Freitag, 24. Februar 2017

Das „Neue Kommunale Finanzmanagement“ (NKF)

Seminar der Ratsfraktion DieLINKE&Piraten Dortmund, Februar 2017  - 2.Folge 

Ohne uns hier in die Details des Haushaltsplans vertiefen zu können, wollen wir am Beispiel Dortmund einige typische Trends der Haushaltsentwicklung aufzeigen. Dazu fasse ich die wichtigsten Ergebnisse der ersten zehn Jahre im NKF zusammen.

Ungeachtet aller Buchführungsfinessen bleibt die Nagelprobe auf jeden öffentlichen Haushalt der schlichte Vergleich von Einnahmen und Ausgaben.

- Erstes Ergebnis: Die „ordentlichen Erträge“ bleiben Jahr für Jahr um –zig Millionen Euro hinter den „ordentlichen Aufwendungen“ zurück, kumuliertes Defizit in 10 Jahren: 858 Mio € (durchschnittlich 78 Mio € jährlich, bei einem Haushaltsvolumen von aktuell ca. 2.300 Mio €).

- Dies Defizit schmolz das Eigenkapital ab: von knapp 2,5 Mrd € auf 1,6 Mrd € (-914 Mio €). Wenngleich das kommunale „Eigenkapital“ nur eine fiktive Rechengröße ist, verdeutlicht sein Schrumpfen eine dramatische Schieflage der Kommunalfinanzen. Diese Entwicklung verweist auf die permanente – und politisch gewollte – Unterfinanzierung der Kommunen durch den Staat. Seit vielen Jahren werden die Kommunen von Bund und Ländern systematisch ausgeblutet. Alle Steuersenkungen der letzten Jahrzehnte gingen und gehen vor allem zu Lasten der Kommunen. Auf der anderen Seite bekamen die Gemeinden immer mehr Pflichtaufgaben übertragen, aber nicht die nötigen Geldmittel dafür (Verletzung des Konnexitätsprinzips).

- Nun stellt das Eigenkapital wie gesehen nur eine fiktive Rechengröße dar – der Fehlbetrag zwischen Erträgen und Aufwendungen aber ist real und muss real ausgeglichen werden. Dies geschieht mit zwei Methoden: zum einen über die Verringerung („Wertberichtigung“) des Anlagevermögens (siehe den 4. Block dieses Seminars). Zum andern durch Aufnahme von Krediten zum Haushaltsausgleich. Das permanente Defizit ließ parallel die Verschuldung der Stadt – vor allem bei Privatbanken – anschwellen: um 758 Mio € auf über 2,3 Mrd €. Seit 2010 übersteigt der Schuldenstand das Eigenkapital. (Auf die Struktur der Schulden gehen wir ebenfalls später ein.) Jeder Dortmunder Einwohner steht heute über die Stadtkasse mit knapp 4.000 € bei Banken in der Kreide und zahlt dafür mit seinen Steuern jährlich rund 100 € an Zinsen.

Beide Methoden des Haushaltsausgleichs, die Vernichtung von Anlagevermögen und die Kreditaufnahme am Kapitalmarkt zusammen bilden gleichsam eine gigantische Maschine zur schrittweisen Enteignung der Stadtbewohner, zur Umverteilung von Ressourcen des Gemeinwesens Stadt nach „oben“, auf private Vermögenskonten. Obschon den Stadtbewohnern individuell kein Cent am Vermögen ihrer Stadt eigen ist, wird ihnen auf diesem Weg Jahr für Jahr mehr von ihrem Kollektiveigentum enteignet. Die Kommunalverbände sprechen von einer „Vergeblichkeitsfalle“, der die Kommunen aus eigener Kraft nicht entkommen können. Vergeblich fordern sie auch seit Jahrzehnten eine grundlegende Gemeindefinanzreform.

Auswirkungen der chronischen Unterfinanzierung sind in den Haushaltsberatungen vor allem an zwei regelmäßig wiederkehrenden Vorgängen belegbar:

- Seit 2009 erfolgt jedes Jahr eine Spar- und Kürzungsrunde (früher „Konsolidierungsrunden“, neuerdings „Memorandum“ genannt). Kumuliert wurden bis 2016 mehr als 200 Mio € an Leistungen der Stadt für ihre Bürger gestrichen – und das trotz der gleichzeitigen Explosion des privaten Reichtums.

- Die Zahl der Beschäftigten der Stadtverwaltung wuchs zwar in 10 Jahren von 5.114 auf 6.360 Stellen (vzv.), aber bei weitem nicht proportional zum Aufgabenvolumen. Infolgedessen kommt es an allen Ecken und Enden zu teilweise dramatischen Engpässen bei der Aufgabenerledigung, zu weiteren  indirekten Leistungskürzungen für die Bürger, zu Überlastungen der Beschäftigten und (aufgrund wiederholter Einstellungsstopps) zur „Überalterung“ des Personals.

