Dienstag, 2. Mai 2017

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Kooperation und Wissen sprengen die Fesseln des Privateigentums. Kritik des „Masterplans Digitales Dortmund“- Schluss

Ob Arbeit 4.0 die schöne neue Welt (Aldous Huxley) wird, die ihre Väter und Mütter in Konzernvorständen, Bundesregierung und Dortmunds Rathaus uns verheißen, das schreibt kein Naturgesetz vor, sondern das wird so oder so politisch entschieden. Welche Gesellschaftsklasse wird dabei über welche Entscheidungsmacht verfügen?

In der bürgerlichen Gesellschaft hängen die Stellung der Klassen zueinander und ihre Macht vom Eigentum bzw. Nicht-Eigentum an Produktionsmitteln ab. In dieser Gesellschaft lässt Macht, die politische wie ökonomische, sich auf das eingesetzte Kapital zurückführen.

Die flächendeckende Vernetzung der Produktion, nicht nur im einzelnen Betrieb, sondern über Betriebs- und Branchengrenzen hinweg, stärkt aber zwei Triebkräfte, die nicht in der Kapitalmacht eingeschlossen sind, sondern alle Beziehungen zwischen den Produzenten prägen und verändern. Diese zwei Triebkräfte sind
-   zum einen die Arbeitsteilung und Kooperation,
-   zum anderen Wissen, Information und Wissenschaft.

Karl Marx fand heraus: Diese beiden Produktivkräfte erscheinen heute zwar als Eigenschaft des Kapitals, aber Wissen erwerben und mit anderen Menschen kooperieren konnte jeder arbeitsfähige Mensch schon Jahrtausende vor den auf Privateigentum gegründeten Produktionsverhältnissen und wird es weiter können, wenn die kapitalistische Epoche längst überwunden ist. Der Kapitalist kann diese Produktivkräfte nur in dem Maß nutzen, wie er sie an sein Eigentum an Produktionsmitteln fesseln kann.

Eine Gesellschaft, in der Information, geteiltes Wissen zur wichtigsten Produktivkraft wird, lässt sich aber nicht mehr ans Privateigentum fesseln. Eine Gesellschaft, in der die Wertschöpfung in hohem Maß sowohl von der Wissenschaft als auch vom gesellschaftlich geteilten Wissen, vom Informationsniveau, vom allgemeinen Bildungsstand abhängt, in einer solchen Gesellschaft wird, so Marx, „die Schöpfung des Reichtums unabhängig von der auf sie angewandten Arbeitszeit". – Und somit unabhängig von der Kapitalverwertung.

Es lohnt, heute erneut darüber nachzudenken, worin Karl Marx die entscheidende Triebkraft der Geschichte sah: Es ist der Fortschritt der Produktivkräfte, der die alten Produktionsverhältnisse sprengt. Mit dem Aufkommen einer auf Informationstechnik basierenden Ökonomie erhält der Widerspruch zwischen den Produktivkräften und den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen eine neue Dynamik. Paul Mason1 nennt das den „Krieg zwischen Netzwerk und Hierarchie“. Niemand kann heute bestimmt vorhersagen, welche Resultate dieser Krieg hervorbringt.

Einerseits sind die großen Kapitale bestrebt, sich unsere ganze schöpferische Kooperation und unser Wissen anzueignen. Sie bedienen sich der Informationstechnologie zur Intensivierung, Kontrolle und Verbilligung der Arbeit, zur Monopolisierung ihrer „geistigen Eigentumsrechte" und zur Verwertung der Konsumentendaten, auch zu neuen Formen der Ausbeutung, etwa durch Crowd-Working.

Andrerseits aber stärkt die Informationstechnologie die „Bildungselemente einer neuen Gesellschaft" (Marx), bewirkt den Aufstieg von Sektoren einer Nicht-Marktwirtschaft, die Entstehung freier, kooperativer Geschäftsmodelle außerhalb des Marktmechanismus: einer Share-economy, einer Allmendeproduktion. Zunächst im Bereich der Information selbst. In Netzwerken, in denen kostenlose Informationsgüter die kommerziell erzeugten verdrängen. Mehr und mehr auch darüber hinaus in Dienstleistungssektoren, Energieversorgung, Landwirtschaft, Handwerk usw. werden die Hitech-Monopole eingekreist und die alten Strukturen aufgebrochen.

