Die
Ziele des „Masterplans Digitales Dortmund“ deutet die Stadtspitze nur
verschwommen an:
„Bündelung der regionalen Potenziale
im Bereich „Industrie 4.0“ sowie die Unterstützung der Wirtschaft bei den erforderlichen
Anpassungsprozessen ist für die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaftsregion Dortmund
unverzichtbar… Im Zentrum stehen dabei die Lebensqualität der Bevölkerung durch
optimale Dienstleistungs-, Mitwirkungs- und Infrastrukturangebote, die Schonung
von Ressourcen, der Mehrwert von Innovationen und ein wirtschaftsfreundliches Umfeld;
der „Kunde“ wird künftig mehr im Mittelpunkt stehen… Die Digitalisierung von Infrastrukturen,
Organisationen und Lebenswelten (z.B. im Bildungs- oder Gesundheits- und
Sozialwesen) ist daher eine zentrale strategische Aufgabe der Stadt. Die
Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) sind zum Nervensystem der
„smarten” Stadt geworden“.
Wie
die „Digitale Revolution“ sich aber konkret auf die Klassenverhältnisse und auf
die Lage der Stadtbevölkerung auswirken kann, wird nicht einmal angedeutet.
Der
Gebrauchswert der Digitaltechnik besteht wie in den Teilen 2 und 3 beschrieben darin,
dass sie die Herstellung und Verteilung von Waren mit geringsten Mengen Energie
und Material enorm beschleunigt, ohne dass zusätzliche Arbeit anfällt. Das
führt zu sinkenden Kosten von Produkten, Maschinen, Bauten, Dienstleistungen
usw. – somit aber auch zu sinkenden Reproduktionskosten der Arbeitskraft und
diesen folgend zu allgemein sinkendem Lohnniveau. Dass entsprechend rückläufige
Kaufkraft und Nachfrage durch erweiterte Produktion für neue Märkte
ausgeglichen werden kann, wird wohl stillschweigend unterstellt, würde aber eine
noch aggressivere Exportoffensive der Dortmunder und deutschen Wirtschaft
erfordern, was im aktuellen globalen Kontext eher unwahrscheinlich sein dürfte.
Wenn
die Arbeit, etwas zu produzieren abnimmt, wird dem Produkt weniger neuer Wert
zugesetzt. Mit dem Warenwert sinkt aber der Profit auf das eingesetzte Kapital.
Und selbst wenn es gelingen würde, den Verlust an Arbeitsvolumen durch
Ausweitung der Produktion auszugleichen und so die gesamte Wertsumme stabil zu
halten, bliebe die Gesamtsumme des Profits auch konstant, steht dann aber einem
um die Rationalisierungsinvestitionen vermehrten Anlagenkapital gegenüber. Das
Ergebnis wäre beschleunigter Fall der Profitrate, sowohl im einzelnen
Unternehmen als auch in der Gesamtwirtschaft. Für das Problem der fallenden
Profitraten bietet also technische Rationalisierung allein keine Lösung.
Die
Antwort kapitalistischer Unternehmer darauf ist
- erstens: große
Monopole zu bilden, mit denen sie Marktpreise weit über den Produktionskosten
stabilisieren können.
Zuerst
mit besonderem Druck in den Branchen, die unmittelbar von der technischen
Entwertung ihrer Produkte am meisten betroffen sind: In der IT-Wirtschaft
selbst entstanden Monopole einer Größenordnung, die vor diesem technologischen Sprung
noch nicht vorstellbar war. In nur drei Jahrzehnten wuchsen die Börsenwerte von
Microsoft, Apple, Google, Samsung, Amazon, Facebook um Dimensionen, die niemand
mehr voraus schätzen kann. Die großen deutschen und europäischen
Technologiekonzerne wie Siemens, Bosch, SAP u.a. bemühen sich mit Hochdruck,
den Anschluss nicht zu verlieren. Dies ist vor allem das Ziel des deutschen Regierungsprogramms
„Industrie 4.0“.
