Samstag, 18. März 2017

Privat vor Staat: Kernhaushalt – Eigenbetriebe – Sondervermögen – Beteiligungsunternehmen

Seminar der Ratsfraktion DieLINKE&Piraten Dortmund zur Einführung ins kommunale Haushaltsrecht (NKF), Teil 4

Im 1. Block des Seminars sahen wir, wie die nach dem Untergang des „Realsozialismus“ gewachsene Kapitalmacht die Kommunalfinanzen stärker für die „Marktkräfte“ aufschließt:
- durch Umverteilung des Sozialprodukts von den öffentlichen Haushalten auf private Konten,
- durch Privatisierung öffentlicher Aufgaben und der dafür erforderlichen Einrichtungen und Anlagen.
Jetzt wollen wir untersuchen, mit welchen Methoden und Instrumenten das neue Haushaltsrecht die Vermarktung öffentlicher Ressourcen vorantreibt. Der folgende Block steht deshalb unter dem Thema „Privat vor Staat“ und behandelt die Betätigung der Kommune in unterschiedlichen Formen öffentlicher und privater Unternehmungen.

Dafür stützen wir uns vor allem auf zwei öffentlich zugängliche Quellen, die beide zum Anhang des städtischen Haushaltsplans gehören:
- die Bilanz,
- den Beteiligungsbericht.

An der Bilanz interessiert uns in diesem Zusammenhang das auf der Aktivseite aufgelistete Anlagevermögen der Stadt.

Wir stellen fest: Dortmunds Anlagevermögen hat in den zehn Jahren seit Einführung des NKF um -90 Mio € (-1,5 %) abgenommen.

Das allein wäre kaum der Rede wert. Aber innerhalb des Anlagevermögens gab es eine erhebliche Verschiebung, erkennbar zunächst am Schrumpfen der Sachanlagen um  -1,2 Mrd € (-29 %). Sie hat zwei Ursachen:

-       Zum einen zeigt die Auflistung der Sachanlagen in der Bilanz, dass fast alle stadteigenen Infrastrukturen seit 2006 mehr oder weniger stark an Wert verloren, teilweise infolge Entwertung durch unterlassene Instandhaltung, teilweise wohl auch durch Stilllegung, Auslagerung, Abbau oder Veräußerung (das ist in der Bilanz nicht zu erkennen), jedenfalls ein starker Wertverlust.

-       Zum anderen sehen wir eine gegenläufige Verschiebung von den Sachanlagen zu den Finanzanlagen (+1,1 Mrd €).

Hier kommen wir erstmals der systematischen Privatisierung städtischen Vermögens auf die Spur. Weiter aufgegliedert, bestehen die Finanzanlagen aus Sondervermögen, Anteilen an verbundenen Unternehmen, Beteiligungen und sonstigen Finanzanlagen (vor allem Ausleihungen an Sondervermögen und verbundene Unternehmen). 

Sondervermögen sind Vermögensteile im Eigentum der Kommune, rechtlich unselbständig, agieren aber organisatorisch und finanziell wesentlich selbstständiger als die Abteilungen der Kernverwaltung (Dezernate, Stadtämter). Als Sondervermögen geführt werden u.a. Eigenbetriebe (kommunale Unternehmen ohne eigene Rechtspersönlichkeit), nicht rechtsfähige Stiftungen und öffentliche Einrichtungen, für die aufgrund gesetzlicher Vorschriften Sonderrechnungen geführt werden müssen. Sondervermögen sind aus dem kommunalen Haushalt ausgegliedert, im Haushaltsplan und Jahresabschluss der Trägerkommune werden sie nur mit ihrem Jahresergebnis ausgewiesen. Sie haben i.d.R. eigene Geschäftsführungen und werden von gesonderten Betriebsausschüssen des Stadtrats kontrolliert.

Sondervermögen bilden also infolge der Ausgliederung aus dem Kernhaushalt eine Art „Schattenhaushalt“, sozusagen die Vorstufe zur Privatisierung.