Ein Überblick über die Struktur der Aufwendungen markiert einige Knackpunkte der Dortmunder Haushaltsplanung, zu denen linke Politik sich verhalten muss:

- Den größten Aufwandsposten bilden – wie in allen Ruhrgebietsstädten – die Sozialleistungen, mit etwa einem Viertel des ganzen Haushaltsvolumens, ihr Anteil steigt deutlich überproportional (2009: 18,8 % - 2016: 23,3 %). Darin der dickste Brocken sind die Sozialtransferleistungen (KdU, GruSi, Kinder- und Jugendhilfe u.a., 2016: 453 Mio €), ebenfalls mit überproportionalem Wachstum (2010: +1,8% – 2016: +7,2%).

- Die größte Steigerung erfuhr der Bereich Kinder-, Jugend- und Familienhilfe, mit einem Zuwachs von durchschnittlich +10,6 % pro Jahr lagen die Ausgaben hierfür weit über dem Anstieg des Haushalts insgesamt (durchschnittliches Wachstum +3,9 % p.a.).

- In „Leuchtturm“projekte - U-Turm, Konzerthaus, Flughafen, Phoenixsee, „Boulevard Kampstraße“ u.a - hat die Stadt fast soviel investiert, wie sie an Schulden aufnahm: ca. 570 Mio €. Hinzu kommen die laufenden Betriebskosten von  jährlich ca. 50 Mio €. Betriebswirtschaftlich würde sich das nur rechnen, wenn diese Aufwendungen zu entsprechenden Erträgen führten, aber diese decken bei weitem nicht einmal die jährlich auflaufenden Betriebskosten der Anlagen ab.

- Dagegen bleiben die Investitionen in die notwendige städtische Infrastruktur mit durchschnittlich 6,3 % des Gesamthaushalts weit hinter den tatsächlichen Erfordernissen zurück (durchschnittliches Wachstum +5,2 % p.a.). Das führt zu maroden Straßen, einem riesigen Sanierungsstau bei der Kanalisation, stagnierendem öffentlichem Wohnungsbau usw. Die Gegenüberstellung der Investitionen in die Infrastruktur (in 10 Jahren kumuliert: 1,1 Mrd €) einerseits und der Luxusinvestitionen in Leuchttürme und Events andrerseits (570 Mio €) zeugt von einer elitären, unseriösen Haushaltspolitik unter dem Leitmotiv: "Nach uns die Sintflut."

(Fortsetzung folgt)

Donnerstag, 16. Februar 2017

„Bertelsmannisierung“ der kommunalen Finanzpolitik – Das „Neue Kommunale Finanzmanagement“ (NKF)

Seminar der Ratsfraktion DieLINKE&Piraten Dortmund zur Einführung ins kommunale Haushaltsrecht - 1. Folge

Warum „Bertelsmannisierung“: Die Bertelsmann-Stiftung ist bekannt als einer der einflußreichsten Thinktanks neoliberaler Politik in Deutschland. Sie geht seit Jahrzehnten beratend in bundesdeutschen Staatskanzleien und Rathäusern ein und aus.

Der oberste Hüter der Stadtfinanzen heißt in Dortmund noch „Stadtkämmerer“. Doch sein täglicher Job basiert nicht mehr auf der „Kameralistik“, einem jahrhundertealten System staatlicher Finanzverwaltung, das noch in der feudalen Territorialhoheit wurzelte, sondern jetzt auf einem „Neuen Kommunalen Finanzmanagement“.

Kurz nach der Wiedereingliederung der ostdeutschen Kommunen in die „Marktwirtschaft“, in den letzten Jahren des vergangenen Jahrtausends, nutzten die Bertelsmänner und andere Neoliberale die Gunst der Stunde und schlugen den Länderregierungen vor, auch die Gemeindefinanzen enger in die Vermarktung öffentlicher Ressourcen einzubinden.

Ökonomisch erfüllen die Städte seit alters her eine doppelte Funktion, die für die kapitalistische Wirtschaftsweise konstitutiv war und heute noch ist:

-       Zum einen wetteifern die Städte darin, den Unternehmen günstige Rahmenbedingungen zu bieten: ausreichend viele und angemessen qualifizierte Arbeitskräfte, geringe Grundstücks- und Baukosten, niedrige Steuern und Abgaben, optimale Verkehrsverbindungen und sonstige Infrastruktur. Zur Bereitstellung der Arbeitskräfte gehört auch die soziale Versorgung sowie die Moderation von Interessenkonflikten zwischen Kapital und Arbeit auf der lokalen Ebene.