An
der ganzen Digitalisierung mindestens ebenso wichtig wie die Verbilligung der
Waren ist für die Großkonzerne die vollständige Unterordnung der kompletten
Lieferketten einschließlich des gesamten wirtschaftlichen Mittelbaus. Anders
gesagt, beschleunigt die digitale Revolution die Umwandlung der
„Marktwirtschaft“ in eine Monopolherrschaft.
Die
Dortmunder Masterplaner muss das einigermaßen beunruhigen. So wenig die Ware
Information als solche kostet, erfordert doch die komplette Umrüstung der
Betriebe auf automatische Produktion und internetbasierte Kommunikation
zunächst einen enormen Investitions- und Organisationsaufwand. Aus diesem Grund
stehen viele mittelständische Unternehmer dem Projekt „Industrie 4.0“ noch
skeptisch abwartend gegenüber. Sie können und wollen diesen Sprung nicht wagen.
– Was übrigens nicht nur mit ihrer Kreditfähigkeit, sondern auch mit
Traditionen, Unternehmenskulturen, ungeklärten Nachfolgefragen usw. zusammen
hängt.
Die
Dortmunder Wirtschaft ist heute, nach dem Niedergang der einst prägenden
Großindustrien, weit überwiegend mittelständisch strukturiert. Daher muss es ein
Hauptziel der städtischen Wirtschaftsförderer sein, die lokale
Unternehmerschaft für das Wagnis zu motivieren und zu mobilisieren, um im „Standortwettbewerb“
nicht zurück zu bleiben. Dennoch werden alle Bemühungen nichts daran ändern,
dass auch in dieser technologischen Revolution, wie in jeder vor ihr, die
Großen, Starken gewinnen und viele kleine und mittlere Unternehmen ruiniert auf
der Strecke bleiben. Auch in Dortmund.
- Zweitens: Dass
Industrie 4.0 die Probleme am Arbeitsmarkt verschärft, berührt die Dortmunder
Stadtspitze wenig:
„Zudem nehmen die Anforderungen an die Qualifikationen von Mitarbeitern
erheblich zu. Hierdurch wird die angespannte Situation am Arbeitsmarkt
zusätzlich verschärft, die bereits heute in der Produktionswirtschaft durch
einen Fachkräftemangel geprägt ist.“
Was
es bedeutet, wenn flächendeckend menschliche Arbeitskraft durch automatische
Prozesse ersetzt wird, erwähnen unsere „Masterplaner“ mit keinem Wort. Auf gesamtwirtschaftlicher
Ebene liegen allerdings Expertisen vor, die gravierende Arbeitsplatzverluste
ankündigen. Während eine Berechnung für die ING-DIBA Direktbank (Brzeski/Burk 2015, im
Anschluss an die akribische Studie der US-Autoren Frey und Osborne vom MIT
2013) in Deutschland bis zu 59 % (!) aller heutigen
Arbeitsplätze als rationalisierungsgefährdet ansieht (18 Millionen!), rechnen andere Quellen „nur“ mit 5 bis 9 Millionen bedrohten Stellen.
Selbst wenn man wie das wirtschaftsnahe Institut RWI oder die Porsche-eigene
Unternehmensberatung MHP gegenrechnet, dass der digitale Umbau mehrere
Millionen Jobs für Informatiker und Automatisierungstechniker neu zu schaffen
verspricht, verliert nach eher vorsichtigen Schätzungen jeder zehnte der heute
noch Beschäftigten in den nächsten 10 bis 20 Jahren die Arbeit. Und zwar über
alle Wirtschaftszweige hinweg, besonders auch bei unternehmensnahen
Dienstleistungen.
Auf Dortmund herunter gebrochen bedeutet das die
Verdoppelung der jetzigen Arbeitslosigkeit und die entsprechende Zunahme der
Bedarfsgemeinschaften in der Grundsicherung. Ob und wie die sozialen Sicherungssysteme
das verkraften, ist eine Frage, die neoliberale Wirtschaftsförderer nicht
einmal stellen, geschweige denn beantworten.
