Freitag, 29. September 2017

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Dortmunds SPD-Fraktion beschließt - "weiter-so" - Mietervertreibung für Luxussanierung

Am Vorabend der entscheidenden Ratssitzung nahm ich an einer Versammlung teil, zu der Mieterverein und Deutscher Mieterbund die Mieter der Godefriedstraße eingeladen hatten. Von den insgesamt 128 Wohnungen im Eigentum der Fa. Berke sind noch etwa 80 bewohnt. Etwa zwei Dutzend Mieter-innen waren gekommen. Die meisten sind verunsichert, eingeschüchtert, viele wütend, wie der Spekulant Berke sie mit Tricks, Falschinformationen und Arroganz zum Auszug drängt. Einige erklärten, sie würden keinesfalls freiwillig ausziehen, der Berke müsste sie rausklagen.

Entgegen anderslautender Propaganda braucht Berke den Ratsbeschluss zum Bebauungsplan, um 98 der Wohnungen in Luxuswohnungen umzuwandeln, noch einige im Dachgeschoss aufzustocken und nur 30 wieder als Sozialwohnungen zu vermieten, die dann aber nicht mal für die bisherigen Mieter zur Verfügung stehen sollen. Vom Stadtrat waren nur LINKE/Piraten, SPD und Grüne da. Die SPD kündigte ihre Zustimmung zu Berke's Plan an ("Mieter wehrt euch, aber wir stehen auf Berke's Seite"); die Grünen wollten sich enthalten. Dass die SPD dem Berke zu Willen ist, bezeichneten mehrere Mieter-innen als unverständlich, skandalös, "das Allerletzte" usw.

Meine Fraktion war noch ohne Beschluss in die Versammlung gekommen. Schnell wurde aber deutlich: Wenn die LINKE glaubwürdig für soziale Gerechtigkeit eintreten will, darf sie bei so einer Mietervertreibung durch einen Spekulanten nie und nimmer mitmachen. Auch wenn für die Gesamtstadt 30 neue Sozialwohnungen rausspringen würden, darf das keinesfalls zu Lasten und auf Kosten der alteingesessenen Mieter gehen. Politisch macht es einen entscheidenden Unterschied, ob eine Verwaltung sich an geltendes Recht zu halten hat (wie ein SPD-Sprecher es kategorisch forderte) - oder eine gewählte Volksvertretung in vorauseilendem Gehorsam einem Spekulanten gegen die Bevölkerung Recht gibt, neues Baurecht verschafft. Das kann keine linke Politik sein und würde uns noch in zehn Jahren anhängen - mit Recht. Soll Berke doch auch den Rat verklagen!


Am nächsten Tag war die LINKE/Piraten die einzige Fraktion im Stadtrat, die den Spekulantenplan ablehnte.

Dienstag, 26. September 2017

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Dortmunds Oberbürgermeister (SPD) empfiehlt „Weiter so!“

Dem Dortmunder OB Sierau verdarb der Erdrutschverlust der SPD in ihrer einstigen „Herzkammer“ Dortmund (minus 8,2 %) nicht die Sonntagsruhe. Den Ruhr-Nachrichten gab er zu Protokoll: „Für Dortmund bedeutet das erst mal gar nichts. Der Rat besteht drei Jahre weiter, wie er ist.“

Seit Gerhard Schröders Kanzlerwahl (1998) ist die SPD am Ort von 56,7 % auf 31,3 % geschrumpft, bei 10 von 13 Wahlen in dieser Zeit zum Bundestag, Landtag und Stadtrat (mit drei Ausnahmen 2012/2013) verlor sie hier 75.000 Wähler-innen. Das lässt einen Apparatschik kalt. Solange er noch über die stärkste Fraktion gebietet – die Mehrheit der Bevölkerung hat er schon lange nicht mehr hinter sich – macht er „weiter so“. Wer so blind ins Verderben rennt und das ihm anvertraute Gemeinwesen auf den Hund bringt, gehörte eigentlich wegen erwiesener Unfähigkeit sofort abgesetzt.

Doch auch Sierau wird bald merken, dass das Ergebnis vom 24.09.2017 die Kommunen noch schlimmer belasten wird als die GroKo. Zum Beispiel kann die Noch-Arbeitsministerin Andrea Nahles den von Dortmund aus geforderten Kommunalen Arbeitsmarkt-Fonds noch viel schwerer aus der Opposition heraus gegen Schäuble u.Co durchsetzen als in der Regierung.

