Nach der Wahl zur französischen Nationalversammlung las ich auf den
NachDenkSeiten die folgende Bewertung:
„Macron als Beweis für die Erneuerungsfähigkeit der
westlichen Demokratie zu feiern (wie es die deutschen Leitmedien tun) ist
grotesk. Macron ist kein Symbol für die Erneuerung der Demokratie, er ist ein
Symbol für die Postdemokratie, in welcher die herrschenden Eliten offenbar nach
Belieben ein demokratisches Schmierentheater inszenieren können."
Würde Macron
nicht für eine entschieden wirtschaftsliberale Politik stehen, gäbe es kaum diese
mediale Lobhudelei über ihn. Was bei Trump zurecht scharf kritisiert wird,
seine Kumpanei mit den Superreichen, wird bei Macron einfach verschwiegen: Er
ist ein Geschöpf der französischen Finanzoligarchie.
Bevor ich das in zwei Fortsetzungen mit Fakten über seinen
Weg ins Präsidentenamt und seine Verflechtungen mit dem französischen
Großkapital belege, versuche ich hier zunächst eine summarische Einschätzung der Chancen und Risiken seiner Präsidentschaft.
Wirtschaftspolitik:
In den vergangenen drei Jahren lag Frankreichs
Wirtschaftswachstum deutlich unter dem der Eurozone. Die französischen
Staatsschulden belaufen sich mittlerweile auf knapp 100% des BIP. Macron will
Frankreichs Wachstum durch wirtschaftsliberale Maßnahmen wieder in Schwung
bringen. Er fordert einen Abbau von Regulierungen für Unternehmen und möchte
das Arbeitsrecht auf allgemeine Normen beschränken. Firmen sollen über alle
wesentlichen Punkte der Arbeitsverhältnisse, von den Löhnen bis zur
Arbeitszeit, selbst verhandeln dürfen. Die 35-Stunden-Woche, die vielen
Franzosen sehr wichtig ist, würde dadurch aufgeweicht, aber nicht pauschal
abgeschafft. An dieses heiße Eisen traut er sich (noch?) nicht ran.
Arbeitsmarkt:
Frankreichs Arbeitslosenquote liegt mit über zehn Prozent
doppelt so hoch wie die deutsche, die Jugendarbeitslosigkeit sogar bei 24
Prozent; Viele junge Leute haben aufgrund schlechter Ausbildung nur geringe
Chancen am Arbeitsmarkt und müssen sich oft von einem befristeten Job zum
nächsten hangeln. Macron will die Ausbildung verbessern.
Arbeitslosenunterstützung fordert Macron auch für
Selbstständige und Freiberufler sowie für Arbeitnehmer, die selbst kündigen.
Sie soll jedoch bei Ablehnung „zumutbarer“ Arbeitsangebote oder fehlendem
Engagement bei der Arbeitssuche entzogen werden. Dies hat er offen von Schröders
Hartz-Gesetzen abgeschrieben.
Europapolitik
Macron gibt sich als Mann, der die europäische Integration
vorantreiben will und tritt verbal für eine Demokratisierung der EU ein. Schon als
Wirtschaftsminister (2014 bis 2016) forderte er mehrfach einen gemeinsamen
Wirtschafts- und Finanzminister für die ganze EU.
Allerdings plädiert er auch für gemeinsame Institutionen der
Eurozone. Er fordert ein eigenes
Budget der Eurozone für Investitionen, ein gesondertes Parlament der Eurozone und
einen Wirtschafts- und Finanzminister der Eurozone. Mehrfach sprach er sich für
die Einführung von Eurobonds aus.
Eine solche Weiterentwicklung der Währungsunion zur Transferunion,
mit Euro-Anleihen und Vergemeinschaftung
der Staatsschulden wird von der deutschen Regierung heftig bekämpft.
Diese mahnt stattdessen verstärkte Anstrengungen der
französischen Politik an, die eigene Wirtschaft „wettbewerbsfähig“ zu machen.
Umgekehrt bezeichnete Macron Deutschlands Exportüberschuss als
„nicht mehr tragbar“. Noch als Wirtschaftsminister unter Hollande forderte
Macron von Deutschland ein Programm über 50 Milliarden Euro zur Belebung der
Wirtschaft in der Eurozone. CDU-Politiker wiesen die Forderung empört zurück.
Fazit:
Die von unseren Leitmedien hochgejubelte Legende, Macron sei
der junge, unbelastete Nobody, der von unten und von außen kommend das Parteien-Establishment
mit neuen, unkonventionellen Ideen aufmischt, ist eine bewußte, kampagnenmäßig inszenierte
Fälschung. Deren Zweck ist, dem Volk die alten Ladenhüter neoliberaler Politik,
die sich überall auf der Welt immer mehr blamiert, nochmal als neu verkaufen zu
können.
Ob Macron damit Erfolg hat, entscheidet sich an zwei
Konfliktlinien:
- Kann er die manifeste außerparlamentarische Gegenwehr der Bevölkerung und vor allem der Gewerkschaft CGT brechen und das angekündigte Notverordnungsregime durchziehen, dann könnte sein Austeritäts- und Deregulierungskurs zu einer gewissen zeitweiligen Belebung der Wirtschaft führen, die sich mit steigenden Wachstumsraten, verringerter Jugendarbeitslosigkeit u.a. als Erfolg darstellen ließe.
- Die Chancen dafür werden aber nicht nur von den Klassenkämpfen im Inneren, sondern auch vom übermächtigen Druck des deutschen Nachbarn begrenzt. Hier wird es entscheidend darauf ankommen, ob Macron – evtl. zusammen mit anderen südeuropäischen Verbündeten – gewisse deutsche Zugeständnisse zur Verminderung der deutschen Exportüberschüsse und zum Umbau der EU in eine Transferunion erringen kann. Das wäre nach der deutschen Bundestagswahl im Herbst nicht ganz ausgeschlossen, weil auch Merkel u.Cie. wissen und fürchten müssen: Scheitert Macron, dann kommt in Frankreich spätestens in fünf Jahren Le Pen und wird Europa mit den herkömmlichen demokratischen Mitteln unbeherrschbar.
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