Mittwoch, 24. Mai 2017

Notizen aus der Provinzhauptstadt: "Smart" ist nicht klug. Kritik der "Smart City Dortmund"

Nun liegt sie also vor, die "tolle" Vorlage, die sich die Industrie- und Handelskammer wünschte, damit der Stadtrat am 1.Juni beschließen kann, aus unserer Stadt eine "Smart City Dortmund" zu machen. Der Normal-Dortmunder schüttelt verständnislos den Kopf und schaut vorsichtshalber im Duden nach, was das neue Modewort der Marketingstrategen bedeutet: clever, gewitzt, listig, raffiniert, schlau, trickreich, gewieft, geschäftstüchtig, gerissen, schlitzohrig, durchtrieben, ausgekocht. - Und so soll unser Dortmund werden???

Smart Meter, ja den kennen wir schon, den "intelligenten" Stromzähler, der bis 2020 allen Stromkunden aufgezwungen wird, weil er angeblich die Abrechnung optimieren soll, aber dermaßen "intelligent" ist, dass der Durchschnittshaushalt bis zu 40 € im Jahr mehr dafür berappen muss.
Smart Home, ja auch davon haben wir schon gelesen: der selbstfahrende Staubsauger und der Kühlschrank, der automatisch die Milch beim Supermarkt nachbestellen kann.
Aber nun gleich eine ganze smarte Stadt?? Vermutlich kommt von den aufgelisteten Wortbedeutungen "geschäftstüchtig" den Motiven der Urheber am nächsten. Aber wollen wir in so einer Stadt leben? Schauen wir genauer hin, was unsere smarten Politiker da "ausgekocht" haben.

Zitat aus der Ratsvorlage: "Gemeinsam mit Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sollen Projekte zur intelligenten und vernetzten Stadtentwicklung initiiert und umgesetzt werden, die die Stadt zum Innovationslabor für neue Konzepte und Projekte machen und insbesondere den Norden Dortmunds zum "Schaufenster Smart City" für die Gesamtstadt und die Region werden lassen."
Aha, Innovationslabor, "erprobt die smarte Nutzung von innovativen Informations- und Kommunikationstechnologien." Aha, Schaufenster, für "Interaktionen zur Standortstärkung". Aha, durch "Kooperationen und Investitionen der Partner/innen, die sich auf Initiative der Stadt, der Industrie- und Handelskammer zu Dortmund, der Leitstelle Energiewende sowie der CISCO GmbH in der "Allianz Smart City Dortmund - Wir.Machen.Zukunft" zusammengefunden haben." Alles klar oder?
- Moment mal, CISCO, das ist doch einer dieser US-amerikanischen Großkonzerne für die weltweite Sammlung und Verwertung von "Big Data" mit engsten Verbindungen zu den US-Geheimdiensten! Und die nun in der "Allianz" mit unserer Stadtspitze?? Damit werden wir Dortmunder-innen nicht nur Teile der technischen Infrastruktur der Stadt, sondern gläserne Bürger für allen möglichen und unerlaubten Datenmissbrauch. Dem stimmt der Stadtrat zu???

Bei der Gründung der Allianz sind ihr sogleich an die 70 namhafte Dortmunder Unternehmen beigetreten. Somit kann kein Zweifel aufkommen, wo der Schwerpunkt der Allianz liegt: "Smart Economy" bezeichnet die Steigerung der wirtschaftlichen Produktivität. Private Unternehmer wollen durch Vernetzung Synergien in der Vermarktung der eigenen Produkte und Dienstleistungen herstellen. Smarte Vorzeigeprojekte werden von der EU, Bundes- und Landesregierung gefördert mit dem Ziel, die EU global wettbewerbsfähiger zu machen. Darauf setzen auch die Dortmunder Wirtschaft und Verwaltung. Cisco Systems präsentiert unter dem Titel „Internet of Everything“ durch Kommunikationsnetze steuerbare Märkte, von Energienetzwerken über Verkehr bis zum Einkauf im Supermarkt.

