Monatelang bejubelten unsere Leitmedien den jungen Liebling
der Oberschicht als neuen Retter aus den Krisen nicht nur Frankreichs, sondern
gleich ganz Europas. Jetzt, wenige Wochen nach seinem Triumph über die extreme
Rechte, mit Bekanntgabe seiner ersten Maßnahmen beginnen seine Zustimmungswerte
in der Bevölkerung zu sinken.
Dabei kann niemand behaupten, Macron habe vor der Wahl
verschwiegen, was er und seine kapitalistischen Gönner (siehe die ersten Teile
dieser kleinen Serie, hier und hier) den Franzosen zumuten wollen. Sein Wahlprogramm
kündigte die genaue Fortsetzung und Verschärfung
des Kurses an, mit dem er als vormaliger Wirtschaftsminister unter Hollande die
Defizite der französischen Wirtschaft überwinden wollte.
Wirtschaftspolitik
Macron will Frankreichs Wachstum durch wirtschaftsliberale „Reformen“
in Schwung bringen. Er fordert den Abbau „bürokratischer“ Regulierungen für
Unternehmen und möchte das Arbeitsrecht auf allgemeine Normen beschränken,
Firmen sollen alle wesentlichen Punkte der Arbeitsverträge, von der Entlohnung
bis zur Arbeitszeit nicht mehr mit den Gewerkschaften, sondern mit ihren
Betriebsräten aushandeln. Mit dieser Aushöhlung der Tarifverträge will er die
Kampfstärke der Gewerkchaften, vor allem der linken CGT, entscheidend
schwächen.
Die 35-Stunden-Woche, die vielen Franzosen heilig ist, würde
dadurch aufgeweicht, aber nicht ausdrücklich abgeschafft. An dieses heiße Eisen
traut er sich (noch?) nicht ran.
Arbeitsmarkt
Frankreichs Arbeitslosenquote liegt mit über zehn Prozent
doppelt so hoch wie die deutsche, die Jugendarbeitslosigkeit sogar bei 24
Prozent; Junge Leute hangeln sich oft von einem befristeten Job zum nächsten
und erhalten oft nur schlechte Ausbildungen. Macron will das Arbeitsrecht
weiter flexibilisieren, die Berufsausbildung verbessern und zielgenaue
Weiterbildungen für Arbeitslose finanzieren. Mit solchen und weiteren Maßnahmen
will er die Arbeitslosigkeit auf sieben Prozent drücken.
Er plant die Streichung von 120.000 Beamtenstellen (ausgenommen
Hospitäler). In sozialen Brennpunkten fordert er mehr Lehrer- und
Polizistenstellen.
Renten
Macron plant den Aufbau eines einheitlichen staatlichen
Rentensystems, das die 37 speziellen Rentensysteme ersetzt und gleichermaßen
für Beamte wie Angestellte gilt. Er will die Beibehaltung des Renteneintritts
mit 62 Jahren bzw. nach 42 Beitragsjahren bis 2022 garantieren.
Den sozial Schwachen verspricht er etwas Erleichterung: Die
Mindestrente soll um bis zu 100 Euro im Monat angehoben werden.
Sozialpolitik
Als eine seiner ersten Maßnahmen hat Macron angeordnet, die
Wohnungshilfe für die ärmsten Bürgerinnen und Bürger, 6,5 Millionen Franzosen,
um fünf Euro im Monat zu kürzen. Das soll den Staat um 100 Millionen € entlasten.
"Macron knöpft sich ausgerechnet die Ärmsten vor, Menschen, die weniger
als 1.000 Euro pro Monat verdienen. Dabei hätte diese Beihilfe im Gegenteil
längst erhöht werden müssen", sagt Jean-Baptiste Eyraud, Sprecher der
Vereinigung Recht auf Wohnung.
Im Gegenzug verspricht er, für 80 Prozent der Franzosen die
Wohnsteuer abzuschaffen.
Arbeitslosenunterstützung fordert er auch für Selbstständige
und Freiberufler sowie für Arbeitnehmer, die selbst kündigen. Sie soll jedoch
entzogen werden bei Ablehnung von akzeptablen Arbeitsangeboten oder fehlendem
Engagement bei der Arbeitssuche.
Finanz- und
Steuerpolitik
Macron will die öffentlichen Ausgaben binnen 5 Jahren um 60
Mrd. € reduzieren durch Einsparungen im Gesundheitswesen (15 Mrd. €), bei den
Gebietskörperschaften (10 Mrd. €), bei den Personalausgaben (25 Mrd. €) und
durch Senkung der Arbeitslosigkeit (10 Mrd. €). Schon vorab hat er die
Regierung angewiesen, den Staatshaushalt pauschal um 4,5 Mrd. € zu kürzen. Damit
will er die Steuererleichterungen für die Wohlhabenden ausgleichen, die den Staat
drei bis vier Milliarden Euro kosten werden:
Er will die Unternehmenssteuern von 33,3 % auf 25 % senken,
die Sozialabgaben der Unternehmen ebenfalls reduzieren. Die populäre
Vermögensteuer wagt er zwar nicht abzuschaffen, plant aber eine Reform, die
investiertes Kapital von der Besteuerung ausnimmt (außer Immobilienvermögen). Wie
der Premierminister Philippe in einem Interview mit der Financial Times freimütig
zugab, seien das Steuererleichterung "für die Reichen", denn höchste Priorität
sei, Reiche und Unternehmer nach Frankreich zu holen.
