Konsequenzen aus der neuen-alten GroKo ziehen
1. Zur Bewertung der
Ergebnisse der Bundestagswahl 2017
Bernd Riexinger,
Co-Vorsitzender der LINKEN:
"Die LINKE gewinnt in den Städten deutlich dazu. Es
gelingt uns, junge, zum Teil prekär lebende AkademikerInnen, Teile der
solidarischen, links-grünen Mittelschicht, Beschäftigte mit niedrigen oder
durchschnittlichen Einkommen und Erwerbslose anzusprechen. Zwischen 11 und 12
Prozent der unter 35-Jährigen haben links gewählt. (…)
Die Befürchtung, die LINKE verliere in ‚der Arbeiterklasse‘,
trifft nicht zu…Wir gewinnen an Zuspruch bei jungen Lohnabhängigen und bei den
Beschäftigtengruppen in der Pflege, in Kitas und neuen Dienstleistungsbranchen,
in denen vor allem Frauen arbeiten…Bei Angestellten und GewerkschafterInnen
haben wir zugelegt…Die zum Teil deutlichen Verluste bei Erwerbslosen, sind
beunruhigend. (…)
Diese Wahl hat uns erneut gezeigt, dass es ein Potenzial für
eine fortschrittliche Politik links von Merkel gibt. Das heißt für uns,
verstärkt daran zu arbeiten, Brücken zu bauen ins sozialdemokratische und
links-grüne Milieu.“
Gregor Gysi,
Vorsitzender der Europäischen Linken:
"Richtig ist, dass uns zu wenige Arbeiterinnen,
Arbeiter und Arbeitslose wählen. Das war schon seit 1990 ein Problem für uns.
Unsere Aufgabe ist es, die Arbeiterinnen und Arbeiter, die Arbeitslosen,
Schritt für Schritt davon zu überzeugen, dass unsere Politik gerade auch in
ihrem Interesse liegt.“
Horst Kahrs Rosa-Luxemburg-Stiftung:
"Probleme, die die Bürgerinnen und Bürger bewegen, die
Zukunft Europas, die Rolle Deutschlands gegenüber den globalen Problemen, die
Bekämpfung von Fluchtursachen jenseits moralisch zwielichtiger Abkommen mit
anderen Staaten, spielten eine sehr untergeordnete Rolle. Mit dem Thema
‚soziale Gerechtigkeit‘, wie wir es aus der Vergangenheit kannten, ließ sich
die Wahl nicht gewinnen. (…)
Die Parteien ‚links von der Union‘ SPD, LINKE und GRÜNE
verlieren gemeinsam 4,1% und erreichen nur noch 38,6% der gültigen Stimmen. Der
Abwärtstrend hält an, 2017 »dank« der Schwäche der SPD. Für SPD und Linke als
linke Oppositionsparteien böte sich die Chance, in der Opposition eine
gesellschaftspolitische Alternative zu formieren. Es dürfte auf lange Sicht das
letzte Zeitfenster für die Erneuerung sozialdemokratischer und
linksreformistischer Politik sein."
Oskar Lafontaine,
Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Saarländischen Landtag:
"Allen Grund nachzudenken hat DIE LINKE trotz ihres
guten Ergebnisses darüber, dass nur 11 Prozent der Arbeitslosen sie unterstützt
haben – weniger als SPD (23 Prozent), AfD (22 Prozent) und Union (20 Prozent)
und gerade mal etwas mehr als FDP und Grüne (je 7 Prozent) – und nur 10 Prozent
der Arbeiter (Union 25 Prozent, SPD 24, AfD 21). Das sind zwei Prozent mehr als
bei der FDP(!), die von acht Prozent der Arbeiter gewählt wurde."