Aber dafür darf sie bald als Oppositionssprecherin lautstark all die soziale Gerechtigkeit fordern, mit der nach der GroKo auch Jamaika die Reichen im Land verschont. Sonnenklar ist, dass die SPD, um sich in der Opposition zu erholen, nur bei ihren potentiellen Bündnispartnern wildern kann, bei der LINKEN und den Grünen. Indem sie mit super-sozialen Sprüchen von ihrer asozialen Agenda-2010-Politik ablenkt, wird sie versuchen, die zur LINKEN und den Grünen abgewanderten Wähler-innen wieder zurück zu holen. Allein bei dieser Wahl waren das bundesweit über 800.000.

Es spricht allerdings viel dafür, dass die Grünen sich beim Krötenschlucken an der Seite von Merkel, Seehofer und Lindner verschlucken und in vier Jahren als Kleinpartei um den Wiedereinzug ins Parlament bangen müssen. Sollten sie sich jedoch nicht an der Regierungsbeteiligung selbst zerlegen, dürften sie diese auch 2021 fortsetzen wollen.

Das sind keine guten Aussichten für einen baldigen Politikwechsel zu R2G. Bei dieser Wahl standen einer rechten Parteien-Mehrheit mit zwei Dritteln der Wählerstimmen (unter Einschluss der AfD) nur SPD und LINKE mit zusammen etwa 30 % gegenüber. Selbst wenn es gelänge, vor der nächsten Wahl 2021 die SPD und auch die Grünen für einen anti-neoliberalen Politikwechsel zu gewinnen, müsste dies Bündnis den rechten Parteien fast 5 Millionen Stimmen entziehen, um regieren zu können. Es ist schwer vorstellbar, welche außergewöhnlichen Ereignisse in Europa und der Welt eine solche Wechselstimmung erzeugen könnten – statt die Wähler-innen noch weiter nach rechts zu treiben.

Somit bleibt der LINKEN als vorerst einzige realistische Option nur die konsequente Opposition auf Grundlage unseres Wahlprogramms. Das schließt Versuche ein, die uns aufgezwungene Konkurrenz mit der SPD durch Absprachen über gemeinsames Vorgehen, dort wo es Schnittmengen gegen die Rechten gibt, aufzubrechen. Aber eben auf Grundlage unseres Wahlprogramms.


Dies sollte auch für LINKE in Länderparlamenten und Landesregierungen gelten. Und es gilt genauso auf der kommunalen Ebene. Eine vorausblickende SPD müsste sich auch hier aus der Umklammerung der Neoliberalen in einer informellen GroKo befreien und zu sozialdemokratischer Politik zurück finden. Wir sollten alle Schnittmengen mit unserer Programmatik nutzen, um sie dabei zu unterstützen.

Freitag, 1. September 2017

Notizen aus der Provinzhauptstadt: Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesellschaftsstruktur und Eigentumsformen

Beitrag zum Workshop „Digitalisierung/ Smart City“ der Ratsfraktion Die LINKE&Piraten Dortmund

Die effiziente Produktion und Verteilung von Gütern sind gerade keine besonderen Vorzüge der Marktwirtschaft. Zwar hämmert uns die herrschende Marktideologie ständig ein, am Beginn allen Wirtschaftens stehe der Eigennutz des Individuums, folglich sei Konkurrenz das natürliche Funktionsprinzip menschlicher Gesellschaften, folglich der Kapitalismus die effizienteste Gesellschaftsstruktur, weil auf privatem Eigentum an den Produktionsmitteln und Konkurrenz basierend, und folglich sei der Markt die effizienteste Methode der Bedürfnisbefriedigung ---

--- doch diese Ideologie entspricht weder den historischen Tatsachen noch unserem alltäglichen Erleben. Gesellschaft entwickelt sich nicht aus individuellem Eigennutz, sondern aus der Kooperation und mit dieser. Kooperation, die Produktivität des gemeinsamen Schaffens ist die Quelle, ohne die es die Menschheit gar nicht gäbe. Tatsächlich beruhen wesentliche Bereiche unserer alltäglichen Daseinsvorsorge auf dem Prinzip der Kooperation und des Netzwerks.