Ein zentrales Merkmal smarter Stadtpolitik ist die „Smart Governance“. Denn Fundament der Smart Economy ist das „Humankapital“: Die Bürger, „Smart People“, werden als besonders kreativ, flexibel, sozial heterogen und vernetzt dargestellt. Smart City setzt daher eine besondere Form der Zivilgesellschaft voraus und steht in Verbindung mit Begriffen wie der „Creative Class“ und der "Wissensgesellschaft".
Hier stellt sich allerdings die Frage, welche Bewohner der Stadt nicht in der Smart City mitgedacht werden. Von der Partizipation ausgeschlossen sind alle diejenigen Teile der Stadtgesellschaft, die keinen Zugang zur digitalen Kommunikationstechnologie haben. Obgleich die "Smart City Dortmund" angeblich der Stadtbevölkerung mehr Mitsprachemöglichkeiten einräumen soll, fällt auf, dass Stimmen, die grundlegende Kritik an neoliberaler Stadtentwicklung äußern, im Gründungsprozess nicht vorkommen, also wohl nicht zu den "Smart People" zählen. Soweit Bürgerbeteiligung vorgesehen ist, beschränkt sie sich anscheinend darauf, die Akzeptanz für die von den "oberen Zehntausend" beschlossenen Maßnahmen zu organisieren.

Dass Linke & Piraten sich einer weiteren Privatisierung öffentlicher Räume, Gemeingüter und Infrastrukturen entgegenstellen, Public-private-Partnerships ebenso ablehnen wie Verdrängung von Mieter-innen durch energetische Modernisierung, Ausweitung polizeilicher Überwachung und Repression, ist Konsens in unserer Ratsfraktion.

Eins ist für uns aber auch klar: Pauschale Technik- und Fortschrittsfeindlichkeit kann nicht unser Ding sein. Schließlich liegt im technologischen Fortschritt auch ein Potenzial für gesellschaftlichen Fortschritt. Die Digitalisierung sollte in jedem Fall als Thema aufgegriffen werden.

Eine intelligente Stadtpolitik von links einzufordern kann aber nur heißen, dass Digitalisierung städtischer Infrastrukturen mit ihrer Vergesellschaftung und Demokratisierung einhergeht. Statt in Expertenteams über rein technikzentrierte Innovationen zu fachsimpeln, müssen wir die Auseinandersetzung suchen, wem eigentlich die Stadt und ihre Infrastrukturen gehören, und wer unter welchen Voraussetzungen an stadtpolitischen Entscheidungen teilhaben kann.
Also: Stadt für alle, die in ihr leben.

Das wäre klug, aber nicht smart.

Dienstag, 16. Mai 2017

Nach der Landtagswahl in NRW: Europa braucht eine Alternative.

Jetzt wird landauf-landab darüber spekuliert, wie die SPD dermaßen in die Jauche fallen konnte, dass sie ihre "Herzkammer" NRW an die CDU verlor. Dabei ist das doch gar nicht schwer zu verstehen: Eine Sozialdemokratie, die seit Schröder, Münte und Clement nur noch rechte Politik macht, sie mit Steinbrück, Steinmeier und Gabriel nahtlos fortsetzte und heute noch für richtig hält, sagt doch damit selbst: Zu Sozialabbau, Niedriglöhnen, prekären Jobs und Leiharbeit, Kinder- und Altersarmut gebe es "keine Alternative", ihr inhaltsloses "Gerechtigkeits"geschwafel sei nicht so gemeint. Eine solche Truppe taugt am Ende nur noch zu einem: als Mehrheitsbeschaffer eben der Partei, die all das schon lange im O-Ton vertritt, der CDU.

Linke Politik kann es sich allerdings nicht leisten, dieser kastrierten, geistig und moralisch erschöpften, demoralisierten SPD schadenfroh beim Untergang wie in Frankreich und den  Niederlanden zuzuschauen. Denn mit der Partei verschwinden ja nicht deren ehemalige Wähler-innen. Viele von denen sind und bleiben weiterhin Sozialdemokraten mit Herz und Hirn. Ohne sie würde eine gesellschaftliche Linke niemals mehrheitsfähig werden. Viele haben auch das "TINA"-Dogma aufgesogen und halten für wahr, dass es zum von Deutschland erzwungenen Sozialabbau in Europa und zur deutsch-europäischen Großmachtpolitik keine Alternative gebe. Wie die jüngsten drei Landtagswahlen zeigten, wenden die von der SPD enttäuschten Sozialdemokraten sich nicht spontan nach links, sondern eher noch weiter nach rechts. Das gilt es zu verhindern.


Die europäischen und jetzt umso mehr auch die deutschen Linken haben darüber nachzudenken, wie ein gemeinsames, parteien- und länderübergreifendes Projekt entsteht, das die sozialdemokratische Konkursmasse für ein soziales, demokratisches und friedensicherndes Europa gewinnen kann. Das wäre nur möglich als Alternative zu Merkel-Schäuble-Gabriel-Schulz's "TINA"-Europa.