Technologisch sind wir auf dem Weg zu kostenlosen Gütern und zur Automatisierung belastender und entnervender Arbeit. – Gesellschaftlich sind wir noch Gefangene einer Welt, die von den Krisen vermachteter Märkte und der Ausbreitung prekärer Armutsjobs beherrscht ist. Der entscheidende innere Widerspruch des heutigen Kapitalismus ist der zwischen der Möglichkeit kostenloser, im Überfluss vorhandener Allmendeprodukte und einem System von Monopolen, Banken und Regierungen, die versuchen, ihre Kontrolle über die Informationen aufrecht zu erhalten.

Das Aufbrechen der alten Wirtschaftsstrukturen hat übrigens auch eine sozialpsychologische und kulturelle Seite. Schon seit einigen Jahrzehnten gilt es als erstrebenswertes Ideal der Arbeitskraftentwicklung, seine Talente zu entfalten, kreativ zu sein. Die streng hierarchische „Kommandowirtschaft“ zur bloßen Ausführung von oben vorgegebener Arbeitsroutinen gilt nicht mehr als selbstverständlich. Flache Hierarchien, Delegation von Verantwortung nach unten, Spielräume für selbständiges Handeln erweisen sich als effizienter und flexibler. Das bedeutet nicht automatisch, dass Kommando und Disziplinierung schon überwunden wären. Aber es entsteht ein neuer Typus des „Humankapitals“: das Individuum, das die Arbeitsdisziplin, die früher extern erzwungen war, nun sich selbst auferlegt, „internalisiert“. Der „Arbeitskraftunternehmer“, der sich selbst in die kooperative Arbeitsteilung einfügt, sich freiwillig den Zwängen des totalen Wettbewerbs unterwirft, gilt als Idealtypus des Kreativen.

Da fragt man sich: Eine Technik „4.0“, die die arbeitsteilige Kooperation steigert –  Information zur wichtigsten Produktivkraft macht – so die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit verringert – und die kapitalistische Verwertungslogik sprengt – warum lassen die heute Mächtigen sich auf so etwas ein?

Die Antwort: Von der Notwendigkeit der Konkurrenz und einer fallenden Profitrate getrieben, können sie nicht anders, als eine technische Entwicklung befördern, die unentrinnbar über den Kapitalismus hinaus führt. Bis jetzt hat sich das kapitalistische System mit neuen Innovationsschüben immer wieder verjüngt. Ob dies mit der jetzt anrollenden Technologiewelle noch einmal gelingt, ist nach allem was wir heute sehen eher unwahrscheinlich. Das Wachstum flacht ab, neue Massengütermärkte sind nicht in Sicht, die anschwellende Zahl der Überflüssigen untergräbt die Lohnarbeit, mit ihr das System sozialer Sicherungen und die Legitimität der politisch herrschenden Klasse. Alles Symptome dafür, dass die alten Verhältnisse sich dem Ende nähern.

Was daraus entsteht, bleibt Gegenstand von Klassenkämpfen: zwischen der alten Eigentümerklasse (und ihrem politischen Apparat) und der um das anwachsende Heer der „Wissensarbeiter“ verstärkten Klasse der abhängig-Beschäftigten.

Und es bleibt ein Kampf um die politische Macht: Die ersten Versuche einer kooperativen Wirtschaftsweise, die Herstellung und Verbreitung allgemeiner, von allen nutzbarer Güter, sie werden nur Bestand haben und sich weiter ausbreiten können, wenn der Staat diese neuen Formen des Wirtschaftens unterstützt, sichert und fördert. Und wenn er die Privatisierung lebenswichtiger Produktionsmittel für die Daseinsvorsorge, wie Energieversorgung, Verkehr, Gesundheitswesen usw. rückgängig macht und sie wieder in gemeinschaftlicher Regie betreibt.

Eine solche Sicht auf die Zukunft liegt außerhalb des Horizonts unserer Stadtspitzen. Dennoch kommt auch ihr „Masterplan Digitales Dortmund“ nicht umhin, das Tor zur nicht-kapitalistischen Zukunft einen schmalen Spalt weit aufzustoßen. Wir sollten in unserer Kommunalpolitik versuchen, den Spalt zu erweitern – und zugleich ein gesichertes Arbeiten und Leben vor den negativen Folgen der digitalen Revolution zu schützen.

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1 Dieser letzte Teil der Serie lehnt sich in Gedankengang und Wortwahl eng an Paul Masons Vortrag „Der Niedergang des Kapitalismus“ an, den der Deutschlandfunk im Dezember 2016 ausstrahlte. Paul Mason ist Wirtschaftsjournalist und Berater des Vorsitzenden der englischen Labourpartei, Jeremy Corbyn.

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