Und nun stärkt die digitale Vernetzung zwei Triebkräfte der Entwicklung, die sich nicht nur als Kapital in Geld ausdrücken lassen - es war übrigens Karl Marx, der das herausfand:
-           Zum einen die arbeitsteilige Kooperation,
-           zum anderen Wissen, Information und Wissenschaft,
diese beiden Produktivkräfte erscheinen uns heute zwar als Eigenschaft des Kapitals, dessen Eigentümer sie sich zunutze macht – aber keine von beiden gehört rechtmäßig zu seinem Eigentum wie Maschinen, Grundstücke, Waren. Der Kapitalist verfügt über sie nur in dem Maß, wie er sie an sein Eigentum an Produktionsmitteln binden kann.

Auch „Wissen ist Macht.“ Wissen erwerben und mit anderen arbeitsteilig kooperieren kann jeder arbeitsfähige Mensch. Eine der größten Veränderungen durch Digitalisierung ist die Öffnung des Zugangs zu Kultur und Bildung. Es findet eine Demokratisierung von Wissen statt.

Und in einer Gesellschaft, in der die Wertschöpfung in hohem Maß von der Wissenschaft, vom gesellschaftlichen Informationsniveau, vom allgemeinen Bildungsstand abhängt, in einer solchen Gesellschaft wird, wie Marx es kommen sah, „die Schöpfung des Reichtums unabhängig von der auf sie angewandten Arbeitszeit“. – Und wird somit unabhängig von der Kapitalverwertung. Eine Gesellschaft, in der Information (= geteiltes Wissen) zur wichtigsten Produktivkraft wird, lässt sich nicht mehr an’s Privateigentum fesseln.

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Elinor Ostrom kam schon vor einigen Jahren zu dem Ergebnis, dass für eine nachhaltige Bewirtschaftung von Gemeingütern – Commons - die Kooperation der Betroffenen effizienter ist als staatliche Kontrolle und auch effizienter als das privatkapitalistische Eigentum – für ihre Forschung über eine Ökonomie jenseits von Markt und Staat erhielt sie 2009 den Nobelpreis.

Während linke Strategien des 20. Jahrhunderts sich vor allem auf die Lohnarbeit stützten, kann die Linke des 21. Jahrhunderts verstärkt auf die Produktivität der Gemeingüter setzen, die kürzere Arbeits- und längere Lebenszeiten, eine ökologischere Produktion und insgesamt ein besseres Leben für alle möglich machen.

Die Veränderungen finden bereits direkt vor unseren Augen statt. Das Industrieproletariat, der Kern der Arbeiterklasse, verändert sich. Ausbildung und Arbeitsorganisation haben sich für viele schon verändert. Wie wir gestern hörten, führt die Vernetzung von Produktionslinien einerseits sowohl zur Vernichtung von noch mehr Einfacharbeitsplätzen als auch zur Ausbreitung des Typus "Freelancer", des scheinselbständigen „Click“- oder „Crowdworkers", des nicht mehr lohnabhängigen, aber weiterhin von übermächtigen Auftraggebern abhängigen Arbeitskraft-Unternehmers. Diese Abhängigkeitsstruktur wird durch die Digitalisierung noch verstärkt. Schlagworte dazu sind Cloudsourcing (Teilarbeiten werden im Netz ausgeschrieben) und Crowdworking (Arbeitsgruppen werden im Netz gebildet, möglicherweise ohne sich jemals persönlich zu treffen).

Die Jobs, die u.a. in der Computer- und Roboterbranche entstehen, können die Jobvernichtung keineswegs kompensieren. Das betrifft in Dortmund tendenziell 30.000 Einfacharbeitsplätze, besonders im Dienstleistungssektor. Die Fahrer von Liefer- und Zustelldiensten tragen derzeit am radikalsten die Konsequenzen der digitalen Revolution. Wer behauptet, Erwerbslosigkeit und Prekarisierung würden durch das Konzept „Smart City“ vermindert, der lügt.

Aber nicht nur die Struktur der Arbeiterklasse wird die Digitalisierung einschneidend verändern, sondern auch die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse. Schon jetzt verliert Dortmund jährlich an die 600 Kleinunternehmen, während die Zahl der Unternehmen insgesamt stagniert. Da kleinere Betriebe Modernisierungsinvestitionen viel schwerer bewältigen als größere, wird die Digitalisierung den Verdrängungsprozess deutlich verstärken.

