Donnerstag, 13. April 2017

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Eine überfällige Kritik des „Masterplans Digitales Dortmund“ 2.Teil

Zutreffend an der Assoziation des Masterplans mit dem Codewort „Industrie 4.0“ ist, dass die Vernetzung industrieller Prozesse über das Internet einen neuen technologischen Schub auslösen kann, eine enorme Weiterentwicklung der Produktivkräfte der kapitalistischen Wirtschaft. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie erklärt dazu auf seiner website:
„Wenn Bauteile eigenständig mit der Produktionsanlage kommunizieren und bei Bedarf selbst eine Reparatur veranlassen oder Material nachbestellen, wenn Menschen, Maschinen und industrielle Prozesse sich intelligent vernetzen, dann sprechen wir von Industrie 4.0. Nach Dampfmaschine, Fließband und Computer stehen wir nun mit „intelligenten Fabriken“ vor der vierten industriellen Revolution.“

In der Industrie 4.0 verzahnt sich die Produktion mit neuester Informations- und Kommunikationstechnik. Damit soll es möglich werden, Einzelstücke nach individuellen Kundenwünschen in höchster Qualität zum Preis von Massenware herzustellen. Im Kern geht es darum, die Produktion von Gütern und Dienstleistungen mit dem Internet zu verbinden, und zwar in einem Netzwerk, das es Maschinen erlaubt, am Produkt angebrachte Produktionsanweisungen auszulesen und selbständig durchzuführen, ohne menschlichen Eingriff miteinander zu kommunizieren, also in einem „Internet der Dinge“. Technische Bausteine hierfür sind „intelligente“ (? – das meint in bestimmten Grenzen lernfähige) „cyber-physische Systeme“ wie z.B. Bearbeitungszentren, Roboter, Logistiksysteme usw. Industrie 4.0 erfasst den Produktzyklus über dessen ganze Lebensdauer, von der Entwicklung über die Fertigung, Nutzung und Wartung bis zum Recycling.

Noch einmal die Bundesregierung: „In der Fabrik der Industrie 4.0 koordinieren intelligente Maschinen selbstständig Fertigungsprozesse; Service-Roboter unterstützen Menschen in der Montage bei schweren Arbeiten, fahrerlose Transportfahrzeuge kümmern sich eigenständig um Logistik und Materialfluss.
Vernetzung findet aber nicht nur innerhalb von „intelligenten Fabriken" statt, sondern über Unternehmens- und Branchengrenzen hinweg – zwischen verschiedenen Akteuren der Wirtschaft: Vom mittelständischen Logistikunternehmen über spezialisierte technische Dienstleister bis zu kreativen Start-ups.“ (http://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Dossier/industrie-40.html, abgerufen am 10.04.2017)

Um die Tragweite und die sozialen Folgen dieses technologischen Schubs für unser künftiges Leben abschätzen zu können, müssen wir uns zunächst klar machen, warum, mit welchem Ziel und in welchen Grenzen kapitalistische Unternehmer technische Innovationen für die Industrieproduktion nutzen. Es ist ja für sie nicht selbstverständlich, jede sinnvolle Erfindung aufzugreifen und zu verwerten. Ihre Konkurrenz am Markt zwingt sie, preisgünstigere und/oder bessere Produkte herzustellen. So mahnte Kanzlerin Merkel vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos: „Wir müssen die Verschmelzung der Welt des Internets mit der Welt der industriellen Produktion schnell bewältigen, weil uns sonst diejenigen, die im digitalen Bereich führend sind, die industrielle Produktion wegnehmen werden.“

Da jedoch technische Neuerungen in den Unternehmen regelmäßig den Einsatz zusätzlichen Kapitals erfordern, sind Kapitalisten dazu nur bereit, soweit sich das für sie „rechnet“, das heißt: wenn der erwartete Zusatznutzen die Kapitalkosten übersteigt. Ihre Technikbegeisterung wird also von ihrer Marktposition, den Investitionsstrategien ihrer Konkurrenten und der aktuellen Konjunktur geleitet und zugleich begrenzt. Das stärkste Motiv dabei ist immer, durch Einsatz neuer Technik die menschliche Arbeit produktiver zu machen und so die Lohnstückkosten zu senken.

Das gilt generell für alle technischen Umwälzungen der Produktion. Nachdem der englische Ökonom Adam Smith vor mehr als 200 Jahren nachgewiesen hatte, dass nur die lebendige Arbeit neue Werte schafft und Maschinen nur den Wert der Arbeit, die zu ihrer Herstellung nötig war, pro rata auf die Produkte übertragen, leitete Karl Marx daraus eine allgemeine Tendenz der kapitalistischen Wirtschaft ab, durch Anhäufung von immer noch mehr „totem“ (Anlagen-) Kapital und fortschreitender Einsparung „lebendiger“ Arbeit ihre eigene Grundlage, die Mehrwertproduktion zu untergraben. Er nannte dies den „tendenziellen Fall der Profitrate“.  – Allerdings erkannte schon Marx auch verschiedene Gegentendenzen und bewusste Strategien, mit denen die Kapitalisten dem Fall der Profitrate entgegen wirken, sie stabilisieren oder zeitweilig sogar enorm steigern können. Eine prominente Stelle darin kommt immer der Senkung der Lohnkosten durch Intensivierung der Ausbeutung der Arbeiter zu. Wir werden noch sehen, welche Rolle dabei die Informationstechnologie „Industrie 4.0“ spielt, auch in Dortmund.

Alle früheren großtechnischen Revolutionen wälzten die kapitalistische Wirtschaft auf doppelte Weise um. Nicht nur mit neuen Energiesystemen – Dampfkraft, Elektrizität, Verbrennungsmotor, Atomkraft – neuen Produktionsverfahren und Transportmitteln senkten sie die Produktionskosten der Unternehmen, sondern zugleich fluteten sie den Markt jeweils mit gewaltigen Mengen neuartiger Güter des Massenkonsums, ja sie erzeugten geradezu ihre eigenen neuen Märkte und konnten auch so wirtschaftliche Depressionen überwinden und die Kapitalverwertung in vorher ungeahnte Dimensionen steigern.


Ob bzw. wieweit dies auch für die jetzt in Gang kommende Welle der Digitalisierung via Internet zutrifft, werden wir in den nächsten Folgen dieser Reihe untersuchen.

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