Die Finanztransaktionssteuer, das letzte halbwegs
progressive Projekt der EU-Kommission, steht auf Macrons Abschussliste.
Er plant Investitionen in Höhe von 50 Mrd. € (15 Mrd. € für
Aus- und Weiterbildung, 15 Mrd. € für den ökologischen und energetischen Wandel
sowie jeweils 5 Mrd. für Landwirtschaft, Gesundheitswesen, Verkehr und die
Modernisierung der öffentlichen Verwaltung).
Europapolitik
Macron will die europäische Integration vorantreiben und
tritt verbal für eine Demokratisierung der Europäischen Union ein. Schon als
Wirtschaftsminister (2014 bis 2016) forderte er mehrfach einen gemeinsamen
Wirtschafts- und Finanzminister für die ganze EU.
Zugleich plädiert er für gemeinsame Institutionen der
Eurozone, fordert ein eigenes Budget der Eurozone in Höhe von mehreren 100 Mrd.
€ für Investitionen, das von einem Parlament der Eurozone beschlossen,
kontrolliert und von einem Minister für Wirtschaft und Finanzen der Eurozone
gesteuert werden soll.
Mehrfach forderte er die Einführung von Eurobonds.
Eine solche Weiterentwicklung der Währungsunion zur Transferunion,
mit Euro-Anleihen und Vergemeinschaftung
der Staatsschulden wird von deutschen Politikern heftig bekämpft. Die deutsche
Bundesregierung erwartet stattdessen verstärkte Anstrengungen der französischen
Politik, die eigene Wirtschaft voranzubringen. Umgekehrt bezeichnete Macron
Deutschlands Handelsüberschuss im Export als „nicht mehr tragbar“.
2014 forderte Macron von Deutschland ein Programm über 50
Milliarden Euro zur Belebung der Wirtschaft in der Eurozone. CDU-Politiker
wiesen die Forderungen empört zurück und kritisierten sie als Eingriff in die
deutsche Souveränität.
Er möchte das Schengener Abkommen beibehalten und fordert
die Verstärkung von Frontex durch 5.000 neue Grenzbeamte an den EU-Außengrenzen
sowie ein gemeinsames Informationssystem für die Bekämpfung von organisiertem
Verbrechen und Terrorismus.
Schon am Abend seines ersten Amtstages (14.05.2017) besuchte
Macron Berlin und die deutsche Kanzlerin. Auch der am gleichen Tag von ihm
ernannte Premierminister Édouard Philippe von den konservativen Républicains betont
seine enge Affinität zu Deutschland. Mehrere Schlüsselpositionen im Kabinett
Philippe sind mit Personen besetzt, die wie der Premierminister selbst und der
Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire enge Beziehungen zur
EU-Bürokratie und besonders zu Deutschland haben.
Bereits 2013 schrieb Michael Schlecht, Chef-Volkswirt der
LINKEN-Bundestagsfraktion, in einer Analyse zur französischen Wirtschaftslage: „Frankreich
bleiben nur zwei Antworten auf den von Merkel vorangetriebenen
Agenda-2010-Vormarsch in Europa. Die erste Möglichkeit besteht darin, dass das
Land „freiwillig“ das deutsche Exportmodell übernimmt und eine „Agenda 2020“ umsetzt.
Dazu gehören Renten- und Lohnkürzungen genauso wie eine Abschaffung oder
zumindest Schleifung des flächendeckenden allgemeinverbindlichen Mindestlohns (aktuell
9,76 €/h). Dieses Szenario birgt für die französische Gesellschaft eine enorme
Sprengkraft. Es würde zwar die französischen Leistungsbilanzdefizite
beseitigen, aber die französische Wirtschaft in eine längere Rezession stürzen.
Arbeitslosigkeit und soziale Verwerfungen würden zunehmen.
Die zweite Möglichkeit ist, einen Aufstand der Südländer
gegen Deutschland anzuführen. Gemeinsam könnten sie Deutschland damit drohen,
aus dem Euro auszutreten, um anschließend sofort gemeinsam einen Euro II zu
gründen. Die Krisenländer wären damit aus dem alten Währungsgefängnis
ausgebrochen. Möglicherweise könnte so die deutsche Politik zu einer Abkehr von
ihrer extremen Exportorientierung gebracht werden – also zu höheren Löhnen und
damit zu einer Stärkung der Binnennachfrage.“
Mit Macrons Präsidentschaft hat die französische Bourgeoisie
sich definitiv für den ersten Weg entschieden. Mit diesem Programm „tritt
Frankreich“ nach dem – zustimmenden – Urteil des Abgeordneten der Regierungskoalition
Jean-Louis Bourlanges, „in die Phase des Sozialliberalismus ein."
Ohne darüber zu spekulieren, ob dort der Arbeiterklasse gelingt,
was hier Gewerkschaftsführungen verhinderten, nämlich einen effektiven
Widerstand gegen die Agenda-Politik zu mobilisieren, lässt sich eines heute mit
Bestimmtheit sagen: Die Macron‘sche Kopie der Schröder-Merkel’schen Agenda 2010
kann jenseits des Rheins nicht anders funktionieren als bei uns. Wenn aber die
zwei größten europäischen Volkswirtschaften mit Lohn- und Sozialdumping in die
Deflation treiben, dann ist Europa für lange Zeit kaputt.