-       Zum zweiten sind die Städte – auch heute noch – als Absatzmärkte der Unternehmen unentbehrlich. Jeder Einwohner Dortmunds verfügt durchschnittlich über ein Nettoeinkommen von ca. 17.000 €/p.a. - das sind in summa rund 10 Mrd €, die großenteils am Ort selbst als Kaufkraft für Konsumgüter auftreten. Darüber hinaus wirft der Kommunalhaushalt direkt oder auf Umwegen – einschließlich aller Neben-, Schatten- und Beteiligungshaushalten – noch eine halb so große Summe als öffentliche Nachfrage auf den Markt (pro Kopf der Bevölkerung etwa 9.000 €/p.a.). Und meistens fließen diese Finanzströme auch noch über Banken und andere Vermittlungsagenturen.

In den letzten 30, 40 Jahren hat das neoliberale Politikkonzept die Funktion der Stadt als Dienstleister der Privatwirtschaft enorm gesteigert. Vorher, in der Nachkriegsperiode des „rheinischen Kapitalismus“ bestand der gesellschaftliche Auftrag der Gemeinden vor allem darin, eine einigermaßen sozialverträgliche Verteilung der Produktionsergebnisse zu gewährleisten. – Jetzt verlangt die Wirtschaft von der Kommunalpolitik eine aktive Mitwirkung am Wirtschaftswachstum, d.h. vor allem an der Expansion der Exportwirtschaft und der globalen Finanzplayer. Der Stadtkämmerer wird selbst zum Zocker an den Finanzmärkten.

Damit geraten die Städte viel stärker in den Sog der Marktbewegungen. Es geht nicht mehr nur um Arbeitskraft und Kaufkraft der Stadtbewohner und die Nachfragewirkung des Verwaltungshandelns, sondern die öffentlichen Leistungen, Einrichtungen und Vermögenswerte werden selbst zur Beute von Investoren.

-       Die klassische Form der Privatisierung kommunalen Vermögens ist die Kreditaufnahme bei Privatbanken. Die Verschuldung der Gemeinden am Kapitalmarkt hat zum Teil existenzgefährdende Ausmaße angenommen.

-       Besonders nach dem Untergang der „realsozialistischen“ Systemalternative beschleunigte sich die Auslagerung öffentlicher Einrichtungen bis hin zum Verkauf an Private.

-       Die direkte Beteiligung privater Investoren am städtischen Betriebsvermögen, die sog. „öffentlich-private Partnerschaft“ (ppp) wurde zur typischen Erscheinung der neuen Epoche.

Allen diesen Ansprüchen der entfesselten Marktkräfte genügte das alte kamerale Rechnungswesen kaum noch. Stattdessen schlug die Bertelsmann-Stiftung vor, die Städte aufs engste mit den Märkten zu verzahnen, indem sie sich auch intern in ihren Finanzabläufen nach betriebswirtschaftlichen Mustern richten. Das Gemeinwesen (="Kommune") mutierte zum Dienstleistungsunternehmen (OB Langemeyer führte die amtliche Bezeichnung „Konzern Stadt Dortmund“ ein), Politik mutierte zum „Standortwettbewerb“, Politiker und Verwaltungsbeamte zu Konzernmanagern, die erstmals in der Menschheitsgeschichte ihre Erfolge und Misserfolge nicht mehr nach sozialen, moralischen, ethischen Maßstäben bewerten, sondern nach Aufwand und Ertrag.

Das sogen. "Neue Kommunale Finanzmanagement" (NKF) hilft ihnen dabei, laufend zu kontrollieren, über welche Vermögenswerte sie verfügen, die sie am Markt verwerten können. Aber wohlgemerkt: Das NKF ist nur ein Hilfsmittel, um das neoliberale Politikkonzept auf der kommunalen Ebene effektiver umzusetzen.

Das NKF wurde ab 1994 vorbereitet, 2005 vom Landtag NRW als Gesetz beschlossen, ab 2009 für die NRW-Kommunen Pflicht (vorher freiwillig).

Nicht zufällig war Dortmund die erste Stadt in NRW, die das neue Verfahren 2006 einführte. Der damalige OB Langemeyer verstand die Stadt ausdrücklich als Dienstleister für die Wirtschaft und als „location“ für eine Eventkultur, die soziale Gegensätze ignoriert. Die Stadtsoziologen Häußermann und Siebel prägten dafür den Begriff „Festivalisierung der Stadt“.

Langemeyer bediente sich einprägsamer Parolen, die die neoliberale Denke auf den Punkt bringen: „Strukturwandel“ (von der Industrie- zur Dienstleistungs“metropole“) – „Hinein in den Wettbewerb der Metropolregionen“ – „Den Anderen die Hacken zeigen“ – „Im Standortwettbewerb entscheiden Alleinstellungsmerkmale“ – „Die Stärken stärken, denn die Starken ziehen die Schwächeren nach“ – „Wirtschaftsförderung ist die beste Sozialpolitik.“

(Fortsetzung folgt in Kürze)