignen sich am besten die allgemeinsten Themen, die allen gute Gefühle verschaffen – besonders der Sport.“ (aaO)

Tatsächlich: Fußball, Bier und „urbane Subkultur“ heißen die drei Anrufungen, mit denen „Feierkultur, Geselligkeit, Spaß“ zum „Erlebnis.Dortmund“ überhöht werden sollen. Sie reduzieren den ganzen Masterplan auf ein lächerlich unangemessenes Rummelniveau. – Wohlgemerkt, alles liebenswerte Züge eines lebenswerten Ortes, die aber können Bochum, Köln, Aachen, Lüttich, Amsterdam, Manchester und Dutzende andere europäische Städte auch für sich geltend machen, und darüber hinaus einiges mehr. Warum also soll Dortmund so armselig für sich werben?


Wer von uns, wieviele und welche Teile unserer Stadtgesellschaft können und wollen sich so ein Leben im Erlebnisrausch leisten? An den Bedürfnissen der Bevölkerungsmehrheit geht diese elitäre Politik meilenweit vorbei. Cui bono? Fast ausschließlich der Oberschicht und ihrem genusssüchtigen Nachwuchs.

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