MAKROSKOP (Flassbeck,
Steinhardt):
"Für die ‚Parteien der Mitte (einschließlich der SPD)‘
ist nichts wichtiger, als die Fiktion aufrechtzuerhalten, die Armut in der
Mitte unserer Gesellschaft sei notwendig, sei ein Garant für eine gute
Entwicklung des Arbeitsmarktes und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Industrie. Deutschland geht es gut, ja sogar sehr gut und so gut wie noch nie!
So lautete die Wahlkampf-Botschaft der beiden ‚großen‘ Volksparteien. Sie
hatten ganz offensichtlich darauf gesetzt, dass diese optimistische
Einschätzung von vielen geteilt wird."
Sebastian Müller (auf
MAKROSKOP):
[Die AfD-Wähler sind] "Teil einer im Entstehen
begriffenen Klasse, die das Pendant zu den erfolgreichen Globalisten ist. Eine
Klasse des ‚transnationalen Unten‘. Dort drängen sich die Geringverdiener aus
unterschiedlichen Weltregionen, gering- und dequalifizierte einheimische
Arbeitnehmer und Migranten aus Zweitwelt- und Drittweltstaaten als ‚modernes
transnationales Dienstleistungsproletariat‘.
Die AfD verzeichnet insgesamt 23 % Stimmanteile von Wählern
mit einer schlechten wirtschaftlichen Situation und teilt sich darin gleichauf
mit der SPD den ersten Platz. Umgekehrt schrumpft seit 2009 der Anteil der
Arbeiter und Arbeitslosen, die Die Linke wählen, stetig. Bei den Arbeitern von
18 auf 10 %, bei den Arbeitslosen gar von 25 auf 11 %.“
2. Die Klassenbasis
linker Politik verändert sich
Der Klassenkampf ist eine Tatsache, wie der US-Milliardär
Warren Buffett vor einigen Jahren feststellte:
“There’s class warfare, all right, but it’s my
class, the rich class, that’s making war, and we’re winning.”
Buffett sagte das nicht aus Überheblichkeit, sondern Investoren
wie er und George Soros erkennen sehr wohl, dass die Schere zwischen oben und
unten immer weiter auseinandergeht. Thomas Piketty führt in seinem Werk
"Das Kapital im 21. Jahrhundert" (2016) aus, dass die Besitzer von
Finanzvermögen, Aktien, Immobilien, Anleihen usw. gar nicht anders können, als
immer reicher zu werden. Es genüge, einfach stillzuhalten und die Erträge des
»passiven« Einkommens anzuhäufen. Und mit ihrem Reichtum wächst ihre Macht, die
Erde und die Menschen auszubeuten und die Ausbeutung mit Staatsgewalt
abzusichern.
Solange Gesellschaftsklassen, aus objektiven Gründen, einander
auf diese Weise antagonistisch gegenüberstehen, ist Klassenkampf unausweichlich
und eine Politik der Klassenversöhnung unsozial. Das haben Sozialreformer immer
heftig bestritten. Die SPD negiert es seit ihrem Godesberger Programm von 1959.
Darin brach sie endgültig mit der Marx'schen Konsequenz aus der Tatsache, dass „die Geschichte aller bisherigen
Gesellschaft die Geschichte von Klassenkämpfen" ist. Und dass, wie der
Kapitalismus nun mal funktioniert, „nur
das Proletariat eine wirklich revolutionäre Klasse“ sein kann.