Politisch ist deshalb zu fordern, dass die Wirtschaftsförderung der Stadt zusammen mit der ARGE und der Arbeitsagentur ein Monitoring aufbaut, das die Digitalisierungsfolgen beobachtet, um in der "Allianz Smart City Dortmund" mit der lokalen Wirtschaft Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit, Prekarisierung und zur Sicherung von Selbständigen und Kleinbetrieben zu ergreifen.

Nicht zuletzt müssen wir radikale Arbeitszeitverkürzungen fordern. Konkret:
- das Recht auf befristete Teilzeit und eine kurze Vollzeit, die auf die 30-Stunden-Woche zuläuft,
- das Recht auf Sabbaticals im Lauf des Erwerbslebens – solche Auszeiten sind gut gegen stressbedingte Krankheiten und für Weiterbildung/Qualifizierung bzw. berufliche Neuorientierung.
- das Recht auf Nicht-Erreichbarkeit und einen echten Feierabend.
- das Recht auf Weiterbildung, besonders in neuen Technologien.

Auf längere Sicht ist zu erwarten, dass das anwachsende, hochqualifizierte Prekariat der "Clickworker" eigene gewerkschaftliche und politische Interessenvetretungen entweder in Besitz nimmt oder neu schafft, und zwar weitgehend international vernetzt. Das verdient unsere volle Unterstützung, in engem Kontakt mit der Dienstleistungsgewerkschaft VERDI.

Die digitale Technologie führt aber auch zur Entstehung freier, kooperativer Geschäftsmodelle außerhalb des Marktmechanismus. Heute sind gut 50 Prozent der Weltbevölkerung (3,5 Milliarden Menschen) elektronisch vernetzt. Daraus folgen schon weltweit Ansätze einer "Allmende-Produktion". Zuerst im Bereich der Information selbst. In Netzwerken, in denen kostenlose Informationsgüter die kommerziell erzeugten verdrängen.

Mehr und mehr auch darüber hinaus in Dienstleistungssektoren, Energieversorgung, Handwerk, Landwirtschaft usw. Das bedeutet zum Beispiel, gezielt Genossenschaften zu stärken und insgesamt das Ausprobieren anderer Formen von Eigentum und Wirtschaften zu fördern.

Ein Beispiel in unserer Nähe: Allein die stark von Digitalisierung geprägte Kreativwirtschaft ist ein riesiger Sektor geworden. 2014 hat in Deutschland knapp eine Viertelmillion Unternehmen (249.000) mit über einer Million Erwerbstätigen 146 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet.

Technologisch sind wir auf dem Weg zu enormen Produktivitätsfortschritten, zur Automatisierung belastender und entnervender Arbeit und zu fast kostenlosen Gütern.
– Gesellschaftlich sind wir noch Gefangene einer Welt, die von Krisen, vermachteten Märkten und der Ausbreitung prekärer Armutsjobs beherrscht ist.

Der entscheidende innere Widerspruch des heutigen Kapitalismus ist der zwischen der Möglichkeit kostenloser, allen verfügbarer Allmendeprodukte einerseits – und einem System von Großkonzernen, Banken und Regierungen, die versuchen, ihre Kontrolle über die Informationen aufrecht zu erhalten.

Das historische Ziel, auf das die Digitalisierung zutreibt, ist also nicht die Abschaffung der Arbeit, sondern die Befreiung des schöpferischen Menschen vom Zwang zur Lohnarbeit. Die Digitalisierung eröffnet die Möglichkeit einer solidarischen Ökonomie, die die kapitalistische Verwertungslogik aufbricht.

Politisch geht es heute um eine öffentlich organisierte Infrastruktur, die es ermöglicht, dass sich die Keimzellen einer neuen Ökonomie der Kooperation entwickeln und alle Menschen daran teilhaben können.

Eine intelligente Stadtpolitik von links kann und muss die Digitalisierung städtischer Infrastrukturen verbinden mit ihrer Vergesellschaftung und Demokratisierung.
Statt in Expertenteams über rein technikzentrierte Innovationen zu fachsimpeln, müssen wir die Auseinandersetzung suchen, wem eigentlich die Stadt und ihre Infrastrukturen gehören, und wer unter welchen Bedingungen an stadtpolitischen Entscheidungen teilnehmen kann.

Also: Stadt für alle, die in ihr leben.