Gemäß Bilanz hat sich seit Einführung des NKF der Umfang der 10 städtischen Sondervermögen mehr als vervierfacht (+655 Mio €), während die Sachanlagen im Kernhaushalt entsprechend schrumpften. Daraus müssen wir schließen, dass die Verwaltung das Ziel verfolgt (oder zumindest in Kauf nimmt), immer mehr öffentliche Aufgaben der direkten Kontrolle des demokratisch gewählten Rates und der Öffentlichkeit zu entziehen und im Schatten halb-öffentlicher Betriebsausschüsse zu verstecken.

Auf die eigentliche Privatisierung städtischen Eigentums aber stoßen wir unter der Bilanzposition „Anteile an verbundenen Unternehmen“. So bezeichnet das Handelsgesetzbuch (HGB) Unternehmen ein und desselben Konzerns (bestehend aus einem Mutterunternehmen und Töchtern), wenn die Konzernmutter auf das Tochterunternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Sie sind zwar juristisch selbständig, jedoch wirtschaftlich durch Kapitalbeteiligung und/oder Vertrag miteinander verbunden. Forderungen und Verbindlichkeiten der Konzerngesellschaften gegeneinander werden im Konzernabschluss verrechnet („Konsolidierung“).

Hier geht nun die Vermischung von Privat und Öffentlich untrennbar durcheinander. In allen Fällen – mit einer einzigen Ausnahme: der Sparkasse als AöR – sind es Unternehmen in privater Rechtsform, die zum „Konzern Stadt Dortmund“ gehören: AG, GmbH, GbR. Über sie hat die gewählte Volksvertretung überhaupt keine Machtbefugnisse mehr. Sondern nach Aktiengesetz bzw. GmbH-Gesetz bilden sie ihre eigenen, von der Politik unabhängigen Führungsorgane. In sie werden nur einzelne handverlesene Vertreter der Stadt entsandt und sind durch das Gesetz verpflichtet, das „Wohl des Unternehmens“ über das Wohl der Kommune zu stellen.

Einige dieser Unternehmen hat die Stadt durch Ausgliederung - „Outsourcing“ - früherer Stadtämter selbst gegründet. Einige hält sie auch noch vollständig im städtischen Eigentum. Doch an den allermeisten sind andere Institutionen und/oder private Anleger beteiligt (z.B. sind 39 % der DEW21 im Eigentum des RWE-Konzerns).

Zwar blieb in der städtischen Bilanz die entsprechende Vermögensposition nahezu konstant, aber wie der Beteiligungsbericht ausweist, verbirgt sich dahinter ein krebsartig wucherndes Wachstum der Tochter- und Enkelunternehmen. Außer den „verbundenen Unternehmen“ hält die Stadt weitere Minderheitsbeteiligungen an Unternehmen der Privatwirtschaft.

Dem Bericht zufolge schnellte die Gesamtzahl der Unternehmen, an denen die Stadt Dortmund direkt oder über ihre Töchter indirekt beteiligt ist, von 86 (2006) auf 120 (2016) hoch und die Summe des städtischen Kapitals in ihnen von 1,56 Mrd € auf über 2 Mrd €. Das entspricht mehr als zwei Dritteln des eigenen städtischen Sachanlagevermögens, die dem öffentlich-rechtlichen Bereich entzogen und in privatrechtliche Unternehmungen verschoben wurden. Während die stadteigenen Sachanlagen schrumpfen, schießen diese Finanzanlagen geradezu in die Höhe.

Ausgegliedert und zum Teil privatisiert wurden u.a. z.B. DSW21, EDG, der Flughafen, das Klinikum, Seniorenheime, Kindertagesstätten, Bäder, Sportanlagen, Freizeitstätten, Spielplätze.
Die Ausgliederungen haben für den Kernhaushalt folgende Einspareffekte:

-       Die Personalkosten der Kernverwaltung reduzieren sich a) über Personalabbau und b) über Lohndumping durch Wechsel aus dem TVÖD in niedrigere Tarife,
-       Investitionen und Abschreibungen können aus dem Kernhaushalt in selbständig wirtschaftende Betriebe ausgelagert werden,
-       An vielen der städtischen Tochter- und Enkelbetriebe sind private Investoren beteiligt.

-       Folglich konnten im Kernhaushalt auch die Investitionskredite zurückgefahren werden. Dieser angebliche Schuldenabbau, den der Kämmerer als Heldentat feiert, war in Wirklichkeit eine Schuldenverlagerung in Sonderrechnungen.

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