Dienstag, 2. Mai 2017

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Kooperation und Wissen sprengen die Fesseln des Privateigentums. Kritik des „Masterplans Digitales Dortmund“- Schluss

Ob Arbeit 4.0 die schöne neue Welt (Aldous Huxley) wird, die ihre Väter und Mütter in Konzernvorständen, Bundesregierung und Dortmunds Rathaus uns verheißen, das schreibt kein Naturgesetz vor, sondern das wird so oder so politisch entschieden. Welche Gesellschaftsklasse wird dabei über welche Entscheidungsmacht verfügen?

In der bürgerlichen Gesellschaft hängen die Stellung der Klassen zueinander und ihre Macht vom Eigentum bzw. Nicht-Eigentum an Produktionsmitteln ab. In dieser Gesellschaft lässt Macht, die politische wie ökonomische, sich auf das eingesetzte Kapital zurückführen.

Die flächendeckende Vernetzung der Produktion, nicht nur im einzelnen Betrieb, sondern über Betriebs- und Branchengrenzen hinweg, stärkt aber zwei Triebkräfte, die nicht in der Kapitalmacht eingeschlossen sind, sondern alle Beziehungen zwischen den Produzenten prägen und verändern. Diese zwei Triebkräfte sind
-   zum einen die Arbeitsteilung und Kooperation,
-   zum anderen Wissen, Information und Wissenschaft.

Karl Marx fand heraus: Diese beiden Produktivkräfte erscheinen heute zwar als Eigenschaft des Kapitals, aber Wissen erwerben und mit anderen Menschen kooperieren konnte jeder arbeitsfähige Mensch schon Jahrtausende vor den auf Privateigentum gegründeten Produktionsverhältnissen und wird es weiter können, wenn die kapitalistische Epoche längst überwunden ist. Der Kapitalist kann diese Produktivkräfte nur in dem Maß nutzen, wie er sie an sein Eigentum an Produktionsmitteln fesseln kann.

Eine Gesellschaft, in der Information, geteiltes Wissen zur wichtigsten Produktivkraft wird, lässt sich aber nicht mehr ans Privateigentum fesseln. Eine Gesellschaft, in der die Wertschöpfung in hohem Maß sowohl von der Wissenschaft als auch vom gesellschaftlich geteilten Wissen, vom Informationsniveau, vom allgemeinen Bildungsstand abhängt, in einer solchen Gesellschaft wird, so Marx, „die Schöpfung des Reichtums unabhängig von der auf sie angewandten Arbeitszeit". – Und somit unabhängig von der Kapitalverwertung.

Es lohnt, heute erneut darüber nachzudenken, worin Karl Marx die entscheidende Triebkraft der Geschichte sah: Es ist der Fortschritt der Produktivkräfte, der die alten Produktionsverhältnisse sprengt. Mit dem Aufkommen einer auf Informationstechnik basierenden Ökonomie erhält der Widerspruch zwischen den Produktivkräften und den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen eine neue Dynamik. Paul Mason1 nennt das den „Krieg zwischen Netzwerk und Hierarchie“. Niemand kann heute bestimmt vorhersagen, welche Resultate dieser Krieg hervorbringt.

Einerseits sind die großen Kapitale bestrebt, sich unsere ganze schöpferische Kooperation und unser Wissen anzueignen. Sie bedienen sich der Informationstechnologie zur Intensivierung, Kontrolle und Verbilligung der Arbeit, zur Monopolisierung ihrer „geistigen Eigentumsrechte" und zur Verwertung der Konsumentendaten, auch zu neuen Formen der Ausbeutung, etwa durch Crowd-Working.

Andrerseits aber stärkt die Informationstechnologie die „Bildungselemente einer neuen Gesellschaft" (Marx), bewirkt den Aufstieg von Sektoren einer Nicht-Marktwirtschaft, die Entstehung freier, kooperativer Geschäftsmodelle außerhalb des Marktmechanismus: einer Share-economy, einer Allmendeproduktion. Zunächst im Bereich der Information selbst. In Netzwerken, in denen kostenlose Informationsgüter die kommerziell erzeugten verdrängen. Mehr und mehr auch darüber hinaus in Dienstleistungssektoren, Energieversorgung, Landwirtschaft, Handwerk usw. werden die Hitech-Monopole eingekreist und die alten Strukturen aufgebrochen.

