Dass die Wirtschaft nicht unendlich weiter wachsen kann,
ohne alle Lebensgrundlagen zu zerstören, spricht sich ja allmählich herum. Doch
unsere Stadtspitzen ficht das nicht an, sie wählen eine noch dümmere Variante
des kapitalistischen Wachstumswahns als das Bruttoinlandsprodukt, nämlich die
Einwohnerzahl. Die ganze Verwaltung wollen sie darauf programmieren, alles zu
tun, um noch mehr Menschen in die Stadt zu ziehen.
Woher sollen die Zuwächse kommen? Vom Himmel fallen sie
nicht, auch weiterhin werden die Geburten hinter den Sterbezahlen
zurückbleiben. Zuwanderung muss vom flachen Umland, aus anderen Städten und
anderen Ländern kommen. Also: "Wettbewerb"! Kampf um jeden Einwohner,
jede Arbeitskraft, jeden Investor!
Dass so ein Programmziel rein von oben, von der Elite und
deren Verwaltungsapparat ausgedacht ist, liegt auf der Hand und ist Absicht:
Ein "normatives Zukunftsszenario,
auf das sich die gesamte Stadtverwaltung mit ihren Angeboten, Leistungen usw.
ausrichtet", solle "die aus
Sicht der Verwaltung anzustrebende Situation Dortmunds im Jahr 2030" beschreiben.
Aus der Perspektive der Bevölkerung selbst steht dies
Programm auf dem Kopf: Den in Dortmund Lebenden kann es kaum darum gehen, dass
noch mehr Menschen herziehen, sondern dass sie in Zukunft besser hier leben können
als heute. Zwar spielt das Szenario in zwei Extremvarianten durch, wie
bestimmte "Schlüsselfaktoren" (Arbeitsplatzangebot, Bildungsangebot,
Image, Mobilität, Urbanität, Wohnraumangebot) sich positiv oder negativ auf die
Bevölkerungsentwicklung auswirken können - jedoch ob das Größenwachstum unserer
Städte etwa sogar im umgekehrten Verhältnis zur Lebensqualität steht (z.B.
durch heute schon tödliche Schadstoffbelastungen), diese Frage kommt den Wachstumsfanatikern
gar nicht in den Sinn.
Absolut
peinlich wird es, wenn im „Wachstumsszenario Dortmund 2030“ - in nur zwölf Jahren!
- alles das Wirklichkeit werden soll, was in den letzten zwölf Jahren daneben
ging. Da wird munter drauf los fabuliert:
"Dortmund ist ebenso vielseitig, nachhaltig und generationenfreundlich, wie auch
integrativ, dynamisch und kreativ... Alle Bevölkerungsgruppen schätzen die Vielfalt und die
Lebensqualität Dortmunds… Der Internationalisierungsprozess hat sich in seiner
Dynamik etwas abgeschwächt… Kurze, barrierefreie Wege fördern die umweltfreundliche Teilhabe am
Verkehr. In Dortmund bewegt man sich sicher und umweltfreundlich zu Fuß und mit
dem Rad. Gleichzeitig ist die Stadt Vorreiter in Sachen Elektromobilität… Die
Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt hat sich Dank
der gewachsenen Logistikbranche in Dortmund eingestellt. Die Stadt Dortmund
selbst hat mit dem Projekt „Servicecenter Lokale Arbeit“ die Arbeitslosenquote
auf das Niveau des Landesdurchschnitts gebracht… Mehr Personen finden hier ihre
gewünschte Wohnung oder das präferierte Eigenheim: Wohnraum sowohl für Jung und
Alt, für Personen mit und ohne Migrationshintergrund als auch für einkommensstärkere
und -schwächere Haushalte…“ usw. Hier erweist sich das ganze
"Szenario" nur noch als rosa Tünche auf der grauen Realität.
Da ist es auch nur konsequent, dass dies "Szenario"
alle fundamentalen Probleme, Widersprüche und Krisen, die den kapitalistisch
verfassten (Stadt-) Gesellschaften heute schon vor der Tür stehen, großzügig
beiseite wischt: "Die notwendigen
Voraussetzungen für Wachstum sind gegeben...Diese Unwägbarkeiten sollen das im
Zukunftsszenario beschriebene Bild, wonach Dortmund seine Position im
Wettbewerb behaupten und ausbauen kann, nicht in Frage stellen."
Ein Zukunftsprogramm für unsere Stadt, das seinen Namen
verdient, muss genau umgekehrt vorgehen:
Als erster Schritt wäre mit der Stadtbevölkerung gemeinsam
festzulegen, welchem obersten Ziel eine am Gemeinwohl orientierte
Stadtentwicklung folgen soll, und wie sie auf die anstehenden Probleme
reagieren will. Im zweiten Schritt wäre dies Oberziel in die verschiedenen Kategorien
der Lebensqualität aufzuschlüsseln. Sodann wären drittens die Dimensionen zu
bestimmen, in denen diese Teilziele bis 2030 erreicht werden sollen. Viertens
wären die Mittel und Methoden auszuwählen und zu bemessen, mit denen die
Stadtgesellschaft - als ganze, nicht nur die Bürokratie! - die Lebensqualität
Schritt für Schritt verbessern will.
Seit Jahrzehnten gibt es weltweite Bewegungen für "Gemeinwohl"-
oder "Gemeinwesenökonomie", solidarische Stadtentwicklung,
"Stadt für Alle", "Recht auf Stadt“, Commons- oder Allmendebewegung,
Shareconomy usw. LINKE & Piraten sollten der Stadtpolitik auf die Sprünge
helfen, ihr Zukunftsprogramm auf solchen alternativen Entwicklungskonzepten aufzubauen,
anstatt weiter auf die nicht zukunftsfähige Ideologie der Wachstums- und
Standortkonkurrenz zu setzen.