Dienstag, 16. Januar 2018

Zeit der Entscheidung (Andrea Ypsilanti, SPD)


Andrea Ypsilanti, bis 2009 Landesvorsitzende der hessischen SPD und deren Fraktionsvorsitzende im hessischen Landtag, heute Mitbegründerin und Vorstandsmitglied des "Instituts Solidarische Moderne" (ISM e.V.), postete am 26.09.2017 auf Facebook:

"Es ist Zeit!
 So schlecht war dieser Wahlslogan gar nicht. Mit einer anderen Strategie, klareren Inhalten und einer anderen Kultur hätte die SPD vielleicht sogar gewinnen können.
Umso wichtiger ist es jetzt, klar zu sagen, wofür keine Zeit ist und wofür auf der anderen Seite mehr Zeit aufgewendet werden muss. Sonst bleibt alles so, wie es nicht ist.
(...)
Es ist Zeit, endlich die Fakten zu erkennen – nicht sie wegzufabulieren. Die SPD hat seit 1998 die Hälfte ihrer Wähler*innen und Mitglieder verloren. Das gehört zusammen gedacht und hat auch etwas miteinander zu tun. Denn es sind nicht die Menschen, die die grandiose Strategie nicht verstanden haben. Im Gegenteil: Sie haben verstanden. Deshalb sind sie gegangen und wählen uns nicht mehr.
Es ist daher höchste Zeit für eine kritische, offene, klare Aufarbeitung. Das gilt für die Agenda 2010, vor allem für die fortwährenden Sanktionen bei Hartz IV, und die Rentenfrage. Das gilt für die Austeritätspolitik der Troika, die Südeuropa an den Abgrund gebracht hat und Millionen Menschen in Armut stürzte.
Es ist Zeit, einfache Mathematik wieder zu begreifen: Eins minus eins ergibt null! Zwei Arbeiterparteien, die gegeneinander und nicht miteinander kämpfen, werden nichts bewegen und nicht gewinnen können. Die eine Partei, die LINKE, verliert (unter anderem stark im Osten an die AfD), weil sie zwar vermeintlich recht hat, aber in der Opposition nichts ändern kann/wird.
(...)
Es ist Zeit, endlich zu realisieren, dass die »Volkspartei SPD« auf dem Spiel steht. Wenn sie als linke Volkspartei überleben will, muss sie erkennen, dass es mehr braucht als gute Worte an »die hart arbeitenden Menschen«.
Es ist Zeit, der AfD klar zu sagen: 87 Prozent haben euch nicht gewählt. Deshalb werdet ihr auch kein Land zurückholen. Denn es gehört den Menschen und keiner Partei. Diese Wähler*innen haben Toleranz, Offenheit, kulturelle Vielfalt, auch wenn sie verschieden sind, gewählt: links, mittig, ganz mittig, grün-konservativ oder sogar die CSU.
Es ist Zeit, für einen großen sozialen, ökologischen und kulturellen Umbau, für Ideen, die diese Transformation voranbringen. Es ist Zeit für einen Aufbruch der gesellschaftlichen Linken und der dafür zur Verfügung stehenden Parteien.
Es ist für die deutsche Sozialdemokratie die Zeit der Entscheidung.
Nach rechts geht es zu den pulverisierten Schwesterparteien in den Niederlanden, Frankreich, Griechenland.
Nach links zur Labour Party und Corbyn, nach den USA zu Sanders, zu Kooperationen mit Syriza, Podemos und den vielen, die trotz allem noch Hoffnung auf Veränderung haben und uns dringend brauchen.
»Eines aber möchten wir in absehbarer Zeit nicht hören: Das jammervolle Geächz der aus der Regierung herausgeworfenen Sozialdemokraten, weil man sie dann grade so behandeln wird, wie sie heute den Reaktionären helfen, die Arbeiter zu behandeln.« (Kurt Tucholsky: Die Weltbühne vom 22.09.1931, Nr. 38, S. 454)

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