Technologisch sind wir auf dem Weg zu kostenlosen Gütern und zur Automatisierung belastender und entnervender Arbeit. – Gesellschaftlich sind wir noch Gefangene einer Welt, die von den Krisen vermachteter Märkte und der Ausbreitung prekärer Armutsjobs beherrscht ist. Der entscheidende innere Widerspruch des heutigen Kapitalismus ist der zwischen der Möglichkeit kostenloser, im Überfluss vorhandener Allmendeprodukte und einem System von Monopolen, Banken und Regierungen, die versuchen, ihre Kontrolle über die Informationen aufrecht zu erhalten.

Das Aufbrechen der alten Wirtschaftsstrukturen hat übrigens auch eine sozialpsychologische und kulturelle Seite. Schon seit einigen Jahrzehnten gilt es als erstrebenswertes Ideal der Arbeitskraftentwicklung, seine Talente zu entfalten, kreativ zu sein. Die streng hierarchische „Kommandowirtschaft“ zur bloßen Ausführung von oben vorgegebener Arbeitsroutinen gilt nicht mehr als selbstverständlich. Flache Hierarchien, Delegation von Verantwortung nach unten, Spielräume für selbständiges Handeln erweisen sich als effizienter und flexibler. Das bedeutet nicht automatisch, dass Kommando und Disziplinierung schon überwunden wären. Aber es entsteht ein neuer Typus des „Humankapitals“: das Individuum, das die Arbeitsdisziplin, die früher extern erzwungen war, nun sich selbst auferlegt, „internalisiert“. Der „Arbeitskraftunternehmer“, der sich selbst in die kooperative Arbeitsteilung einfügt, sich freiwillig den Zwängen des totalen Wettbewerbs unterwirft, gilt als Idealtypus des Kreativen.

Da fragt man sich: Eine Technik „4.0“, die die arbeitsteilige Kooperation steigert –  Information zur wichtigsten Produktivkraft macht – so die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit verringert – und die kapitalistische Verwertungslogik sprengt – warum lassen die heute Mächtigen sich auf so etwas ein?

Die Antwort: Von der Notwendigkeit der Konkurrenz und einer fallenden Profitrate getrieben, können sie nicht anders, als eine technische Entwicklung befördern, die unentrinnbar über den Kapitalismus hinaus führt. Bis jetzt hat sich das kapitalistische System mit neuen Innovationsschüben immer wieder verjüngt. Ob dies mit der jetzt anrollenden Technologiewelle noch einmal gelingt, ist nach allem was wir heute sehen eher unwahrscheinlich. Das Wachstum flacht ab, neue Massengütermärkte sind nicht in Sicht, die anschwellende Zahl der Überflüssigen untergräbt die Lohnarbeit, mit ihr das System sozialer Sicherungen und die Legitimität der politisch herrschenden Klasse. Alles Symptome dafür, dass die alten Verhältnisse sich dem Ende nähern.

Was daraus entsteht, bleibt Gegenstand von Klassenkämpfen: zwischen der alten Eigentümerklasse (und ihrem politischen Apparat) und der um das anwachsende Heer der „Wissensarbeiter“ verstärkten Klasse der abhängig-Beschäftigten.

Und es bleibt ein Kampf um die politische Macht: Die ersten Versuche einer kooperativen Wirtschaftsweise, die Herstellung und Verbreitung allgemeiner, von allen nutzbarer Güter, sie werden nur Bestand haben und sich weiter ausbreiten können, wenn der Staat diese neuen Formen des Wirtschaftens unterstützt, sichert und fördert. Und wenn er die Privatisierung lebenswichtiger Produktionsmittel für die Daseinsvorsorge, wie Energieversorgung, Verkehr, Gesundheitswesen usw. rückgängig macht und sie wieder in gemeinschaftlicher Regie betreibt.

Eine solche Sicht auf die Zukunft liegt außerhalb des Horizonts unserer Stadtspitzen. Dennoch kommt auch ihr „Masterplan Digitales Dortmund“ nicht umhin, das Tor zur nicht-kapitalistischen Zukunft einen schmalen Spalt weit aufzustoßen. Wir sollten in unserer Kommunalpolitik versuchen, den Spalt zu erweitern – und zugleich ein gesichertes Arbeiten und Leben vor den negativen Folgen der digitalen Revolution zu schützen.

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1 Dieser letzte Teil der Serie lehnt sich in Gedankengang und Wortwahl eng an Paul Masons Vortrag „Der Niedergang des Kapitalismus“ an, den der Deutschlandfunk im Dezember 2016 ausstrahlte. Paul Mason ist Wirtschaftsjournalist und Berater des Vorsitzenden der englischen Labourpartei, Jeremy Corbyn.