Das Godesberger Programm gab die sozialdemokratische Antwort
auf objektive Entwicklungen im Kapitalismus, die allerdings Marxens Voraussagen
zum Verlauf und revolutionären Ziel des Klassenkampfs zum Teil verkomplizieren,
zum Teil in eine ferne Zukunft verschoben haben:
-die Weiterentwicklung des Konkurrenzkapitalismus („Marktwirtschaft")
zum Monopol- und Finanzkapitalismus (Aktiengesellschaften, „Imperialismus“),
-enorme zahlenmäßige Vergrößerung der Arbeiterklasse
bei immer weiter gehender
Differenzierung und Spezialisierung der Qualifikationen, Herausbildung der
technischen Intelligenz als Schicht innerhalb und außerhalb der Arbeiterklasse,
-damit und mit der Abspaltung von immer mehr prekären Jobs
und Scheinselbständigkeit
die zunehmende individualistische Zersplitterung der Klasse
und die Schwächung ihrer Organisiertheit,
-teilweise Verlagerung von schwerer körperlicher und
gesundheitsschädlicher Arbeit in Kolonien und abhängige Länder („verlängerte
Werkbänke“),
-die Möglichkeit, aus monopolistischen Extraprofiten eine „Arbeiteraristokratie"
(Engels) zu privilegieren und mit deren Hilfe die Arbeiterorganisationen dem
Kapital unterzuordnen,
-die Möglichkeit und Notwendigkeit, in den entwickelten
Ländern die Arbeiter durch materielle Zugeständnisse ruhig zu stellen („Sozialstaat",
Lohnmoderation), um sie in den internationalen Konkurrenzkämpfen auf die Seite
ihrer Brotherren zu ziehen, bis hin zur „Vaterlandsverteidigung" in
militärischen Konflikten,
-die Herausbildung einer staatsmonopolistischen Krisenregulierung,
-die Spaltung der Arbeiterklasse durch nationalistische Vorurteile
und Privilegien,
-die Volksverdummung und -verrohung durch allumfassende, allgegenwärtige
Propagandamedien,
-das historische Scheitern des ersten sozialistischen Lagers
sowohl an seinen inneren (Klassen-) Widersprüchen als auch am „Kalten
Krieg" der kapitalistischen Mächte gegen ihn.
Friedrich Engels hat diese Weiterentwicklung des Kapitalismus
schon gegen Ende des 19.Jh. am Beispiel Englands beobachtet und stellte 1882
fest: „Die Arbeiter zehren flott mit von
dem Weltmarkts- und Kolonialmonopol Englands."
W.I. Lenin hat diese Entwicklungen im 1.Weltkrieg umfassend
untersucht. Im Zusammenhang mit dem Imperialismus der kriegführenden Mächte
unterschied er zwischen unterdrückten Nationen und Unterdrückernationen und
stellte fest:
„Dadurch dass die
Kapitalisten eines Industriezweigs oder eines Landes hohe Monopolprofite
herausschlagen, bekommen sie ökonomisch die Möglichkeit, einzelne Schichten der
Arbeiter, vorübergehend sogar eine ziemlich bedeutende Minderheit der Arbeiter
zu bestechen und sie auf ihre Seite gegen alle übrigen zu ziehen."
Lenin hielt diese Spaltung der Arbeiterklasse noch für
vorübergehend. Inzwischen ist die Entwicklung aber so weit fortgeschritten,
dass in allen „Unterdrückernationen" die Arbeiterklasse gespalten ist,
wobei nicht vorübergehend, sondern dauerhaft sogar die Mehrheit der Arbeiter
und fast das gesamte Kleinbürgertum auf die Seite der imperialistischen Ausbeutung
und Unterdrückung übergingen.
Infolgedessen verlor linke Politik in allen „westlichen"
Staaten entscheidend an Einfluß.
Dieselben Entwicklungen des kapitalistischen Systems haben
inzwischen aber auch den reformistischen Parteien, bei uns der SPD den Boden soweit
entzogen, dass selbst eine organisatorische (Wieder-)Vereinigung der
Arbeiterparteien auf absehbare Zeit keine gesellschaftliche Mehrheit mehr
mobilisieren könnte.
3. Auf globaler Ebene
sieht es anders aus.
Die Mehrheit der Menschen auf der Erde besteht nicht aus
Lohnarbeitern in kapitalistischen Unternehmen, sondern aus kleinen
Parzellenbauern, Viehhirten, selbständigen Kleingewerbetreibenden, kleinen
Händlern und hunderten Millionen entwurzelter Landbevölkerung, die sich in den
Slums der Riesenstädte ohne regelmäßige Erwerbsquellen durchschlagen.