- Einig sind die meisten Experten darin, dass der Digitalisierung so gut wie
sämtliche gering qualifizierten Tätigkeiten zum Opfer fallen werden, denn
gerade sie lassen sich am einfachsten automatisch erledigen.
In Dortmund betrifft das ca. 30.000 noch vorhandene
Helferstellen und Einfacharbeitsplätze. Infolge dessen wird sich das aktuell
dringendste Problem des Dortmunder Arbeitsmarktes, die Langzeitarbeitslosigkeit
der Gering-Qualifizierten, dramatisch weiter verschärfen.
Wie sich die neue Technik auf die mittlere
Qualifikationsebene auswirkt, beurteilen die Experten gegensätzlich. Einige
versprechen ein flächendeckendes „Upgrading“ (Aufwertung) einfacher Arbeiten.
Andere sehen das, je nachdem wie „intelligent“ (selbständig ohne menschliche
Eingriffe) die Automatik funktionieren wird, eher skeptisch.
- Drittens: Informationstechnologie
untergräbt alle noch bestehenden Arbeitszeitgrenzen und Verhältnisse zwischen
Arbeitszeit und Lohn. Die Deregulierung der Arbeitseinkommen und
Arbeitsbedingungen wird sich dramatisch beschleunigen.
Weltumspannende
Produktions- und Kommunikationsnetze sprengen die Grenzen von Tag und Nacht,
sie lösen das, was wir noch mit dem Normalarbeitsverhältnis verbinden, die
geregelte Trennung zwischen Arbeit und Freizeit, vollends auf und machen den
Menschen, soweit seine Arbeitskraft im „Mensch-Maschine-System“ noch Platz
findet, zu jeder Tages- und Nachtzeit verfügbar. Die Computer-Netzwerke müssen
weder essen noch sich erholen, und wenn eine Störung eintritt, muss der
Techniker oder Programmierer auf Abruf bereit stehen, um sie zu beheben.
Jederzeitige
Erreichbarkeit ist das Schicksal auch der Millionen „Cloud-worker“, die schon
jetzt als selbständige „Ich-AG“-Freelancer weltweit im Internet nach kleinen
und kleinsten Teilaufträgen von Großunternehmen fischen, die sie nach Termin
rund um die Uhr beliefern müssen und sich dabei preislich gegenseitig
unterbieten, der deutsche Programmierer gegen den amerikanischen, japanischen,
indischen oder koreanischen. Dies ist genau der maßgeschneiderte
Kontraktarbeiter, den die großen Monopole sich für die digitale Zukunft der
Menschheit vorstellen.
Schon
in den letzten Jahrzehnten hat die Wirtschaftsentwicklung auch zu
arbeitsintensiven Dienstleistungssektoren geführt, in denen Menschen zu
Mindestlöhnen oder noch darunter arbeiten, das Prekariat der Lieferdienste, Pizza-Ausfahrer,
Pflegehelferinnen, Aushilfen in Handel und Gastronomie usw. – Hinzu kommen
künftig ungezählte gut qualifizierte IT-Spezialisten, die als Dienstleister von
der Hand in den Mund leben, eine weltumspannende scheinselbständige Tagelöhnerschicht,
nicht sozialversichert und ohne gesetzlichen Schutz dem Preisdumping der
mächtigen Auftraggeber ausgeliefert. Es lässt sich nicht leugnen, was Paul
Mason, englischer Wirtschaftsjournalist und Berater des Labour-Vorsitzenden
Jeremy Corbyn, vor kurzem im Deutschlandfunk feststellte:
„Mit dieser
superausgebeuteten neuen Dienstbotenklasse, mit Schwarzarbeitern, Migranten und
Arbeitslosen, wächst eine superarme, politisch ohnmächtige Arbeiterschicht.“
Die
Dortmunder Industrie-4.0-Fans schweigen sich darüber aus. Ob und wieweit solche
Horrorszenarien Wirklichkeit werden, diktiert uns aber kein Naturgesetz. Es
hängt vom Kampf der Klassen ab. Welche Triebkräfte da entscheiden, soll der
letzte Teil dieser Reihe zeigen.