Die Frage stellt sich nun global: Kann diese Mehrheit der
Menschheit ein neues revolutionäres Subjekt bilden, das den Kapitalismus
überwinden und eine neue Gesellschaftsordnung aufbauen kann?
Was die Lohnabhängigen und Prekarisierten bei uns mit diesen
Milliarden Selbstversorgern der Erde tatsächlich gemeinsam haben, ist die
Klassenvernunft zur Durchsetzung einer nicht-marktbestimmten, solidarischen
Wirtschafts- und Lebensweise von unten. Also die praktische Lösung der Eigentumsfrage:
Commons plus Ökologie plus Aneignung digitaler Technologie.
4. Konsequenzen für
die Linke
Nach der (absehbaren) Entscheidung der SPD für eine
Neuauflage der GroKo kann sich eine Linke, die die Welt verändern will, ein
selbstzufriedenes Weiter-so à la Riexinger und Gysi (siehe oben) nicht leisten.
Sie muss die eigene Strategie überdenken: Wie müssen wir uns aufstellen, um die
Teile der Bevölkerung zu sammeln, die mit dem „Durchregieren“ und dem brutalen
Auftrumpfen in Europa nicht einverstanden sind? Wie können wir die Gegner der
deutschen Großmacht-Ambitionen in der Welt (mit allen zerstörerischen Folgen)
aktivieren? Wie lässt sich die immer noch überaus breite Solidarität mit Geflüchteten
auf eine wirksame Bekämpfung der Fluchtursachen richten? Wie auf eine
gerechtere Lastenverteilung in der Gesellschaft drängen?
Wenn die SPD-Basis mehrheitlich für die GroKo stimmt, ist
der Niedergang dieser Partei nicht mehr zu stoppen. Dann müssen auch viele
überzeugte Sozialdemokraten neu darüber nachdenken, dass in Frankreich eine linke Sammlungsbewegung entstanden ist
(La France Insoumise), die mit einem klassisch keynesianischen Programm bei der
Präsidentschaftswahl fast dreimal soviele Stimmen holte wie die neoliberal
abgewirtschaftete Sozialdemokratie (Parti Socialiste). Und dass in England auf
den Trümmern von New Labour Jeremy Corbyn eine starke linke Sammlungsbewegung
aufgebaut hat.
Den einzig erfolgversprechenden Weg, auch in Deutschland die
Opposition gegen die herrschenden Zustände wieder hörbar zu machen, sehe ich in
einer Verbindung der Linken mit enttäuschten Sozialdemokraten und Grünen, quer
zu den zementierten Parteigrenzen. Und zwar in Verbindung mit den internationalen
Klassenkämpfen. Das wird nicht auf die Schnelle zu einer einheitlichen
Organisation führen, wie Oskar Lafontaine u.a. sie schon mal mit dem „Plan B für
Europa“ angeregt hatten. Aber warum sollte eine Strategie, die in anderen
Ländern Europas erfolgreich ist, in Deutschland falsch sein?
Sahra Wagenknecht hat die Idee der „linken Sammlungsbewegung“
aufgegriffen. Dazu schrieben z.B. die Nachdenkseiten:
„Kevin Kühnert (Juso-Vorsitzender) ist
leider auch nicht ‚die letzte Hoffnung der deutschen Sozialdemokratie‘. Dafür
schafft es Kühnert nicht über den aktuellen politischen Tellerrand der SPD
hinauszuschauen und dafür ist sein politisches Programm viel zu dürftig. Somit
wird die Idee von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine für eine neue linke Bewegung
immer reizvoller.“
Auch in und bei der SPD gibt es viele, die über den Tellerrand hinaus
sehen, dass das Weiter-so unsere gespaltene, gelähmte Gesellschaft mit tödlichen
Gefahren bedroht. Zu tun gibt es dagegen eine Menge. Packen wir’s gemeinsam an.